Rede von
Dr.
Erich
Köhler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich habe weiter folgende Mitteilungen zu machen.
Herr Abgeordneter Dr. Kopf hat von mir vorbehaltlich der Zustimmung des Plenums gemäß § 2 der Geschäftsordnung zur Durchführung einer Studien- und Informationsreise nach Südamerika einen längeren Urlaub bis zum 1. Oktober bekommen. Darf ich das Einverständnis des Hauses feststellen, daß dieser Urlaub bis zum 1. Oktober erteilt ist? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Ferner habe ich folgendes mitzuteilen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 16. Juni 1950 den folgenden Gesetzen zugestimmt:
Gesetz über die Senkung der Tabaksteuer für Zigarren;
Gesetz über die Gewerbesteuer für die Zeit vom 21. Juni bis 31. Dezember 1948 und für das Kalenderjahr 1949;
Gesetz zur Verlängerung der Geltungsdauer des Preisgesetzes;
Gesetz über den Ausschluß des Umtausches und der Bareinlösung außer Umlauf gesetzter Postwertzeichen;
Gesetz zur Erstreckung und zur Verlängerung der Geltungsdauer des GüterfernverkehrsÄnderungsgesetzes.
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 14. Juni die Anfrage Nr. 78 der Fraktion der SPD betreffend Teilnahme Deutschlands an internationalen nichtpolitischen Organisationen, Drucksache Nr. 949, beantwortet. Die Antwort trägt die Drucksachennummer 1065.
Ich bitte das Haus, sich damit einverstanden zu erklären, daß die heutige Tagesordnung ergänzt wird durch die unter Punkt 5 der Tagesordnung für Donnerstag vorgesehene erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundesbahn, Drucksache Nr. 1023, und zwar mit Rücksicht darauf, daß der Herr Bundesverkehrsminister heute und morgen nicht anwesend sein wird. Er wird vertreten durch den Staatssekretär Herrn Professor Frohne. Ich darf das Einverständnis des Hauses feststellen.
Ferner wird die heutige Tagesordnung ergänzt durch die Behandlung des Einspruches der Abgeordneten Renner, Müller , Vesper, Rische gegen den Ausschluß auf 20 Sitzungstage. Der Einspruch wird, wie es üblich ist, vor Punkt 1 der Tagesordnung behandelt werden.
Weiter darf ich darauf hinweisen, daß gemäß einer interfraktionellen Vereinbarung in der gestrigen Besprechung des Ältestenrats die Sitzung am Donnerstag, dem 22. Juni, nicht über 15 Uhr 30 hinaus dauern soll.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den
Einspruch der Abgeordneten Müller , Rische, Vesper, Renner gegen ihren Ausschluß auf 20 Sitzungstage (Drucksache Nr. 1067).
Bekanntlich erfolgt gemäß § 92 der Geschäftsordnung die Entscheidung über den Einspruch ohne Aussprache. Wer für Drucksache Nr. 1067 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. — Meine Damen und Herren, der Einspruch ist mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung, und zwar zunächst zu 1 a:
Beratung der Interpellation der Fraktionen der Deutschen Partei und der Bayernpartei betreffend Watenstedt-Salzgitter .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen folgende Einteilung der Redezeit vor: für 1 a 10 Minuten zur Einbringung, für 1 b 15 Minuten und dann eine Redezeit von 90 Minuten.
Ich bitte Herrn Abgeordneten Mühlenfeld, für die Interpellanten das Wort zur Einbringung der Interpellation zu ergreifen.
Dr. Mühlenfeld , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt eine Interpellation vor, die vorn 2. März 1950 datiert ist. Heute schreiben wir den 21 Juni. Ich glaube mich wohl mit meiner Fraktion und der Mehrheit des Hauses in Übereinstimmung zu befinden, wenn ich feststelle,
daß in einer derart wichtigen Angelegenheit eine Interpellation früher erledigt werden mußte und konnte. Sie wissen auch, meine Damen und Herren, daß dieser Punkt schon wiederholt auf der Tagesordnung gestanden hat und aus diesen oder jenen Gründen abgesetzt wurde, sei es auch nur, daß die beiden zuständigen Herren Minister erst noch in das Gebiet Watenstedt-Salzgitter reisen mußten, um sich dort an Ort und Stelle von dem Stand der Dinge zu überzeugen; unserer Auffassung nach kein Grund, eine derart wichtige Angelegenheit so lange zu verschieben, kein Grund vor allen Dingen auch deswegen, weil sich in Watenstedt-Salzgitter Tausende von Menschen dadurch in schwerer Not und Verzweiflung befinden, daß man dort an einer der modernsten Industrieanlagen, die überhaupt auf dem Kontinent zu finden ist, eine sinnlose Zerstörung vorgenommen hat. Im Zeitalter des Marshallplans und des Schumanplans, in dem wir von einer europäischen Gemeinschaft, im Spezialfalle von einer europäischen Eisenwirtschaft sprechen, demontiert man ein Werk, das angeblich Kriegspotential höchsten Maßes darstellt. Ich habe die Pflicht, für das deutsche Volk und für dieses Hohe Haus festzustellen, daß es sich damals nicht um die Errichtung von Kriegspotential gehandelt hat, sondern daß zufällig in den Aufrüstungsjahren der nationalsozialistischen Herrschaft dieses Werk gebaut wurde, weil ohnehin, nachdem die Versuchsverfahren erfolgreich beendet waren und die Verarbeitung von eisenarmen und sauren Erzen möglich war, nun diese Verarbeitung in die Praxis umgesetzt
worden wäre. Ein Werk dieses Ausmaßes und auf der gleichen Rohstoffbasis stehend hat man ja auch in England in Corby und in Linz an der Donau gegründet. Hier spricht kein Mensch von Kriegspotential, und ich stelle ausdrücklich fest, daß das Hüttenwerk in Linz heute von den Alliierten anerkannt ist und daß es im Rahmen seiner natürlichen Kapazität ausgebaut wird. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß der Konstrukteur dieses Werkes, Herr Brassert, seinerzeit im Einvernehmen mit der britischen Regierung den Auftrag der deutschen Regierung, dort ein Hüttenwerk zu bauen, ausgeführt hat.
Meine Damen und Herren, wie sehr sich die Demontage dieses größten und modernsten Werkes ausgewirkt hat, mögen Sie daran erkennen, daß die Zahl der Arbeitslosen in Salzgitter gegenüber dem Bundesdurchschnitt eine erschreckende Höhe erreicht hat. In Nordrhein-Westfalen ist nach mir vorliegenden Informationen die Arbeitslosigkeit mit 5 % zu beziffern, in Niedersachsen mit 21 %; jedoch in Salzgitter beträgt diese Zahl 35 %, in Salzgitter, in dem das Hüttenwerk ausschließlich und allein für alle, die dort wohnen, die Existenzgrundlage bietet. Und wenn wir gestern noch in der Zeitung gelesen haben, daß die Krupp-Renn-Anlage nun endgültig demontiert werden soll, so fehlt uns vor allen Dingen auch deshalb dafür jegliches Verständnis, weil wir uns jetzt in Paris im Rahmen des Schumanplans darüber unterhalten wollen, wie wir eine schlagkäftige und leistungsfähige europäische Eisenwirtschaft erstellen können. Die Krupp-Renn-Anlage steht auf keiner der Demontagelisten, und trotzdem wird sie demontiert! Ich darf mir wohl hierzu die Bezeichnung erlauben, daß eine derartige Demontage einen Willkürakt sondergleichen darstellt.
Mit der Renn-Anlage und ihrem Funktionieren steht und fällt die Wirtschaftlichkeit des Restbestandes der Erzaufbereitung und Erzbearbeitung in Watenstedt-Salzgitter. Ist doch diese Anlage als einzige mit ihrem Verfahren in der Lage, ein Konzentrat von 95 % Fe herzustellen, d. h. also ein nahezu hundertprozentiges Eisen. Und jetzt will man aus dieser Renn-Anlage nun auch noch den letzten Rest demontieren. Das heißt, daß wir dieses unaufbereitete oder halbaufbereitete Erz nunmehr in das Ruhrgebiet schicken müssen — mit Förderabfällen und nicht verwertbarem Ballast —, und wir erhöhen damit die Frachtkosten erheblich und beeinträchtigen die Wirtschaftlichkeit. 70 % des Erzes, das in Salzgitter gewonnen wird, geht an die Ruhr, und nur 30 % sollen in Salzgitter verarbeitet werden. Das mag Ihnen in kurzen Worten die Bedeutung dieser Renn-Anlage schildern.
Ich glaube, daß Sie nach allen Pressenotizen, die wir in den letzten Wochen und Monaten gehört haben, ausreichend informiert sind, so daß ich mir hier nähere Begründungen zu unserer Interpellation ersparen kann. Ich erwarte, daß die Bundesregierung in dieser Frage eindeutig Stellung nimmt und dem Hause zeigt, was getan worden ist, was hätte geschehen können und was nicht getan worden ist. Auch das wollen wir wissen. Vor allen Dingen wollen wir wissen — die Zeit wird in allerkürzester Frist kommen —, wem hier das größte Maß einer historischen Schuld zuzumessen ist.