Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Schreiben vom 8. Mai 1950 hat die Landesregierung Schleswig-Holstein die Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Carl Schröter beantragt. Das Schreiben nimmt Bezug auf den Bericht des vom schleswig-holsteinischen Landtag eingesetzten Ausschusses zur Untersuchung der Eigentums- und Nutzungsverhältnisse der früheren „Kieler Neuesten Nachrichten / Kieler Zeitung". Dieser Bericht empfiehlt der Landesregierung von Schleswig-Holstein, eine strafrechtliche Nachprüfung durch die Staatsanwaltschaft in dreifacher Hinsicht zu veranlassen, nämlich, soweit der Herr Abgeordnete Carl Schröter in Betracht kommt, wegen des Verdachtes
1. einer falschen uneidlichen Aussage,
2. der Teilnahme an einer Untreue,
3. einer versuchten Erpressung.
Zu 1, Vorwurf einer falschen uneidlichen Aussage: Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität empfiehlt, insoweit die Aufhebung der Immunität abzulehnen, weil der gegen den Herrn Abgeordneten Carl Schröter erhobene Vorwurf, auch wenn er wahr wäre, nicht den Tatbestand einer strafbaren Handlung zum Inhalt hat.
Zwischen dem Abgeordneten Herrn Carl Schröter und einem ehemaligen Rittmeister Dr. Kurt Heinrich schwebt ein Rechtsstreit. In diesem Zivilprozeß hat der Abgeordnete Herr Carl Schröter als Beklagter ausgesagt, er habe mit einem anonymen Brief nichts zu tun, der in dem Entnazifizierungsverfahren gegen Heinrich bei der Entnazifizierungsbehörde eingegangen ist. Das Landgericht Kiel hat diese Aussage des Herrn Abgeordneten Carl Schröter für glaubhaft erachtet und Heinrichs Klage abgewiesen.
Der Untersuchungsausschuß des Landtages von Schleswig-Holstein, an dessen Bericht sich die der CDU-Fraktion angehörigen Mitglieder des Ausschusses allerdings nicht beteiligt haben, hält die Aussage des Herrn Abgeordneten Carl Schröter für unglaubhaft, da der anonyme Brief auf der privaten Schreibmaschine des Herrn Abgeordneten Carl Schröter und auf Papier der ihm nahestehenden „Kieler Zeitung" geschrieben sei.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität war weder berufen noch imstande, diesen Sachverhalt zu prüfen; denn jedenfalls hat der Abgeordnete Herr Schröter seine Aussage nicht als Zeuge oder Sachverständiger, sondern als Partei, als Beklagter gemacht. Eine Parteiaussage als solche aber ist, auch wenn sie unrichtig gewesen wäre, nicht strafbar.
Zweitens: Vorwurf der Teilnahme an einer Untreue. Der Verdacht einer Untreue richtet sich nach dem Bericht des Untersuchungsausschusses des Landtages von Schleswig-Holstein nicht gegen den Abgeordneten Herrn Schröter, sondern gegen einen Herrn Brück, der beschuldigt wird, als Treuhänder einer Kommanditgesellschaft den dieser Kommanditgesellschaft gehörenden Zeitungsbetrieb zu billig an den Lizenzträger der „Kieler Nachrichten" und seine Gesellschafter verpachtet zu haben.
Unstreitig hat der Abgeordnete Herr Schröter ursprünglich zu diesen Gesellschaftern nicht gehört und ist am Abschluß des beanstandeten Pachtvertrages nicht beteiligt gewesen, sondern erst Monate später an dem neuen Zeitungsunternehmen beteiligt worden.
Nach der einhelligen Auffassung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ist daher aus Rechtsgründen gar kein Raum zu einem strafrechtlich
erheblichen Vorwurf gegen den Herrn Abgeordneten Schröter. Deshalb wird empfohlen, auch insoweit die Aufhebung der Immunität abzulehnen.
Drittens: Vorwurf der versuchten Erpressung. Nach der Behauptung des früheren Rittmeisters Dr. Kurt Heinrich soll der Abgeordnete Herr Schröter am 1. Juli 1948 in Kiel versucht haben, ihn zu erpressen. Dieser von Heinrich behauptete Versuch soll im Verlaufe der Streitigkeiten um die Zeitung „Kieler Nachrichten" unternommen worden sein.
Heinrich war ursprünglich Alleininhaber des Unternehmens, das die „Kieler Neuesten Nachrichten" herausgab. 1942 wurde das Unternehmen in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, an der Heinrich zu 49 % beteiligt blieb, während 51 % der Anteile von der NSDAP gegen Zahlung von 4 1/2 Millionen RM erworben wurden. 1945 wurde das Unternehmen stillgelegt, und alle Anteile der Kommanditgesellschaft wurden beschlagnahmt, teils als Eigentum der NSDAP, teils, weil Heinrich selbst Altparteigenosse und Ortsgruppenleiter gewesen war.
Die Militärregierung bewilligte je eine Zeitungslizenz für die SPD und für die CDU in Kiel. Lizenzträger für die CDU sollte der spätere Landtagsabgeordnete Herr Koch werden. Herr Koch hatte ursprünglich Schwierigkeiten sowohl nach der Richtung, die Lizenz von der Militärregierung zu bekommen, als auch die Zeitung zu finanzieren. In dieser Lage wandte man sich an Dr. Kurt Heinrich, der nach Hamburg zu einem Oberst Garland bei der Militärregierung fuhr. Auf die Vorstellungen Heinrichs hin, eines Parteigegossen von 1931 und Ortsgruppenleiters von 1932 bis 1945, soll sich
Garland davon überzeugt haben, daß Herr Koch der geeignete Lizenzträger sei.
— Meine Herrn, das wundert Sie? — Ein Rittmeister und ein Oberst sind sich über reeducation sehr schnell einig!
Drei Tage vor Erteilung der Lizenz, am 18. März 1946, wurde auf Heinrichs Gut Emkendorf der sogenannte Emkendorfer Vertrag zwischen Heinrich einerseits und den Herren Willi Koch, Professor Becker sowie Rechtsanwalt und Notar Ehmke andererseits geschlossen. Alle Beteiligten waren sich wohl klar, daß dieser von ihnen als Gentlemen-Agreement bezeichnete Vertrag an sich ungültig war, weil er sowohl gegen Besatzungsrecht verstieß, als auch den Formerfordernissen des deutschen Rechts nicht genügte. Durch diesen Emkendorfer Vertrag schlossen sich die Beteiligten zu einer Gesellschaft für den Verlag von Zeitungen, insbesondere der Herausgabe der „Kieler Nachrichten", zusammen. Am Gewinn und Verlust sollten Heinrich mit 70 %, die übrigen drei Gesellschafter mit je 10 % beteiligt sein.
Der Vertrag, durch den der für die Kommanditgesellschaft eingesetzte Treuhänder Brück deren Zeitungsbetrieb an den Lizenzträger Koch verpachtet hatte, sollte als im Interesse aller vier Gesellschafter geschlossen gelten.
In einem Nachtrag heißt es:
Für den Fall, daß Dr. Heinrich von der Militärregierung gezwungen werden sollte, seinen Anteil von 49 %
— nämlich an der Kommanditgesellschaft —
an den Lizenzträger abzugeben, sind sich alle Gesellschafter darüber einig, daß trotzdem Herr Dr. Heinrich in gleicher Weise am Gewinn und Verlust beteiligt werden soll, als wenn ihm der verkaufte Anteil noch gehörte.
Bei Abschluß dieses Emkendorfer Vertrages wollen die Beteiligten davon ausgegangen sein, daß Dr. Heinrich nur nominell belastet sei und seine Denazifizierung bevorstünde. Bereits am 27. November 1945 hatte demgemäß der Abgeordnete Herr Schröter zusammen mit dem späteren Lizenzträger Koch an die Militärregierung geschrieben, daß sie auf Grund genauer persönlicher Kenntnis keinen Zweifel an der einwandfreien politischen Gesinnung Dr. Heinrichs hegten.
Der Abgeordnete Herr Carl Schröter trat dann dem Emkendorfer Vertrag mit der Maßgabe bei, daß auch er mit 10 % beteiligt wurde, während Heinrichs Anteil von 70 % auf 60 % herabgesetzt wurde.
Heinrichs Denazifizierungsverfahren verlief anders, als man es erwartet haben will. Heinrich wurde in Gruppe III eingestuft. Am 8. Juni 1948 wurde diese Einstufung von der Berufungsinstanz bestätigt. Am 16. Juni 1948, also acht Tage später, sagten sich die übrigen Gesellschafter, also auch der Herr Abgeordnete Schröter, durch einen Brief des Lizenzträgers Koch gegenüber Heinrich vom Emkendorfer Vertrage los, weil er als gesetzwidrig nichtig sei. Infolgedessen kam es zwischen den Beteiligten zu Streit. Heinrich wollte an dem allseits als Gentlemen-Agreement bezeichneten und in Kenntnis der Nichtigkeit abgeschlossenen Emkendorfer Vertrag festhalten und erklärte es in seiner später erhobenen, vom Landgericht Kiel aber in erster Instanz abgewiesenen Klage als einen Verstoß gegen
Treu und Glauben für sittenwidrig, daß der mit unstreitig zu niedrigen Pachtsätzen abgeschlossene Pachtvertrag gleichwohl bestehen bleiben solle. Heinrich seinerseits soll sich daraufhin bemüht haben, die ihm von der NSDAP — wie er geltend machte: unter Druck — abgekauften 51 % des Zeitungsvermögens wieder in die Hand zu bekommen, somit wieder Alleininhaber des Produktionsbetriebes zu werden, den Pachtvertrag möglicherweise kurzfristig zu kündigen und vor allem denazifiziert zu werden, was ihm tatsächlich auch insoweit gelang, als er am 1. September 1948 nach Gruppe IV und am 5. April 1949 vorzeitig nach Gruppe V umgestuft wurde.
Die übrigen Gesellschafter andererseits machten Heinrich am 17. September 1949 ein Vergleichsangebot, durch das sie die jährliche Pacht von 40 000 DM auf etwa 140 000 DM zu erhöhen sich bereit erklärten, wurden aber auch bei der Landesregierung Schleswig-Holstein vorstellig, die nach ihren Wünschen gegenüber der Militärregierung erklären sollte, es könne nicht in Frage kommen, daß Dr. Heinrich als ein in Gruppe III eingestufter alter Kämpfer der NSDAP und Ortsgruppenleiter seine 1942 der NSDAP verkauften Anteile zurückerhielte und damit früher oder später Einfluß auf die Presse gewinne.
Ohne Beteiligung der Mitgesellschafter Koch, Ehmke und Becker, welche dieses Vorgehen ablehnten, wurde der Abgeordnete Herr Carl Schröter im April 1949 und am 16. Mai 1949 bei der Abteilung für Denazifizierung der Landesregierung vorstellig, um eine Rückstufung Heinrichs von V nach IV bzw. von IV nach III zu erreichen.
Hierbei überreichte der Abgeordnete Schröter auch' zwei Zeitungsaufsätze mit stark nationalsozialistischer Tendenz, die Heinrich 1932 veröffentlicht hatte und die erst in der Berufungsinstanz des Denazifizierungsverfahrens gegen Heinrich durch den anonymen Brief bekanntgeworden waren. Diese beiden Zeitungsaufsätze aus 1932 sollen den Abgeordneten Herrn Schröter nach seiner Darstellung davon überzeugt haben, daß er 1945 sein Leumundszeugnis zugunsten Heinrichs etwas oberflächlich und leichtfertig, wie er sagt, abgegeben hätte.
Diese beiden Zeitungsartikel und die Einstufung in Gruppe III will der Abgeordnete Herr Schröter in der ersten Besprechung, die er mit Heinrich am 1. Juli 1948 nach dem Zerwürfnis und der Lossagung vom Emkendorfer Vertrage hatte, dem Heinrich vorgehalten und Heinrich erklärt haben, daß er, Schröter, aus der Gesellschaft ausscheiden würde, wenn Heinrich beteiligt bleibe. Dr. Kurt Heinrich dagegen behauptet, der Abgeordnete Herr Schröter hätte in dieser Besprechung ihn dadurch zu nötigen versucht, daß er ihm zu verstehen gegeben habe, Heinrich werde nie aus Gruppe III herauskommen, ja er werde sogar in Gruppe II kommen, wenn er darauf beharre, eine Tätigkeit als Verleger auszuüben.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität war weder berufen noch imstande, die Wahrheit oder Unwahrheit dieser entgegengesetzten Äußerungen zu prüfen. Ihn konnte auch nicht beeinflussen, daß der Abgeordnete Herr Schröter durch den Herrn Kollegen Gengler wissen ließ, er lege selbst größtes Gewicht auf die Aufhebung seiner Immunität; denn die eigene Stellungnahme des betroffenen Abgeordneten ist unerheblich.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat erwogen, ob überhaupt die Anschuldigung durch einen Altparteigenossen und Ortsgruppenleiter beachtlich sei. Er hat sich in diesem Falle nicht von Gründen, die in der Person Heinrichs liegen, bestimmen lassen können, da der Abgeordnete Herr Schröter selbst es war, der sich auf eine geschäftliche Verbindung mit Heinrich einließ.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat auch nicht die Überzeugung gewonnen, daß dieser Fall im Sinne seiner vom Bundestag gebilligten Grundsätze politisch affiziert sei, da es sich bei der Streitigkeit zwischen dem Abgeordneten Herrn Schröter und Dr. Heinrich um eine Auseinandersetzung zwischen Geschäftspartnern handelt.
Nach eingehenden Erörterungen ist der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zu dem Ergebnis gelangt, daß rechtlich ein Vorwurf der versuchten Erpressung von Heinrich schlüssig behauptet werden kann, weil nach der Rechtsprechung auch ein an sich unklagbares Abkommen auf Grund von Treu und Glauben eine gewisse Rechtslage zu begründen vermag und jedenfalls Drohungen mit einer Einwirkung auf das Denazifizierungsverfahren unzulässig sind. Unter diesen Umständen war für den Ausschuß einzig entscheidend, daß dem gegen den Abgeordneten Herrn Schröter von Dr. Heinrich erhobenen und zu beweisenden Vorwurf der versuchten Erpressung, weil Erpressung ein mit Zuchthausstrafe bedrohtes Verbrechen ist, eine so schwerwiegende Bedeutung zukommt, daß eine gerichtliche Aufklärung ermöglicht werden sollte und das Interesse daran das Interesse des Bundestages an seiner Prärogative überwiegt.
Aus diesen Gründen empfiehlt der Ausschuß mit Mehrheit, insoweit die Immunität des Abgeordneten Herrn Carl Schröter aufzuheben.