Meine Damen und Herren! Die gleichen oder doch ähnlichen Erwägungen, die Ende vergangenen Jahres zur Verabschiedung des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit auf dem Gebiete der Strafrechtspflege geführt haben, haben uns veranlaßt, dem Hohen Hause jetzt auch einen Gesetzentwurf über die Gewährung von Straffreiheit auf dem Gebiete des Dienststrafrechts vorzulegen. Wir sind uns auch hierbei bewußt, daß jede Amnestie, insbesondere aber eine Amnestie auf dem Gebiete des Dienststrafrechts, einen ungewöhnlichen und schweren Eingriff in die Rechtspflege darstellt, der, wenn er sich gar zu häufig wiederholt oder nicht aus einem rechtspolitisch vertretbaren Anlaß erfolgt, zu einer Erschütterung der Rechtssicherheit und zur Untergrabung des Rechtsbewußtseins führen kann. Dennoch glauben wir, daß die Schaffung einer neuen staatlichen Ordnung, wie sie durch den Erlaß des Grundgesetzes und die Errichtung der Bundesrepublik Deutschland gekennzeichnet wird, ein genügender und hinreichender Anlaß ist, um auch auf dem Gebiete des Dienststrafrechts mit den Dienstvergehen, die während der Übergangszeit der vergangenen Jahre begangen worden sind, aufzuräumen.
Nach dem Gesetzentwurf sollen alle diejenigen Dienstvergehen Straffreiheit genießen, die irgendwie mit dem Neuaufbau unserer staatlichen Ordnung, einer neuen Verwaltungsordnung in innerem Zusammenhang stehen und auf die außergewöhnlichen Verhältnisse jener Zeit nach 1945 zurückzuführen sind, schließlich auch jene, die als Bagatellsachen anzusehen sind, bei denen also die Schuld des Täters gering und die Folgen der Tat unbedeutend sind. Gar mancher Beamte ist in jenen Übergangszeiten, in einer Zeit des Chaos, auch des rechtlichen Chaos, oft zu Maßnahmen gezwungen gewesen, die mit den an sich gültigen Rechtsnormen nicht vereinbar waren, für die man aber unter der Sicht jener Zeit ein gewisses Verständnis haben kann und die unter Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse verzeihlich erscheinen. Sehr oft auch hat die Engstirnigkeit von Vorgesetzten nach 1945, die bis dahin nicht im öffentlichen Dienst tätig waren, nachträglich zur Ahndung von Dienstvergehen geführt, obwohl bei einer vernünftigen Abwägung der Umstände von einer Ahndung hätte abgesehen werden können. Sehr oft hat sich gezeigt, daß es unbillig ist, wenn rückschauend ein Recht und Maßstäbe, die in normalen Zeiten angebracht sind, auf Verhältnisse jener Übergangszeit Anwendung finden.
Gewiß, für den öffentlichen Dienst muß in besonderem Maße das Gesetz der Sauberkeit und der Integrität gelten. Der Gesetzentwurf will deshalb auch in keiner Weise jene Fälle irgendwie privilegieren, die als Fälle echter Korruption anzusehen sind, wie sie zu allen Zeiten vorkommen und wie sie natürlich vermehrt in Zeiten einer Verwirrung wie nach 1945, nach einem Zusammenbruch ungewöhnlicher Art, unvermeidbar waren. Deshalb sollen nach diesem Gesetzentwurf von der Vergünstigung der Straffreiheit alle schweren Dienstvergehen ausgeschlossen sein, insbesondere solche, die aus Eigensucht oder Gewinnsucht oder in Ausbeutung eines Notstandes begangen worden sind. Davon abgesehen aber erscheint es notwendig, eine Generalbereinigung vorzunehmen, einen Strich unter die Vergangenheit zu machen.
Die Einzelheiten dieses Gesetzes brauchen wir bei der ersten Lesung nicht weiter zu behandeln, insbesondere nicht die Frage, wer zu seiner Durchführung im einzelnen befugt und in der Lage ist. Wir glauben mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes im übrigen nicht nur einer sachlichen Notwendigkeit zu entsprechen, sondern auch einem Wunsche nachzukommen, dem bereits bei den Beratungen des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit auf dem Gebiete der Strafrechtspflege im Dezember vergangenen Jahres nicht nur von meinen Freunden Ausdruck gegeben worden ist, sondern von Sprechern der verschiedensten politischen Gruppen dieses Hauses, von Sprechern des Zentrums, der Deutschen Partei usw.
Die Notwendigkeit für den Erlaß dieses Gesetzes will ich nur an einem einzigen Beispiel, das sich durch zahllose andere Beispiele vermehren ließe, dartun. Ein Oberinspektor der Reichsbahn, der jetzigen Bundesbahn, der nach 1945 einem mittleren Bahnhof vorstand, welcher zum Teil beschädigt war, hat aus einem dort abgestellten Waggon, um seinen Bahnhof wieder aufzubauen, Kalk entnommen. Der Frachtzettel war verschwunden, der Laufzettel war nicht mehr am Wagen angebracht, der Eigentümer war unbekannt. In ähnlicher Weise hat er sich zum Wiederaufbau dieses Bahnhofs Bandeisen verschafft, nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse der Bahn. Später wurden die Eigentümer ermittelt. Der eine hat großzügig auf Ersatz des Schadens verzichtet, der andere nicht. Es kam zu einem Dienststrafverfahren, und - für mich unverständlich — der Beamte wurde verurteilt, und es wurden ihm 20 % seines Gehalts auf eine bestimmte Frist aberkannt. Das Urteil ist bis jetzt noch nicht rechtskräftig. Aber dieser Fall beweist, daß auch auf dienststrafrechtlichem Gebiet oftmals bei Dienstvorgesetzten eine Engstirnigkeit geherrscht hat, die jedes Verständnis für die ungewöhnlichen Verhältnisse jener Zeit nach 1945 vermissen ließ. Dem sollten wir durch gesetzgeberische Maßnahmen begegnen. Das ist Sinn und Zweck dieser Gesetzesvorlage.
Wir sollten aber aus Anlaß der Behandlung dieses Gesetzes auch nicht versäumen, zum Ausdruck zu bringen, und zwar in aller Öffentlichkeit und mit Nachdruck, daß die so viel gelästerte deutsche Bürokratie, die so oft kritisiert und sehr oft mit Recht kritisiert worden ist, daß die deutsche Beamtenschaft, ja der gesamte öffentliche Dienst, gleichgültig, ob Beamter, Angestellter oder
Arbeiter, sich in jenen Jahren des Übergangs unter äußerst schwierigen Verhältnissen um den Aufbau einer neuen Verwaltung Verdienste erworben hat, die der Öffentlichkeit vielfach nicht bewußt geworden sind, die wir aber nicht vergessen sollten.