Rede von
Gustav
Gundelach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion über die Gewährung von Kinderbeihilfen im Ausmaß der aufgeführten Personengruppen ist unserer Meinung nach ein eklatanter Beweis für die elendige Lage des größeren Teiles unserer Bevölkerung. Tatsache ist, daß die Mehrzahl der Lohn- und Gehaltsempfänger wie auch der größere Teil der selbständigen Landwirte, Handwerker und der sonstigen selbständigen Berufe heute nicht mehr in der Lage sind, mit -ihrem Einkommen die Existenz einer Familie zu sichern. Noch schlimmer ist die Lage der 2 Millionen Arbeitslosen, die gezwungen sind, von ganz unzureichenden Arbeitslosenunterstützungen mit ihren Familien ihr Leben zu fristen. Ich denke aber auch an die große Zahl der Opfer des verbrecherischen Hitlerkrieges, die mit ihren niedrigen Renten nicht in der Lage sind, eine Familie so zu ernähren, wie es menschenwürdig ist.
Ich denke, die sozialdemokratische Fraktion wird einverstanden sein, wenn ich schon jetzt die Bemerkung mache, daß in die Aufzählung der einzelnen Gruppen auch die Kriegsopferversorgungsberechtigten hineingenommen werden müssen. Ich glaube, das wird eine Selbstverständlichkeit sein, und man wird sich bei der späteren Beratung im Ausschuß darüber schon einigen können.
Meine Damen und Herren! Allerdings wird mit dem vorliegenden Gesetz ein Weg beschritten, wie wir ihn bisher in Deutschland nicht gekannt haben; aber wir sagen ausdrücklich: dieses Gesetz hat seine Berechtigung angesichts der Einkommenverhältnisse der aufgeführten Personengruppen und angesichts deren steuerlicher Belastung durch die Einkommensteuer und die indirekten Steuern. Wir Kommunisten vertreten grundsätzlich den Standpunkt, daß es Aufgabe der Lohn- und Gehaltsempfänger ist, sich mit Hilfe ihrer Gewerkschaften dafür einzusetzen, daß sie für ihre Arbeitsleistung auch einen solchen Lohn erhalten, der zur Sicherung der Existenz ihrer Familien ausreicht. Mit der Erreichung dieses Zieles wird unserer Meinung nach auch sogleich die Sicherung der Existenz der in der Gesetzesvorlage genannten Personengruppen erreicht, die unter den Begriff des früheren Mittelstandes fallen. Wir Kommunisten geben uns aber keinerlei Illusionen hin. Solange die Einheit Deutschlands fehlt und solange das arbeitende Volk hier im westdeutschen Separatstaat mit fast 5 Milliarden D-Mark Besatzungskosten belastet ist, solange wird — dessen sind wir uns bewußt — die Massennot fortbestehen. Angesichts dieser Massennot, unter der besonders die Kinder von Familien mit geringem Einkommen der Ernährer zu leiden haben, sind wir, meine politischen Freunde und ich, bereit, alle
Maßnahmen zu unterstützen, die die Lage jener Familien erleichtern, deren Existenz durch die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im westdeutschen Protektoratstaat gefährdet ist.
Wir geben uns aber keinen großen Illusionen hin. Der Redner der CDU, der hier soeben gesprochen hat, hat schon mit aller Deutlichkeit gesagt, welche Stellung diese Regierungspartei zu diesem in jeder Weise gerechten Gesetzentwurf einnehmen wird, und wir zweifeln nicht, daß der Herr Finanzminister Schäffer, dessen Finanzpolitik uns allmählich ein wenig bekanntgeworden ist, alles tun wird, um mit den Regierungsparteien die Annahme dieses Gesetzes zu verhindern. Denn seine Devise ist: „Alles für die Reichen!". Das hat er bei der Durchsetzung der Einkommensteuerreform bewiesen, die wir hier vor einigen Wochen erlebt haben,
und diese Politik — dessen sind wir uns klar -
wird fortgesetzt, solange die Adenauer-Regierung besteht. Es wird unserer Auffassung nach die Aufgabe jener Personengruppen sein, die in diesem Gesetzentwurf erwähnt worden sind, sich selbst außerhalb dieses Hauses aktiv dafür einzusetzen, daß die berechtigten Forderungen dieser Mehrheit des Volkes auch erfüllt werden.