Rede von
Dr.
Erich
Köhler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag Drucksache Nr. 774. Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Richter bitte!
Richter (SPD), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der SPD-Fraktion im Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf behandelt die Gewährung von Kinderbeihilfen nach dem System der periodisch wiederkehrenden Barzahlung an die Unterhaltsverpflichteten. Systeme der Gewährung von Kinderbeihilfen, vielfach auch Familienhilfe genannt, bestehen seit Jahren in fast 30 Staaten der Welt, davon in Europa — und das dürfte uns interessieren in den Staaten Schweden, Schweiz, Großbritannien, Irland, Jugoslawien, Belgien, Tschechoslowakei, Frankreich, Finnland, Bulgarien, Italien, Ungarn, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Sowjetunion, Rumänien, Polen, Portugal und Spanien. Hieraus ist ersichtlich, daß es in Europa nur sehr wenige Länder gibt, die zur Zeit keine derartige Einrichtung haben, wozu bemerkt sei, daß in einigen dieser Länder bereits Untersuchungen über die Einführung eines solchen Systems der Gewährung von Kinderbeihilfen im Gange sind, so wie wir in diesem Hohen Hause es zur Zeit auch beabsichtigen.
Das in den letzten Jahren stetige Anwachsen der Erkenntnis, daß die Gesellschaft eingreifen muß, um das Einkommen der Familien mit Kindern zu erhöhen, wird durch die Einführung von Kinderbeihilfen eindeutig bewiesen. Unterhalt und Erziehung der Kinder belasten die Mutter und den Haushalt der Familien entscheidend. Der Lohn reicht kaum für die Familien ohne Kinder, er kann nicht reichen für die Familien mit Kindern. Dazu ist er zu gering und sind die Preise für die Lebenshaltung zu hoch.
Nach einer von dem Arbeitsministerium der Vereinigten Staaten durchgeführten Statistik für 19 Länder der Welt liegt entsprechend der Kaufkraft des Durchschnittslohnes der deutsche Arbeiter an viertletzter Stelle.
Obwohl in der Art und Auswirkung verschiedenartige Systeme bestehen, haben dieselben jedoch alle das gemeinsame Bestreben, die wirtschaftliche Lage der Familien mit Kindern zu heben und zu sichern. Es geht uns nicht darum, mit unserem Gesetzesinitiativantrag Bevölkerungspolitik zu betreiben und die Kinderzahl im Interesse der Volksvermehrung zu steigern. Es geht uns auch nicht darum, der großen Zahl derjenigen, die aus selbständiger Tätigkeit oder als Arbeitnehmer oder Rentenempfänger oder Arbeitslose oder Fürsorgeempfänger, ganz gleich welcher Art, ein Einkommen haben, das ihnen kein menschenwürdiges Dasein ermöglicht, zu helfen, roch unzureichendes Einkommen aus Arbeit oder selbständiger Tätigkeit durch Unterstützungen zu ergänzen und damit die Zahl bedenklicher Überschneidungen und ungesunder Zustände zu vermehren und diese zu stabilisieren. Es geht uns vor allem darum, den Familien und Personen, die Kinder zu betreuen haben, von Staats wegen einen gleich hohen Betrag für diese zur Verfügung zu stellen.
Wie jedoch die Verhältnisse zur Zeit tatsächlich sind, zeigen die nachstehenden Beispiele: Zwei Landwirte in demselben Ort haben unter den gleichen Verhältnissen das gleiche Jahreseinkommen von 2500 DM. Der eine hat ein Kind, der andere fünf Kinder. Der Landwirt mit einem Kind hat nach Abzug der Einkommensteuer pro Kopf der Familie rund 815 DM im Jahre zu verleben, während jener mit den fünf Kindern pro Kopf der Familie im Jahre nur 360 DM bei ein und demselben Einkommen zu verleben hat.
Ich habe, was die Arbeitnehmer angeht, noch ein weiteres Beispiel. Zwei Angestellte sind in demselben Büro tätig. Beide verrichten die gleiche Arbeit, sind gleich tüchtig und gleich fleißig und erhalten ein Monatsgehalt von rund 300 DM. Wiederum ist der eine Vater von einem Kind, der andere Vater von fünf Kindern. Dem Angestellten und seiner Frau mit einem Kind stehen im Monat nach Abzug der Steuern und Sozialbeiträge 258 DM zur Verfügung, also pro Kopf der dreiköpfigen Familie 86 DM. Dem anderen stehen rund 270 DM zur Verfügung, weil er auf Grund seines niedrigen Einkommens keine Einkommensteuer zu leisten hat, sondern davon befreit ist. Er hat also pro Kopf seiner siebenköpfigen Familie nur 38,50 DM im Monat.
Hinzu kommt, daß sowohl der Landwirt wie der Angestellte mit seiner Frau und einem Kind weniger Wohnraum, Kleidung usw. brauchen als der Vater mit seiner Frau und den fünf Kindern; letzterer hat bei gleichem Einkommen trotz Steuervergünstigung für den Kopf seiner Familie viel, viel weniger als der erstere.
Nach dem seither geltenden Gesetz über die Einkommensteuer — und das dürfte alle Steuer-und Finanzfachleute dieses Hauses interessieren — ist in Steuerklasse III die Ermäßigung nach der Kinderzahl geregelt. Gegenüber einem Ehepaar ohne Kinder hat eine Familie mit demselben Einkommen von monatlich rund 200 DM bei einem Kind 2,35 DM, bei zwei Kindern 4,35 DM, bei drei und mehr Kindern 6,40 DM weniger an Steuern zu zahlen. Ganze 6,40 DM pro Monat beträgt also die Steuerermäßigung bei dem Gros der deutschen Arbeitnehmerschaft, ob Arbeiter oder Angestellte.
Nehmen wir ein nächstes Beispiel, nehmen wir 300 DM Monatslohn. Da ist die Ermäßigung bei einem Kind 9,00 DM, bei zwei Kindern 12,60 DM, drei Kindern 16,20 DM, vier Kindern 20,70 DM und bei fünf und mehr Kindern 21,75 DM. Damit Sie sich nicht irren: nicht für ein Kind, sondern für alle fünf Kinder bei dieser großen siebenköpfigen Familie!
Nimmt man hingegen ein Einkommen von 1000 DM pro Monat, dann ist die Steuerermäßigung nach Steuerklasse III bei einem Kind 27 DM, bei zwei Kindern 54 DM, drei 81 DM, vier 105 DM, fünf 129 DM. Sehen Sie bitte diesen Unterschied, 129 DM Steuerermäßigung für fünf Kinder im Monat! Gönnen wir, meine Damen und Herren, denen, die vom Glück gesegnet sind und ein derartiges Einkommen haben, diese Steuerermäßigung! Auf der anderen Seite hat aber die große Masse der Arbeiter, Angestellten und Beamten eine derart geringe Ermäßigung.
Eine derartige Regelung schafft weder den sozialen Ausgleich, noch fördert sie die soziale Gerechtigkeit. Am allerwenigsten trägt sie aber zur wirtschaftlichen Stärkung der Familien der Arbeiter, Angestellten und Beamten sowie der
kleinen Landwirte, Handwerker, Gewerbetreibenden usw. bei.
Es ist leider eine feststehende Tatsache, daß das Einkommen, die Löhne, die Renten sowie die Unterstützungen eines großen Teiles aller Schaffenden kaum zum Leben, vor allem nicht noch für die Kinder ausreichen. In den letzten Jahrzehnten hat es sich immer wieder gezeigt, daß trotz vieler Anstrengungen nicht der Soziallohn, sondern der Leistungslohn die Grundlage unseres Lohnsystems ist. Weder die Gewerkschaften noch die Arbeitgeber halten eine beachtliche Abkehr von dem Leistungslohnsystem auf Grund der wirtschaftlichen Gegebenheiten und Verhältnisse für möglich. Es wird erklärt, daß das Leistungslohnsystem die Produktivität erhalten und steigern soll. Andererseits verhindert es aber die Befriedigung des Bedarfs der Familien mit Kindern.
Was hier über den Lohnempfänger festgestellt
wird, gilt mit wenigen Abweichungen auch für
den selbständigen Einkommensempfänger. Auch
sein Einkommen hängt von seiner bzw. der Leistung des Unternehmens mehr oder weniger ab.
In einzelnen Wirtschaftszweigen waren Ausgleichskassen vorhanden, sogenannte Familienausgleichskassen, die anscheinend auch dem CDU-Antrag, der trotz des gestrigen Beschlusses noch sehr undurchsichtig ist, vorschweben. Es ist also nicht so, daß wir dieses System in Deutschland nicht kennen oder noch nicht gehabt hätten. Die in Betracht kommenden Betriebe hatten die dafür notwendigen Mittel aufzubringen. Das System der Ausgleichskassen dürfte aber kaum Gewähr bieten, da in Krisenzeiten — da haben wir alle unsere Erfahrungen — gewöhnlich die gut entlohnten Arbeitnehmer zuerst von der Kündigung betroffen werden, wie auch Väter von kinderreichen Familien bei Neueinstellungen einfach nicht berücksichtigt werden, da alle Betriebe an niedrigen Zuschlägen für diese Ausgleichskassen interessiert sind. Die Beiträge für die Ausgleichskassen begrenzen einfach die Lohnsumme; denn die Beiträge für die Ausgleichskassen gehen genau so wie die Beiträge für die Sozialversicherung über das Lohnkonto. Die Familienausgleichskassen haben in Deutschland nie eine größere Bedeutung erlangt. Ich glaube, daß auch das Hohe Haus bei eingehender Beratung dieses Gegenstandes zu der Überzeugung kommen wird, daß sie nicht geeignet sind, in Deutschland allen Unterhaltspflichtigen Kinderbeihilfen zu gewähren.
Nachdem sich bereits der Gewerkschaftsrat, die Spitzenorganisation der Gewerkschaften bereits schon Monate vorher mit der Frage der Gewährung von gesetzlichen Kinderbeihilfen durch den Staat befaßt und in Verbindung mit dem Internationalen Arbeitsamt das dort zusammengestellte Material über die Regelung dieser Angelegenheit in den anderen Staaten der Welt zusammengetragen und weiterverbreitet hatte, wurde auf dem Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München im Oktober 1949 in den sozialpolitischen Grundsätzen u. a. die Forderung erhoben, auf überbetrieblicher Grundlage einen Ausgleich der
kommensverhältnisse zu schaffen und für die Kinder Beihilfen zur Erreichung eines angemessenen Lebensstandards zu gewähren.
Anders als bei den Lohn- und Einkommensempfängern liegt es bei den Rentenempfängern
und Unterstützungsbeziehern. Sie bekommen neben ihrer Rente bzw. ihrer Unterstützung für die Kinder einen Zuschlag, der sich teilweise nach dem früheren Einkommen richtet. Dadurch ist der Kinderzuschlag bei den Rentenempfängern der Sozialversicherung, bei den Empfängern der Kriegsopferversorgung, bei den Fürsorgeempfängern, bei den Empfängern der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge unterschiedlich. Je nachdem, ob der Vater Rentenempfänger, Fürsorgeempfänger, Alu-Empfänger oder Kriegsbeschädigter ist, wird für das Kind ein unterschiedlich hoher, leider meistens viel zu geringer Kinderzuschlag gewährt. Auf Grund des Vorstehenden steht es unseres Erachtens zweifelsfrei fest, daß eine dauernde Besserung der Lage der Familien mit Kindern weder von der Einkommensseite noch durch Steuerbegünstigung erwartet werden kann. Härten, die in den Verhältnissen unserer Gesellschaft begründet sind, werden nur gemildert, wenn für die Kinder auf anderem Wege gesorgt wird, als dies zur Zeit der Fall ist.
Nun gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, noch einige Erläuterungen zu dem Initiativgesetzantrag der SPD, Drucksache Nr. 774. Im
1 ist der Kreis der Beihilfeberechtigen genannt. Es ist darin erwähnt, daß alle Arbeitnehmer, die Unterhaltspflichtige sind, alle unterhaltspflichtigen Landwirte, Handwerker, Gewerbetreibende, Angehörige freier Berufe sowie unterhaltspflichtige mithelfende Familienangehörige. weiter Unterhaltspflichtige, die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, der Sozialversicherung oder Bezüge aus öffentlichen Kassen usw. erhalten, sowie die Waisen Anspruch auf Kinderbeihilfe haben sollen. Das bedeutet praktisch, daß alle Schaffenden, ganz gleich, ob in abhängiger oder in selbständiger Arbeit Tätige, Anspruch auf Kinderbeihilfe haben, ebenso auch die Rentenempfänger in der Sozialversicherung, die Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung und -fürsorge, die Fürsorgeempfänger in der öffentlichen Fürsorge wie die Kriegsopfer und die Waisen.
Die Kinderbeihilfe ist im § 2 unseres Gesetzentwurfs einheitlich auf monatlich 20 DM — das sind jährlich 240 DM — festgesetzt. Wir glauben, daß dieser Satz der gegebene ist, da er bereits Jahrzehnte an all die im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmer, Beamten, Angestellten usw. gezahlt wird.
Die Zahlung der Kinderbeihilfe ist eine technische Frage; ihre Regelung geht aus dem Wortlaut hervor. Dazu brauche ich hier nichts zu sagen. Aber die Regelung, daß die Kinderbeihilfe für alle Kinder bis zum 15. Lebensjahre gewährt werden soll und für Kinder, die in Berufs- oder Schulausbildung stehen, bis zum 18. Lebensjahr, dürfte wohl bedeutungsvoll sein. Auf der anderen Seite halten wir sie auch für ausreichend, da wir in Anbetracht unserer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in erster Linie Wert darauf legen müssen, daß die Eltern die Möglichkeit haben, den Jungen oder das Mädel etwas lernen zu lassen, die Lehre für ein en handwerklichen oder Angestelltenberuf durchmachen zu lassen, umso wieder einen gesunden, tüchtigen Facharbeiterstand zu erreichen.
Daß die Unpfändbarkeit und die Steuerfreiheit der Kinderbeihilfen vorgesehen sind, darf ich nur noch im Zusammenhang erwähnen. Praktisch kann also die Kinderbeihilfe nicht als ein Lohnteil betrachtet werden und so der Lehnsteuer unterliegen; sie kann auch nicht bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge mitbeachtet werden, sondern sie ist ungeachtet der Lohnhöhe und der sonstigen Einkommensverhältnisse zu gewähren und deshalb steuerfrei, versicherungsbeitragsfrei und kann nicht der Pfändung unterworfen werden.
Wir haben keine besondere Organisation, keine besondere Behörde in Aussicht genommen. Wir denken uns die Sache so einfach, daß es genügt, wenn beim Bundesarbeitsminister die oberste Verwaltungsbehörde hierfür errichtet wird. Das Verfahren zur Durchführung dieser Regelung sehen wir darin, daß der Antrag auf Kinderbeihilfe bei der zuständigen Gemeinde gestellt werden muß; dort, wo das Kind nach der Geburt angemeldet wird, wo sich das Standesamt befindet, dort wird auch der Antrag gestellt. Denn dort ist schwarz auf weiß durch Urkunde erhärtet, daß ein Kind das Licht der Welt erblickt hat. Die Gemeindebehörde entscheidet über den Antrag nach den vom Bundesarbeitsminister zu dem Gesetz über die Gewährung von Kinderbeihilfen erlassenen Richtlinien. Gegen die Entscheidung der Gemeindebehörde findet nach den landesrechtlichen Vorschriften die Klage vor dem Verwaltungsgericht statt. Keine neuen Behörden, keine neuen Instanzen, keine neue Bürokratie! Einfach, schlicht und deshalb billig, ohne jegliche Mehrbelastung des gesamten Verwaltungsapparats kann dieses Gesetz durchgeführt werden.
0 Ebenso ist es bei den Auszahlungen. Es wird gesagt: Der Bundesarbeitsminister ist berechtigt, festzustellen und zu bestimmen, wer die Auszahlung vornehmen soll; ob die Gemeindebehörde, die Post oder andere Stellen. das bedarf noch der Überlegungen. Aber auch hier legen wir Wert darauf, einfach und zweckmäßig zu verfahren.
In unserem Deckungsvorschlag heißt es: Die Mittel sind im Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen. Der Bundestag hat bekanntlich auf Grund des Antrags der FDP — verehrter Herr Kollege Dr. Wellhausen, wenn Sie eben dazu einen Zwischenruf gemacht haben, verstanden habe ich ihn nicht —, hinsichtlich des § 48 a der Geschäftsordnung die gleiche Formulierung gewählt wie Sie in Ihrem Gesetzesinitiativantrag zu § 48 a.