Rede von
Dr.
R. Martin
Schmidt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich möchte vorerst Herrn Kollegen Horlacher für die Mitteilung seiner Erkenntnisse besonders danken. Ich hoffe nur, daß diese seine Erkenntnisse auch in seiner ganzen Fraktion Eingang finden. Wir Sozialdemokraten haben im Ernährungsausschuß diesem Beschluß Drucksache Nr. 808 voll zugestimmt. Wir werden das auch heute tun, und wir tun das im vollen Bewußtsein der politischen Verantwortung dafür.
Über die Gründe, die uns dazu bewegen, brauche ich Ihnen hier nichts weiter auszuführen. Ich erinnere Sie nur an die Ausführungen meines Kollegen Kriedemann in der 34. Sitzung des Bundestages. Diese Gründe kann man zusammenfassen in dem Satz, daß die Grundvoraussetzung eines neuen deutschen Wohlstandes die äußerste Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion ist. Diese Auffassung vertreten wir schon seit 1945 und bringen sie der Öffentlichkeit zur Kenntnis. Diese Erkenntnis hat uns bei allen Stellungnahmen zu allen agrarpolitischen Maßnahmen geleitet. Wir sind uns also über das Endziel, daß die Landwirtschaft ein vollwertiges Glied der Volkswirtschaft sein muß und sein will, einig. Wir sind uns auch in dieser Teilfrage einig, die in der Drucksache Nr. 808 angesprochen wird. Aber ich bin der Meinung, daß wir auf den Wegen, die zu diesem Ziele führen, nicht immer dieselben Methoden verwenden werden und auch nicht verwenden können.
Dazu gestatten Sie mir einige grundsätzliche Bemerkungen. Der Antrag Drucksache Nr. 808 hat eine sehr umfassende Überschrift: Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft. Wenn Sie dagegen den Inhalt dieser Entschließung betrachten, dann stellen Sie fest, daß er nur einen kleinen Ausschnitt umfaßt; ja, er sagt nicht einmal das, er spricht nur indirekt ein Problem an. Diese Entschließung Drucksache Nr. 808 ist also ein Glied in der Kette vieler Versuche, hier und dort zu flicken, Löcher zuzumachen und zu stopfen; es ist die Fortsetzung der Politik der vielen Pflästerchen, der kleinen Mittel. Wir haben schon im Ausschuß Gelegenheit gehabt, des öfteren darüber zu sprechen. Wenn Sie sich die Sitzungsberichte des Ernährungsausschusses einmal ansehen, dann werden Sie das voll bestätigt finden. Wir haben eingangs lange über die Rede des Bundesernährungsministers im Ausschuß diskutiert, haben grundsätzliche Debatten über alle möglichen Fragen gehabt. Wir haben die Regierung sogar aufgefordert, ein Jagdgesetz, ein Pachtgesetz, marktordnende Gesetze vorzulegen. Aber abgesehen vielleicht von der Verlängerung des Importausgleichsgesetzes und vom Gesetz zur Senkung der Zuckersteuer, meine Damen und Herren, haben wir nur Teillösungen, zum Teil sogar nur in winzigen Teilfragen, erreicht. Denken Sie nur einmal an die Düngemittelversorgung im Wirtschaftsjahr 1949/50, denken Sie an die Hilfe für die Flachsrösten, denken Sie an die Hilfe für die Konservenindustrie, denken Sie an die Kartoffelsaatversorgung für das Frühjahr 1950, denken Sie an die Hilfe für den Saathandel — alles das sind Maßnahmen, die nur Teillösungen sind.
Auch die Diskussionen über den Butter- und Milchpreis, meine Damen und Herren, behandeln nur solche Teilfragen.
Es sind gerade in dieser Frage weise Beschlüsse
gefaßt worden, und trotz dieser weisen Beschösse
geht es mit der Butter und der Milch schief. Den
Sündenbock dafür sucht man in der Liberalisierung, obwohl die Veredelungsprodukte tatsächlich gar nicht auf der Freiliste stehen. Man starrt
meines Erachtens viel zu sehr auf unsere Handelsverträge, auf unsere Zolltarife, auf die Liberalisierung, und man sieht darin das alleinige
Heil zum Auffangen der ersten Krisenerschei-
nungen in der Landwirtschaft. Ich habe den Eindruck, daß die Regierung den Klageliedern der landwirtschaftlichen Interessenverbände allzuviel Gehör schenkt;
sonst käme sie zu anderen Maßnahmen. Sie kommt aber nur zu Abwehrmaßnahmen. Dieser Politik der Nur-Abwehrmaßnahmen müssen wir ein Ende machen. Ich möchte hier die Aufforderung meines Kollegen Kriedemann in der gestrigen Sitzung des Ausschusses wiederholen, der verlangt hat, daß endlich einmal mit der konstruktiven Politik des Aufbaus begonnen wird, damit im Jahre 1952 unsere Landwirtschaft voll konkurrenzfähig ist gegenüber den anderen westeuropäischen Landwirtschaften.
Sollte die Regierung keine dafür geeigneten Maßnahmen wissen, nun, meine Damen und Herren, so darf ich Sie vielleicht auf die immerhin sehr deutliche Antwort der Marshallplan-Verwaltung auf das ERP-Memorandum verweisen. Darin steht zum Beispiel die Forderung nach der Flurbereinigung als einer noch immer unumgänglichen Vorausetzung für die Hebung der Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft. Die Regierung geht seit Monaten damit schwanger, aber bis heute ist der Gesetzentwurf noch nicht einmal vorgelegt, und ich nehme an, daß auch das immerhin noch einige Monate dauern wird. Denken Sie doch einmal an die Fragen der großen Landeskulturaufgaben, der Meliorationen! Denken Sie an die großen Ödlandkultivierungen im nordwestdeutschen Raum! Dafür sollte man entsprechende Mittel einsetzen, denn diese Mittel sind volkswirtschaftlich eingesetzt und werden, auf die Dauer gesehen, dem deutschen Volke mehr nützen als andere Dinge. Denken Sie an die Maßnahmen zur Steigerung des Düngemittelverbrauchs! Ich bin auch der Meinung des Kollegen Horlacher, daß die Regierung schleunigst, meinetwegen schon morgen, uns geeignete Maßnahmen vorschlagen sollte. Ich erinnere Sie nur daran, daß wir Sozialdemokraten unseren Standpunkt dazu bereits bezogen haben. Denken Sie auch an die Fragen der Förderung des Grünlandes! Vielleicht kann man ein Grönlandgesetz schaffen. Denken Sie einmal an das Beratungswesen! In Deutschland haben wir überhaupt noch keinen effektiven Beratungsdienst. Denn wer läßt sich heute beraten? Praktisch doch nur die, die es an sich gar nicht mehr nötig haben. Wir treffen mit unserem Beratungswesen nicht diejenigen Bauern und Landwirte, die es an sich nötig hätten.
Schließlich, meine Damen und Herren, denken Sie an die Marktordnungsgesetze, die ja wohl vor der Tür stehen; wir hoffen jedenfalls, daß sie dem Bundestag bald vorgelegt werden.
Das sind nur einige Maßnahmen, die ich hier anführe, die aber geeignet sind, die gleichen produktionspolitischen Voraussetzungen wie in den anderen westeuropäischen Ländern zu schaffen. Wir werden alle diese Maßnahmen unterstützen, wie wir auch jeden positiven Schritt in der Richtung einer Förderung der Landwirtschaft gutheißen werden. Aber, meine Damen und Herren, das allein genügt tatsächlich nicht. Ich habe hier an dieser Stelle schon einmal Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, daß mit den gesetzlichen Maßnahmen und Verordnungen allein nichts erreicht wird. Die Landwirtschaft selber muß die allergrößten Anstrengungen machen, um insbesondere zu einer innerbetrieblichen Reorganisierung zu kommen. Sie muß auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik und der Sozialorganisation einen ganz neuen Standpunkt beziehen, und sie soll vor allen Dingen die Fülle der Möglichkeiten genossenschaftlicher Initiative voll ausschöpfen. Ich gebe zu, meine Damen und Herren, daß das nicht ganz einfach für die Landwirte ist, vor allen Dingen deshalb nicht, weil sie über zwei Generationen wie unter einer Glasglocke gelebt haben, wobei man ängstlich bemüht war, ja kein Lüftchen in diese Glasglocke eindringen zu lassen. Aber die Schuld dafür trägt nicht einmal die Masse , der Bauern selber, sondern die Schuld tragen die Führungskräfte der Landwirtschaft, deren geistige Krisis auch heute mehr denn je offen zutage tritt.
Ich darf zum Schluß noch folgendes sagen: Wenn die Regierung diese praktischen Grundprobleme nicht sofort anpackt und wenn insbesondere die Landwirtschaft selber sich nicht dazu aufrafft, einen neuen Kurs zu steuern, dann wird der größte Teil der Betriebe, wie Herr Kollege Bauknecht nicht mit Unrecht befürchtet hat, auf der Strecke liegen bleiben, und das wollen wir Sozialdemokraten weiß Gott nicht.