Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist mit dem Antrag Drucksache Nr. 428 ein Fragenkomplex zur Beratung überwiesen worden, der einen der neuralgischsten der ganzen Agrarpolitik und auch der gesamten Wirtschaftspolitik des Bundes darstellt. Bei seinen dreitägigen Beratungen hat der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht einen Augenblick, die berechtigten Interessen der Verbraucher, der Erzeuger und auch der gesamten deutschen Wirtschaft außer acht gelassen und ihre gerechte Abwägung mit allem Ernst in den Vordergrund gestellt.
Ich möchte vorwegschicken, daß der Fragenkomplex, der mit der Ratifizierung der Handelsverträge in Zusammenhang steht, herausgenommen und einer gesonderten Behandlung zunächst im Rechtsausschuß und anschließend im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unterzogen wurde. Beide Ausschüsse und mit ihnen gleichzeitig die Regierung haben sich für die Ratifizierung von Handelsverträgen durch dieses Hohe Haus ausgesprochen, so daß eine weitere Erörterung dieses Gegenstandes überflüssig erscheint.
Bei allen Mitgliedern des Ernährungsausschusses war übereinstimmend die Meinung festzustellen, daß sich die Landwirtschaft in einer Krise befindet, daß diese Krise im Begriff ist, größere Kreise zu ziehen, und daß sie sich überaus schädlich für die gesamte deutsche Wirtschaft auswirken kann. Um Ihnen über Art und Umfang der Krise ein Bild zu geben, möchte ich mich auf die Erwähnung einiger wichtiger Symptome beschränken.
Der Index der Agrarerzeugnisse liegt bei weitem unter dem der Bedarfsgüter der Landwirtschaft aus dem gewerblichen Sektor, so daß, wie Ihnen allen bekannt ist, die Preisschere zuungunsten der Landwirtschaft geöffnet ist. Das wirkt sich in. dem für alle, die sich mit der Materie befassen, sichtbaren Symptom eines Rückgangs beispielsweise des Kunstdüngerabsatzes aus. Um Ihnen die Bedeutung klarzumachen, erlaube ich mir, hier einige Zahlen einander gegenüberzustellen. Der Kunstdüngerabsatz per 31. 1. 1950 ist gegenüber dem vom 31. 1. 1949 bei Stickstoffabrikaten um zirka 20 %, bei phosphorsäurehaltigen Kunstdüngemitteln um zirka 18 % und bei Kalk um nicht weniger als 45 % zurückgegangen. Wenn sich auch in der letzten Zeit der Kunstdüngerabsatz und damit die Verwendung von Kunstdünger in der Erzeugung gebessert hat, so erreichen doch diese Zahlen bei weitem nicht die Planzahlen. Mir erscheint es wichtig, im Rahmen meiner Berichterstattung auf folgendes hinzuweisen. Durch
seine wissenschaftlichen Ermittlungen hat insbesondere Herr Professor Baade festgestellt, daß diese Planzahlen in Anbetracht der Forderungen, die die deutsche Wirtschaft und Ernährungswirtschaft an die Landwirtschaft zu stellen haben, bei weitem nicht ausreichen. Dadurch ist also die Gefahr einer Produktionsminderung gegeben. Auffallend hierbei ist, daß der Rückgang in der Verwendung von Dünger, rein summenmäßig gesehen, mit den Summen korrespondiert, die die Landwirtschaft an Soforthilfeabgaben aufzubringen hat.
Ferner ist die steuerliche und soziale Belastung der Landwirtschaft einer Untersuchung unterzogen worden, vor allen Dingen in Beziehung auf die gegenüber der Kapitalumlaufsgeschwindigkeit in den übrigen Wirtschaftszweigen besonders niedrige Kapitalumlaufsgeschwindigkeiten in der Landwirtschaft.
Für die Produktionskraft der Landwirtschaft hat sich auch die Ungewißheit der Erzeuger über Absatz und Preise nachteilig ausgewirkt. Der mangelhafte Zustand der landwirtschaftlichen Produktionsmittel, insgesamt gesehen der Zustand der Maschinen, Geräte und Gebäude, ist eine weitere Ursache der Gefahr der abfallenden Leistung. Die Kriegsschäden der Landwirtschaft allein hinsichtlich der Gebäude belaufen sich im gesamten Bundesgebiet auf 1,2 Milliarden DM, hinsichtlich von lebendem und totem Inventar auf 1,7 Milliarden DM. Das sind erschreckende Zahlen, die zeigen, wie nachhaltig die Landwirtschaft allein in ihrem sachlichen Produktionsapparat getroffen ist. Wenn man dem gegenüberstellt, daß bislang nur 51 Millionen DM — ein Tropfen auf den heißen Stein — aus den verschiedensten Fonds bewilligt worden sind, mit denen diese Schäden beseitigt und der Nachholebedarf befriedigt werden sollen, so kann man ermessen, welche Gefahren aus dem drohenden Kapitalmangel und dem Nachholebedarf der Landwirtschaft entstehen.
Die Gefährdung der Saatzuchtbetriebe ist nicht unerörtert geblieben. Der verminderte Saatgutwechsel in der Landwirtschaft ist ein weiteres Sympton dafür, ,daß die Produktion unserer Landwirtschaft nicht in der Lage ist, die nötigen finanziellen Mittel aufzubringen, um auch hier eine stetige Erzeugung zu gewährleisten.
Die beschleunigte Zunahme der Verschuldung in der gesamten Landwirtschaft des deutschen Bundesgebietes ist ebenfalls gebührend berücksichtigt worden und nicht zuletzt die Unterbewertung landwirtschaftlicher Arbeit. Die Gleichstellung der Landarbeiter hinsichtlich ihres Einkommens mit der Arbeiterschaft der Industrie ist ein Erfordernis, dessen Erfüllung und Befriedigung der Ausschuß als vordringlich angesehen hat.
Ich habe auch die Aufgabe, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß ein weiterer wichtiger Zweig der deutschen Ernährungswirtschaft, nämlich die Fischwirtschaft, sich in einem Zustand befindet, der nicht ohne die nachteiligen Folgen für die gesamte wirtschaftliche Struktur des Küstengebietes gesehen werden kann; hängen doch nicht mehr und nicht weniger als 80-bis 82 000 Menschen in unseren deutschen Küstengebieten von dem Schicksal der Fischwirtschaft in allen ihren Zweigen ab.
Nicht zuletzt sind die Gefahren auch der sogenannten Liberalisierung besonders eingehend erörtert worden, worauf ich gleich zurückkommen werde. Der Ausschuß ist sich seit langem darüber im klaren und legt Wert darauf, daß die Öffentlichkeit davon Kenntnis nimmt, welche Bedeutung der deutschen Landwirtschaft für die gesamte deutsche Wirtschaft überhaupt zukommt. Um dies zu demonstrieren, beschränke ich mich darauf, Ihnen nur drei Zahlen zu nennen. Erstens: der landwirtschaftliche Erzeugungswert beträgt jährlich 18 Milliarden DM. Zweitens: die unmittelbaren Aufwendungen der westdeutschen Landwirtschaft für Löhne , und Bestellungen bei der Industrie und bei dem Gewerbe betragen pro Jahr 51/2 bis 6 Milliarden DM; dazu Aufwendungen, die nicht so ohne weiteres erfaßbar sind und indirekt dem deutschen Gewerbe und der deutschen Industrie zugute kommen und damit einen erheblichen Faktor für die Beschaffung von Arbeitsplätzen darstellen. Drittens: Wenn es gelingt, die Erzeugung der deutschen Landwirtschaft auch nur um 10 % zu steigern, so bedeutet das eine Einsparung von nicht weniger als einer Milliarde D-Mark an harten Devisen. Der Ausschuß ist der Überzeugung, daß sich die für die offizielle allgemeine deutsche Wirtschaftspolitik maßgebenden Stellen und die deutsche Öffentlichkeit aus diesen Gründen über die Bedeutung der deutschen Landwirtschaft für die Existenz des deutschen Volkes klar sein sollten.
Damit erscheint dem Ausschuß auch die Berechtigung gegeben zu sein, die Forderung nach der Gleichberechtigung von Industrie und Landwirtschaft aufzustellen. Hierzu sind eine Reihe von Vorkehrungen zu treffen und Forderungen zu stellen. Erstens: Die Preise für Hauptnahrungsmittel müssen die Gestehungskosten decken. Eine langfristige Rentabilität muß gesichert und damit gleichzeitig der Anreiz zur Erzeugungssteigerung und Intensivierung gegeben sein. Der Agrarausschuß ist der Überzeugung, daß der Landwirtschaft politische Preise für ihre Erzeugnisse nicht zugemutet werden können und daß die Subventionierung der deutschen Landwirtschaft zugunsten der übrigen deutschen Bevölkerung nicht Aufgabe der Agrarpolitik ist, sondern eine der vornehmsten Aufgaben der Sozialpolitik.
Die Produktionskosten müssen gesenkt werden. Ich darf Ihnen als zwei wichtige Faktoren nur nennen: eine Senkung der Kunstdüngerpreise um ungefähr 25 % und gleichzeitig eine Senkung der Anschaffungspreise für Saatgut. Sonderbelastungen kann die Landwirtschaft nicht ertragen, wenn sie ihren Aufgaben für die Ernährungswirtschaft des deutschen Volkes gerecht werden soll. Frachttarife, Treibstoffpreise, die Leistungen für die Sozialversicherung bedürfen dringend der Überprüfung, soweit sie die Landwirtschaft betreffen.
Hinsichtlich der Handelspolitik, die zu betreiben ist, wenn man der Landwirtschaft die ihr gebührende Rolle in der deutschen Wirtschaft geben will, ist der Ausschuß, zu der Überzeugung gekommen, daß folgende Faktoren zu berücksichtigen sind: Ausschöpfung der handelspolitischen Möglichkeiten, als da sind Zölle, Negativlisten, Mitarbeit der Berufsstände, Importausgleichsgesetz und dergleichen mehr, und um die landwirtschaftliche Produktion nicht zu stören, Einfuhr nur des echten Bedarfs und
zeitliche Rücksichtnahme. Das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten muß sich bemühen, baldmöglichst zu einwandfreien neuen Produktions- und Verbrauchsstatistiken zu kommen. Es sollen keine langfristigen Handelsverträge abgeschlossen werden. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten soll baldmöglichst ein Zolltarifschema vorlegen. Die Höhe der Zahl der in der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigten Personen bedarf einer stetigen und sorgfältigen Beobachtung durch das Ministerium. Die Liberalisierung ist auf den Marshallplanraum zu beschränken. Für die agrarpolitischen Schlüsselprodukte soll die staatliche Lenkung im Mittelpunkt stehen.
Der Ausschuß war sich ferner darüber einig, daß die Katastrophenklausel allein, nicht genügt, sondern daß eine vorbauende Planung notwendig ist. Dazu gehört, gewissermaßen als Ausgangspunkt aller zukünftigen Liberalisierung, vor allen Dingen, daß unter den nationalen Wirtschaften Westeuropas eine Abstimmung über die Erzeugung erfolgt. Vorverhandlungen bäuerlicher Vertreter der Partnerländer sind wünschenswert. Es wird vorgeschlagen, statistische Unterlagen über Anbauflächen usw. auszutauschen. Eine beschränkte Einfuhr von nicht lebensnotwendigen Nahrungs- bzw. Genußmitteln wird immer notwendig sein, um dadurch den Export von Fertigwaren zu erweitern. In der Landwirtschaft herrscht große Unsicherheit. Das Kabinett soll eine klare Stellungnahme beziehen und die Bedeutung der Landwirtschaft herausstellen.
Zusammenfassend kann der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, soweit es die handelspolitischen Maßnahmen zur Liberalisierung des Außenhandels betrifft, zu folgenden Feststellungen:
Erstens: Die Bedeutung der Liberalisierung für die europäische Wirtschaft und für die Steigerung des Wohlstandes der europäischen Bevölkerung wird auch vom Standpunkt der Landwirtschaft anerkannt. Die Vorteile einer solchen Entwicklung bestehen in einer Belebung der Wirtschaft, in einer nach Qualität und Menge besseren Versorgung und in einer größeren Kaufkraft, die sich auf die landwirtschaftliche Erzeugung und deren Absatz günstig auszuwirken vermag. Diese Vorteile werden aber neben den Gefahren, die der Landwirtschaft erwachsen, nur Wirklichkeit werden, wenn alle europäischen Marshallplanstaaten in gleicher Weise den Außenhandel von den Beschränkungen befreien.
Zweitens: Da die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion eine lebensnotwendige Voraussetzung für ein größeres Maß von Sicherheit in der Lebensmittelversorgung und für eine ausgeglichene Handelsbilanz ist, muß grundsätzlich bei der Vorbereitung, dem Abschluß und der Durchführung von Handelsverträgen beachtet werden, daß Art, Menge und Zeitpunkt der Importe die landwirtschaftliche Erzeugung nicht beeinträchtigen und ihre Steigerung nicht behindern. Der leitende Ausschuß des Verbandes der europäischen Landwirtschaft hat bei der grundsätzlichen Anerkennung des Nutzens einer besseren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den freien Staaten Europas auf die möglicherweise eintretenden tiefgreifenden Folgen einer überstürzten Liberalisierung hingewiesen und ebenfalls die besondere Notwendigkeit einer gesteigerten landwirtschaftlichen Produktion und einer reibungslosen Verwertung ihrer Erzeugnisse dargelegt. Er hat den Regierungen der beteiligten Länder empfohlen, bis zur Klärung und Sicherung dieser Grundvoraussetzungen die weitergehende Liberalisierung hinauszuschieben.
Drittens: Die teilweise überstürzte Durchführung der Liberalisierung hat bei der Landwirtschaft einiger europäischer Länder erhebliche Schäden hervorgerufen. Es ist deshalb notwendig, daß die Liberalisierung in Zukunft abwägend und vorausschauend weitergeführt wird und daß insbesondere eine Ausdehnung über das europäische Marshallplangebiet hinaus vorerst unterbleibt.
Viertens: Um die Grundlage und die Voraussetzung für einen freien Warenaustausch zu schaffen, muß in ständiger Zusammenarbeit zwischen allen Marshallplanländern eine Verständigung über die Aufnahmefähigkeit und die Beschickung der europäischen Märkte herbeigeführt werden mit dem Ziele, dadurch die Erzeugung so zu beeinflussen, daß sich die Marktangebote der Menge und dem Zeitpunkt nach ergänzen.
Fünftens: Um in der Übergangszeit, bis diese Verständigung unter den europäischen Marshallplanländern zum Erfolg führt, die landwirtschaftliche Produktion und die Volksernährung vor Schäden zu bewahren, wird bei der Durchführung der Liberalisierung die Anwendung folgender handelspolitischer Mittel für notwendig erachtet: a) Zölle, b) Schaffung von Einfuhr- und Vorratsstellen, c) Einbau der Gefahrenklausel in die Handelsverträge, d) Bildung gemischter Regierungskommissionen unter Hinzuziehung der beteiligten Wirtschaftskreise einschließlich der Verbraucher.
Ich habe zu erwähnen, daß der Ausschuß für Außenhandelsfragen, der sich ebenfalls eingehend mit dieser Materie befaßt hat, zu der gleichen Auffassung und Feststellung wie der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gekommen ist.
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat den Antrag Dr. Horlacher, Bauereisen, Strauß und Genossen auf Drucksache Nr. 428 sinngemäß zu seinem eigenen gemacht. Im Auftrage des Ausschusses habe ich Ihnen gemäß Drucksache Nr. 808 die folgende Fassung vorzuschlagen:
Der Bundestag wolle beschließen:
die Bundesregierung zu ersuchen, alle Maßnahmen zu treffen, damit der in Gang gekommene Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei keine Unterbrechung erfährt, sondern mit Beschleunigung, besonders angesichts des Jahres 1952, fortgeführt werden kann. Aus diesem Grund sind die Einfuhren landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie die Abmachungen in den Handelsverträgen so zu steuern, daß die Steigerung der landwirtschaftlichen Inlandserzeugung und Verarbeitung durch ungeregelte Importe keine Störung erfährt. In den Handelsverträgen sind hinsichtlich landwirtschaftlicher Positionen Vereinbarungen nicht nur mengenmäßig, sondern auch jahreszeitlich unter Einführung
der notwendigen Schutzbestimmungen herbeizuführen. Angesichts der zu erwartenden Produktionsausweitung der deutschen Landwirtschaft ist für die nächste Zeit von langfristigen Abmachungen, die die Landwirtschaft berühren, abzusehen.
Dem Bundestag sollen monatlich bezüglich der Landwirtschaft fortlaufend Übersichten über die Einfuhren und Ausfuhren und Zusammenstellungen der abgeschlossenen handelsvertraglichen Abmachungen zugeleitet werden.
Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen namens des Ausschusses dringend die Bitte ans Herz zu legen, die Fassung dieses Antrages anzunehmen und damit der Bedeutung der deutschen Landwirtschaft für die gesamte deutsche Wirtschaft Rechnung zu tragen.