Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich den Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht mit einigen allgemeinen Bemerkungen einleite.
Der Entwurf eines Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter gehört in einen politischen Zusammenhang hinein, der für das moderne Kulturbewußtsein ungeheuerlich und für das Leben des deutschen Volkes maßlos tragisch ist. Dieser Zusammenhang wird durch die Reihe von Gesetzen, Verordnungen, Maßnahmen, Vergehen und Verbrechen gebildet, die der Rassenwahn der NSDAP hervorgebracht hat, die mit für manchen unter uns harmlos erscheinenden Dingen begonnen und schließlich mit der Ermordung von 5 Millionen Juden geendet hat. Niemand, kein Gesetz kann die Toten wieder lebendig machen. Wir aber sind verpflichtet, alles Mögliche zu tun, um das begangene Unrecht an den Überlebenden wiedergutzumachen. Das ist der Zweck des vorliegenden Gesetzes.
Die nationalsozialistische Diktaturgewalt hat es sich angemaßt, verbietend und befehlend in die Liebes- und Geschlechtsbeziehungen ihrer Untertanen einzugreifen. Niemand ist davor absolut bewahrt geblieben. Am stärksten aber hat das Eheleben der Juden in Deutschland darunter gelitten. So konnten nach den sogenannten Nürnberger Gesetzen von 1935, nach einer im Jahre 1940 dazu ergangenen Ausführungsverordnung und nach dem sogenannten großdeutschen Ehegesetz von 1938 aus angeblich rassischen Gründen bestimmte Ehen verboten, für nichtig erklärt oder überhaupt unmöglich gemacht werden, indem sie einer besonderen Genehmigung — die in der Regel nicht erteilt wurde - unterworfen wurden. Verlobte, die in dieser Zeit rassisch und politisch verfolgt gewesen sind, haben sich der diktatorischen Brutalität der Nationalsozialisten dadurch entzogen, daß sie freie Ehen begründet und in freien Ehen zusammengelebt haben. Diese Ehen zu legalisieren, ist ein moralisches und ein rechtliches Bedürfnis.
Dieses Bedürfnis ist schon sehr bald hervorgetreten. Es sind Versuche unternommen worden, es durch die Gesetzgebung zu befriedigen. So hat der Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes für die Länder Bayern, Hessen, Württemberg-Baden und Bremen bereits im Jahre 1947 ein zoneneinheitliches Gesetz ausgearbeitet, das in Bayern im Dezember 1947, in den übrigen genannten Ländern in den Monaten Januar bis März 1948 erlassen worden ist. Auf Grund einer Verordnung des Zentraljustizamtes für das britische Besatzungsgebiet konnten auf Gesuche der Betroffenen hin im Einzelfall Sanktionen erteilt werden. Im französischen Besatzungsgebiet ist nur im Lande Rheinland-Pfalz eine Regelung ergangen, die der des amerikanischen Besatzungsgebietes in etwa gleichkommt. Durch das vorliegende Gesetz soll nun für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gleiches Becht geschaffen werden.
Allerdings will das vorliegende Gesetz nicht jede freie Geschlechtsgemeinschaft legalisieren. Es setzt voraus, daß bei rassisch Verfolgten entweder eine kirchliche Trauung stattgefunden hat oder <daß die Verbindung vor den Angehörigen erklärt worden ist oder daß eine andere ernsthafte Bekundung des Willens zu ehelichem Zusammenleben stattgefunden hat. Bei politisch Verfolgten wird außerdem verlangt, daß sie gezwungen gewesen sind, unter falschem Namen zu leben, in der Verborgenheit zu arbeiten oder überhaupt außerhalb der bürgerlichen Ordnung zu existieren. Sie finden diese Vorschriften, die der Ausschuß unverändert angenommen hat, in den §§ 1 und 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Der § 1 geht dann außerdem auf die Rechtswirkung ein, die durch die nachträgliche Legalisierung erreicht werden soll. Es soll nach § 1 Absatz 1 möglich sein, von einem bestimmten Zeitpunkt ab durch die Landesjustizverwaltung die bestehende Vereinigung als Ehe zu erklären oder aber eine seit 1945 geschlossene Ehe in ihrer Rechtswirkung vorzuverlegen. Eine Rechtswirkung auf das eheliche Güterrecht mit rückwirkender Kraft wird dabei in keinem einzigen Falle erlangt werden.
Das Gesetz sieht eine Antragsfrist von einem Jahr vor und bezeichnet als antragsberechtigt Verlobte, Ehegatten, überlebende Ehegatten, überlebende Verlobte, Abwesende, Überlebende von in Abwesenheit Verstorbenen, Überlebende von für tot Erklärten. Außerdem sollen über das bisher im amerikanischen Besatzungsgebiet geltende Recht hinaus die Kinder des eben bezeichneten Personenkreises für antragsberechtigt erklärt werden. Da diese Vorschrift neu ist, weicht die Ausschußfassung des Gesetzes, die Ihnen heute zur Beschlußfassung unterbreitet wird, auch in § 4 von der Regierungsvor-
lage ab. Es ist notwendig, dieses Gesetz wegen dieser Rechtsbestimmung auch auf die Länder des amerikanischen Besatzungsgebietes auszudehnen.
In der Ausschußberatung hat sich weiter ergeben, daß das Gesetz des Wirtschaftsrates über die Wiederherstellung der Rechte von Verfolgten in der Sozialversicherung bisher zu wenig bekanntgeworden ist, um allen Verfolgten die Gelegenheit zu geben, von der in diesem Gesetz festgelegten Frist Gebrauch zu machen. Deshalb ist ein § 4 a in das Gesetz eingefügt, der, wie der Ausschuß wohl bemerkt hat, organisch nicht in dieses Gesetz paßt. Es wird aber für unpraktisch gehalten, wegen des Gesetzes des Wirtschaftsrates noch eine besondere Gesetzgebung in die Wege zu leiten.
Heute vormittag hat der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht Gelegenheit gehabt, noch einmal die Frage der Abwesenden zu prüfen. Dabei ist festgestellt worden, daß die überlebenden Verlobten von Abwesenden, die verstorben sind — es handelt sich praktisch um viele Fälle, die im letzten Jahr bei der Heimkehr von Kriegsgefangenen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft aufgetreten sind —, dieselben Rechte haben sollen wie die anderen Überlebenden. Im Auftrage des Ausschusses habe ich deshalb über den gedruckten Ausschußantrag hinaus zu beantragen, daß der Text in § 2 Abs. 4 wie folgt fortgeführt werden soll:
Im Falle ihres Ablebens beginnt die Antragsfrist für den überlebenden Verlobten mit dem Bekanntwerden des Todes, frühestens mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes.
Ich habe mir erlaubt, dem Herrn Präsidenten diesen vom Ausschußvorsitzenden und Berichterstatter unterschriebenen Antrag einzureichen, und bitte, ihn dann in die Abstimmung mit einzubeziehen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, sind die Änderungen, die der Ausschuß vorgenommen hat und die sich aus der Drucksache ergeben, lediglich redaktioneller Art; sie berühren also den Inhalt des Gesetzes selbst nicht.
Ich will nicht verschweigen, daß der Ausschuß auch Gelegenheit genommen hat, die Bedenken zu prüfen, die in einem früheren Stadium dieser Gesetzgebung gegen eine solche Ordnung der Eheverhältnisse von rassisch und politisch Verfolgten vorgebracht worden sind. Es ist früher - insbesondere im Parlamentarischen Rat des Länderrats in Stuttgart — behauptet worden, es bestände die Gefahr, daß durch dieses Gesetz willkürlich Restitutionsansprüche für Personen begründet werden, die selber niemals daran gedacht haben, solche zu behaupten oder zu erwerben. Dieses Bedenken, meine Damen und Herren, ist durch die Restitutionsgesetzgebung hinfällig geworden; denn das Restitutionsgesetz beschränkt die Ansprüche aus dem Restitutions-recht auf Erbberechtigte dritten Grades. Weiter ist früher das Bedenken geäußert worden, daß im Zuge der Wiedergutmachung, insbesondere der Haftentschädigung, hier Bevorzugungen von Personen eintreten, die selber persönlich keinen Anspruch darauf haben. Auch dieses Bedenken ist heute hinfällig, denn die Haftentschädigungsgesetze sehen insgemein vor, daß der Haftentschädigungsanspruch rein persönlich ist und nicht vererbt werden kann. Von beiden Gesichtspunkten aus dürfte also das Gesetz bedenkenfrei sein.
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat dem Gesetzentwurf einstimmig zugestimmt. Da die politische Bedeutung dieses Gesetzes weit über seine juristische hinausgeht, bitte ich Sie, Ihre Genehmigung der Vorschläge des Ausschusses ebenfalls einstimmig auszusprechen.