Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Heute ist mehrfach das Wort von demagogischen Anträgen und parteipolitischer Ausnutzung der Notlage gewisser Personenkreise gefallen. Die Behandlung des Kriegsopferversorgungsgesetzes ist ein Schulbeispiel für politische Demagogie. Gestatten Sie mir, das zahlenmäßig und dem historischen Ablauf gemäß etwas zu erklären.
18. Oktober 1949: Unser Antrag auf Schaffung eines Überbrückungsgesetzes, 60prozentige Erhöhung der Rentenbezüge. 20./21. Oktober: Plenum, Überweisung an den Ausschuß für Kriegsopfer und an den Ausschuß für Sozialpolitik. 27. Oktober: Einstimmiger Beschluß des Kriegsopferausschusses und des Ausschusses für Sozialpolitik: Schaffung eines Überbrückungsgesetzes; nichts wird gesagt über das Ausmaß der Verbesserung, aber in diesem einstimmig gefaßten Beschluß die Forderung auf Einführung der Krankenversicherung für nicht sozialversicherte Kriegshinterbliebene. Am 4. November: Plenum billigt den Beschluß des Ausschusses; als Vertreter der Regierung erklärt der Staatssekretär, Herr Sauerborn, daß das Überbrückungsgesetz noch vor Weihnachten dem Plenum zur Entscheidung vorgelegt werde. Dabei blieb es. Der Aus-
schuß beschließt, als sich langsam herausstellt, daß das nicht eintreten wird, die große Interpellation der SPD auf die Tagesordnung der Sitzung vom 16. 12. zu setzen. In dieser Sitzung vom 16. 12. stellen wir den Antrag auf Bewilligung einer 13. Monatsrente. Das wird abgelehnt. Der Kollege Bazille als Sprecher der SPD stellt den Antrag, die Regierung zu ersuchen, Vorschußzahlungen auf das kommende, damals noch nicht einmal im Entwurf vorliegende Überbrückungsgesetz zu leisten. Dieser Beschluß wird vom Plenum einstimmig angenommen. Die Regierung denkt gar nicht daran, diesen Beschluß irgendwie zu realisieren. Dr. Sauerborn gibt in derselben Sitzung, nachdem der Kollege Bazille auf die Schaffung eines Überbrückungsgesetzes verzichtet hatte, die Erklärung ab, daß das endgültige Versorgungsgesetz spätestens mit Wirkung vom 1. April in Kraft treten werde. So liegen die Dinge.
Und nun das endgültige Versorgungsgesetz: In der Sitzung des Ausschusses für Kriegsopferversorgung am 1. März faßt der Ausschuß laut Protokoll den Beschluß, die Regierung zu ersuchen, noch im Laufe des Monats März dem Plenum die entsprechenden Unterlagen für das Gesetz vorzulegen. Begründung: Man wolle dem Ausschuß und der Regierung Vorwürfe von seiten der Kriegsbeschädigten ersparen, nämlich Vorwürfe in der Richtung, man beabsichtige Verschleppung des Gesetzes. Dann stellen wir einige Tage, nachdem im Ausschuß dieses Ersuchen an die Regierung beschlossen war, den Antrag, die Regierung solle noch im Monat März das endgültige Versorgungsgesetz vorlegen. Darauf kommt der bekannte Zwischenakt des Herrn Kollegen Bazille: im Namen der großen Fraktionen schlägt er hier vor,
über diesen unseren Antrag zur Tagesordnung überzugehen. Und in der Presse steht dann im Anschluß an diesen Beschluß, daß die Kommunisten „agitatorische Anträge" gestellt hätten. So ist der historische Ablauf der Dinge.
Warum kommt das von der Regierung in feierlichster Form zugesagte endgültige Versorgungsgesetz nicht an das Plenum heran? Kein Geringerer als Herr Schäffer hat die Antwort gegeben, indem er feststellte, daß, solange er die Einnahmeseite des Bundeshaushaltes für das jetzt begonnene Etatsjahr nicht übersehen könne, er nicht in der Lage sei, sich in bezug auf die Ausgaben für Kriegsopferversorgung, Flüchtlingsfürsorge und Flüchtlingsbeamten-Versorgungsgesetzgebung festzulegen. Die Regierung also trägt die Schuld dafür, daß dieses Schauspiel hier gespielt worden ist. Dem Herrn Kameraden Bazille von der Sozialdemokratie muß im Zusammenhang mit dieser Feststellung der Vorwurf gemacht werden, daß durch seine Haltung der Regierung dieses Manöver, das nichts anderes als ein demagogisches Betrugsmanöver an den Kriegsopfern ist, überhaupt ermöglicht worden ist.
So liegen die Dinge.