Herr Abgeordneter Dr. Nowack hat das Wort. — 15 Minuten!
Dr. Nowack (FDP): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die heute zur Diskussion stehenden Anträge liest, so kann man, glaube ich, feststellen, daß man sich in bezug auf die heimatvertriebenen Beamten bei allen Parteien des Hauses ziemlich einig ist über das, was da zu geschehen hat. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, daß der Antrag Drucksache Nr. 726 mit dem, was er fordert, über den Kreis der Heimatvertriebenen hinausgeht und das Gesamtproblem des Artikels 131 des Grundgesetzes anschneidet.
Zu diesem Gesamtproblem möchte ich sprechen. Wie gesagt, über die Frage der Behandlung der Vertriebenen sind wir uns im Grunde genommen einig. Aber das ist nur ein Teilproblem der Lösung, die der Artikel 131 vorschreibt. Wir müssen darauf dringen, daß wir die Gesetzgebung zu Artikel 131 in ihrer Gesamtheit fertigstellen und nicht nur Einzellösungen herbeiführen, die dann wieder in den Kreisen, denen nicht geholfen wird oder deren Rechtsverhältnisse nicht geregelt werden, mit Recht als erneutes Unrecht aufgefaßt werden und erneute Unruhe hervorrufen. Wir alle stimmen darin überein — darüber kann kein Zweifel sein —, daß es sehr bedauerlich ist, wenn die Regierung bis heute noch keine Gesetze zu Artikel 131 vorgelegt hat.
Der Artikel 131 ist in seiner ganzen Konstruktion darauf abgestellt, daß diese Gesetzgebung schnell erfolgen soll. Wäre es anders, so wäre sein letzter Satz nicht verständlich und auch nicht vertretbar. Es fragt sich heute: wann ist überhaupt mit einer Fertigstellung dieser Gesetzgebung zu rechnen?
Bisher haben wir von der Regierung noch keine exakte Antwort bekommen, wann sie uns den Entwurf nun wirklich vorlegen will, damit wir ihn in den verschiedenen Ausschüssen überarbeiten und beraten können. Jedenfalls wird aber noch die Zeit von einigen Monaten vergehen, ehe diese Gesetzgebung abgeschlossen sein wird.
Nun lassen Sie mich bitte einiges zu der Rechtslage sagen. Zuerst eine Feststellung: Der Versuch, die rechtlichen und die finanziellen Verhältnisse miteinander zu koppeln, muß vollkommen abgelehnt werden. Zunächst muß die Rechtsfrage geklärt werden. Diese Rechtsfrage kann geklärt werden einmal aus dem Art. 131 selbst, zum andern aber auch aus der Entstehungsgeschichte dieses Artikels. Der Art. 131 spricht in seinem ersten Satz selbst von Rechts verhältnissen. Im letzten Satz aber spricht er von Rechtsansprüchen, in jenem Satz nämlich, in dem es heißt, daß die gerichtliche Ausklagung dieser Rechtsansprüche vorläufig unterbunden sein soll. Schon hieraus kann man entnehmen, daß die Rechtsansprüche selbst durch den Art. 131 anerkannt worden sind.
Die Entstehungsgeschichte dieses Artikels läßt aber keinerlei Zweifel darüber, daß für den Personenkreis, der unter den Art. 131 fallt, der Anspruch auf diese Rechte besteht. lm Parlamentarischen Rat hat seinerseit aer Abgeordnete Zinn, der ja auch hier unser Kollege ist, einen Antrag eingebracht, der vorsah, daß die Rechte :erloschen sein sollten. Dieser Antrag ist wiederholt — im Hauptausschuß, im Organisationsausschuß, im interfraktionellen Ausschuß und im Plenum — behandelt und jedesmal abgelehnt worden. Damit haben die Gesetzgeber, die Vater des Grundgesetzes, klar zum Ausdruck gebracht, daß sie die Rechtsanspruche aufrechterhalten wissen wollen. Man kann also diese Rechtsansprüche nicht negieren, man kann sie nur, wie es eben Art. 131 vorschreibt, regeln. — Soviel zur rechtlichen Seite.
Nun die finanzielle Frage. Da hat der Herr Bundesfinanzminister mit schwerem Milliardengeschutz auf uns losgeschossen. Aber ich glaube, er nat uns hier eine Hochstrechnung aufgemacht, die sich erheblich vermindern wird, wenn man sie einmal mit dem Rotstift korrigiert.
Der Herr Finanzminister muß bereits jetzt, ab 1. April, einen Betrag von etwas über 400 Millionen DM ausgeben infolge des Übergangs der Verpflichtungen, die bisher die Länger gehabt haben, auf die Bundeskasse. Ein großer Teil der Gelder für die fruheren Wehrmachtsangehörigen, deren Gesamthohe der Herr Bundesfinanzminister mit 565 Millionen DM angegeben hat, wird dadurch entfallen, daß die Wehrmachtsangehörigen mit den entsprechenden Zivilbeamten gleichgestellt werden können. Damit wurde sich der Betrag von 565 Millionen auf 390 Millionen ermäßigen.
Ebenfalls nicht in Rechnung gestellt hat der Herr Finanzminister die öffentlichen Mittel, die auch jetzt schon aufgebracht werden müssen aus den verschiedensten Quellen, sei es Arbeitslosenunterstützung, sei es Wohlfahrtsunterstützung, seien es Beihilfen aus der Soforthilfe oder sonstigen öffentlichen Quellen Alle diese Mittel sind bei der Milliardenrechnung des Herrn Finanzministers nicht in Ansatz gebracht worden. ich glaube, daß der zusätzliche Bedarf über das hinaus, was von der öffentlichen Hand heute schon ausgegeben wird und ausgegeben werden muß, im Höchstfall nur etwa 300 Millionen betragen wird. Das ist eine Summe, über
deren Aufbringung man sich wahrscheinlich auch einigen und für deren Aufbringung man wohl auch geeignete Wege finden können wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben den Wunsch, daß die Gesetzgebung zu Art. 131 so schnell als möglich fertiggestellt wird. Wir sind der Überzeugung, daß man den Schlußsatz des Art. 131 auf die Dauer nicht aufrechterhalten kann, weil man damit einem großen Personenkreis eine Rechtsminderung auferlegen würde. Eine solche Rechtsminderung aber, zusätzlich zu der ohnehin starken Beeinträchtigung des Rechtes, der dieser Personenkreis jetzt schon seit Jahren ausgesetzt ist, ist nicht erträglich.