Rede von
Dr.
Franz
Blücher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht notwendig, auf die verschiedenen Erklärungen der Bundesregierung zu verweisen, die sie über Berlin abgegeben hat. Es war damals nur selbstverständlich, daß wir, nachdem ein in Berlin eigens gebildeter Ausschuß seine Beratungen abgeschlossen hatte, in Berlin zur Verfügung standen, um mit diesem Ausschuß über das Berliner wirtschaftliche Leben, seine Förderungen und den Wiederaufbau der Berlinar Wirtschaft zu verhandeln. Der Ausschuß setzte sich zusammen aus Vertretern des Magistrats, der Gewerkschaften und der Wirtschaft. Er war zu fertigen Vorschlägen über das Ausmaß der für Berlin wünschenswerten Hilfe gekommen, als wir am Montag und Dienstag in Berlin verhandelten. Die amerikanischen Vertreter der Marshallplanverwaltung bewiesen ihr besonderes Interesse an dem Abschluß der Verhandlungen dadurch, daß sowohl der in Deutschland residierende Leiter der Marshallplanverwaltung, Mr. Hanes, als auch der Botschafter K a t z als Vertreter der Marshallplanverwaltung für ganz Europa als Gäste an der Schlußsitzung teilnahmen.
Die Haltung der Vertreter der Bundesregierung konnte im Grundsatz von vornherein nur eindeutig klar sein. Wir beide, Herr Professor Erhard und ich, waren uns dessen bewußt, daß alles geschehen muß, was immer geschehen kann. Darüber hinaus wußten wir, daß es nicht auf ein kleinliches Rechnen mit dem Stift ankam, sondern darauf, diese große Entscheidung unter dem einen Gesichtspunkt zu sehen, daß Berlin seine geschichtliche und politische Aufgabe nur erfüllen kann, wenn wir es nicht nur lebensfähig erhalten, sondern noch lebensfähiger gestalten, als es heute ist.
Das war der Grund dafür, daß wir mit den Vorschlägen, die wir morgen dem Kabinett noch formell vorlegen werden, weit über das bisher genannte Ausmaß hinausgegangen sind.
Nach diesen Beschlüssen wird es sich um drei große und verschiedene Kreise von Aufgaben handeln, die uns gestellt sind und die unverzüglich erfüllt werden sollen. In erster Linie geht es darum, etwas Wirkungsvolles gegen die Berliner Arbeitslosigkeit zu unternehmen, die bekanntlich prozentual etwa dreimal so groß ist wie die im Bundesgebiet. Aus diesem Grunde hatten unsere Berliner Freunde ein umfangreiches Arbeitsbeschaffungsprogramm vorgelegt, das es zu finanzieren gilt. Dieses Arbeitsbeschaffungsprogramm sieht in erster Linie diejenigen Arbeiten an allen Verkehrswegen vor, die zur Aufrechterhaltung des Berliner Lebens und zu seiner Erleichterung notwendig sind.
An zweiter Stelle stehen sanitäre Aufgaben. An dritter Stelle stehen im Interesse von Leib und Leben der Berliner Bevölkerung und ihres Verkehrs auch diejenigen Beseitigungen von Resten aus dem Luftkrieg, die sonst gefährlich werden könnten.
An vierter Stelle — auf weite Sicht vielleicht das Wichtigste — stehen dann die Aufräumungsarbeiten auf Betriebsgrundstücken, die dazu dienen sollen, daß diese Betriebsgrundstücke eben für Neuinvestitionen und damit für neuen Arbeitsbeginn vorbereitet werden.
Zu unserer Freude steht aber auch für diese so sehr abgeschlossene Berliner Bevölkerung eine um- fangreiche Arbeit an den Grünflächen und an ihrer Wiederbepflanzung auf dem Programm. Ich darf vor allen Dingen an den Berliner Tiergarten, eines der Berliner Sinnbilder, erinnern, der wieder für die Berliner Bevölkerung die so dringend notwendige Erholungsstätte werden soll.
Wir haben uns entschlossen, morgen früh dem Kabinett eine sehr umfangreiche Hilfe vorzuschlagen, die zusammen mit all den anderen Maßnahmen, die geplant sind, hoffentlich dazu beitragen wird, im Laufe der nächsten Monate insgesamt etwa hunderttausend Menschen vom Berliner Arbeitsmarkt wegzunehmen und wieder in eigene Arbeit und eigenen Brotverdienst hineinzubringen.
Diese Hilfe besteht darin, daß wir aus den GARIOA-Mitteln für die nächsten vier Monate zunächst ie 20 Millionen DM bereitstellen, daß wir darüber hinaus — und vor allen Dingen für dann anlaufende produktivere Betriebsaufräumungsarbeiten usw. — einen Fonds von 50 Millionen DM aus GARTOA-Mitteln zur Verfügung stellen und daß wir fest vereinbart haben.- daß im Monat Juni eine erneute Besprechung in Berlin zwischen den Vertretern Berlins und uns auf Grund fertig vorliegender Programme stattfindet, um die begonnene große Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nahhaltig fortführen zu können, und zwar in voller Einmütigkeit über die Ziele und über die Arbeitsgegenstände zwischen den Vertretern Berlins und uns. Das ist der erste Teil des Programms.
Der zweite betrifft die vielleicht schmerzensreichste Aufgabe. Wenn von Berlin gesprochen wird, dann sind wir uns stets darüber im klaren, daß man die Berliner Wirtschaft und die Wirtschaft unseres Bundesgebietes miteinander nicht vergleichen kann, weil die Berliner Wirtschaft ganz unvergleichbar mehr gelitten hat. Sie hatte infolge des Währungseingriffs im russischen Besatzungsgebiet von Mai 1945 nicht die Möglichkeit, in der Reichsmarkzeit mit dem Aufbau von Anlagen und der Wiederversorgung mit Vorräten in gleichem Umfang voranzuschreiten wie unsere Wirtschaft. Sie hat dann unter Betriebsentnahmen und Demontagen unvergleichlich viel mehr gelitten. Sie hat ihre Betriebsmittel in der Zeit völlig verloren, als es darum ging. trotz des Ahgeschlosseneins durchzuhalten, und als sie auf die Luftbrücke angewiesen war, damit die geschichtliche Aufgabe Berlins erfüllt werden konnte. Es kommt alles darauf an. die Berliner Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig zu machen. Es kommt darauf an,
sie in die gleichen Wettbewerbsbedingungen, die
unsere hiesige Wirtschaft hat, hineinzubringen.
Daher ist es selbstverständlich, daß die aus dem Bunde bisher nach Berlin gegebenen Mittel ihre Fortsetzung und ihre Verstärkung finden müssen. Es ist mir ein Anliegen, hier auf den ersten Teil des Satzes zurückzukommen, den ich eben aussprach. Es hat namlich manchmal, da die Publizität eine unzulängliche war - und hier trifft zweifellos auch uns als Verwaltung eine Schuld -, den Anschein gehabt, als ob für die Berliner Anliegen in der Vergangenheit nichts geschehen sei. Das trifft nicht zu. Von 1 Milliarde und 50 Millionen DM Darlehensfreigabe bis zum 31. Dezember 1949 sind weit über 90 Millionen DM auch nach Berlin gegangen. Daran wollen wir festhalten, und nach dem, was wir heute geplant haben und planen können, wird die Berliner Wirtschaft etwa 10 % der zukünftigen Gegenwertmittel erhalten. Das bedeutet: für Berlin wird, wenn ich die Auszahlungszeiträume nehme, für 12 bis 16 Monate ein Betrag von rund einer Viertelmilliarde DM zur Verfügung stehen, der zu den vorher genannten 130 Millionen DM hinzukommt. Es wird sicherlich aller Anspannung bedürfen, um ini Berliner Raum diese Investitionsmittel richtig und so schnell wie möglich einzusetzen. Es wird natürlich auch darauf ankommen, daß ein möglichst großer Teil dieser Mittel in Berlin verbleibt, daß also die Berliner Wirtschaft in jedem nur möglichen Umfange die Investitionsgüter selbst liefert.
Die dritte große Aufgabe ist es nun, den Absatz für die gewerbliche Gütererzeugung Berlins sehr viel mehr zu stärken, als das bisher der Fall gewesen ist. Wir müssen noch über das in den letzten Monaten Erreichte hinauskommen. Lassen Sie mich aber, bevor hierüber der Herr Bundeswirtschaftsminister spricht, noch einige Worte sagen. Es ist für uns, als Herr Stadtrat Klingelhöfer jene Zahlen vorlegte, die sich aus den letzten Monaten ergeben, als wir sehen konnten, in welchem Umfange trotz aller Leiden dieser Stadt die Arbeitsleistung des einzelnen zugenommen hat, als wir sehen konnten, wie auch das gesamte Sozialprodukt sich gesteigert hat, kein Zweifel gewesen, daß das Wort des Berliner Oberbürgermeisters richtig ist, daß nämlich Berlin nicht krank, sondern nur schwach ist. Wir sind infolgedessen auch der Ansicht, daß Investitionen dieses Umfangs sich lohnen.
Über die vielen Maßnahmen, um den Warenverkehr aus Berlin heraus zu stärken, wird also der Herr Bundeswirtschaftsminister sprechen. Ich möchte nur eines sagen: die lebendige Hilfe von ganz Westeuropa für Berlin wird sich als das Ergebnis einer Besprechung erweisen, die am Montag dieser Woche stattgefunden hat und in deren Verlauf die am Marshallplan teilnehmenden Länder von Europa angehalten worden sind, auch ihrerseits vor allen Dingen darauf zu achten, daß Bestellungen nach Berlin gelegt werden.
Meine Damen und Herren! Wir hatten selber das Gefühl, daß der vorgestrige Tag für Berlin ein guter Tag gewesen ist. Wir glauben, daß damit etwas wirklich Wesentliches und etwas Heilsames geschehen ist. Wir hoffen, daß die Berliner Bevölkerung, die immer ungebrochen in ihrem Mut dagestanden hat, aus diesem Beweis des Zusammengehens neue sittliche Kraft erhält. Wir waren glücklich, daß dieser unser Eindruck von den Freunden in Berlin geteilt wurde und daß am
Abend dieses Tages der Berliner Oberbürgermeister erklärt hat, daß seit langer Zeit dies der erste glückliche Tag für Berlin gewesen sei,.