Rede von
Heinrich Georg
Ritzel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Etat des Bundestags hat den Haushaltsausschuß in eingehenden Beratungen beschäftigt. Es ist erfreulich, feststellen zu können, daß im ganzen gegenüber den Ansätzen ein Betrag von 1 531 000 DM eingespart werden konnte. Bei diesen Beratungen hat das Problem, das gestern hier angeklungen ist, auch eine Rolle gespielt, nämlich die Frage, den Ausgabenansatz nach den Einnahmemöglichkeiten zu beschränken. Dabei wurde das Beispiel der Familie erwähnt, die ja auch mit dem auskommen muß, was ihr zur Verfügung steht. Das ist ein sehr lobenswerter Grundsatz, nur ist das eine Art von Kollektivbetrachtung. Es gibt Familien, die auskommen können, und es gibt Familien, die nicht auskommen können. Zu denen, die von dem Unglück verfolgt sind, nicht auskommen zu können, zählt auch jeder öffentliche Haushalt; denn bestimmte Größen können jahraus, jahrein in einem öffentlichen Haushalt nicht fest vorausgesetzt werden. Es ändert sich ständig etwas. Sp ist auch allein schon angesichts der sozialen Lage immer mit unangenehmen Überraschungen auf finanzpolitischem Gebiet zu rechnen.
Um so größer war die Verantwortung, die im Haushaltsausschuß zum Ausdruck kam, die Ausgaben des Bundestags auf ein vernünftiges und erträgliches Maß zu beschränken. Nun treten aber im Rahmen dieser Etatberatung eine ganze Reihe von Problemen auf, mit denen sich auch der Antrag meiner Fraktion Drucksache Nr. 778 beschäftigt, beispielsweise das Problem der Rechtsverhältnisse an den Bundestagsgebäuden. Man hat uns gesagt, daß hier eine Stiftung errichtet werden soll. Wir haben den Wunsch — und das drückt sich in unserem Antrag aus —: Um die Unklarheiten hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse und Unterhaltspflichten der vom Bundestag benützten Gebäude und Grundstücke zu bereinigen, soll der Präsident des Bundestags ersucht werden, im Benehmen mit der Bundesregierung und der Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen eine alsbaldige Regelung vorzubereiten, die dem Bundestag die Möglichkeit bietet, sich über das Ausmaß der Verpflichtungen zu unterrichten, die den Etat des Bundes belasten sollen. Wir wissen gar nicht, welches Glück uns in Hinsicht auf diese in Aussicht gestellte Stiftung noch beschert werden soll. Wir möchten gerne wissen, was die Elle kostet. Aus diesem Grund bitten wir das Präsidium des Hauses, größtes Gewicht darauf zu legen, so rasch als möglich eine Klärung dieser Rechtsverhältnisse herbeizuführen. Denn davon hängt eine Reihe von Maßnahmen ab, an deren Lösung der Bundestag und jeder einzelne Abgeordnete sehr interessiert sein dürften.
Es ist der Öffentlichkeit viel zuwenig bekannt, daß mindestens rund 250 Abgeordnete dieses Hauses überhaupt keinen Arbeitsplatz haben,
daß sie gar keine Möglichkeit zu ernsthafter Arbeit haben. Die Abgeordneten erhalten aus dem ganzen Land und vorzugsweise aus ihrem Wahlkreis Briefe und Drucksachen; sie werden mit Papier überflutet. Während der fast die ganze Woche dauernden Inanspruchnahme hier im Bundeshaus fehlt ihnen aber die technische Möglichkeit, diese Dinge zu erledigen. Das ist ein Zustand, der des Parlaments unwürdig ist!
Das ist ein Zustand, der die Abgeordneten daran hindert, ihre Pflicht so zu erfüllen, wie sie sie gern erfüllen möchten. Das ist ein Zustand, der unbedingt so rasch wie möglich behoben werden muß.
Wir haben allerlei Sorgen in dieser Hinsicht. Ich will nur ganz wenige nennen. Wir haben vor kurzem hier in diesem Raume anläßlich einer Art von Ortsbesichtigung den unverbindlichen Vorschlag unseres Herrn Präsidenten über eine technische Abstimmungsanlage entgegengenommen, um die Abstimmung zu erleichtern. Wir haben in der Zwischenzeit das schöne System des Hammelsprungs eingeführt. Es liegt wohl von keiner Fraktion ein Antrag vor; aber ich glaube, daß nach den Grundsätzen der Sparsamkeit — wenn die Anlage nicht sehr billig gestaltet werden kann — doch der Versuch gemacht werden muß, diese Ausgabe zu unterlassen.
Es liegen noch andere Dinge vor. Vor mir liegt eine sogenannte Hausverfügung. Gerade wenn wir eine speditive Arbeit des Bundestags sicherstellen wollen, dann müßten Dinge unterlassen werden, wie sie sich hier aus einer Art I von Bürokratismus ergeben, der nicht erfreulich genannt werden kann. Da ist in einer Hausverfügung vom 9. März angeordnet, daß die Materialausgabe — also die Ausgabe von Papier und Matrizen für die Herstellung von Ausschußberichten — nur zweimal in der Woche erfolgen soll. Die Konsequenz daraus ist, daß der Abgeordnete, wenn er gerade Papier braucht, um seinen Schriftwechsel zu erledigen, betteln gehen oder eine Anleihe machen muß oder daß die Stenotypistinnen des Hauses von Tür zu Tür wandern müssen, um sich eine Matrize zu leihen, weil es ausgerechnet erst Montag ist und man sonst keine Matrizen bekommen kann. Ich glaube, es gehört zu einer glatten Erledigung der Geschäfte, daß auch derartige Kleinigkeiten unterbleiben.
Eine große Sorge aber, die uns hier bewegt und die ich im Namen meiner Fraktion zum Ausdruck bringen darf, bezieht sich auf das Bewirtschaftungsverhältnis des Restaurants. Da ergeben sich Widersprüche, speziell ein Hauptwiderspruch, für dessen Lösung ich die besondere Aufmerksamkeit des Herrn Präsidenten erbitte. Es ist feststehende Tatsache, daß dem Herrn Präsidenten ein Vertrag erst bekannt geworden ist, nachdem der Kündigungstermin für diesen Vertrag bereits abgelaufen war.
Ich möchte Ihnen ganz nüchtern und sachlich nur folgenden Sachverhalt unterbreiten.
Der Organisationsausschuß des Bundestags erhielt von dem Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und Herrn Paul La Roche vom
25. August 1949 erst Kenntnis, als der im Vertrag vorgesehene Kündigungstermin abgelaufen war. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestags und danach der Präsident haben den Vertrag für den Bundestag als nicht verbindlich erklärt. Das dürfte Rechtens vollkommen in Ordnung gehen. Im Haushaltsausschuß hat - nach dem Protokoll vom 28. 2. 50 — folgende Besprechung zur Klärung des Sachverhalts stattgefunden. Nun darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten einige wenige Sätze aus dem Protokoll vom 28. Februar 1950 verlesen:
-Der Vorsitzende
— es war der Herr Abgeordnete Schoettle —
verweist auf den inzwischen dem Ausschuß vorliegenden Vertrag zwischen dem derzeitigen Restaurationspächter, Herrn Paul La Roche, und dem Land Nordrhein-Westfalen. Nach einer vom Vorsitzenden eingelegten Pause, damit sich die Mitglieder des Ausschusses mit dem Inhalt des Vertrages vertraut machen können, nimmt bei Fortsetzung der Beratungen zunächst Abgeordneter Ritzel Stellung zu dem vorliegenden Vertrag. Er betont, daß die in dem Vertrag enthaltene Rechtsverpflichtung des Rechtsnachfolgers, also des Bundestags, nicht besteht. Weiterhin fragt Abgeordneter Ritzel an, ob der Inhalt des Vertrags einem Angehörigen der Verwaltung des Bundestags, insbesondere Herrn Direktor Troßmann, früher bekannt gewesen ist als zum Zeitpunkt der Beratungen des Haushaltsausschusses. Direktor Troßman teilt mit, daß dies nicht der Fall ist.
Tatsächlich aber steht heute laut Bericht des
Untersuchungsausschusses Restaurationsbetrieb
vom 23. März 1950 folgendes fest:
Herr La Roche unterstreicht, daß er die
Kenntnis des Vertrages unterstellt habe,
— ich zitiere wieder —
da derselbe bereits im Oktober 1949 vom Büro Bundeshauptstadt an die Verwaltung des Bundestags übergeben sei. Auf Rückfrage bei Herrn Amtsrat Gorris wurde mitgeteilt, daß der Vertrag tatsächlich auf Ersuchen des Herrn Direktor Troßmann Ende September 1949 abgeschickt worden ist.
Abschrift des Begleitbriefs liegt -vor. Derselbe trägt jedoch kein Datum. Überdies teilt Herr Amtsrat Gorris mit, daß durch ein Versehen der Vertrag zwischen dem Lande Nordrhein-Westfalen und Herrn Paul La Roche dem Schreiben nicht beigefügt gewesen sei, sondern erst etwa zwischen dem 10. und 15. Oktober 1949 auf diesbezügliche Reklamation des Herrn Direktors Troßmann nachgereicht sei.
Es ist also ein „kleiner" Widerspruch vorhanden, um dessen Aufklärung ich den Herrn Präsidenten bitte. Der Widerspruch ist um so wichtiger, als dieses Verfahren bis heute dem Bundestag einen Verlust von zirka 20 000 DM durch nicht ausgenutzte Einnahmemöglichkeiten gebracht haben dürfte.
Meine Damen und Herren! Wir haben in der jüngsten Vergangenheit wieder Gelegenheit gehabt, ausländische Parlamentarier hier zu
empfangen. Ich glaube, daß es nützlich sein würde, wenn Wir uns hier schon heute darüber im Prinzip schlüssig werden könnten, für den Empfang und die Bewillkommnung ausländischer Parlamentarier, wie dies in ausländischen Parlamenten auch üblich ist sofern nicht die Beträge, die dem Herrn Präsidenten dafür zur Verfügung stehen, in Frage kommen — einen kleinen Betrag einzustellen.
Eine Frage, die stark an die Arbeitsmöglichkeiten des Parlaments rührt, bezieht sich auf das, was ich Dokumentationsdienst nennen möchte. Wir haben schwächliche Ansätze zu einer Bundestagsbibliothek. Unser aller Wunsch geht dahin, daß diese Bundestagsbibliothek mit möglichst geringen Mitteln und vielleicht durch Spenden und Stiftungen recht bald auf einen ansehnlichen Stand gebracht werden könnte. Das steht auch im Zusammenhang mit der Frage der Belastung der Abgeordneten, von der die Öffentlichkeit keine Ahnung hat. Die Öffentlichkeit hat immer die Ansicht, die ich vor kurzem irgendwo in der Zeitung las; da hieß es: 200 Abgeordnete haben geredet, was tun die anderen 200? Es ist schade, daß die Öffentlichkeit noch keine Tonbildaufnahmen von den Ausschußsitzungen haben kann, die oft bis Mitternacht, ja bis 5 Uhr morgens gehen, die morgens in aller Herrgottsfrühe anfangen und die die Kräfte der Abgeordneten unausgesetzt in einer Weise in Anspruch nehmen und verzehren, von der sich die wenigsten Kritiker eine Vorstellung zu machen vermögen.
Es wäre nützlich und für die Arbeit des Parlaments und des einzelnen Abgeordneten wertvoll, wenn im Zusammenhang mit der besseren Ausstattung der Bibliothek des Bundestags einige Fachkräfte damit beauftragt werden könnten, nach dem Muster anderer Parlamente eine Art von Dokumentationsdienst durchzuführen.
Das steht allerdings, Herr Kollege Leuchtgens, im Widerspruch zu Ihren Sparmaßnahmen.
Sie wünschen ja, daß die Aufwendungen für dic Bibliothek gekürzt werden. Nun, Herr Kollege Leuchtgens — wir kennen uns ja schon seit 25 Jahren Sie sind mir nicht böse, ich halte Sie als Träger des Kulturgedankens auch gerade in dieser Frage für besserungsfähig,
und ich hoffe sehr, daß Sie in bezug auf die Ausstattung der Bibliothek des Bundestags als Arbeitsmaterial der Abgeordneten doch demnächst eine andere Haltung einnehmen werden. Vielleicht wird Ihnen das schon um deswillen ganz leicht: wir haben einmal durchgerechnet, daß durch die Anträge, die Sie in der letzten Woche hier vertreten und zum Druck gegeben haben, allein 800 DM Druckkosten entstehen. Es wäre vielleicht möglich, da die eine oder andere Einsparung vorzunehmen.
An den Herrn Präsidenten des Hohen Hauses habe ich namens meiner Fraktion auch unter Hinweis auf den Antrag Drucksache Nr. 778 eine
besondere Bitte zu richten. Sie finden dort unter Ziffer 4:
Mit dem von dem Personal zu wählenden Betriebsrat hält der Präsident regelmäßige Besprechungen sowie weitere Sitzungen nach Bedarf ab. Der Präsident sorgt für die objektive Wahrung der gesetzlichen Rechte des Betriebsrats und seiner einzelnen Mitglieder.
Ich bekenne mich als Urheber dieses Antrags, nachdem ich festgestellt habe, daß bisher im Janauar eine einzige Sitzung des Betriebsrats mit dem Herrn Präsidenten stattgefunden hat, daß seitdem alle Blätter schweigen und daß es ganz nützlich wäre, wenn eine engere und intensivere Zusammenarbeit zwischen Präsidium und Betriebsrat zustande käme, vor allem eine Sicherung des Rechtes der Mitwirkung des Betriebsrats bei der Einstellung und Entlassung von Angestellten des Bundestags.
In diesem Zusammenhang darf ich mir erlauben, an die endliche Regelung der Frage der Überstundenvergütung für das Personal dieses Hauses zu erinnern. Auch da liegt einiges im argen. Ich sage nicht, daß das den Herrn Präsidenten angeht, aber es geht die Verwaltung des Bundestags an. Es geht nicht an, daß seit Januar keine Überstundenregelung für das Personal mehr erfolgt ist, während die Leute bis tief in die Nacht hinein und auch sonntags in Anspruch genommen werden. Es geht schließlich auch nicht an, daß dem Haushaltsausschuß eine Eingabe des Betriebsrats in der Frage der Überstunden meines Wissens bis zur Stunde vorenthalten worden ist.
Ich möchte auch gern wissen, welches Ergebnis die Untersuchungen im Zusammenhang mit der fristlosen Entlassung des Leiters der Beschaffungsstelle haben. Sie wissen ja, da ist ein Mann entlassen worden, der so allerlei dunkle Geschäfte letzten Endes auf dem Rücken des Deutschen Bundestages getätigt hat. Es ist ein Mann, dessen Strafregisterauszug plötzlich aus den Akten verschwunden war,
und kein Mensch wußte, wie plötzlich dieser Strafregisterauszug nach längerer Zeit wieder in den Akten auftauchen konnte.
Das sind Methoden der Verwaltung, die nicht so ganz in Ordnung zu sein scheinen. Ich glaube der Herr Präsident wird sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er hier einmal mehr nach dem Rechten sieht - trotz seiner Belastung.
In der Frage der Untersuchung dieser Vorgänge wäre es nun vielleicht nützlich, wenn erwogen werden könnte, den Rechnungshof einzuschalten. Dann hätten wir eine wirklich objektive Berichterstattung über das, was da vorgegangen ist. Es wäre auch nützlich, festzustellen, inwieweit der damalige Verwalter der Beschaffungsstelle gegen gewisse andere Gesetze — sagen wir, gegen die Zollgesetzgebung bei der Verwendung und beim Verkauf nicht banderolierter amerikanischer Zigaretten — verstoßen hat und wie es sich mit dem Verstoß in Bezug auf die Nichtbeachtung der Bestimmungen hinsichtlich der Konzession eines Wirtschaftsbetriebes verhält.
Aber das Prinzipielle, die grundsätzliche Lehre aus diesem Vorfall dürfte doch sein -- und das glaube ich namens meiner Fraktion mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen zu müssen —, daß die Herkunft der Beamten und der Angestellten, die in diesem Hause tätig sind, soweit sie schon vorhanden sind, noch nachträglich aufs gründlichste untersucht wird,
daß in jedem Falle ein Strafregisterauszug eingefordert wird und daß bei der Neueinstellung von Angestellten und Beamten die Herkunft nicht minder gründlich geprüft wird.
Zu dem Kapitel „Personal- und Betriebsangelegenheiten" abschließend noch den Wunsch, daß recht bald die zum Teil unter aller Kritik stehende Schlafgelegenheit für die Fahrer der Abgeordneten einer Besserung unterzogen werden möge.
Nun, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir einige Bemerkungen über unser Parlament selbst. Wir sind in der öffentlichen Kritik in der letzten Zeit wirklich nicht gerade gut weggekommen. Das könnte der stärkste Mann nicht behaupten. Wir müssen feststellen, daß sehr viele Kritiker an sich vom Wesen des Parlaments wenig Ahnung haben,
und desto unbeschwerter läßt sich ja über das Parlament sprechen.
Was wir hier haben, ist die Plattform, die in jedem Volk mit einer gesunden Demokratie vorhanden sein muß, die Plattform für eine Diskussion als Ausdrucksmittel der Demokratie. Meine Damen und Herren, aus dem notwendigen Zusammenprall der Meinungen allein entsteht nach demokratischen Prinzipien die notwendige Kopfklärung. Wir brauchen diese Kopfklärung um so mehr, als doch in weiten Teilen, millionenfach, in unserem Volk noch der frühere Begriff „Führer befiehl, wir folgen dir" derart starke Wurzeln geschlagen hat, daß die Menschen das Wesen der Demokratie — sich ausdrückend in Diskussion und schließlich in einem vernünftigen anständigen Kompromiß noch nicht begriffen haben.
Was wir aber auch brauchen, ist eine absolut korrekte Geschäftsführung im Rahmen unseres Parlaments. Diese Geschäftsführung, die Durchführung der Aufgaben des Präsidenten muß getragen sein von dem Willen, die Arbeiten zu fördern und gerecht und unparteiisch zu sein.
Es hat keinen Sinn, den Versuch zu machen, eine Demokratie aufzubauen, wenn irgendwelche Möglichkeiten dieser Art verschüttet werden durch das Übergewicht irgendwelcher polizeistaatlicher Begriffe. Ein Präsident ist der Hüter der Ordnung, der Hüter der Objektivität, der Hüter der Freiheit des Parlaments. Aber er ist schließlich kein Feldwebel. Ich sage nicht, daß er das sei; aber er ist verpflichtet, dafür zu sorgen, daß mit einer gewissen inneren Größe, mit einem gewissen überlegenen Humor sich anbahnende Gegensätze ausgeglichen werden, ehe sie aufeinanderprallen können.
Wir beanstanden beispielsweise die nach unserer Auffassung abwegige Anwendung des § 91 der Geschäftsordnung. Sie wissen, daß wir wiederholt darüber gesprochen haben; und aus diesem Grunde haben wir in Drucksache Nr. 778 ebenfalls unter 4. b) einen entsprechenden Antrag gestellt, der dem Geschäftsordnungsausschuß die Verpflichtung auferlegen soll, hier einen Vorschlag auszuarbeiten. Das bezieht sich auch auf Dinge, die wir bereits im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität in bezug auf die Behandlung oder die Bewertung von Ordnungsrufen besprochen haben. Es ist die Art nicht immer richtig gewesen, in der hier von verschiedenen Präsidenten Ordnungsrufe aus zum Teil unverständlichen Anlässen und absolut mißverständlich erteilt worden sind. Auch hier — wir verzeichnen ja solche Beispiele in der Praxis — hilft ein gewisser Humor statt eines tödlichen Ernstes sehr oft dazu, daß wir leichter über gewisse Dinge, gewisse Spannungen und Schwierigkeiten hinwegkommen.
— Was meinen Sie?
— Sehr wahr, dann muß man eben einen Präsidenten wählen, der Humor hat!
Sehen Sie, zur Stellung des Präsidenten: ich erinnere mich sehr deutlich an eine Beratung im Haushaltsausschuß. Sie war am gleichen Tage vormittags, als der Herr Präsident nachmittags oder nachts einen nach unserer Auffassung sehr falschen Schritt getan hat. Wir haben damals in jener Sitzung anläßlich der Haushaltsberatung sehr deutlich erklärt, daß kein Zweifel daran bestehen könne, daß der Präsident des Deutschen Bundestages der zweite Mann im Staate sei.
Nach dem Bundespräsidenten kommt nun einmal nach dem Grundgesetz der Präsident des Bundestages, und dann erst kommt der Herr Bundeskanzler. Aus dem Grunde und aus dieser Rangordnung heraus haben wir es auch gar nicht gern gesehen, daß sich der Herr Präsident unter dem Eindruck des geschwungenen Zeigefingers des charmanten Herrn Bundeskanzlers im Falle Seuffert zu Maßnahmen bewegen ließ, die absolut nicht unsere Billigung finden konnten.
Ich glaube, daß sich die Mängel, die unsere Geschäftsordnung und besonders die- falsche Anwendung des § 91 der Geschäftsordnung offenbart, ausgezeichnet durch die vom Ausschuß für die Geschäftsordnung ausgearbeitete Hausordnung beheben ließen, wenn sie nur bald Gnade vor den Augen der Fraktionen und vor den Augen des Herrn Präsidenten gefunden haben würde. Vielleicht wäre man mit ihr schon in den letzten Tagen in der Lage gewesen, einige überflüssige Differenzen und Spannungen zu vermeiden.
Der Ruf unseres Parlaments, die Seriosität unserer Arbeit und das Streben nach der Erreichung des Zieles, das uns wohl allen gemeinsam ist, nämlich im Dienste unseres Volkes das
Beste zu leisten und für eine deutsche Gleichberechtigung zu sorgen, die trotz aller schönen Reden von anderer Seite noch nicht vorhanden' ist, — dieser Wunsch dürfte demnächst vielleicht auch dazu führen, daß wir uns einmal mit dem Problem der gleichberechtigten Beteiligung unserer Republik und unseres Parlaments im Rahmen der Interparlamentarischen Union in Genf zu befassen haben. Wir dürften auch der Förderung der europäischen Einigungsbewegung unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Dazu aber gehört vor allen Dingen noch eines, meine Damen und Herren: Die Würde und das Ansehen des Parlaments müssen in erster Linie von uns, den Abgeordneten, gewahrt und gesichert werden.
Abschließend will ich auf eine Angelegenheit hinweisen, für die ich auch beim besten Willen zum Verständnis für Agitation einfach kein Verständnis aufbringen kann. Vor mir liegt der Auszug aus der „Teck-Rundschau" vom 20. März 1950 aus Kirchheim. Ich muß gestehen, daß ich selbst das Blatt früher noch nie gesehen habe; es ist meiner Aufmerksamkeit entgangen.
— Oh, das weiß ich; ich meine das Blatt, Herr Kollege Bausch, von dessen Bedeutung ich bisher noch nicht durchdrungen war. Aber ich finde dort einen Bericht über die Rede eines Abgeordneten dieses Hohen Hauses.
— Der Kollege wird sicher nichts dagegen haben, wenn ich seinen Namen nenne; er hat sicher das Bedürfnis, zu seinen Taten, die ich Untaten nennen möchte, zu stehen. Es ist der Herr Kol-. lege Dr. Ott, der sich unabhängig nennt.
Ich nenne Ihnen aus dem, was Herr Dr. Ott dort
— in Kirchheim wohl — in einer Versammlung produziert hat, nur einen einzigen Fall als Muster dafür, wie Parlamentarier das Parlament in den Kot ziehen, meine Damen und Herren.
Es heißt in diesem Bericht:
Auch in den Ausschüssen, sagte Herr Abgeordneter Dr. Ott, werde vielfach unproduktive Arbeit geleistet.
So habe zum Beispiel ein 27-gliedriger Ausschuß am Freitag vormittag die Frage behandelt, wann der Präsident des Bundestages einen Ordnungsruf erteilen dürfe. Zu einem Ergebnis sei der Ausschuß nicht gekommen, jedoch müßten allein an Diäten für diese Ausschußsitzung 810 DM aufgebracht werden.
Herr Kollege Dr. Ott, diese Behauptung ist von A bis Z unwahr!
Es handelte sich um die 22. Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität vom 17. März 1950. Die Sitzung begann vormittags um 9 Uhr 10 Minuten. Auf der Tagesordnung standen:
1. Beratung des Antrages der Fraktion der KPD und der Fraktion der SPD, Drucksachen Nr. 689 und 707.
Berichterstatter Abg. Dr. von Merkatz.
2. Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses des Bundestages und des Bundesrates nach Art. 77 des Grundgesetzes. Berichterstatter Abg. Dr. Arndt.
3. Interpretation des § 89 der Vorläufigen Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages betreffend Sachen Ordnungsrufe;
— das meint Herr Dr. Ott —
Berichterstatter Abg. Dr. Arndt und Abg. Mende.
4. Interpretation des § 48 der Vorläufigen Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.
Berichterstatter Abg. Dr. Arndt.
In dieser Vormittagssitzung wurde das von dem Herrn Abgeordneten Dr. Ott erwähnte Problem der Interpretation der Geschäftsordnung behandelt. Kein Abgeordneter bezog für diese Ausschußsitzung auch nur einen Pfennig Diäten.
Am Nachmittag war eine Plenarsitzung. Der Herr Abgeordnete Dr. Ott hat die Wahrheit unterschlagen, daß die Abgeordneten ihre Anwesenheit zur Plenarsitzung selbstverständlich, wie es ihre Pflicht ist, zur unbezahlten, unhonorierten Teilnahme an nicht nur einer, sondern an vielen Ausschußsitzungen benützt haben.
Meine Damen und Herren, man wäre in bezug auf diese Art der öffentlichen Kritik am Parlament versucht zu sagen: So das geschieht am grünen Holz, was soll am dürren werden!
Ich glaube, es wäre sehr sehr nützlich, wenn sich die Kritik, die notwendige Kritik am Parlament und seinen Arbeiten auf dem Boden und der Ebene der Sachlichkeit vollziehen würde.
Damit würden wir dem deutschen Volk einen weit höheren Dienst leisten als durch derart demagogische Unterstellungen und Verdrehungen. Schließlich, _meine Damen und Herren, darf doch eines nicht aus unserem Denken verschwinden: Wir haben etwas hinter uns, ein grauenhaftes Erlebnis hinter uns, wir haben den Untergang einer Demokratie — im Jahre 1933 — hinter uns.
- Wollen Sie wieder dasselbe? Meine Herren von den Kommunisten, Sie sind ja doch die schlimmsten Totengräber der Demokratie gewesen.
Soll ich Sie erinnern an Ihr Zusammenspiel im preußischen Landtag im Juni 1932 mit den Nationalsozialisten zusammen?
Sie haben die allerletzte Veranlassung, sich irgendwie als Demokraten zu deklarieren.
Das glauben Ihnen überhaupt nur noch die Dümmsten in unserem Volk.
— Wer stimmte der Hitlerschen Außenpolitik zu? Diese Frage will ich Ihnen gern beantworten. Der Hitlerschen Außenpolitik beim Einmarsch in Polen stimmte die Sowjetunion zu.
Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung zum Schluß. Ich glaube, es ist die Pflicht jedes wirklichen Demokraten, dafür zu sorgen, daß dieses Parlament aus seiner seriösen Arbeit heraus draußen im Volk jenes Vertrauen gewinnt, das die Voraussetzung dafür ist, damit wirklich wertvolle Arbeit im Dienste eben dieses Volkes geleistet werden kann.