Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen in aller Kürze das Problem des Lastenausgleichs schildern, wie es sich vom Standpunkt der Heimatvertriebenen aus darstellt. Für die Heimatvertriebenen ist der Lastenausgleich vielfach die letzte Hoffnung und der letzte Halt. Weite Kreise der Heimatvertriebenen stehen vor der unmittelbaren Gefahr, in ein trostloses Proletariat zu versinken; das böse Wort: die Heimatvertriebenen werden den fünften Stand in unserer sozialen Stufenleiter bilden, droht zur Wahrheit zu werden. Die Masse der Heimatvertriebenen hat, anders als der normale Arbeiter, weder eine eigene Wohnung noch eigenes Mobiliar noch Einrichtungsgegenstände, und sie sind auch nicht in der Lage, sich solche Dinge zu beschaffen. Sie sind in der Mehrzahl erwerbslos oder verdienen wenig oder sind berufsfremd untergebracht. Sie können keine Rücklagen machen. Die Hausratshilfe war wirklich nur ein Tropfen auf einen heißen Stein.
So sehen die Heimatvertriebenen, wie ihre soziale Stellung immer mehr heruntersinkt. Aber der Heimatvertriebene aus dem Osten will nicht auf die Dauer den polnischen Landarbeiter hier im Westen ersetzen; und der ehemals selbständige Handwerker, Kaufmann und Industrielle aus dem Osten will sich auch nicht ständig mit der Stellung eines kleinen, kümmerlichen Angestellten begnügen oder gar der Erwerbslosigkeit anheimfallen. Und was das Bedenklichste und Bedrückendste ist: man sieht vor allem in der Zukunft keinen Ausweg. Man beobachtet mit Schrecken, wie der Nachwuchs allmählich weiter deklassiert wird, wie hier wertvolles Kulturgut vergeudet wird, weil es nicht mehr möglich ist, der Jugend eine angemessene Ausbildung zu geben, so daß sie auch hierdurch den Einheimischen gegenüber immer mehr ins Hintertreffen gerät. Es handelt sich hier im wesentlichen um die Kreise des Mittelstandes, diejenige Schicht, die immer in der Geschichte als ein unentbehrliches Glied und ein unentbehrlicher Bevölkerungsteil eines jeden gesunden Staatswesens angesehen worden ist. Es sind die Schichten, die früher immer bestrebt gewesen sind, aus eigener Kraft und aus eigener Verantwortung heraus ihr Leben zu formen, die es abgelehnt haben, sich an die öffentliche Fürsorge zu wenden, weil sie ihren- Ehrgeiz darin setzten, durch fleißige Arbeit und Sparsamkeit sich die Mittel zu schaffen, die sie brauchen, um ihren Lebensabend selbständig gestalten zu können.
Das ist nun alles vorüber. Diese Kreise erwarten vom Lastenausgleich nicht, daß er ihnen die frühere Lage auch nur entfernt wiederbringt, aber sie wünschen, daß ihnen der Lastenausgleich so viel gibt, daß sie die Grundlinien ihrer ehemaligen sozialen Existenz wieder aufbauen können, daß der vertriebene Bauer sich hier wieder als Landwirt betätigen kann, der Handwerker und Industrielle sich hier wieder seinem gelern-
ten Können entsprechend zu entwickeln vermag. Wir wollen nicht die unmögliche Wiederherstellung der Verhältnisse, wie sie früher waren, aber wir wünschen, daß die frühere soziale Geltung in ihren wesentlichen Merkmalen erhalten bleibt. Deswegen sind weite Kreise der Vertriebenen der Ansicht, daß das Problem des Lastenausgleichs nur auf dem Wege der individuellen Feststellung der erlittenen Verluste gelöst werden kann und daß darauf der Entschädigungsanspruch als ein rechtlich verfolgbarer Anspruch gegründet wird. Wir sind durchaus der Meinung, daß das Problem der Quotalentschädigung nicht überspannt werden darf, daß hier eine gewisse Elastizität obwalten muß. Aber wir sind anderseits der Ansicht, daß der Boden des Rechts nicht verlassen werden darf, daß man nur auf der Grundlage festgestellter Ansprüche wirklich den Betroffenen zu ihrem Recht verhelfen kann.
Wir sehen eine große Gefahr in dem sogenannten elastischen oder sozialen Ausgleich darin, daß damit ein unbestimmtes Moment eingeschaltet wird. daß wiederum die Verwaltungswillkür eine große Rolle spielen wird und daß man sich in die Entscheidungsgewalt von Behörden geben muß, die für die Bewältigung dieser schwerwiegenden Probleme nicht immer das nötige Verständnis aufbringen. Deshalb halten wir daran fest, daß der Lastenausgleich nicht nur ein moralisches Problem ist, sondern auch auf einer juristischen Grundlage beruht und nach rechtlichen Gesichtspunkten weiter behandelt werden muß.
Wir sind weiter der Meinung, daß die Heimatvertriebenen durch ihre Entwurzelung aus der Heimat Schäden erlitten haben, die ihnen überhaupt niemand ersetzen kann, daß ihnen aber auch das Herausreißen aus den nachbarlichen Beziehungen hier unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden zufügt. Ein Heimatvertriebener ist ja kaum in der Lage, sich zum Beispiel auf normalem Bankwege einen Kredit zu verschaffen, weil ihm die Möglichkeit fehlt, die bankmäßigen Sicherheiten zu geben, und weil er als Persönlichkeit nicht genug bekannt ist. Das sind alles schwerwiegende Hinderungen und Hemmungen, diese unsere Leute aus dem Osten zusätzlich noch belasten.
Nun meinen wir, daß das Problem des Lastenausgleichs — und darauf ist ja vorhin schon mit Recht hingewiesen worden — bisher, insbesondere auch von der Regierung, viel zu einseitig als ein reines Finanzproblem betrachtet worden ist. Nach unserer Auffassung liegt der Lastenausgleich wie eine schwere Wolke über unserem ganzen Wirtschaftsleben. Der Lastenausgleich greift in alle unsere wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen tief einschneidend hinein. Er erschöpft sich nicht nur auf dem steuerlichen Gebiet, sondern er wird auch auf dem Gebiet der Siedlung, auf dem des Wohnungsbaus eine erhebliche Rolle spielen. Noch ganz ungeklärt und nicht durchdacht sind die Auswirkungen, die der Lastenausgleich in den Beziehungen zur öffentlichen Fürsorge und Wohlfahrt hervorrufen wird. Wir vermissen also, daß bisher das Problem des Lastenausgleichs noch nicht von einer Gesamtschau aus gesehen worden ist, und in dieser Hinsicht müßte zunächst einmal eine grundlegende Wandlung stattfinden. Es wird
sich dann bald herausstellen, daß mit den Mitteln der gewohnten Steuertechnik und überhaupt mit finanzwirtschaftlichem Denken allein dieses Riesenproblem gar nicht zu lösen ist.
Wir müssen uns darüber klar sein, daß es sich ja letzten Endes darum handelt, eine Vermögensumschichtung allergrößten Ausmaßes, vielleicht in Höhe von 40 bis 50 Milliarden DM vorzunehmen, eine Aufgabe, die einem Wirtschafts- und Staatswesen bisher noch niemals in der Welt gestellt worden ist. Die totalitären Staaten mit kommunistischer Einstellung haben es leicht. Aber wir, insbesondere auch wir Heimatvertriebenen, legen Wert darauf, daß sich der Lastenausgleich in den Formen und unter Respekt vor all den Einrichtungen vollzieht, die im Sinne unserer westlichen Entwicklung für uns ein wertvolles Kulturgut darstellen. Insbesondere legen wir entscheidenden Wert darauf, daß bei der Regelung des Lastenausgleichs die Achtung vor dem Eigentum erhalten bleibt. Aber wenn wir das den Einheimischen zubilligen, müssen wir auf der anderen Seite verlangen, daß man auch unseren Bestrebungen und unseren Wünschen mit demselben Verständnis entgegenkommt.
Ich darf weiter darauf hinweisen, daß bisher die Staatsverwaltung in Sachen des Lastenausgleichs nur Stückwerk geleistet hat. Die Unvollkommenheiten des Soforthilfegesetzes sind ja ausreichend beleuchtet und auch von der Regierung zugegeben worden. Weil es aber ein Notbehelf ist und weil es die vielen Härten und Unvollkommenheiten enthält, die vorhin aufgezeigt worden sind, ist es ungemein notwendig. daß es recht bald durch ein organisch aufgebautes Lastenausgleichsgesetz abgelöst wird. Das i aber setzt voraus, daß sich nunmehr die Kraft der Regierung diesen Problemen zuwendet. Wir sind der Meinung und wir haben den Eindruck, als ob bisher die Regierung ihre Kenntnisse und Erfahrungen, ihre Mühe und Arbeit weniger darauf verwendet hat, dem Lastenausgleich zu einem positiven Erfolg zu verhelfen, als die unbestreitbaren Schwierigkeiten, Hemmungen und Unzulänglichkeiten aufzuzeigen, die diesem gewaltigen Problem der Natur der Dinge nach nun einmal innewchnen. Wir haben den dringenden Wunsch, daß die Regierung hier eine Änderung ihrer Haltung vornimmt, daß sie sich positiv zu dem Problem des Lastenausgleichs einstellt und sich von dem festen Willen beseelen läßt, eine Lösung zu bringen, die wirklich den Verhältnissen gerecht wird. Die besitzenden Kreise werden im Zuge des Lastenausgleichs schwere Opfer bringen müssen, und wir haben volles Verständnis dafür, daß das niemandem leicht fallen kann. Wir wissen selber, daß wir vielfach ein Leben lang gearbeitet haben, um uns Besitz zu schaffen, den wir mit einem Schlage verloren haben; wir wissen, wie schmerzlich es ist, sich von den irdischen Gütern trennen zu müssen. Wir haben bei unserem leidvollen Schicksalsgang die eine Wahrnehmung gemacht, daß von all den Gütern, auf die der Mensch stolz zu sein pflegt, nur das wertbeständig geblieben ist, was man sich durch eigene Arbeit und Bildung an Fähigkeiten und Fertigkeiten angeeignet hat.
Wenn man nun von den Besitzenden Opfer verlangt, so werden sie diese nicht ohne Gegenleistung zu erbringen brauchen. Diese Gegenleistung besteht darin, daß die Besitzenden nun
Klarheit über das erhalten, was ihnen endgültig bleiben wird. Nach vollzogenem Lastenausgleich werden auch sie wieder eine feste Grundlage für ihre Dispositionen erhalten. Die Unsicherheit, die jetzt so lähmend über allen Entschließungen liegt und die zu so vielfachen Fehldispositionen geführt hat, wird schwinden, und gleichzeitig werden die besitzenden Kreise die beruhigende Gewißheit haben können, daß sich bei einer gerechten Regelung des Lastenausgleichs auch der Respekt vor dem Eigentum wieder festigen wird und daß das, was ihnen verblieben ist, ihnen nunmehr auch auf die Dauer erhalten bleiben wird, weil die großen sozialen Spannungen, die sich aus der jetzigen unterschiedlichen Verteilung des Besitzes ergeben haben, dann weitgehend behoben sein werden.
So glauben wir, daß der Lastenausgleich nicht einseitig gesehen werden darf, etwa in dem Sinne, daß die Heimatvertriebenen und die Bombengeschädigten eine Bereicherung von den Besitzenden verlangen, die ihnen nicht zukommt, sondern wir meinen, daß es letzten Endes darum geht, in unserem zerklüfteten Lande einen Ausgleich zu finden, der die Abgründe wiederauffüllt und den Boden für einen neuen Aufbau wieder bereitet.