Meine Damen und Herren! Die Herren von der Bayernpartei haben uns beim demokratischen Portepee zu fassen gesucht, als sie sagten, was wir im Parlamentarischen Rat getrieben hätten, sei eine Art absolutistischen Weggehens über alles, was das Volk über die Todesstrafe denke. Meine Herren von der Bayernpartei, ich bin wie Sie davon überzeugt: wenn man über die Frage, ob die Todesstrafe abgeschafft werden solle oder nicht, ein Plebiszit veranstaltet hätte, wäre die Wahrscheinlichkeit, daß die Mehrheit unseres Volkes sich für ihre Beibehaltung entschieden hätte, sehr groß gewesen.
Aber ich machte auf die Gefahr hin, daß Sie mir jedes Recht, mich künftighin noch einen Demokraten nennen zu dürfen, absprechen, sagen: in Dingen der Humanität, in Fragen der Beseitigung eingewurzelter Vorurteile und der Ausrottung blutiger Mythen mißtraue ich dem Plebiszit; da traue ich dem aufgeklärten „Absolutismus" eines Parlaments mehr zu.
Sie können dieses Bekenntnis in der Polemik und agitatorisch verwerten, wie Sie wollen, Herr Dr. Baumgartner; ich habe es abgelegt, und ich stehe dazu. Wenn man vor 200 Jahren ein Plebiszit darüber veranstaltet hätte, ob man Hexen verbrennen soll oder nicht, dann würde man heute noch die Scheiterhaufen rauchen sehen!
Vergessen Sie nicht: die letzte Hexenverbrennung in Europa hat nicht unter dem Zepter eines verruchten Fürsten, sondern in einem Schweizer Urkanton mit plebiszitärer Landsgemeinde stattgefunden, und zwar in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts!
Ich glaube, man sollte nicht so sehr betonen, daß es gelte, in sich die Möglichkeit primitiver Reaktionen zu konservieren. Wenn man Gesetze gibt, sollte man versuchen, sich vom Primitiven zu entfernen. Jedenfalls sollte man zum mindesten nicht ausgesprochenermaßen danach streben, Primitivität zu aktualisieren. Das Primitive läuft uns sowieso nach, ohne daß wir uns um sein Geleit zu bemühen brauchten. Sie sprechen von Vergeltung als einem sittlichen Prinzip. Vergeltung ist aber doch letzten Endes nichts anderes als die Anwendung des Grundsatzes: Auge um Auge, Zahn um Zahn. W i e man dabei die Taxe macht, ist schließlich nur noch eine Frage der Relationen. Vergeltung heißt: du hast mir etwas getan, nun tue ich dir etwas Entsprechendes. Ich muß sagen: da finde ich das Alte Testament konsequenter als das Strafrecht, das Sie wollen. Alles Spekulieren darüber sind, glaube ich, Versuche, wie man mit dem Bestreben, nicht primitiv zu sein. ein bißchen eigene oder fremde Primitivität verbinden könnte.
Nun, meine Damen und Herren, zur Abschreckungstheorie. Die Abschreckungstheorie ist doch nichts anderes als eine Theorie zur Konkretisierung des Satzes ,,Der Zweck heilig t die Mittel". Wenn man zu einer humanitären Demokratie gelangen will, muß man umgekehrt sagen: Die Mittel müssen so sein, daß sie den Zweck heiligen. Und, meine Damen und Herren, wenn Sie schon auf die abschreckende Wirkung der Strafe soviel Wert legen, müßten Sie konsequenterweise die Einführung von Steigerungen auch beim Vollzug der Todesstrafe wollen; denn Sie müssen zugeben: Vierteilen schreckt noch mehr ab als Köpfen. Aber Sie wollen keine Folterungen. Warum bleiben Sie nicht konsequent? Sie wollen diese verschärften Todesstrafen — wenn Sir mir diesen nazistischen Ausdruck gestatten wollen — nicht, weil Sie mit Recht der Meinung sind: der Mensch degradiert sich selber dadurch, daß er foltern läßt. Wir sollten so weit kommen, daß wir erkennen: der Mensch degradiert sich auch dann, wenn er einen Menschen in regulierter Weise vom Leben zum Tode bringt, sei es, daß er dies selber tue, sei es, daß er dem Henker den Auftrag dazu gebe!
Meine Damen und Herren, noch eines möchte ich sagen: es ist auch ein Unterschied, ob man die Todesstrafe abschafft oder ob man sie wiedereinführt!
Ich glaube, mancher, der nicht zögern würde, ja
zu sagen, wenn man ihn fragte, ob er die Todesstrafe abgeschafft sehen wolle, würde sich nicht
bereit finden, ja zu sagen, wenn man ihn fragte, ob er wolle, daß sie wiedereingeführt werde.
In unserer Fraktion haben wir die Abstimmung freigegeben, weil wir der Meinung sind, daß es sich hier um eine Sache handelt, bei der jeder nur nach dem Ruf seines Gewissens handeln kann. Trotzdem wäre ich traurig, wenn einer meiner politischen Freunde nicht der Auffassung wäre, daß wir uns durch ein Ja zu dem Antrag der Bayernpartei degradieren würden. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Gehen wir über diesen Antrag zur Tagesordnung über!
Präsident Dr. Köhler: Der Abgeordnete Dr. Etzel hat als Antragsteller das Schlußwort.
Dr. Etzel (BP), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte hat gezeigt, wie schwer es ist, die wirklichen Motive eines Antrags zur Geltung zu bringen. Der Herr Bundesjustizminister hat nach dem Wortlaut des Stenogramms erklärt:
Ich beneide die Antragsteller darum, daß sie
in dieser Zeit vornehmlich von dieser Frage
erfüllt sind und es als eine Hauptsorge sehen, daß künftighin in unserem jungen Staate, wir wollen einmal sagen: mehr geköpft wird.
— Herr Justizminister, ich muß zum Ausdruck bringen, daß Sie damit die tiefste Sprosse einer Diskussion,
einer Auseinandersetzung, einer notwendigerweise von dem Geist und dem Ethos getragenen Debatte festgehalten,
ich will nicht sagen: erstiegen haben, aber auf ihr verharrt sind.
Ich bedaure das sachlich, und ich bedaure es — Herr Justizminister, Sie werden das begreifen — auch persönlich.
Wir haben, nicht von Blutdurst getrieben, den Antrag gestellt; wir haben von Anfang an geglaubt, es würde das Ethos, von dem aus dieser Antrag bestimmt war, verstanden.
Dieses Ethos ist auch von einem großen Teil der Debatteredner begriffen worden.
Es hat uns außerordentlich merkwürdig berührt, daß in unserem Antrag ein Vorstoß auf das Grundgesetz selbst erblickt werden konnte.
Es ist uns übel ausgelegt worden, daß wir es wagen, von der verfassungsrechtlichen Möglichkeit des Art. 79 Gebrauch zu machen.
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Warum diese Intoleranz, die jede Möglichkeit,
hier nach Art. 79 zu verfahren, schon diffamieren
möchte, weil die Verfassung tabu ist? Es zeugt
von einem geringen Glauben an die Stabilität
dieses Grundgesetzes, das ja von einem Teile
seiner Schöpfer ursprünglich nur als Statut, als
Satzung bezeichnet werden wollte, wenn in einem
verfassungsändernden Antrage sofort ein Ansturm gegen die Verfassung gesehen werden will.
Auch Herr Kollege Loritz, dessen Sachlichkeit, soweit er sich auf die Frage der Todesstrafe bezog, ich dankbar anerkennen möchte, hat hier eine panikartige Furcht erzeugt, als ob wir gegen die Verfassung, d. h. das Grundgesetz selbst Sturm laufen wollten. Nichts falscher als das! Aber niemand sei so intolerant und verdächtige sofort einen verfassungändernden oder grundgesetzändernden Antrag. Wir haben natürlich sehr viel an diesem Grundgesetz auszusetzen, selbstverständlich,
weil wir gar nicht in die Lage kamen, auf dieses
Grundgesetz irgendwelchen Einfluß zu nehmen.
Damit komme ich zu einem anderen, sehr wesentlichen Punkt. Es ist die Frage, ob eben der Parlamentarische Rat legitimiert war, eine solche Entscheidung zu treffen, da er doch nicht das Ergebnis einer unmittelbaren, geheimen, gleichen Volkswahl war.
Nun zu dem Herrn Vertreter der CSU, dem Herrn Kollegen Dr. Laforet, der sagte, es sei keine Rede davon, daß der Parlamentarische Rat ein Vollzugsorgan der Besatzungsmächte gewesen sei. Ich habe niemals eine solche Behauptung aufgestellt. Ich habe erklärt, er sei das Geschöpf der Sieger gewesen, und das war er; denn die ganze Geschichte erweist es. Als die Londoner Konferenz gescheitert war, haben die sechs Mächte — das heißt Amerika, Frankreich, Großbritannien und die Beneluxstaaten - sich in London zusammengesetzt und haben sich gesagt: wie können wir jetzt diesen großen weltweiten Konflikt wenigstens auf eine Teillösung bringen? Und sie haben in drei Dokumenten ein an die Adresse der beteiligten deutschen Länder gerichtetes. ganz strenges Instrument vorgelegt. Diese Richtlinien waren ja im letzten Sinne bindend.
Gewiß war es eine Einladung, aber ich muß dann fragen: warum haben denn die Herren Ministerpräsidenten, die ja autoritär regierten, und die ihnen untergebenen und gehorsamen Landtage eine solche Einladung nicht von sich gewiesen und erklärt: „wir wollen das nicht, wenn nicht —". Aber in dem Dokument I war davon die Rede, daß die Abstimmung über das Grundgesetz durch die Bevölkerung selbst stattfinden sollte.
Die Ministerpräsidenten und die Landtage haben
es hintertrieben, daß ein solches Plebiszit über
das Grundgesetz stattfindet.
— Das muß ich zum Ausdruck bringen, weil hier
offenbar versucht wird, die Dinge schief darzu-
stellen. Die Zweidrittelmajoritätsklausel ist ein bedingungsweiser Wunsch gewesen, und man weiß ja, was man von Wünschen des Siegers zu halten hat: wenn man nur im ganzen seine Offerte annimmt, daß man dann auch im Detail ihm zu gehorchen hat. Das ist die Situation; ich habe beanstandet, daß dieses Grundgesetz, das nicht durch ein Volksparlament geschaffen worden ist, in einer so eminent wichtigen Sache von sich aus in dem „aufgeklärten Absolutismus" eines solchen Sonder- und Zweckgremiums entschieden hat. Das beanstanden wir, weil wir der Meinung sind: in einer Demokratie hat das Volk zu sprechen. Wir sind durchaus der Ansicht, daß man nicht sagen kann: „Quoll licet Jovi, non licet bovi", sondern wir sagen: „Vox populi, vox dei".
Ein Herr Vertreter der CDU hat davon gesprochen, daß unser Recht säkularisiertes Christentum sei. Nun gut, wer möchte nicht wünschen, daß die profanen Rechtsordnungen der Ausdruck eines hohen, der Menschheit durch Uroffenbarung eingepflanzten, immanenten Sittengesetzes wären! Wir sehen in dem Ethos des Christentums dis höchste Blüte der sittlichen Entwicklung der Menschheit. Aber warum spricht sich dann die katholische Moraltheologie für die Todesstrafe aus?
Ich darf weiter sagen: damit in dieser Tragikomödie nicht das Satyrspiel fehlt, haben sich der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst von der CSU und Herr Abgeordneter Renner gemeldet. Herr Dr. Kleindinst sagte: Wir sind aus föderalistischen Gründen — —