Bleiben wir ernst! Es ist doch so — und das darf doch nicht übersehen werden, weil von dieser Einstellung her die ganze Entwicklung ausgegangen ist, die die Menschheit in der Frage der Berechtigung oder des Rechtes auf Verhängung der Todesstrafe erlebt hat -, daß nach der katholischen Glaubenslehre der Delinquent nach Beichte und Absolution und nach Empfang der Sterbesakramente in den Zustand der Gnade versetzt worden ist.
— Bitte, das ist mir durchaus ernst. — Es ist doch
so, daß er nach katholischer Auffassung aus diesem
Zustand heraus aus dem Leben sozusagen in den
Tod hineinbefördert — im guten Sinne gemeint —
worden ist. Diese Auffassung, die während des
ganzen Mittelalters, gestützt auf diese Glaubenstheorie der katholischen Kirche, untermauert worden ist, ist selbstverständlich heute in den Ländern, die sich betont „christliche" nennen, längsl verschwunden. Heute hat die Todesstrafe ah staatlicher Anspruch immer mehr den Charakter einer Vergeltung und Abschreckung erhalten.
— Nein, keine Vorlesung, Herr Professor, ich bemühe mich, frei zu sprechen. Ich bin ja kein Philosoph wie Sie. Ich versuche, das einmal vom sozialistischen Standpunkt aus zu erklären.
Wenn es tatsächlich so wäre, daß das Moment der Abschreckung eine günstige Auswirkung auf die Kriminalität hätte, dann wäre doch ganz logisch zu fordern, daß zur Abschreckung noch härtere und brutalere Methoden angewandt werden, weil ja dann logischerweise das Ergebnis ein höheres sein müßte. Wir wissen doch alle, daß die Vollstreckungsart der Todesstrafe im Laufe der Jahrhunderte auch eine Wandlung durchgemacht hat. Mein Zwischenruf von vorhin war meines Erachtens gar nicht so sehr unlogisch. Will man das höhere Ziel erreichen, will man mittels der Abschreckungstheorie die Kriminalität senken, dann tut man gut, wenn man die Vollstreckungsmethoden verschärft. Also zurück etwa zur Vierteilung! Warum denn nicht, meine Herren? Das müßte sich nach Ihrer Auffassung doch direkt wohltuend auswirken.
Und dann noch ein anderes Moment, das heute auch schon zitiert worden ist. Warum wagt denn niemand von Ihnen zu bestreiten, daß die Vollstreckung der Todesstrafe im Geheimen, vom Standpunkt der Humanität aus gesehen, eine Verbesserung ist? Warum fordern Sie denn nicht, wenn Sie schon das Moment der Abschreckung geltend machen, dann auch die Wiederherstellung der öffentlichen Hinrichtung, die ja in Frankreich zum Beispiel erst vor etwa 15 Jahren eingestellt worden ist?
Warum fordern Sie das nicht? Sie wissen genau, daß diese Änderung in der Konzeption von der Todesstrafe eine Folge einer Wandlung in den politischen Verhältnissen der modernen Staaten ist. Je stärker ein Staatsgebilde von einer mit aller Machtfülle ausgestatteten Schicht beherrscht wird, desto stärker wird auch in diesem Staatsgebilde der Anspruch des Staates auf Vergeltung als Sinn der Strafe herausgebildet werden.
Es kommt noch etwas anderes hinzu. Dieses Vergeltungsprinzip wirkt sich mit besonderer Stärke und Härte in einem derartigen Staat gegen diejenigen aus, die die Interessen der kleinen, den Staat aber beherrschenden Oberschicht irgendwie verletzen.
Wir haben also dann eine ausgesprochene Klassenjustiz vor uns.
— Wie man als Sozialist an d e r Stelle „Siehe Rußland", sagen kann, ist mir schleierhaft,
Herr angelernter Sozialdemokrat Professor Carlo Schmid!
Aber noch etwas anderes. Die Rufer nach der Wiedereinführung der Todesstrafe vergessen, was hinter diesem Ruf steht. Darum habe ich es direkt begrüßt, daß der Zwischenruf von der Bayernpartei kam.
— Richtig, das haben Sie zuerst gerufen: „Das
Volk will es!" Wie Sie allerdings dazu kommen,
das beweiskräftig behaupten zu können, weiß ich
nicht. Herr Dr. Etzel selber hat behauptet, und
zwar mit Recht, daß nach unserem Grundgesetz
die Durchführung einer Entscheidung des Volkes
durch Volksbefragung unmöglich ist. Nun will
mir nicht in den Kopf hinein, liebe Herren von
der Bayernpartei, daß die Verbindung, die Sie zu
einem Bruchteil des bayerischen Volkes haben, Sie
in die Lage versetzt, zu sagen: Das Volk will es!
Die Kreise, die das bei Ihnen in Bayern wollen, sind vermutlich die Wählerkreise, die hinter Ihnen stehen.
— Das liegt an Ihrem Wahlgesetz und an der „Demokratie" in Bayern, daß wir im Bayerischen Landtag nicht vertreten sind. Hätten Sie das Wahlgesetz, wie wir es in Nordrhein-Westfalen haben, dann wären wir Kommunisten auch in Bayern vertreten.
— Wir wären aber sicherlich nicht so reaktionär, auf solche Ideen wie die Bayernpartei zu verfallen.
- Der ist nicht relativ, der ist absolut geklärt.
wenn ich Sie ansehe, Herr Kollege Baumgartner!
Nun, meine Herren, zurück zum Thema. Ich habe angeführt, daß sich im Zuge der politischen Entwicklung, die in den Ländern dazu geführt hat, daß das Volk an dem Geschehen auf politischem Gebiet immer mehr Anteil nimmt, in der Frage des Sinnes des Strafvollzuges eine Wandlung dahin vollzogen hat, daß sich der Gedanke des Strafvollzuges zum Zweck der Sicherung bzw. der Besserung immer mehr und mehr durchsetzt. In einem derartigen Staate, meine Herren von der Sozialdemokratie, in dem der Anteil des Volkes an der Macht größer und größer wird, verschwindet immer mehr — und muß logischerweise verschwinden — die Konzeption, daß die Strafe den Sinn einer Abschreckung und einer Vergeltung haben soll. In einem derartigen Staatswesen muß immer mehr der Gedanke zum Durchbruch kommen, daß die Strafe den Zweck der Re-Sozialisierung des Delinquenten, des Rechtsbrechers haben muß, d. h. den Zweck, den Delinquenten, den Rechtsbrecher, den Asozialen durch Erziehung wieder in die staatliche und soziale Ordnung des betreffenden Staates einzufügen. Das nur kann der Sinn eines Strafvollzugs in einem fortschrittlichen Lande sein.
- Wie wir das machen, haben wir noch nicht
praktizieren können; aber wie man es machen
kann, dafür gibt die Entwicklung bei einigen westeuropäischen Ländern ja bereits einen Hinweis,
und dafür gibt auch der Strafvollzug in der Sowjetunion einen Beweis, der, wie jeder sachkundige Mensch weiß, den Zweck verfolgt, die Strafe auszuwerten, um den Rechtsbrecher durch Erziehung
an die gesellschaftliche Ordnung wieder heranzuführen
und ihn zu einem nützlichen Glied der menschlichen Gesellschaft zu machen.
Wenn nun etwa hier darauf hingewiesen worden ist, daß besonders in der Nachkriegszeit die Kriminalität in Deutschland angewachsen ist wenn hier mit Recht vor allen Dingen vom Anwachsen der Jugendkriminalität gesprochen worden ist, dann ist es doch notwendig, daß die sozialen, die gesellschaftlichen, die in Ihrem Wirtschaftssystem, in Ihrer Ordnung liegenden Ursachen für dieses Anwachsen der Kriminalität klar aufgezeigt werden. Dieses Anwachsen der Kriminalität in Deutschland und in den vom Faschismus beherrschten und auch zum Teil in den vom Faschismus blutigst unterjochten westlichen Ländern ist darauf zurückzuführen, daß der Faschismus jeden Begriff von Recht und Ordnung und Heiligkeit des Lebens vernichtet hat.
Wenn bei unserer Jugend heute diese Auffassung verschwunden ist, daß das Leben heilig ist, daß es erhalten zu werden verdient, dann ist das die Folge der Erziehung dieser Jugend in der Periode der Kriegsvorbereitung. Dann ist das aber auch eine Folge der Durchführung dieses totalen Krieges, über dessen Folgen Sie sich ja hier nur höchst ungern gelegentlich einmal etwas sagen lassen. Der deutsche junge Mensch, dem beigebracht worden ist, daß der Russe ein Untermensch sei und daß es sozusagen Gott wohlgefällig sei, ihn zu morden, der deutsche junge Mensch, der jetzt zurückgekehrt ist, wird weiter in diesen Gedankengängen denken und wird weiter nach Untermenschen suchen, die zu vernichten er berechtigt ist. Und sie lernen es heute bereits wieder: diese „Untermenschen", die es zu vernichten gilt, sind gewisse Völker, die um uns herum wohnen, — besonders durch die Kriegshetze, die Sie treiben. Sie treiben heute bereits die Jugend wieder auf diesen Weg, statt sie zum Frieden mit allen Völkern der Welt zu bekehren, mit allen Völkern, die um uns herum wohnen und leben. Sie machen ja heute schon wieder die Differenzierung der Völker- und Rassenhetze, die Hitler benutzt hat, um das deutsche Volk und die deutsche Jugend willfährig zu machen, seinen verbrecherischen Krieg durchzuführen. Im Erkennen und Bekennen der eigenen Schuld liegen die Voraussetzungen für die Abstellung dieser Dinge.