Herr Präsident! Kleine Damen und Herren! Ich spreche für eine Minderheit meiner Fraktion und möchte damit zum Ausdruck bringen, daß wir in dieser Frage die völlige Gewissensfreiheit gewahrt wissen wollen. Diese Minderheit meiner Fraktion ist wie die damaligen Vertreter der Deutschen Partei im Parlamentarischen Rat für die Beibehaltung des Art. 102, und zwar aus sehr schwerwiegenden, letzthin im Gefühl der Verantwortung vor Gott beruhenden Gründen. Ich habe einmal auf einem alten Richtschwert einen Spruch entziffert, der lautete: „Sobald ich dieses Schwert aufheben tu, gebe Gott dem armen Sünder die ewige Ruh." Dieser Spruch hat mich tief berührt, denn er gibt etwas wieder von dem nicht in Worte zu fassenden, fast sakralen Gehalt, von dem unerhörten Ernst, der hinter dieser Strafe steht. Ich könnte mir denken, daß ein Mörder, in dem das Menschliche nicht erstorben ist, unter Umständen durstig ist nach dieser ewigen Ruhe und die Qual, Pin ganzes Leben die Untat mit sich herumzutragen, kaum ertragen kann. Diese große Würde, die bei der Todesstrafe gilt, die ja den letzten Ernst des Rechtes verkörpert, diese große Würde und dieser letzte Ernst sind durch die Schinderknechte der Totalität geschändet worden.
Es ist nichts mehr vorhanden von diesem alten ernsten Ahnengeist, der aus dem Spruch auf dem Richtschwert spricht.
Wir stehen hier nach meiner persönlichen und nach der Auffassung einer Minderheit meiner Fraktion vor einer kriminalpolitisch neuartigen Erscheinung. Wer die in den letzten Jahren nach dem Krieg geschehenen Mordtaten, die besonderen Falle verfolgt hat, wer Überlegungen daran geknupft und sie etwas analysiert hat, wird dabei auf zwei Erscheinungen treffen. Die eine ist alt und ist nach jedem Krieg aufgetreten: das sind reine Bestialitäten. Das andere aber ist etwas vollkommen Neues; es sind aus der mechanistischen Gesinnung unserer Welt, aus der Verapparatung unseres Daseins hervorgegangene Taten. Wir stellen hier fest, daß das Gewissen völlig erstorben ist. Da wird gemordet, wie man einen Nagel einschlägt oder wie man etwas auf den Mülleimer der Verwesung wirft. Ich bin persönlich der Überzeugung, daß es keine Abschreckung und überhaupt keine Strafart gibt, die dieser grauenvollen Erscheinung gerecht werden kann, nachdem die Todesstrafe durch die totalitären Systeme zu einem Liquidieren im Verwaltungswege, zu einem Werfen auf den Schindanger geworden ist. Ich möchte hier an die Darstellung von Ernst Jünger in „Die Marmorklippen", an das Bild von Röppels-Bleek erinnern. Dort ist in der Dichtung am besten und am tiefsten dargestellt, was in der totalitären Entwicklung geschehen ist. Seitdem diese Entwicklung von dem letzten Ernst der Todesstrafe das Eigentliche, die tiefste, innerste Verantwortung fortgenommen hat, hat sie, so glaube ich, ihre bedeutungsvolle Wirkung eingebüßt.
Es gibt auch Fragen, bei denen man in der Demokratie nicht nur auf das hören sollte, was man dann so „das Gefühl des Volkes" nennt. Eine Demokratie muß auch einmal voranschreiten, Autorität gewissermaßen von oben her bilden.
Bei dieser Frage, bei dieser letzten Entscheidung gegen die Gewalt, handelt es sich um ein Voranschreiten, um den Mut zur Entscheidung.
Ich begrüße persönlich die ernsten, im wahren Sinne guten Darlegungen der Frau Kollegin von der Sozialdemokratischen Partei, Frau Meyer-Laule, außerordentlich. Sie hat nach meinem Gefühl das kriminalpolitische Problem wahrhaft erhellt. Ich möchte mich aber zugleich auch dagegen wenden, in dem Antrag der Bayernpartei gewissermaßen nur einen Vorspann für andere Absichten zu sehen. Meine Damen und Herren, wir sollten uns in diesem Hause unbedingt davor hüten, bei Dingen, die aus dem innersten Gefühl und einer wahrhaft guten Überlieferung begründet werden können und begründet werden — ich möchte behaupten, daß tatsächlich die Mehrzahl der Angehörigen unseres Volkes so- empfindet —, gegenüber einer solchen, sagen wir ruhig, konservativen Einstellung eine Kritik anzuwenden, die der Verwurzelung solcher Gedanken in keiner Weise gerecht wird.
Wir, die Minderheit meiner Fraktion, sind der Auffassung, daß wir das Grundgesetz, so wie es nun einmal geworden ist, nun auch als etwas Bestehendes, als etwas Festes ansehen sollten. Unsere Zeit leidet im tiefsten daran, daß die Substanz, daß die eigentlichen inneren Werte in Zweifel gezogen worden sind, daß sie analysiert, veranalysiert werden, daß alles irgendwie fließend und flüchtig
geworden ist. Gegen diese Zersetzung unseres abendländischen Geistes müssen wir Front machen und gerade aus der Veranwortung gegenüber der Krise des abendländischen Denkens die festen Punkte mutig — auch von der Seele her gesehen — finden und dann dafür eintreten, uns nicht bescheinigen lassen, daß wir in schwankender Zeit selbst schwankend gesinnt sind. Wir haben hier nun einmal eine mutige Entscheidung gefunden, um die hart gerungen worden ist. Lassen wir sie doch stehen!
Es ist eine kriminalpolitische Erfahrung: ob mit
oder ohne Todesstrafe, die Morde, die bestialischen
Taten bleiben sich gleich. Verkennen Sie doch nicht:
die Todesstrafe ist ja nicht die schnell auf das Verbrechen folgende Rachetat, aus dem innersten Gefühl geboren, sondern sie ist eine Strafe, die mit
einer düsteren Weihe umgeben ist, und man kann
sie, wenn man sie rechtfertigen will, auch nur in
dieser düsteren Weihe sehen. Man darf dabei nicht
in die leidenschaftlichen dunklen Bezirke versinken,
sozusagen in die Blutopfer vor den alten Urgöttern.
- Dieser Einwand von Herrn Professor Schmid gibt dem Problem, wie ich es auch sehe, das richtige Bild: dann auf offenem Markt! Aber ich möchte behaupten, daß dann genau so, wie es im Mittelalter war, nachdem das Strafrecht immer weiter verwilderte, die Bestialität der Untaten steigen würde,
daß so genau das entgegengesetzte Ergebnis zustande kommen würde. Denken Sie doch hier etwas an die Tradition unserer strafrechtlichen Entwicklung. Eine bedeutende Tat, aus dem Geiste des Humanismus geboren, war damals die Carolina. Die Carolina war ein umstürzendes Werk; und es ist interessant, daß nach der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in dem ja zwei Drittel des Bevölkerungsbestandes Deutschlands vernichtet wurden, eine Humanisierung des Strafrechts begonnen hat. Ich denke hier an Benedikt von Carpzow und an die gesamte Entwicklung, die schließlich zu dem Ergebnis geführt hat, daß man in der Josephinischen Zeit zum ersten Mal zu einer Aufhebung der Todesstrafe schritt. Alles das sollte uns zu denken geben. Wir stehen hier genau in der großen Spannung zwischen dem Menschlichen und dem Unmenschlichen. Ich glaube, daß man die europäische Kulturkrise unserer Tage unter diesem großen Spannungszustand zwischen Menschlichem und Unmenschlichem sehen kann. Haben wir jetzt den Mut zum Menschlichen!