Meine Damen und Herren! Ich will von der Erörterung der verfassungsrechtlichen Fragen absehen und jetzt zu der eigentlichen Sache selbst einiges sagen: Es ist in Deutschland eine oft geübte Gewohnheit, seine Ausführungen mit einem Zitat aus Goethes „Götz" zu
schließen. Gestatten Sie mir ausnahmsweise, mit einem solchen Zitat anzufangen. Ort: nicht Jagsthausen, sondern die Hofhaltung in Bamberg. Teilnehmer: der Abt von Fulda und jener Dr. Olearius aus Sachsenhausen. Der Kirchenfürst fragt den Mann, wer er sei. „Doctor utriusque juris". Wo er herkäme? „Von Bologna". Er fragt ihn dann nach seiner Wissenschaft und stellt ihm die Frage: Nun, wie ist das eigentlich mit eurem Recht? Sind da die zehn Gebote auch drin enthalten oder nicht? Da gibt dieser Olearius die Antwort: „Explicite nein, implicite ja!" Damit, meine Damen und Herren, hat dieser Dr. „Wolfgang Olearius" doch ganz eindeutig behauptet, daß nicht nur das kanonische Recht, sondern unser abendländisches Recht überhaupt säkularisiertes Christentum ist. Säkularisiertes Christentum heißt, daß es eine Tötung nicht geben darf, es sei denn in der Notwehr.
Versuchen Sie die kümmerliche Anzahl von Paragraphen unserer Tötungslehre darauf nachzusehen, so werden Sie außer dem, was der § 218 als erlaubt übriggelassen hat, nicht viel finden. Auch da ist schon die Einstimmigkeit nicht mehr vorhanden. Ich erinnere Sie an den Einspruch der alten Kirche. Mit den sehr fraglichen und problematischen Dingen des Zweikampfes und mit der vorhin zum ersten Mal in einem deutschen Parlament gestreiften Frage der Euthanasie sind Sie schon beinahe am Ende, wenn nicht die Todesstrafe wäre.
Von der Todesstrafe wissen wir doch nach den Aussagen der Kulturhistoriker, daß das ursprünglich das Problem von fas und nefas war, von dem verletzten Gesetz der Gottheit, das gesühnt wurde, und daß die Hinrichtung ursprünglich eine sakrale Handlung, ein Opfer war. Ich bitte Sie, zu überlegen, was davon noch für uns übrig geblieben ist und wie fremd diese Vorgänge in unserer Welt wirken. Einer meiner Vorredner — ich glaube, es war der Herr Kollege Wagner — wies darauf hin, daß sich in der Gesellschaft wohl kaum einer Bereitfinden würde, an irgendeinem Tisch neben einem Henker Platz zu nehmen. Es ist das Erstaunliche geschehen, das der Tiefenpsychologe deuten möge, daß aus diesem Opferer einer geworden ist, der die Stelle eines Parias hat, jawohl, fast der einzige in unserer ganzen Gesellschaft mit Ausnahme der Prostituierten. Hier sind uns Dinge wie Petrefakte in unsere Gegenwart mitgegeben worden, die nicht mehr richtig am Platze sind. Wenn Sie den Versuch machen, sich zu überlegen: was kann denn Strafe für uns bedeuten? —, dann bleibt nur die Strafe in ihrer Bedeutung als Erziehungsmittel und die Strafe als endgültige Sicherungsverwahrung zum Schutz der Gesellschaft vor den Asozialen übrig.
Es mag in anderen Zeiten dazu vielleicht noch mehr zu sagen sein. Wir sind ja im Augenblick davor bewahrt, ein Kriegsrecht kodifizieren zu müssen. Dann mögen diese Dinge unter Umständen anders aussehen.
Im Augenblick scheint es mir so zu sein, daß eindeutig der Beweis geführt wird, daß die Tötung durch Gesetz keine erlaubte Notwehr mehr darstellt.
Es sind keine Beweise geführt worden, daß die Verhängung der Todesstrafe die Kriminalität gesenkt hätte,
und selbst wenn die Herren Statistiker ihre Arbeit nicht getan hätten, - wer halbwegs einen Sinn für den Ablauf der Geschichte hat, der weiß, daß in jener Zeit, in der der gehenkt wurde, der eines Strickes Wert entwendet hatte, die Kriminalität weiß Gott nicht geringer war, als sie heute beim modernen Strafvollzug gewesen ist.
Nun, meine Damen und Herren, trotzdem etwas ganz anderes zu der Frage der Todesstrafe, das den Anschein hat, paradox zu sein. Wir wissen alle oder wir haben gehört, daß uns immer Dichter und Weise erzählt haben, daß in der Seele des Menschen der Hang zu töten, der Hang, dem gehaßten Feind das Messer in die Brust zu stoßen, kreisen würde wie das Blut in unserem Leib. Wenn die Leute das mit schlechten Worten gesagt haben, dann hat man versucht, sie mit Aufklärung und Humanität zu besprengen, und hat das nicht wahrhaben wollen, was sie gesagt haben. Seit etwa fünfzig Jahren, seit in Deutschland und in Europa der große Sigmund Freud uns gelehrt hat, in die tiefsten Tiefen der Menschenseele hinabzusteigen, ist an die Seite dieser Seher und Dichter auch der Wissenschaftler getreten, und der macht genau dieselbe Aussage, noch eine weitergehende, daß in uns allen der Hang zu töten unauslöschbar sei, ja daß unser ganzes Fundament auf diesem ehernen Geschehen einer archaischen Welt stände; er hat uns noch mehr gesagt, er hat uns auch gelehrt, daß der Hang des Menschen, sich selbst zu töten, genau so vorhanden sei wie der, andere zu töten. Meine Damen und Herren, wenn Sie daran zweifeln würden, dann würde ich Ihnen nur einen einzigen Namen zurufen, ich würde Ihnen den Namen Baab zurufen, und ich würde Sie bitten, einmal zu prüfen: horchen Sie in sich hinein und registrieren Sie die Reaktion!
Wir leben nun in einer politischen Zeit, in der diese Reaktion — die Reaktion, den Feind zu töten, zu vernichten — die unerwünschteste aller Reaktionen sein kann. Wir stehen als Volk vor der Aufgabe, in einer großen Versöhnung. in der Verkündung eines großen und wirksamen Landfriedens die Gegner der Vergangenheit zu binden und die Gegner in der Zukunft unschädlich zu machen. Zur wirksamen Demokratie gehört die Bereitwilligkeit, unter allen Umständen in dem Nachbarn und
Volksgenossen den Bruder und Freund zu sehen. Sie merken aus sich selbst heraus, meine Damen und Herren, wieviel in uns gegen diese Zumutung rebelliert, wie wir unter unseren Affekten leiden und kaum vergessen können. Es ist unhaltbar, in einer derartigen Stunde der deutschen Öffentlichkeit das Spektakelstück vergossenen Blutes, und sei es das von Verbrechern, zu geben; Sie können nicht den Frieden und die Versöhnung predigen und gleichzeitig — durch Presse, durch Rundfunk, mit allen Möglichkeiten — dem sensationslüsternen Volk, unkontrolliert, von einer Presse, der weitgehend die Verantwortung dazu fehlt, die Gelegenheit geben, sich mit dem Vorgang des Tötens und Hinrichtens zu befassen. Die Aufgabe, vorbildlich für Frieden und für Versöhnung innerhalb unseres Volkes zu sein, verbietet uns, barbarische Sühne- und Vergeltungsmaßnahmen in Deutschland ablaufen zu lassen.
— Herr Kollege Baumgartner, ich habe vorhin als Ausgang meiner Betrachtungen nicht nur dialektisch festgestellt, daß unser abendländisches Recht säkularisiertes Christentum ist, und ich halte es nicht für nötig, einen Vertreter der Bayernpartei auf die Offenbarung hinzuweisen.