Rede von
Dr.
Thomas
Dehler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Ich beneide die Antragsteller darum, daß sie in dieser Zeit vornehmlich von dieser Frage erfüllt sind und es als eine Hauptsorge sehen, daß künftighin in unserem jungen
Staate, wir wollen einmal sagen: mehr geköpft werde.
Hier wird ein Problem angerührt, das mir so bedeutsam erscheint, daß ich es nicht für richtig halte, diese Frage mitten in den anderen Sorgen, von denen wir erfüllt sind, aufzuwerfen und zu behandeln. Die Diskussion bewegt alle kultivierten Staaten seit ungefähr zwei Jahrhunderten, seitdem ein wirklich mutiger Mann, Cesare Beccaria, Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gegen die Härte der Strafen und insbesondere gegen die Härte der Todesstrafe aufgetreten ist. Beinahe in jedem Land hat diese Frage ein wechselvolles Geschick gehabt, sehr abhängig von der augenblicklichen politischen Situation, oft von dem Willen der politischen Machthaber. Man braucht sich nur die Dinge in Rußland zu vergegenwärtigen: zehn Tage nach der Abdankung des Zaren Nikolaus II. — Abschaffung der Todesstrafe. Kerenski kam ans Ruder — Einführung der Todesstrafe. Lenin hat in seinem Programm als wichtigsten Punkt die Abschaffung der Todesstrafe aufgestellt. Kaum waren die Bolschewiken am Ruder, so wurde, wie wohl noch niemals in der Geschichte, durch den Staat getötet und gemordet.
Jetzt, kurz nach dem Kriege, Abschaffung der Todesstrafe durch das Präsidium des Obersten Sowjets. Vor wenigen Wochen Wiedereinführung gegen die Täter, die angeblich Sabotage treiben und sich sonst gegen den Staat vergehen. So oder so ähnlich ist es mit dieser Frage überall.
Meine Damen und Herren! Ich möchte vorschlagen, daß der Bundestag zumindest auf eine andere Zeit wartet, bis er die Frage erörtert. Ich werde Ihnen in absehbarer Zeit den Entwurf einer Reform des Strafrechts vorlegen.
Ich kann das nicht datieren; es wird aber keinesfalls länger als eineinhalb bis zwei Jahre dauern. Ich meine, dann wäre die gegebene Zeit, sich über die Wiedereinführung der Todesstrafe schlüssig zu werden. Das ist mein Vorschlag.
Ich möchte mich nun aber gegen ein Argument des Herrn Antragstellers wenden, und ich möchte fast meinen, daß hinter diesem Antrag eine bestimmte Tendenz steht. Das Entscheidende dieses Antrages ist ja die Behauptung, der Parlamentarische Rat habe keine Kompetenz zur Entscheidung dieser Frage gehabt.
Man stellt hier die Behauptung auf, der Parlamentarische Rat sei gar nicht gehörig zusammengesetzt gewesen, er sei nicht vom Volke gewählt worden, ja, man versteigt sich so weit, daß man behauptet, dieser Parlamentarische Rat sei auf Befehl der Militärregierungen tätig gewesen.
Nicht in meiner Eigenschaft als Minister, aber als Mitglied des Parlamentarischen Rates wende ich mich gegen diesen Vorwurf, der das Werk des Parlamentarischen Rates auf das gröblichste entwerten und die Grundlage unserer staatlichen Existenz annagen würde. Es ist nicht wahr, daß der Parlamentarische Rat auf Weisung der Militärregierung tätig gewesen sei.
Das ist nicht richtig! Der Parlamentarische Rat hat
aus sich das Bewußtsein der eigenen Verantwortung gehabt, er hat das Mandat des deutschen Volkes erfüllt und aus dieser Überzeugung heraus gehandelt. Die Militärregierungen hatten uns lediglich ein Stück unserer demokratischen Freiheit freigegeben. Ich habe das Empfinden, daß hier ein Antrag gestellt wird, um zu versuchen, an einem an sich unschuldigen Punkte unser Grundgesetz zu entwerten.
Meine Damen und Herren, man kann nicht verlangen, daß dieses Grundgesetz mit Liebe und mit Ehrfurcht entgegengenommen wird. Dafür ist es zu jung, und dafür sind die Umstände, unter denen es zustandegekommen ist, vielleicht zu wenig regulär gewesen. Aber eines darf man verlangen, wenn man nicht von vornherein die Axt an die Wurzel unseres Staates legen will, daß man diesem Grundgesetz mit Fairneß und mit Loyalität gegenübertritt, daß man diesem jungen Staat die Möglichkeit des Lebens gewährt.
Darin sehe ich die böse Tendenz dieses Antrags: Man will diese Autorität nicht anerkennen, man will diesem Grundgesetz keine Chance geben. Lassen Sie uns doch auch bei dieser Bestimmung einmal abwarten, wie die Entwicklung sein wird,
sprechen wir auch über die Frage, ob sich die Abschaffung der Todesstrafe bewährt hat oder nicht, in ein oder in zwei Jahren! Warum diese Überstürzung? Nur aus der Tendenz heraus, die ich Ihnen angedeutet habe.
— Meine Damen und Herren, was das Volk will, — —
— Ich antworte Ihnen.
Wir haben in Bayern in dem Vertrauen auf das Rechtsgefühl des Volkes das Schwurgericht in der alten Form wieder eingeführt, damit das Volk über Schuld oder Nichtschuld entscheidet. Sie haben gesehen, was sich in der letzten Woche in München ereignet hat.
Haben da diese zwölf Geschworenen des Münchener Schwurgerichts in der Sache Schäfer und Lebküchner das richtige Rechtsgefühl gehabt? Sie sind der Verantwortung ausgewichen.
Ich glaube, es gibt ein höheres Maß des Rechtsgefühls, als es das dumpfe, triebhafte Verlangen nach der Todesstrafe darstellt. Meine Damen und Herren, wir wollen doch nicht über Dinge diskutieren, die letztlich nicht diskussionsfähig sind. Die Einstellung zur Todesstrafe ist keine Frage der ratio und des Intellekts, sondern ist eine Frage der letzten persönlichen Entscheidung des einzelnen. Und ich sage: zu meiner liberalen und humanen Auffassung gehört die Abschaffung der Todesstrafe.