Rede von
Moritz-Ernst
Priebe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir als Vertreter des Landkreises, der wohl am allerstärksten von allen Landkreisen durch den Zustrom der Grenzgänger belastet ist und auch in Zukunft belastet werden wird, zu dieser Frage, die wir hier angeschnitten haben, Stellung zu nehmen.
Der Landkreis Uelzen, dessen Bevölkerung auf mehr als das Doppelte durch den Zustrom der Flüchtlinge angewachsen ist,
der Landkreis Uelzen, dessen Wohlfahrtslasten einen geradezu ungeheuren Umfang angenommen haben, dessen finanzielle Lage trostlos genannt werden kann, der Landkreis Uelzen, dessen Mehrheit im Kreistag von der Deutschen Partei, den Freien Demokraten und der Christlich-Demokratischen Union gestellt wird, dieser Landkreis Uelzen, der besser als kaum ein anderer die Lage der Illegalen kennt, ist einmütig der Ansicht, daß wir nicht das Recht haben, denjenigen unsere Hilfe zu versagen, die im westdeutschen Bundesgebiet Zuflucht suchen. Wenn ich zu Beginn des vergangenen Winters für nötig gehalten habe, einen Aufruf zu veröffentlichen und um Hilfe für die sogenannten Höhlenbewohner zu bitten — und an dieser Stelle möchte ich all den Freunden im In- und Auslande meinen Dank sagen, die wesentlich dazu beigetragen haben, den Notleidenden zu helfen und wenn wir uns darüber klar sind, daß sehr viele es nicht verdienen, unterstützt zu werden, so wissen wir doch, daß keine Stelle, keine Länderkommission in der Lage ist, gerecht zu beurteilen, wer aufgenommen werden dürfte und wer zurückgewiesen werden müßte; und wir glauben, daß wir nicht das Recht haben, als Deutsche Deutsche abzuweisen, solange wir vom Auslande für uns Hilfe verlangen. Wenn wir hier die Hilfe des Auslandes in Anspruch nehmen wollen dann sollten wir uns auch verpflichtet fühlen, dem deutschen Bruder und der deutschen Schwester beizustehen.
Wir glauben weiter, daß wir nicht das Recht haben, hier von Menschlichkeit zu sprechen, daß wir nicht das Recht haben, von Freiheit zu sprechen,
wenn wir die Deutschen, die in der Sowjetzone
wohnen, als Menschen zweiter Klasse betrachten.
— Wir tun es in dem Augenblick, in dem wir diejenigen, die in dieser Volksvertretung auch ihre Vertretung sehen, zurückweisen,
und ich möchte Sie gerade, meine Herren von der Christlich-Demokratischen Union, fragen, wie Sie als Christen glauben, — —
Das glaube ich beurteilen zu können, weil ich noch nie ein Hehl daraus gemacht habe, daß ich mich ebenfalls als Christ betrachte.
— Aber bleiben wir nüchtern!
In der Zeit von August 1949 bis Februar 1950 hat
die Aufnahmekommission. im Lager Uelzen etwa
50 000 Aufnahmeanträge vorliegen gehabt; etwa
25 000 Aufnahmesuchende sind zurückgewiesen
worden. Diese 25 000 Aufnahmesuchenden haben
sich zum allerkleinsten Teile in die Ostzone zurückbegeben. Die meisten sind im Landkreis Uelzen
geblieben und haben sich von dort aus in die übrigen Kreise Niedersachsens und in die der anderen
Länder begeben. Trotz der Abweisung ist Niedersachsen, ist das westdeutsche Bundesgebiet auch
weiterhin mit diesen Leuten belastet geblieben,
und ich bin überzeugt, daß sich kein deutscher Polizist finden wird, der einen deutschen Menschen,
welcher nichts verbrochen hat, tatsächlich zwangsweise über die Grenze zurücktransportieren wird.