Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vereinbarungsgemäß hat unsere Fraktion zur Einbringung und Begründung dieser Gesetzesvorlage nur fünf Minuten Redezeit zugemessen erhalten. Wir begrüßen diese Regelung. Es ist über diese Angelegenheit genug gesprochen worden. Ich darf mich darauf beschränken, in dieser kurzen Frist die Grundgedanken unserer Gesetzesvorlage vorzutragen.
Diese Gesetzesvorlage geht von einer grundsätzlichen Idee aus. Nach Auffassung der Fraktion der Deutschen Partei kommt es darauf an, daß die Bundesrepublik Deutschland eine Verständigungspolitik nach außen treibt, die auf einer Politik der sozialen Befriedung nach innen begründet ist. Der Gedanke, der dieser Gesetzesvorlage zugrunde liegt, ist die Beseitigung zweier politischer Klassen, wie sie aus der Entnazifizierungsgesetzgebung in den vier Zonen hervorgegangen sind. Wir wünschen keine soziale und politische Minderung unter den Staatsbürgern wegen eines politischen Irrtums. Wir wünschen auch nicht, daß in der deutschen Rechtsentwicklung ein politisches Strafrecht Platz greift. Für die Bestrafung im strafrechtlichen Sinn kommen nur die im Gesetz als solche bezeichneten Straftaten in Frage. Wir wünschen also mit dieser Gesetzesvorlage eine Bereinigung, einen klaren Schlußstrich unter eine unselige Vergangenheit.
Wir sehen diese Vorlage, die auf eine Beendigung der Entnazifizierung und eine politische Amnestierung ihrer Folgen hinausläuft, allerdings unter einem sehr wichtigen Aspekt. Es kommt darauf an, daß diese junge Demokratie, die aus dem Nichts zu begründen ist, eine echte Autorität aus sich selber und aus der unbedingten Achtung des Rechts entwickelt. Eine Demokratie — insbesondere eine Demokratie im 20. Jahrhundert — bedarf einer echten, aus der Achtung des Rechts und aus der Achtung vor der Persönlichkeit und durch die Persönlichkeit geborenen Autorität. Deswegen sind wir nicht bereit und beabsichtigen auch nicht, mit dieser Gesetzesvorlage die Zügel gewissermaßen freizugeben, um die Pferde durchgehen zu lassen. Wir sehen diesen großzügigen und mit voller Entschlossenheit zu setzenden Schlußstrich unter dem Gesichtspunkt, daß es zugleich gelingt, alle die nötigen Schutzmaßnahmen für diese junge Demokratie zu entwickeln, die erforderlich sind, um sie in der rechten Autorität erwachsen zu lassen.
Daher begrüßen wir den Versuch, diese Gesetzesvorlage durch ein Schutzgesetz - d. h. so, wie es die Regierung durch eine Novelle zum Strafgesetzbuch vorgelegt hat — auszubalancieren. Wir sind uns allerdings dabei zugleich bewußt, daß die Autorität nicht allein durch Gesetze, sondern durch die Grundsubstanz der Persönlichkeiten geschaffen wird, die eine solche Demokratie verkörpern, die vorbildlich wirken, vorbildlich in ihrem eigenen Persönlichkeitswert und vorbildlich auch in der Handhabung der Institutionen, die eine Demokratie entwickelt.
Diese allgemeinen Grundsätze der Gesetzesvorlage möchte ich nun noch kurz juristisch erläutern. Der Zweck der Vorlage ist, das in den
vier Zonen aufgesplitterte Recht auf einen Gene-' Talnenner zu bringen. Wir sind dabei sehr realistisch vorgegangen und wissen, daß dieses auf dem Hintergrund unserer unseligen Vergangenheit geborene Unrecht nicht in irgendeinem Illusionismus zu einer Beendigung gebracht werden kann. Nicht das Aufstellen blutleerer Ideale, sondern die klare juristische Technik, die aus dem Gewordenen erwächst, ist hier erforderlich. Dabei kam es uns darauf an, Maßnahmen und Möglichkeiten zu finden, um die auch heute strafwürdigen Vergehen, d. h. die echten strafrechtlichen Tatbestände, von den Tatbeständen des politischen Irrtums genau zu trennen und auch verfahrensmäßig zu sondern. Der Zweck dieser Maßnahmen ist — ich fasse nochmals zusammen Beendigung der Entnazifizierung und politische Amnestie für die Folgen eines politischen Irrtums, soweit hieran Folgen in bereits abgeschlossenen Verfahren geknüpft worden sind.
Gegen diese Gesetzesvorlage steht die grundsätzliche Auffassung, ob der Bund überhaupt zuständig ist oder nicht. Meine Damen und Herren, ich wünsche — und ich spreche hier im Namen unserer Fraktion daß der Bundestag dieser
juristischen Zuständigkeitsfrage willen nicht vor der schicksalhaften Bedeutung der Beendigung der Entnazifizierung ausweicht. Weichen Sie nicht aus!
Es gibt eine Möglichkeit. Ich gebe zu: das Justizkollegium, in dem die Ländergesetzgebung koordiniert wird, ist schon sehr weit fortgeschritten. Der Herr Justizminister hat das sehr eingehend dargelegt. Aber wenn man tatsächlich zu der Auffassung gelangen sollte, der Bund ist hier nicht zuständig - aus Gründen grundsätzlich föderaler Einstellung —, so bitte ich doch, sich einer Rechtsfigur zu erinnern, die vor 1870 sehr segensreiche Gesetzgebungswerke in dem damals noch nicht staatlich zusammengefaßten Deutschland ermöglicht hat: die allgemeine Gesetzgebung im Sinne des gemeinen Rechts. Es kommt darauf an, daß der Bundestag hier für ganz Deutschland, d. h. für die Bundesrepublik Deutschland einheitliche Auffassungen begründet. Dann mögen - sollte man wirklich auf der Auffassung bestehen, daß der Bund nicht zuständig sei - die Länder einheitlich dieses vom Bundestag und den Organen der Bundesgesetzgebung erarbeitete Gesetz als ein allgemeines Gesetz zur Annahme bringen. Gerade in dieser Frage kommt es darauf an, daß wir zu einer einheitlichen Auffassung zur Gesundung, zur Bereinigung und zur Stärkung unseres Rechts kommen.