Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir zunächst eine selbstverständliche Pflicht, auf den heutigen Vormittag zurückzukommen. Ich habe das Meinige versucht, um von vornherein ungefähr die zeitliche Disposition dieses Hohen Hauses festzustellen. Gerade deswegen hatte ich die Fortsetzung der Beratungen in Düsseldorf nicht am heutigen Nachmittag, sondern am heutigen Vormittag beantragt. Ich glaube, der Herr Kollege Mellies — wenn mir dieses persönliche Wort gestattet ist — wird mich wahrhaftig nicht als jemanden kennen, der eine Verletzung der Formen, am allerwenigsten gegenüber dem höchsten Vertreter des deutschen Volkes, anstrebt oder auch nur sie zu begehen fähig wäre.
Verzeihung, ich hatte das vorher bekanntgegeben, Herr Mellies.
Zur Sache möchte ich aber folgendes sagen. Es wird in der heutigen Zeit — auch die Herren Abgeordneten kennen ja die ewige Überschneidung verschiedener Aufgaben — sehr oft vorkommen, daß Pannen passieren. Und wenn gefragt wird, ob das heute morgen so nötig war, so sage ich Ihnen: jawohl, es war notwendig. Denn es war mir heute morgen in jenem Düsseldorfer Gremium zum erstenmal möglich, ernstlich über die Frage der deutschen Stahlerzeugungskapazität, über die Notwendigkeit der Wiedererrichtung einer Breitbandstraße, über die Zusammenhanglosigkeit unseres Produktionsprogramms für Spezialbleche usw. zu sprechen.
— Herr Kollege Rische, solche Zwischenrufe von Ihnen sind für die Fortführung der von mir vorzutragenden Gedanken unerheblich, im übrigen allein deswegen, weil die Beschäftigung mit „gelobten Ländern" Herrn Rische in die Lage. versetzt hat, daß er nicht einmal weiß, wo der Sitz der Ruhrbehörde ist, und daß er weiter bei den Erzählungen über den Inhalt des ECA-Vertrages ganz offenbar in eine falsche Schublade geraten ist.
Denn er hat Dinge erzählt, die überhaupt nicht drinstehen. Ich glaube also, es verlohnt sich, auf die Äußerungen von Herrn Rische nur insofern einzugehen, als sie bestrebt sind, von den üblichen, bekannten Deklamationen abgesehen, Dinge bewußt falsch darzustellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist aus ganz bekannten propagandistischen Gründen das Wort von der Rohstoffausfuhr gefallen. Ich möchte demgegenüber feststellen, jeder von uns im Hause — außer Ihnen — freut sich, wenn wir auf dem Weltmarkt unseren Platz bei der Ausfuhr von Kohle, von bestimmten Stählen usw. behalten. Man soll doch dem deutschen Volk eine solche Unkenntnis der Dinge nicht zumuten. Der deutsche Arbeiter weiß von diesen Dingen mehr als Sie, Herr Rische.
Dann ist wieder einmal ein zweites Wort gesagt worden. Ich weiß, daß es Ihnen nicht paßt, wenn dieses Land sich selbst hilft. Ich weiß, daß es Ihnen nicht paßt, wenn man den Raub im Osten mit Darlehen oder Geschenken aus dem Westen vergleicht. Darüber bin ich mir im klaren. Aber Sie sollten doch bestimmte Tatbestände nicht so entstellend darzustellen versuchen. Wenn wir liberalisieren, dann tun wir das in keiner Weise auf den Befehl der anderen, sondern weil wir wissen, nur auf diese Weise können wir die gewerbliche Produktion soweit wie immer möglich ausdehnen.
Nur wenn wir das können, werden wir für die vielen, vielen Menschen, die als Opfer des gelobten Landes des Herrn Rische zu uns flüchten müssen, zusätzlich Brot bekommen.
— Es kommt der übliche Zwischenruf mit der Landwirtschaft. Daß nun plötzlich die Kommunistische Partei sich als Sachwalter der Landwirtschaft aufführt, das dürfte von der Landwirtschaft selber am lautesten abgewehrt werden.
Aber ich will mich ja nur mit Dingen befassen, die für Sie ganz charakteristisch sind. Da kommt zum Beispiel eine Frage, die ins Persönliche geht, die also deswegen in dieses Hohe Haus nicht hineingehört, Herr Rische, wenn man politischen Anstand wahren will. Das ist die Frage derjenigen Beträge, die an das Weltwirtschaftliche Institut in Kiel überwiesen worden sind. Sie sind deswegen überwiesen worden, weil wir in Deutschland keine
andere wissenschaftliche Anstalt haben, die die dort behandelten Fragen mit solcher Gründlichkeit, Sachkenntnis und Qualität behandelt.
— Nicht meiner Ansicht nach, sondern nach der Ansicht dieses ganzen Hauses, soweit es sich mit diesen Dingen befaßt. Im übrigen mag die Einbeziehung von Männern, die wahrhaftig für Deutschland, auch draußen, schon allerhand geleistet haben, mit ihrem' Namen in eine derartige persönliche Verdächtigung Ihnen vorbehalten bleiben.
Ein zweiter, ganz klassischer Fall ist die Behauptung: Ja, es wird uns ja gar keine Möglichkeit der Einsicht gegeben; da wird irgendwo ein geheimnisvolles Kontor aufgemacht.
— Was ich aus Washington mitgebracht habe, Herr Rische, das hatte allerdings eine Unbefangenheit des Geistes zur Voraussetzung, die Ihnen verboten ist, weil sie für Sie zu gefährlich wäre.
Dieses Kontor würde nämlich eine gewisse Arbeit erfordern, wenn man seine Aufgabe verstehen wollte. Es hat gar nichts anderes zu tun, als die von den sachlich verantwortlichen, federführenden Ministerien gegebenen Anweisungen hinsichtlich des Einkaufs, der Einfuhr, der Bezahlung und Verrechnung auszuführen; weiter gar nichts. Das ist also dieses geheimnisvolle Kontor.
Was im übrigen den Verbleib der Mittel betrifft, so bin ich hier bei einem Thema, das ich ganz kurz behandeln darf. Die Gegenwertmittel werden ebenso in einem eigenen, von meinem Ministerium vorzulegenden Gesetz hinsichtlich ihrer Behandlung wie das Gegenstück zu der Verbleibskontrolle behandelt werden, was ebenfalls im Gesetz sein wird.
— Was wir schuldig bleiben, das kommt auf die Klugheit des deutschen Volkes an. Wenn es sehr klug ist, dann werden wir 'zu Ihrem Entsetzen vielleicht den größten Teil dieser Zuwendungen geschenkt bekommen.
Aber wenn wir dumme Reden halten, und wenn wir Leute dafür, daß sie uns helfen, in einer derart unflätigen Weise behandeln, dann könnte es Ihnen passieren, daß Sie tatsächlich bezahlen müssen.
— Herr Renner, handeln Sie — ich kenne doch Ihre Intelligenz —
handeln Sie doch nun nicht auf Befehl gegen besseres Wissen. Dann würde ich an Ihrer Stelle lieber schweigen.
— Ich weiß, daß über gute Manieren zwischen uns immer Meinungsverschiedenheiten bestanden haben.
Meine Damen und Herren! Dabei bin ich aber bei der Frage der Existenz des Ministeriums. Von
den großen Parteien hat die Sozialdemokratische Partei den schon von meinem Vorredner erwähnten Antrag gestellt. Es ist daher notwendig, über die Aufgaben dieses Ministeriums einiges zu sagen. Es ist nicht so, daß Doppelarbeit zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem meinen geleistet wird. Es ist vielmehr so, daß die Entwicklung in der Bearbeitung des Marshallplans und seiner Folgen
immer stärker von der Vorlage rein nationaler autarker Programme zu der Bearbeitung gesamteuropäischer wirtschaftlicher Angelegenheiten fortgeschritten ist. Gerade das, was wir zu besorgen haben, ist heute nicht mehr das, was Sie einmal so sehr im Jahre 1948 gequält hat, mit all diesen unmöglichen Prophezeiungen von long-term-Plänen und anderen. Was wir heute zu tun haben, das sind Untersuchungen an Dutzenden von Stellen über die Möglichkeit der Zusammenfassung europäischer wirtschaftlicher Bemühungen.
Das ist das eine, und wenn wir dabei wirklich amerikanische Finanzhilfe bekommen, will ich Europa gratulieren.
Das zweite, was zu tun ist: wir stehen, wie Sie alle im Hause wissen, vor der ganz entscheidenden Aufgabe. die übelsten Folgen der letzten beiden großen Kriege zu beseitigen. Es ist also praktisch die Frage die, wie schaffen wir wieder in einem möglichst großen Teile der Welt einen funktionierenden Verrechnungsverkehr.
Was wir weiter zu tun haben, ist das folgende. Sie wissen, daß diese außerordentliche umfangreiche Hilfe nur gegeben wird, wenn die Gewähr dafür 'besteht, daß tatsächlich nach den Anträgen die gegebene Hilfe — sowohl was die Materialien, als auch was die aus den Gegenwerten hergegebenen Darlehen betrifft — verwendet wird. Es kommt darauf an, diese Dinge bis ins Äußerste zu kontrollieren.
Intern ist aber die Hauptaufgabe, daß nicht eine divergierende Politik der verschiedensten Stellen gemacht wird, sondern daß an einer Stelle immer wieder einträchtig die Ressorts zusammenarbeiten und den gesamten großen Durchschnitt durch die Volkswirtschaft unseres Landes legen und daß wir unsere Stellungnahme, gemeinschaftlich von einem zusammengefaßt, zu den Problemen der Liberalisierung, der europäischen Zahlungsunion usw. erarbeiten. Daß diese Dinge dann draußen vertreten werden müssen, ist selbstverständlich, einmal in Paris bei der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit, auf der andern Seite aber auch in Washington.
Washington hat seit Januar die weitere große Aufgabe, Einkauf und Verschiffung der Einfuhrwaren, die immer mehr in unsere Hände übergehen, vorbereitend zu organisieren, damit sie später völlig unbeeinflußt von den deutschen Importeuren übernommen werden können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich z. B. nur zahlenmäßig die Ergebnisse der selbständigen Verfrachtung in den letzten wenigen Wochen Ihnen vorrechnen würde, dann bliebe schon jetzt nach 3 oder 4 Wochen Anlauf, seitdem unsere eigenen Kontrakte abgewickelt werden, von Aufwendungen für dieses Ministerium nichts mehr übrig. Im Gegenteil, es käme noch ein ganz schöner Überschuß heraus, und den wollen wir einmal auf
das Jahr umrechnen. Daß wir auf der anderen Seite — das sage ich mit allem Nachdruck — nicht in der Lage sind, die deutschen Interessen ebenso zu vertreten, wie die anderen Marshallplanländer dies tun, wenn wir nicht angemessen ausgestattete und zusammengestellte Vertretungen in Paris und Washington haben, ist eine Selbstverständlichkeit, die ich nur anzudeuten brauche. Wer hier am schlechtesten arbeitet, wird auch am allermeisten zurückbleiben.
Wer an die Zukunft denkt, der sieht noch etwas anderes. Diese ganze Pariser Arbeit kann nicht nur im Zeichen des Marshallplans gesehen werden. Diese ganze Pariser Arbeit ist nach meiner Auffassung die allerbeste Vorarbeit für die wirtschaftliche Integrierung Europas.
In dieser Richtung wächst sie von Tag zu Tag und von Woche zu Woche, und in dieser Beziehung steigt auch erfreulicherweise die Qualität der einzelnen Arbeitsergebnisse.
Meine Damen und Herren! Daß diese eigenartige Position des Ministeriums auch mir nur einen Wunsch übrig läßt, daß es nämlich in dem Augenblick überflüssig wird, in dem wir auf eigenen Füßen stehen können und eine organisierte außenpolitische Vertretung haben, das leugne ich am allerwenigsten. Im Augenblick brauchen wir es.
Ein weiteres Wort. Ich sage das, was mich persönlich betrifft, höchst ungern — ich könnte mir für mich persönlich reizvollere Aufgaben vorstellen —, aber ich bin dienstlich gezwungen, hier auch etwas auszusprechen, was mir selbst für mich persönlich nicht verlockend erscheint. Und daher die Feststellung: Sachlich hat die Arbeit nichts im Wirtschaftsministerium zu tun. Denn sonst bekämen wir sehr leicht zwei Möglichkeiten nicht, nämlich die ebenso starke Berücksichtigung der gesamteuropäischen Zusammenhänge u n d das Überwinden aller nun einmal bei dem Aufbau einer jeden menschlichen Einrichtung zu befürchtenden Ressort-Sehnsüchte. Es muß koordiniert werden, und es muß hier eine speziell auf die europäischen Dinge ausgerichtete Einrichtung bestehen; es muß aber vor allen Dingen die Kenntnis der deutschen wirtschaftlichen Dinge, die Kenntnis der deutschen wirtschaftlichen Bedürfnisse, die Kenntnis der Vorgänge hier im Lande und ihrer Gründe, soweit sie auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Finanzen liegen, in Paris und in Washington vertreten werden. Dazu wird von uns erwartet, daß wir dasselbe an Material aufbringen wie die anderen Länder.
Sie sehen diese nicht alltägliche Verteilung der Aufgaben am besten an den Ausgaben: Nehmen Sie den Gesamtetat dieses Ministeriums, dann entfallen auf Deutschland rund 700 000 DM auf die Organisation für europäische Zusammenarbeit, also auf die OEEC, die eben wiederholt genannten 1620 000 DM, und es entfallen auf die Auslandsvertretungen einschließlich der einmaligen Aufwendungen — damit sie eine Bleibe haben — rund 1 600 000 DM. Das ist kein Zufall, daß die Kosten dieses meines Ministeriums im Lande nur bei 700 000 DM liegen. Es ergibt sich aus der ganzen Zielsetzung und den Aufgaben.
Ich darf schließen. Ich glaube, wir würden, wenn wir nicht ein Äußerstes täten, um unsere Arbeit so zu leisten, wie sie von uns erwartet wird, ein gutes Stück für die Fundierung eines wirtschaftlich( einigen Europas nicht tun.