Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Zinn veranlassen mich, doch noch ein paar grundsätzliche Worte zu dieser Angelegenheit zu sagen, die uns allen am Herzen liegt. Der Herr Kollege Zinn hat, indem er einige außerordentlich betrübliche Beispiele deutscher richterlicher Rechtsprechung zitiert hat, doch wieder ein-
mal glaube ich, den Teufel an die Wand, gemalt.
könnte Ihnen dafür Tausende von Ut teilen sagen, die von deutschen Richtern streng und gut nach dem Recht gesprochen worden sind. Ich will ja gar nicht allen Bemühungen entgegentreten. derartige Urteile in Zukunft möglichst unmöglich zu machen, aber ich fühle mich zur Ehre des deutschen Richterstandes verpflichtet, auf einige Dinge hinzuweisen.
Ich darf vielleicht mit dem Hinweis darauf beginnen, daß es Adolf Hitler war, der vielleicht keinen deutschen Berufsstand so sehr in jener berüchtigten Rede verunglimpft hat, wie gerade den hat, wie gerade den deutschen Richterstand.
Ich weiß genau, daß es ein großer Teil der deutschen Richter war, die in ihrer Rechtsprechung wirklichen energischen Widerstand gegen die Tendenzen des Dritten Reiches geleistet haben. Es wäre nicht nötig gewesen, Leute, nachdem sie von einem deutschen Strafgericht freigesprochen worden waren, an der Treppe des Gerichts von den Schergen ins KZ abholen zu lassen, wenn diese Richter so schlecht gewesen wären, wie Sie sie jetzt machen wollen. Ich- sage das aus folgenden Gründen. Die Justizkrise, von der nun schon so lange in Deutschland die Rede ist, wird nicht dadurch verbessert, daß wir die Dinge übertreiben. Wir müssen doch die Kirche im Dorf lassen. Wir müssen sehen, wie die Dinge wirklich liegen, wo die Wahrheit ist, und da sollten wir uns nicht auseinanderreden.
Sie haben den Geist Montesquieus beschworen. Sie haben recht, Herr Kollege Zinn: Montesquieu hat seinen Ruf „tout serait perdu" auch dagegen geschleudert, daß der Richter unabsetzbar sei, aber gerade in diesem Punkt hat ihm die Geschichte unrecht gegeben. Während das 19. Jahrhundert sonst seine ganze politische Konzeption angenommen hat: diese hat es abgelehnt, und ich glaube_ — die Geschichte hat uns darüber belehrt —: mit Recht abgelehnt. Auch in England gibt es noch jene Klausel, daß Richter unabsetzbar seien, „quamdiu se bene gesserint" — solange sie sich recht aufführen. Aber seit Jahrhunderten hat man drüben die Unabhängigkeit eines Richters nicht angetastet, obwohl theoretisch das Recht dazu bestand, weil dieses politisch kluge Volk weiß, was es daran hat, daß seine Richter wirklich königliche, wirklich unabhängige Richter sind.
Nun aber sagen Sie: was nützen uns unabhängige Richter, wenn diese unabhängigen Richter nicht innerlich unabhängig sind? Sie haben recht, Herr Kollege Zinn; aber wie schwer haben es diese Richter gehabt! Darf ich Sie daran erinnern, daß nicht zuletzt auch aus dem Kreis der sozialdemokratischen Rechtstheoretiker, wenn ich so sagen darf, jene furchtbare Lehre von der normativen Kraft des Faktischen entwickelt worden ist? Jene Lehre, die da sagte: Recht hat, wer die Macht hat.
Denn das bedeutete es ja. Es war erschütternd für mich, zu sehen —
- doch, so war es letztlich! —, wie ein von mil
verehrter Mann wie Gustav Radbruch am Ende
seines Lebens nun doch mutig eine Vorlesung ansetzte, die wieder jenes alte verpönte Wort vom
Naturrecht aufnahm, das ein „anständiger" Jurist am Ende des vergangenen Jahrhunderts gar nicht mehr in den Mund nehmen durfte, wenn er nicht von seinen Kollegen verachtet werden wollte. Es ist doch jene Lehre von der ewigen Wandelbarkeit des Rechts nach den jeweiligen Auffassungen der jeweiligen Mehrheit, die das Unheil geschaffen hat, die das Recht entleert hat und die das Recht zum Spielball der politischen Machthaber gemacht hat. Wie schwer haben es daher diese Richter gehabt, die, von einem politischen System ins andere hinüberwechselnd, das Recht anzuwenden hatten. Die Krise liegt in der Tat tiefer, als das hier in den Diskussionen mitunter in Erscheinung zu treten vermag. Es liegt an der großen weltanschaulichen Krise unserer Zeit, die eben auch das Richtertum mit erfaßt hat. Gerade im Richtertum muß es sich am allerstärksten zeigen.
Ich habe jüngst in diesem Hause davon gesprochen, daß wir, wenn wir alle es mit der Demokratie ernst meinen, dann wirklich versuchen sollten, uns ein ideologisches Existenzminimum zu erarbeiten. Das gilt auch für die Rechtsprechung. Ich will nicht Herrn Kollegen Greve den Vorwurf machen, daß er seine Anklage gegen das Richtertum allgemein nur etwa aus parteipolitischen Gesichtspunkten vorgetragen hätte. Aber natürlich klang bei ihm, es kann ja gar nicht anders sein, sehr stark durch — er sagte, daß die Richter die sozialen Spannungen nicht begriffen -, daß er nun einmal eine sozialistische Konzeption der Demokratie hat. Das ist sein gutes Recht. Aber es ist auch das gute Recht der anderen, eine andere Konzeption der Demokratie zu haben.' Was verlangen Sie denn vom Richter? Der Richter, der unabhängig sein soll, muß wirklich über der Parteien Streit und Haß stehen. Das ist ein unendlich schweres Amt, und wir sollten ihm dieses Amt nicht noch dadurch schwer machen, daß wir eine übertriebene Kritik an seiner Arbeit üben.
Nichts soll uns daran hindern. bei der jetz kommenden Arbeit der Justizreform, etwa gemeinsam in den Ausschüssen, alles zu tun, um derartige furchtbare Beispiele richterlicher Verirrung - und vielleicht sogar richterlicher Verbrechen — in Zukunft in unserem Volk unmöglich zu machen. Aber ein ernstes Wort muß ich noch einmal wiederholen. Es ist nun einmal nicht anders möglich, das Recht zu achten, als dadurch, daß man sich entschließt, einen Rechtspruch hinzunehmen, auch wenn er einem zunächst nicht paßt. Das ist eben das Wesen der Rechtskraft, die um des Friedens, um des Gemeinsamen willen in Kauf nimmt, daß einmal im einzelnen richterlichen Spruch Unbill gesprochen wird. Das ist das Wesen der Rechtskraft, und das muß uns alle zusammenhalten; denn wir werden immer und immer wieder in einer ganzen Reihe von Fragen sachlich auseinandergehen. Hier liegt wirklich eine Gefahr, und, Herr Kollege Zinn, ich sage Ihnen, daß der Warnruf Montesquieus „Alles wäre verloren" in unseren Tagen aufgegriffen werden muß, wenn die Neigung wüchse, aus vielleicht berechtigten und verständlichen Motiven heraus, voreilig von Instanzen Recht sprechen zu lassen, die dazu nicht berufen sind.
Die Legislative soll ihre Aufgabe der Kontrolle, der Überwachung der Justiz, der Überwachung dessen, was in Deutschland an Recht gesprochen wird, ruhig wahrnehmen, aber sie soll sie ruhig, das heißt: in Ruhe und mit Würde wahrnehmen;
und zu allerletzt dürfte es die Legislative sein, die selbst ein Beispiel gibt, daß sie da zur Selbsthilfe greift, wo das Recht diese Selbsthilfe nicht erlaubt. Wenn wir uns nicht gemeinsam dieser wichtigen Haltung erinnern -- denn es ist ja unser Jahrhundert, das doch dazu drängt, diese Schranken zu durchbrechen, diese Ordnungsschranken, die wahrhaftig schwach und kümmerlich genug sind, um den gewaltigen chaotischen Kräften, die in unserer Zeit stecken, Widerpart zu bieten —, wenn wir diese schwachen Schranken niederreißen, kommen wir gar nicht mehr zur Arbeit, denn dann wird das Chaos früher über uns hereinbrechen, als uns lieb ist.