Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich meine, die Debatte würde ins Leere verlaufen, wenn nicht auf die Ausführungen des Herrn Dr. Greve, auch wenn wir heute eine Generaldebatte an sich grundsätzlich nicht führen wollten, von anderer politischer Seite eine Antwort käme.
Er hat zunächst auf unsere Rechtszersplitterung hingewiesen, aber in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, daß das Bundesjustizministerium eine Vorlage mit langen Anlagen eingebracht hat, die durchzuarbeiten etwa einen Tag beansprucht, in der dieser Zersplitterung in allen Justizangelegenheiten nunmehr endgültig ein Riegel vorgeschoben wird, eine gesetzestechnische Arbeit, die in diesem Hause noch nicht das richtige Wort der Anerkennung gefunden hat, das hiermit auszusprechen ich mich, wie ich glaube, namens aller Juristen dieses Hauses berufen fühlen darf.
Diese Vorlage bearbeitet einen Rechtsstoff, der seit
Beginn der Nazirechtsetzung über die Kriegsgesetzgebung und die wesentlich unübersichtlichere
Nachkriegsgesetzgebung in allen deutschen Ländern einen unübersehbaren Wandel erfahren hat,
und baut daraus nun das neue Gebäude der neuen
Einheit unserer Prozeßgesetze auf. Sie behandelt
dabei auch, was Herr Dr. Greve offenbar mangels
Studiums dieser Vorlage noch gar nicht erkannt
hat, insbesondere die Nachwuchsfrage, nämlich im
Gerichtsverfassungsgesetz, indem sie auch hier aus
den verschiedenen Methoden, die sich inzwischen
in den Ländern eingeführt haben, versucht, eine Einheit zu ziehen.
Wenn man also in diesem Sinne über die Notwendigkeit der Vereinheitlichung unseres auseinandergespaltenen, bedauerlich verworrenen Rechts ein Wort spricht, hätte es sich gehört, daß man diese Leistung des Justizministeriums, die in bemerkenswert kurzer Zeit hergestellt worden ist; dankend anerkannt hätte.
Ich hoffe, daß der Bundestag mit derselben Raschheit diese eminent umfangreiche Vorlage verabschieden wird.
Dagegen hat Herr Dr. Greve kritisch bemerkt, daß in dieser Vorlage neue Rechtsgedanken noch nicht hinreichend zu Raume kämen, eine Berner- kung, die unzweifelhaft zutreffend ist. Das hätte ihn nicht merkwürdig berühren können, wenn er auch nur die ersten Worte der Begründung dieser Vorlage flüchtig durchgelesen hätte. Denn da heißt es ausdrücklich, daß in dieser Vorlage, die eilbedürftig ist, weil wir 'uns sonst im Rechtswesen immer mehr auseinander-, statt zusammenleben, nicht Zweifelsfragen angeschnitten werden können, soweit sie sich nicht in dein einen oder anderen Lande in dem einen oder anderen Sinne bewährt haben, daß daher mit Absicht davon abgesehen ist, völlig neues Recht zu schaffen, sondern daß nur beabsichtigt sei, aus den Erfahrungen der letzten 25 Jahre seit der Emmingerschen Novelle im Jahre 1924 die Konsequenzen zu ziehen, also nach einem Vierteljahrhundert wieder unser Recht zu kodifizieren, wie es sich einheitlich darstellt, ohne neues Recht zu setzen. Hätte Herr Dr. Greve noch ein bißchen weiter gelesen, würde er allerdings gefunden haben, daß das Ministerium durchaus der Meinung ist, daß dieses wiederhergestellte und neugefaßte alte Recht nicht der Weisheit letzter Schluß sein könne. Es steht ausdrücklich in der Vorlage, daß allerdings eine große Novelle nötig sei, daß allerdings modernes Recht geschaffen werden müsse, daß dazu aber eine wissenschaftliche und auch eine gewisse Aussprachevorbereitung in den beteiligten Juristenkreisen notwendig ist, um wirklich reife Vorlagen zu schaffen, wobei die Frage, wieweit der Augenblick für solche gesetzliche Neuarbeit der geeignete sein kann, immerhin angeschnitten und erwogen wird. Ich meine daher, daß insofern, was die Modernisierung, darf ich sagen, die Aktualisierung unseres Rechts anlangt, den Herrn Justizminister keinerlei Vorwurf treffen kann, sondern daß wir hier im Hause ihm für das bisher Geleistete, was das allgemeine Recht anlangt, nur dankbar sein können.
Sodann aber hat Herr Dr. Greve wiederholt unter Hervorhebung der außerordentlichen Rechtsbeflissenheit seiner Fraktion das Wort „Rechtsstaat" in den Mund genommen, und ich kann mich des peinlichen Gefühls nicht erwehren, daß auch hier, wie mit dem Wort „Demokratie", wenn man dieselben Silben ausspricht, der eine dies, der andere das meint. Unter Rechtsstaat kann man meines Erachtens, ohne den Begriff zu biegen, nichts anderes verstehen, als daß alle Staatsbürger vor dem Rechte gleich sind, dein gesetzlichen Richter nicht entzogen werden dürfen und daß den Staatsbürgern ebenso wie der Staatsgewalt das Recht gesprochen und zugeteilt wird nach Maßgabe der bestehenden Gesetze durch unabhängige, von keiner
Weisung oder von keiner Richtlinie irgendwie in Zaum zu haltende Richter, die ihrem Gewissen, dem Gesetz und ihrer Verfassungstreue untertan sind.
Das allein ist ein Rechtsstaat. Wieso dieser Rechtsstaat Selbsthilfen, zuläßt, wie wir es im eigenen Saale mit bedrohenden Aktionen und draußen mit direkten Schlägereien erlebt haben, und wie das mit einem Rechtsstaat vereinbar sein soll, ist mir und meinen Freunden unverständlich.
Nun, der Rechtsstaat soll durch- Gerichte gewährleistet werden, die leider oder Gott sei Dank —
— Ganz und gar nicht! Wenn es geschehen sein sollte, was ich nicht weiß, wird es selbstverständlich geahndet werden müssen, das unterliegt überhaupt gar keinem Zweifel, aber von den zuständigen Richtern oder von den Staatsorganen, die nach den Gesetzen dazu berufen sind, nicht aber von Ihnen und nicht von diesem Hause!
Herr Dr. Greve hat nun gebeten, daß der Herr Minister seine rechtspolitische Auffassung über die Frage der Richterernennung bekanntgeben möge. Dieses Gebiet untersteht dem Herrn Minister nur, soweit es die höchsten Bundesgerichte anlangt. Im übrigen ist das nun einmal, wie ich schon sagte, leider oder Gott sei Dank Sache der Länder. Darauf hat also der Herr Bundesjustizminister keinen oder nur höchst geringfügigen Einfluß.
— Das ist er ja gewesen. Heute ist er kein Richter mehr; das war er. Was' aber nun die Frage der Richterpersönlichkeiten anlagt, so bin ich mit Herrn Dr. Greve — zu meinem Erstaunen, darf ich sagen — in einem Punkte einig: Unser Rechtssystem läßt sich nicht überall durch königliche Richter besetzen, wenn wir für unsere Gerichte, so wie heute, eine Überfülle von Richtern nötig haben. Ich weiß nicht, ob das britische System, das man aus der Entfernung vielleicht ziemlich hoch- schätzen möchte, das man aber, wenn man's im eigenen Lande besieht, doch etwas skeptisch zu betrachten sich gewöhnt hat, für deutsche Verhältnisse ohne weiteres erträglich wäre. Jedenfalls sollte man aber den höheren Richtern nur bedeutsame richterliche Aufgaben anvertrauen. Insbesondere müßte man die unleidlicherweise in Preußen eingeführte Justizverwaltung durch Richter abschaffen. Ein wirklicher Richter ist für Verwaltungsaufgaben viel zu schade, er hat allein die Aufgabe höchster Rechtsprechung und sonst nichts. Dias sollte mehr zum Zuge kommen. Wenn wir aber diese „königlichen Richter" in höheren Stele len haben wollen, werden wir sie aus dem Beamtenetat herausnehmen müssen. Herr Dr. Greve und ich,, die wir beide Anwälte sind, wissen ja, daß man als freier Jurist in der Sparte des Rechts immerhin mehr verdienen kann als als festangestellter Richter. Wenn man schon Richter aus Anwaltskreisen wählen will, muß man ihnen deshalb auch eine Lebensstellung geben, die ihrem bisherigen Stan dard wenigstens einigermaßen entspricht„ sofern es tüchtige und gesuchte Anwälte waren. Diese
Tatsache bedingt in der Tat eine gewisse Umstellung, die bei der zukünftigen Reform in Erwägung gezogen werden mag.
Was aber den gegenwärtigen Zustand anlangt, so mochte ich — und hier spreche ich nicht nur für meine Person, sondern, wie ich glaube, auch im Namen sehr vieler Juristen — es sehr in Frage ziehen, ob die uns von den Besatzungsmächten aufgezwungene Tatsache, daß ein Richter sich nicht in ein Parlament wählen lassen darf, also der Politik höchstens am Rande, nicht aber mit Leib und Leben angehören darf, richtig ist. Das ist eine Auffassung, die davon diktiert ist, daß zwischen den Parteien schärfste Grenzen gezogen sind, daß die Parteigrenzen menschlich nicht übersprungen werden können und daß es „objektive" Parteipolitiker gar nicht geben kann. Diese Auffassung teilen wir in keiner Weise. Die Parteien sollten nichts anderes als Gesinnungsunterschiede in letzten Grundfragen darstellen und die gegenseitige menschliche Achtung überhaupt nicht berühren. Ich wünschte, daß das, was sich in den Ausschüssen dieses Hauses doch mehr und mehr anbahnt an persönlicher Achtung der zusammenarbeitenden und meistens nicht gegeneinander streitenden Mitglieder, im Persönlichen und in der sachlichen Arbeit auch hier im Leben dieses Hauses einen gewissen Ausdruck fände.
Ist das der Fall, dann spricht aber auch gar nichts dagegen, daß ein Richter, der dieser oder jener Partei angehört, gleichzeitig richten kann, wie wir es ja doch bei gewissen großen Richtern — ich denke etwa an Herrn Dr. Spahn, den Zentrumsführer oder andere, die man sofort nennen könnte — im alten Reichstag vor und nach dem ersten Weltkrieg erlebt haben. Es ist nicht so, daß der gerecht denkende, objektiv beobachtende und beurteilende Richter Schaden leidet, wenn er gleichzeitig der Politik hingegeben ist. Aber es ist so, daß Sie den Richterstand als ganzes aus der politischen Linie, die hoffentlich nie mehr eine Drecklinie werden wird, völlig herausnehmen und ihn daher gegen unser politisches Denken sozusagen immun machen, wenn Sie ihn grundsätzlich verhindern, sich aktiv um politische Dinge zu kümmern. Das gebe ich zu bedenken. Das ist eine sehr große Gefahr, zwar nicht so groß, daß es deshalb eine Justizkrise geben müßte. Aber man sollte den Richter nicht von einem Metier fernhalten das in der Demokratie weiß Gott nicht schimpflich sein darf, nämlich sich politisch aktiv zu betätigen.
Nun aber, was die Unabhängigkeit anlangt! Herr Dr. Greve sprach immer davon, die Beziehungen des Richters zum „Volk" müßten gut sein. Ich sage Ihnen: der Richter, der ein gerechter Richter sein will, hat keine Beziehungen zu haben, d. h. nicht irgendwelche Unterströmungen von oben oder von unten.
Er hat unabhängig zu sein von der Staatsführung, aber auch von der Straße!
Und da muß ich nun eins bemerken:
Wenn wir den Rechtsstaat haben wollen — und den wollen wir doch alle, jedenfalls nach den Worten —, dann sollten wir uns den englischen Begriff des „contempt of court" etwas zu Herzen nehmen, d. h. auf deutsch: den Begriff der Verächtlichmachung des Gerichtshofes. Wir sollten es verhindern, daß über einen Fall, der noch so sehr politische Leidenschaften aufgerührt haben mag, vor seiner rechtskräftigen Entscheidung in dei Öffentlichkeit überhaupt kritisch gesprochen wird. Das ist in einem alten Rechtsstaat wie England nicht möglich. Jede Zeitung, die eine noch nicht rechtskräftige Verurteilung auch nur leise kritisiert, wird dort bestraft; mit Recht!
Sie setzt dadurch die nächste Instanz unter einen Druck, indem sie ihr mitteilt, wie maßlos erbitternd angeblich in breiten Volksschichten ein Urteil gewirkt hat. Das sind aber Druckmittel, die die Unabhängigkeit des Richters geradezu ausschließen.
Ich sage daher: Wir haben auf diesem Gebiet alle zusammen noch sehr viel zu lernen, zu beachten und uns angelegen sein zu lassen. Wir hier im Saal sind alle Politiker und sind alle von Leidenschaften nicht frei. Diese haben wir, wenn wir an den Aufbau eines Rechtsstaates denken, soweit es dem Temperament möglich ist, zu zügeln. Und wir müssen uns darüber klar sein, daß die Demokratie eine Demokratie des Rechtsstaats sein wird oder, wie Herr Kollege Kiesinger sagte, eine Barbarei. Wir aber wollen einen schönen, dem Herzen des deutschen Volkes nahen deutschen demokratischen Staat der Zukunft langsam und sicher aufbauen, und dazu helfe — —
— Langsam aber sicher! Lebenswichtige Sachen reifen nur langsam, und wir wollen hoffen, daß die Demokratie nicht, wie das „Tausendjährige Reich", nur 12 Jahre besteht, sondern daß sie zwar langsam wächst, aber unabsehbar dauert. Wir, die Älteren, werden die Erreichung dieses Zieles schwerlich mehr erleben. Davon bin ich überzeugt. Bei unserer Arbeit helfe uns die Justiz, dazu helfe uns ein Justizministerium unter der Leitung unseres verehrten Herrn Justizministers.