Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Jaeger geben mir Veranlassung, zu dem Thema Kulturpolitik das Wort zu nehmen.
Ich würde es aufs tiefste bedauern, wenn die Mehrheit des Hauses die von Herrn Dr. Jaeger verlangte Streichung des Ministerialdirektors für Kulturpolitik vornehmen würde.
Warum? Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten auf einen Aufsatz aufmerksam machen, der am 22. Oktober vorigen Jahres von Justiz- und Kultusminister Dr. Süsterhenn im „Rheinischen Merkur" veröffentlicht worden ist unter dem Titel „Die Länder als Träger deutscher Kulturpolitik". Wer diesen in seinem Inhalt und in seiner Formulierung sehr bedeutsamen Aufsatz aufmerksam durchliest, wird — und das hat mir der Verfasser selber zugegeben — diesem Aufsatz auch die Überschrift geben können „Bund und Länder als Träger deutscher Kulturpolitik". Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wenige Sätze zur Erhärtung dieser Behauptung vorlesen. Da heißt es:
Eine neue Situation ist für die Kulturverwaltung der deutschen Länder auch insofern geschaffen worden, als nunmehr das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten ist und die Organe der deutschen Bundesrepublik konstituiert sind. Nach dem Grundgesetz bleibt die Kulturhoheit der Länder grundsätzlich aufrechterhalten. — Wir wollen wohl bedenken, welche außenpolitischen Kräfte bei dieser Festlegung der Kulturpolitik auf dem Bereich der Länder nun mitgewirkt haben, und das könnte bedenklich stimmen für die Gestaltung der deutschen Kulturpolitik schlechthin. —
Und dann heißt es weiter:
Auf dem Gebiete der Gesetzgebung hat der Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung das Recht, Gesetze über den Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung in das Ausland sowie über die Förderung der wissenschaftlichen Forschung zu erlassen. Im Rahmen der Bedarfs- und Grundsatzgesetzgebung kann der Bund die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse und des Films sowie den Naturschutz und die Landschaftspflege regeln. Im übrigen enthält das Grundgesetz im Grundrechte-Abschnitt eine Reihe von Rahmenvorschriften, wie zum Beispiel die über die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Freiheit der Religionsausübung, die Freiheit der Meinungsäußerung, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft, die Freiheit der Lehre, das elterliche Erziehungsrecht, den Religionsunterricht in den höheren Schulen, das Recht zur Errichtung von Privatschulen und im Artikel 140 über die Rechtsstellung der Kirchen.
Diese wenigen Sätze mögen genügen, meine sehr
verehrten Damen und Herren, um darzulegen, daß
es auch eine gesamtdeutsche Kulturpolitik geben
muß und daß es zumindest eine maßgebende Instanz im Innenministerium geben muß, die die
Aufgabe hat, diesen ganzen Fragenbereich so sorgfältig zu behandeln, wie es für die Gestaltung einer neuen deutschen Kulturpolitik unbedingt notwendig ist.
Ich mache aber auf einen weiteren Übelstand aufmerksam, der sehr bedenkliche Formen anzunehmen scheint. Das ist das ganze Gebiet der Schulpolitik. Wer die Schulpolitik in den einzelnen Ländern — nicht nur das Gebiet der Volksschulen und der Fachschulen, sondern vor allem das Gebiet der höheren Schulen und der Hochschulen — in den einzelnen Ländern mit Aufmerksamkeit betrachtet und beobachtet, der wird mir nicht widersprechen können, wenn ich sage: wenn die Länder als Träger deutscher Kulturpolitik und insbesondere der Schulpolitik noch weiter so selbständig und ohne koordinierende Gesetzgebung des Bundes fortfahren, dann wird die Freizügigkeit Tausender und aber Tausender Eltern und Familien zum Schaden der Kinder unmöglich sein, und dann werden sich die Länder so auseinanderregieren, daß wir uns nach 10 oder 20 Jahren auf dem Gebiet der deutschen Kulturpolitik überhaupt nicht mehr wiederfinden.
(Abg. Dr. Baumgartner: Warum immer
das Mißtrauen gegen die Länder?)
— Darf ich bitten, den Zuruf nochmals zu wiederholen?
— Ich habe absolut kein Mißtrauen gegen die Länder, und man wird mir nach meiner jahrelangen Mitgliedschaft im Reichsrat nicht den Vorwurf machen können, daß ich irgendein Gegner des Föderalismus sei. Im Gegenteil, wenn ich weiter auf den Zwischenruf eingehen darf, dann möchte ich Sie, meine Damen und Herren, daran erinnern, daß gerade das Verhältnis zwischen Zentralgewalt und Teilgewalt, zwischen Einheit und Vielheit, zwischen Reich und Ländern das Thema der tausendjährigen deutschen Geschichte ist, und daß die in Betracht kommenden Stellen im Laufe der letzten Jahrhunderte es leider nicht verstanden haben, zwischen diesen Polaritäten eine sogenannte Spannungseinheit herbeizuführen. Wir wissen, daß dieser tausendjährige Kampf zwischen Reich und Ländern, zwischen Zentralgewalt und Teilgewalt zugunsten der Vielheit in Deutschland ausgegangen ist, während in unserem Nachbarlande das gerade Gegenteil der Fall war. Und gerade diese Tatsache hat die Gestaltung der Kulturpolitik, hat aber auch
— um das nebenbei zu erwähnen; das gehört allerdings zu einem anderen Thema — die Gestaltung unserer Grenzlandpolitik wesentlich beeinflußt. Diese Spannungseinheit, die wohl, wie gesagt, keine Spaltung ist, sondern eine Einheit, die gilt es nicht nur auf dem Gebiete der Wirtschaft, der Finanzen und der anderen sachlichen Aufgabengebiete zu erhalten, sondern vor allem auf dem Gebiete der gesamten deutschen Kulturpolitik. Denn es gibt nun mal nicht n u r eine Kultur der Länder. Und ich denke gar nicht daran, irgendwie die kulturpolitischen Leistungen eines Landes wie Bayern etwa verkleinern zu wollen, abgesehen davon, daß wir mehrere Länder haben, von denen wir noch nicht wissen, ob sie in der bisherigen Form bestehen bleiben oder nicht. Aber niemand wird bestreiten können, daß das gesamte deutsche Volk im Laufe seiner mehr als tausendjährigen Geschichte auch eine große gesamtdeutsche Kulturpolitik getrieben hat
und daß auch vom Ausland her warnende, mahnende Stimmen in immer steigender Zahl kommen, unter allen Umständen dafür zu sorgen, daß auf dem Gebiet der höheren Schulen und der Hochschulen die geistige Höhe des deutschen Volkes nicht nur wiederhergestellt, sondern möglichst noch gesteigert wird.
Meine Damen und Herren, wenn wir nur auf einem Gebiet die Möglichkeit sehen, zur vollen politischen Gleichberechtigung und zur politischen Freiheit des deutschen Volkes wieder emporzusteigen, dann eben auf dem Gebiet der Pflege der höheren Schulen und der Hochschulen. Denn von den Hochschulen, von den Universitäten aus müssen wir das gesamte deutsche Bildungswesen sehen und es von unten auch dementsprechend aufbauen. Und wenn auf diesem Gebiet diese Spannungseinheit erhalten bleibt, dann bleibt den Ländern, und vor allem auch Bayern und Nordrhein-Westfalen und auch Niedersachsen — und wie all die Länder heißen mögen — ein solch großes Feld der Entfaltung, der freien Gestaltung der Kulturpolitik auf allen Gebieten, daß die Föderalisten über irgendeine Neigung zum Zentralismus nicht zu klagen haben. Aber auch für die Länder
und auch für Bayern — und ich denke hier an einen Ausspruch des bayerischen Ministerpräsidenten Ehard — gilt auch, daß über dem Ganzen, über der Vielheit der Länder die Einheit des Bundes stehen muß, und daß wir alle von diesem Bund aus, von diesem Parlament aus, danach trachten müssen, daß diese Spannungseinheit der deutschen .Geschichte zwischen Zentralgewalt und Teilgewalt, zwischen Bund und Ländern nicht zuungunsten des Bundes und damit zum Schaden des deutschen Volkes gefährdet wird.