Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Anträge, die dem Hohen Hause heute zur Beschlußfassung vorliegen, lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse in den beiden Grenzorten Friedland und Furth im Wald. Sie verlangen von uns die Entscheidung darüber, was nun mit jenen Menschen geschehen soll, die ohne Aufnahmegenehmigung als Heimatlose und damit als Symbole unserer Zeit endlich vom Zwang, von persönlicher Unfreiheit und dem seelischen Druck der vergangenen fünf Jahre befreit, an der Grenze eingetroffen sind oder in den nächsten Wochen in den großen Auffanglagern voraussichtlich noch eintreffen werden. Wollen wir ihnen, den vielleicht letzten Opfern des Potsdamer Abkommens, nach dem Gebot der Menschlichkeit und der nationalen Anständigkeit die Tore in die Freiheit öffnen und sie als Brüder und Schwestern aufnehmen, oder sollen sich vor ihnen und ihrer Sehnsucht nach Freiheit und nach einem menschenwürdigen Dasein die Schranken unerbittlich schließen? Die Folge des letzteren wäre ohne Zweifel, daß diese Menschen als erstes Erlebnis auf deutschem Boden eine bittere und eine tiefe Enttäuschung erfaßte und daß für sie die drohende Gefahr bestünde, neuerdings der Unfreiheit, der Arbeitsversklavung in den Bergwerken von Aue oder von Joachimsthal, in den Kohlengruben von Oberschlesien oder des Brüx-Duxer-Reviers oder aber in den zwangsent-
eigneten landwirtschaftlichen Kolchosen Innerböhmens zu verfallen.
Gewiß, durch die Aufnahme dieser Menschen werden die auf uns lastenden Tagesschwierigkeiten, nämlich die Wohnungs- und Arbeitsmarktlage, noch drückender. Aber ich bin der Meinung, daß das deutsche Volk, das in den Jahren 1945/46 unter ungleich schwierigeren Verhältnissen, nämlich unmittelbar nach einem total verlorenen Krieg, bei einem total zerstörten Verkehrsnetz und mit Trümmerhaufen in unseren Dörfern und Städten und ohne daß ihm eine Atempause gegönnt wurde, immer wieder Transport um Transport aufnehmen mußte, damit eine organisatorische Leistung vollbracht hat, die nicht nur ohne Beispiel dasteht, sondern uns auch nicht befürchten zu lassen braucht, daß wir diesmal mit den Schwierigkeiten, die mit der Aufnahme von einigen Zehntausenden Menschen nunmehr auftreten, nicht auch fertig würden. Wir müssen damit rechnen, daß die in den nächsten Wochen und Monaten aus Polen und der Tschechoslowakei eintreffenden Transporte die zwischen der Bundesregierung und der Hohen Kommission festgesetzten Aufnahmequoten zahlenmäßig übersteigen. Dahinter dürfte unschwer die hintergründige Absicht der von Moskau ferngesteuerten Regierungen in Prag und in Warschau zu erkennen sein, die Bemühungen der Bundesregierung um eine Konsolidierung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse unter allen Umständen zu verhindern.
Ich bin aber davon überzeugt, daß die Regierung Mittel und Wege finden wird, um der damit verbundenen politischen Gefahr zu begegnen. Unsere Aufgabe und die der Länder wird es sein, sie dabei tatkräftig zu unterstützen.
Die von dem britischen Hohen Kommissar angeordnete Aufnahmesperre für diejenigen Flüchtlinge und Vertriebenen, die nicht in der Liste des Roten Kreuzes erfaßt wurden, erscheint uns keinesfalls als eine geeignete und vom Standpunkt der Menschlichkeit vertretbare Maßnahme und als ein letzter Ausweg zur Lösung eines Problems, das letzten Endes seine Ursache auch in dem von England mit unterzeichneten Potsdamer Abkommen hat.
Wir sind der Bundesregierung und den deutschen Behörden dafür dankbar, daß sie es als ihre selbstverständliche Pflicht angesehen haben, jene aus dem Osten Verwiesenen aufzunehmen, die die Grenzen der Bundesrepublik überschreiten. Wir sind aber der Meinung, daß darüber hinaus alles getan werden müßte, um eine Aufhebung dieser Anordnung zu erreichen, die diese Menschen letzten Endes doch zwingt, auf illegalem Wege in die Bundesrepublik zu kommen, wenn man ihnen den legalen Grenzübertritt verweigert. Wir begründen unsere Forderung einmal mit dem Gebot der Menschlichkeit, das doch das Grundgesetz der Demokratie ist und das die Aufnahme der asylsuchenden Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei erfordert, zum andern damit, daß wir doch letzten Endes gar nicht die Möglichkeit haben, unsere Grenzen hermetisch abzuschließen,' und daß niemand von uns verlangen kann, unsere deutschen Brüder und Schwestern vielleicht durch Polizeikräfte und unter Anwendung von Gewalt über die Grenze zurücktransportieren zu lassen.
Noch einen weiteren Gesichtspunkt möchte ich hier nicht unerwähnt lassen. Ich verweise 'auf die Tatsache, daß wir auch sonst, wie es das Gesetz von uns verlangt, allen Ausländern, die keine Lust mehr verspüren, sich volksdemokratisch verwalten zu
lassen, in unserem Land Asyl geben, und zwar ohne daß jedem vorher eine Zuzugsgenehmigung in sein Herkunftsland entgegengeschickt wird und ohne daß indiskrete Fragen nach dem Vorleben und den eventuellen Zukunftsaussichten gestellt werden. Der illegale Zustrom von Ausländern aus Osteuropa hat gerade in den letzten Wochen einen beachtlichen Höhepunkt erreicht. Bayern mußte allein im Jahre 1949 rund 100 000 Ausländer aufnehmen. Dabei sind in dieser Zahl nur jene enthalten, die sich registrieren ließen, nicht aber jene, die ohne Kontrolle nach Bayern gekommen sind und deren Zahl bestimmt nicht klein ist. Ich wende mich durchaus nicht gegen das Asylrecht, allerdings mit der Einschränkung, daß man diese Ausländer nicht nur der deutschen Versorgung unterstellt, sondern bei nachweisbarer Kriminalität auch der deutschen Gerichtsbarkeit und der deutschen Polizei unterstellen sollte.
Aber wogegen ich mich hier wende, das ist, daß im Hinblick auf die deutschen Flüchtlinge aus dem Osten nicht das gleiche Recht geübt wird.
Meine Damen und Herren, solange der Bund und solange nicht einmal die Alliierten oder die UNO in der Lage sind, die bürgerlichen Rechte und Freiheiten unserer Brüder und Schwestern im fremden Verwaltungsgebiet und im Ausland zu schützen, so lange haben wir die Pflicht, ihnen zu helfen und sie aufzunehmen, wenn sie an unserer Grenze erscheinen, zumal es sich doch in den meisten Fällen nur um Familienzusammenführungen handelt, nachdem durch die „humanen und geordneten Ausweisungsmethoden" diese Familien in den Jahren 1945 und 1946 schmerzlich zerrissen worden sind. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß sich die Hohen Kommissare unserer Stellungnahme zu dieser Frage und unserer Mißbilligung der angeordneten Aufnahmesperre nicht verschließen werden; und mit dem Hinweis auf die hier bereits erwähnte Ursache dieses neuen Flüchtlingszustroms, nämlich das Potsdamer Abkommen, und auf die europäische Bedeutung des Flüchtlingsproblems, das damit zusammenhängt, werden wir die nicht unbegründete Bitte an die Alliierten richten dürfen, uns doch auf eine andere Weise als durch die Anordnung einer Aufnahmesperre, nämlich durch die tatkräftige Unterstützung bei der Seßhaftmachung und bei der wirtschaftlichen Eingliederung dieser Menschen, behilflich zu sein und gegen den Versuch der osteuropäischen Staaten, durch die restlose Ausweisung der letzten Deutschen vollendete Tatsachen zu schaffen, eindeutig die Erklärung abzugeben, daß sich dadurch nichts, aber auch gar nichts an dem unabdingbaren Recht dieser Menschen an ihrer jahrhundertealten Heimat ändern wird.