Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten 15 Jahren sind in der Welt zwei große Verbrechen geschehen. Das eine Verbrechen ist die Ermordung von 6 Millionen Juden durch die Nazis, das andere die Vertreibung von 11 Millionen Deutschen aus ihren alten Gebieten.
— Das sage ich ja; das war das erste Verbrechen.
Wenn solche große Bevölkerungsverschiebungen
gleich nach dem Kriege stattfinden, dann hat man
unter dem Eindruck der Niederlage, unter dem Eindruck auch einer großen Schuld noch Verständnis für
gewisse Bewegungen. Aber- wenn im fünften Jahr nach dem Kriege erneut eine Welle aus dem Osten anströmt, aus den Ostgebieten 300 000 Deutsche, aus
der Tschechoslowakei 80 000 Deutsche, dann ist das einfach die bare Unfähigkeit der Alliierten, den Frieden zu organisieren.
Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Wir wollen nun nicht im einzelnen prüfen — wir können das gar nicht —, welche Deutschen kommen, ob sie Vertriebene sind, ob sie zunächst freiwillig zurückblieben, ob sie vielleicht sogar Agenten von Sowjetrußland sind. Wir wissen das nicht. Wir können nur eines tun — die Bundesregierung hat das bereits entschieden —, nämlich sie aufnehmen; denn wenn Deutsche in Not an der Grenze stehen, dann bleibt uns nichts anderes übrig. Es ist unsere Pflicht, daß wir, da wir in einer gemeinsamen deutschen Schicksalsgemeinschaft stehen, sie aufnehmen. Wir wissen, daß sie unsere Arbeitslosigkeit erhöhen. Wir wissen, daß sie die Wohnungsnot verstärken, daß die Finanznot durch dieses Problem besonders verschärft wird, daß ein Gegensatz innerhalb der deutschen Bevölkerung zwischen Einheimischen und Vertriebenen entsteht, daß die Hoffnungslosigkeit, die Verelendung dadurch immer mehr gefördert wird. Die Bolschewisten wollen bewußt diese Not mit solchen Maßnahmen steigern.
Nun sind in Deutschland aber nicht alle Länder gleichmäßig betroffen. Drei Länder stehen in ihrer Not voran: Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern, die noch dazu besonders hart unter ihrer Armut leiden, die eine mangelnde Industrialisierung aufweisen und daher eigentlich die geringste Möglichkeit hätten, diese Flüchtlinge aufzunehmen. Die Bonner Verfassung gibt durch Art. 119 die Möglichkeit, daß hier der Bund ausgleichend durch Rechtsverordnungen eingreift. Es ist für den Bund schwer, sich hier durchzusetzen; denn bei den enormen Folgen, die die Aufnahme von Flüchtlingen für die gesamte Wirtschaftsgestaltung, die ganze soziale Lage der Bevölkerung hat, nehmen die Länder naturgemäß die Flüchtlinge nicht gern; der Länderegoismus sträubt sich dagegen. Ich erkenne dabei einen gewissen Länderegoismus an. Er ist schließlich ein Erhaltungstrieb für eine eigene Staatspersönlichkeit. Aber wer sich hier versündigt, wer sich dagegen wehrt, diese Flüchtlinge zu nehmen, wer sie einfach nur gewissen Ländern aufhalsen will, der versündigt sich gegen die deutsche Notgemeinschaft.
Ich möchte nicht wissen, was geschehen wäre, wenn Bayern das Land gewesen wäre, das sich wie Nordrhein-Westfalen und Hessen einfach weigert, einer Rechtsverordnung des Bundes nachzukommen!
Die Presse wäre sicher nur so über uns als „die Landesverräter" und „die Bundesverräter" hergefallen,
wenn wir als armes Land Bedingungen stellen würden, daß zunächst die Häuser mit Krediten von 240 Millionen DM erstellt werden, wenn wir sagen würden, daß wir dann erst in der Lage wären, die Flüchtlinge aufzunehmen, wie es das reichste Land — Nordrhein-Westfalen — tut. Da ist nichts zu entschuldigen!
Man hat gerade uns Bayern so oft vorgeworfen, wir wollten uns den Kriegsfolgen entziehen. Wir denken gar nicht daran. Aber wir wollen nur d e n Teil übernehmen, der uns trifft, und nicht auch noch für die anderen, reichen Länder die Lasten tragen. Es ist uns einfach unmöglich.
Um nun aber weiterzukommen, um einen praktischen Ausweg zu finden, müssen wir hier Entschlüsse fassen. Rechnen wir mit der gegebenen Lage, dem Länderegoismus, dem praktischen Versagen der bisherigen Ausgleiche und der Zusage der Bundesregierung, die Flüchtlinge aufzunehmen! Nun ist der Antrag der Bayernpartei hier das Ei des Kolumbus:
Man bringt einfach die 300 000 Deutschen aus dem Osten und die 80 000 Deutschen aus der Tschechoslowakei sofort in die unterbelegten Länder und trifft die weitere Verteilung von dort aus. Gegen diesen Antrag kann niemand sein. Abgesehen davon ist er notwendig, wenn es nicht zu krisenhaften Erscheinungen kommen soll. Wenn die überbelegten Länder nur das psychologische Wissen haben, daß es nicht mehr schlechter werden kann, sondern daß sie durch allmähliches Abströmen eine gewisse Erleichterung erfahren, dann ist die Situation für Einheimische und Flüchtlinge in diesen Ländern zu ertragen. Wenn sie aber sehen, daß die neu einströmenden Flüchtlinge immer nur wieder in dieselben Länder gepackt werden, dann wird die Situation unerträglich; dann kommt schließlich von den einzelnen Dörfern, Städten und Ländern geradezu ein Aufnahmestreik.
Die anderen Länder sollen sich auch nicht mit irgendwelchen technischen Schwierigkeiten ausreden. Wenn sie glauben, nicht innerhalb von zwei oder drei Wochen die erforderlichen Baracken an den Grenzen ihrer Länder errichten zu können,
dann kann ich für Bayern nur erklären, daß wir sie ihnen in einigen Wochen fix und fertig hinstellen, damit sie diese Ausrede nicht mehr haben, wie das ja zu erwarten ist. Aber wir können es gegenüber unserem bayerischen Staat nicht länger verantworten, daß bei uns in Einzelverträgen die Facharbeiter herausgezogen werden und daß durch die Neuzugänge der Charakter dieser drei Länder als Alters-und Invalidenheim immer mehr in Erscheinung tritt.
Wir haben schon einmal genug darunter gelitten, daß wir der Luftschutzkeller des Dritten Reiches waren. Wir wollen nicht das Altersheim des Bundes werden.
Die Annahme dieses Antrags ist geradezu ein Prüfstein für die Beziehungen zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander, ein Prüfstein für die Existenz des Bundes überhaupt. Zeigt sich der Bund so schwach, daß er dieses deutsche Generalproblem nicht lösen kann, mit dem ja die Lösung der Finanznot, der Wohnungsnot und der Arbeitslosigkeit zusammenhängt, dann wird man auch in anderen Dingen keinen Glauben an die Autorität dieses Bundes haben.
Für eine Lösung der bayerischen Frage, die durch
die Verfassungsfrage nun einmal aufgerissen ist,
ist das Verhalten des Bundes und der anderen Länder geradezu entscheidend. Zeigt sich der Bund hier fähig, die Fragen zu lösen, kann er den unerträglich belasteten Ländern die allzu große Last abnehmen und gerecht verteilen, dann könnte sich auch unsere Auffassung zum Bunde wandeln.