Ich bin gar nicht nervös, und ich wüßte auch keine Ursache dafür. Die schwachen Zwischenrufe des Herrn Rische machen mich nicht nervös.
Ich habe dem Herrn Kollegen Renner heute schon einmal gesagt, daß der Vorsteher der Berliner Stadtverordnetenversammlung jede Sitzung mit der Feststellung eröffnet, daß der Abgeordnete Rüdiger immer noch in Haft ist und infolgedessen nicht an den Sitzungen teilnehmen kann. Es ist das Typische — das ist der Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis, die Sie hier entwickeln wollen —, daß der Angeklagte Lehmann seit 2 oder 3 Tagen inhaftiert ist und daß man doch täglich von ihm hört. Es ist die kommunistische Praxis, daß der Abgeordnete Rüdiger jetzt schon über 13 Monate. weg ist und, Herr Kollege Rische, daß bis zum heutigen Tage die Ehefrau nicht einmal eine Postkarte von ihm erhalten hat, daß sie nicht weiß, was er verbrochen hat,
daß keine Verbindung mit einem Rechtsanwalt zugelassen ist und daß bis zum heutigen Tage kein
ordentliches Verfahren aufgenommen worden ist.
Sie reden von Kolonialmethoden, und Sie führen doch hier Methoden durch, wie sie in einer zivilisierten Welt nicht mehr möglich sein sollten.
Das kennzeichnet Ihre Methoden und das kennzeichnet Ihr System jenseits der Elbe.
Sie haben davon gesprochen, daß der Abgeordnete Lehmann, so wie es noch niemals passiert sei, aus dem Hause verschleppt worden sei, und daß das ein Zeichen der Willkür der Militärregierung sei und sonst nirgends mehr vorkomme und daß ich nun den Zusatzantrag stellte, um eine einheitliche Stellungnahme des Hauses gegen diese Methoden unwirksam machen zu können.
- Bitte, ich habe niemanden gehört, der nicht bereit gewesen ist, gegen diese Verhaftung zu protestieren. Aber für uns ist die Frage des Rechts unteilbar.
Für uns gibt es da keinen Unterschied. Bei uns
ist der Protest immer da, wenn es gilt, gegen die
Vergewaltigung des Rechts die Stimme zu erheben. Ich möchte Ihnen eines sagen. Ich habe Ihnen schon einmal einige Namen genannt.
— Herr Kollege Renner, ich habe hier in diesem Hause schon von der Verhaftung des Kommandeurs der Berliner Schutzpolizei Polizeimajor Karl Heinrich gesprochen. Da Sie so leicht vergeßlich sind, möchte ich es wiederholen. Der Polizeimajor Karl Heinrich ist während der Jahre 1933 bis 1945 acht Jahre im Moor und im Zuchthaus gewesen. Er ist von den Russen zum Kommandeur der Berliner Schutzpolizei ernannt worden. Am 2. August 1945 ist er in das Dienstzimmer des Polizeipräsidenten Markgraf geholt worden. Markgraf ist mit dem russischen Major Arthur Pieck im Flugzeug aus Moskau nach Berlin gekommen — er ist in Stalingrad noch wegen besonderer Leistungen mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet worden — und ist dann von den Russen zum Polizeipräsidenten von Berlin gemacht worden. Am 2. August 1945 ist der Polizeimajor Karl Heinrich, der Sozialdemokrat war, aus dem Zimmer des Polizeipräsidenten Markgraf verschwunden, und heute noch, nach 43/4 Jahren, wartet Frau Heinrich auf ein einziges Lebenszeichen ihres Mannes.
Auch in diesem Fall, Herr Kollege Rische, wissen wir bis heute nicht, was man ihm vorwirft.
— So, Sie wissen das. Es ist ja großartig! Durch Ihren weisen Zwischenruf haben Sie wenigstens zugegeben, daß Heinrich in Haft ist. Herr Kollege Renner, das war wohl eine Panne, nicht wahr!
Ich möchte Ihnen noch einen Namen nennen. Wenn Sie in Buchenwald waren, kennen Sie auch den Sozialdemokraten Paul Volkmann, der nach 1945 sofort wieder leitender Funktionär in Berlin wurde. Im Auftrag des Zentralausschusses ist er dann in die Provinz Brandenburg gegangen, um Sonntag für Sonntag draußen zu reden. Seit Oktober 1945 ist der Arbeitsamtsdirektor Paul Volkmann aus Wilmersdorf - ich sagen Ihnen die Personalien gleich so genau, damit Sie sie wissen — von russischer Militärpolizei verhaftet worden, weil er nach Meinung deutscher Kommunisten in der Frage der Bodenreform eine von der der Kommunisten abweichende Meinung vertreten hat.
Bis zum heutigen Tag wartet seine Ehefrau genau so wie die Frau Heinrich vergeblich auf eine Nachricht. Ich kann Ihnen sagen, daß der Arbeitsamtsdirektor Paul Volkmann noch im Januar in Buchenwald war. Er gehört nicht zu den Entlassenen. Es ist ihm bis zum heutigen Tag kein Prozeß gemacht worden. Er gehört zu den namenlosen Zehntausenden, die unter den gleichen Verhältnissen wie im faschistischen System ins KZ geschleppt wurden. Ein Unterschied zwischen den Zuständen von 1933 bis 1945 und den jetzigen: Herr Kollege Müller, Sie werden wissen, daß Sie aus Sachsenhausen schreiben durften, daß Sie von Zeit zu Zeit Verbindung mit Ihren Angehörigen aufnehmen konnten. Diese Möglichkeit ist unter dem „fortschrittlichen" östlichen System nicht mehr gegeben.
Dort werden eben Methoden angewandt, wie sie schon im Mittelalter als verwerflich galten. Das ist der Unterschied zwischen dem, was Sie reden, und dem, was Sie tun.
Herr Kollege Renner, ich habe Ihnen also die Namen genannt: Karl Heinrich, Berlin-Spandau, Paul Volkmann, Berlin-Wilmersdorf, und Werner Rüdiger, Berlin NO, Lychener Str. 7. Vielleicht sind Sie so freundlich, die Dinge einmal zu prüfen und festzustellen, was an diesen Angaben, die ich hier mache, nicht ganz glaubwürdig sein soll.
- Ich bin gerne bereit, Ihnen bei der Aufzählung dieser Fälle behilflich zu sein und weitere Namen zu nennen. Sie wissen, daß wir erst unlängst ein Graubuch herausgegeben haben. Aber ich will Ihnen die Sache beim ZK nicht so schwer machen. Beschaffen Sie uns Material über die drei Leute, deren Namen ich genannt habe, dann sind wir sehr dankbar.
— Wissen Sie, von Agententätigkeit verstehen Sie mehr!
Wir sind eine unabhängige Partei.
- Schreien Sie nicht so, Herr Renner!
— Schreien Sie nicht so! Das macht auf uns keinen Eindruck.
Der Herr Kollege Renner hat heute morgen im Ausschuß sehr interessante Dinge erzählt. Er hat erklärt, daß das, was wir durch den Zusatzantrag getan haben, einen politische Nötigung ist.
— Na, hören Sie, wenn Sie ehrlich von dem Willen zur Freiheit erfüllt sind, — —
- Wenn Sie das eine Erpressung nennen, muß ich Ihnen sagen: ich freue mich, Sie erpressen zu können.
Wir wollen vor dem ganzen Volk den Unterschied zwischen Ihrer Theorie und Ihrer Praxis darlegen. Wir wollen zeigen, daß Sie große Worte gebrauchen, wenn es gilt, für irgendeinen Kommunisten etwas herauszuholen, daß Sie aber sofort versagen, wenn man die Freiheit für einen anderen verlangt. Wissen Sie, Rosa Luxemburg sagte einmal: Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.
Das sollten Sie sich einmal überlegen.
Der Herr Kollege Renner hat heute morgen im Ausschuß noch gesagt, daß die Art der Behandlung des Antrages so, wie ich sie gestern vorgetragen habe, ein Angriff gegen die Sowjetunion gewesen sei.
Ich muß mich sehr wundern. Meine gestrige
Rede bezog sich auf deutsche Stellen. Herr Kollege Renner, darf ich Ihnen die Sätze nennen,
wo ich überhaupt die russischen Stellen genannt
habe? Das war folgender Satz: Sehen Sie, was
nutzt es, wenn Sie hier im Lande herumfahren,
wenn Herr Reimann schöne Worte findet, wie sie
folgendermaßen in der „Täglichen Rundschau",
Ihrem russischen Regierungsorgan in Berlin - —
da habe ich den Namen Rußlands gebraucht, und
da kam der Zwischenruf des Herrn Kollegen
Rische laut Protokoll: Ihr Leib- und Magenblatt!
Ich habe noch nie gewußt, daß man die „Tägliche Rundschau", die das Format des „Völkischen
Beobachters" hat, für leibliche Zwecke gebrauchen
sollte! Diese Beleidigung blieb Ihnen überlassen.
Ich möchte Ihnen weiterhin sagen, ich habe noch in einem anderen Zusammenhang den Namen Rußlands gebraucht, und zwar: Werner Rüdiger ist nach Aussage entlassener Häftlinge nach Rußland abtransportiert worden! Jawohl, diese Meldung haben wir.
Ihr Kollege Fisch hat hier von der Tribüne des Hauses, und Sie selbst haben heute morgen im Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschuß erklärt, daß Sie die Dinge prüfen wollen, wenn wir Ihnen die Namen nennen. Wir haben das getan. Ich darf Ihnen sagen, wir Sozialdemokraten — und ich möchte wiederholen, was ich gestern gesagt habe —
und alle anständigen demokratischen Kräfte werden keinen Unterschied machen, wenn es gilt, für die rechtliche Gleichstellung irgendeines Abgeordneten zu kämpfen, wenn es gilt, irgendein Unrecht, das einem Abgeordneten angetan wird, zu beseitigen.
Da fragen wir nicht nach der Partei, sondern wir sind einmütig der Auffassung, daß hier nach rechtlichen Prinzipien vorgegangen werden soll.
Ich habe Ihnen das gestern gesagt, und ich wiederhole es heute.
Wir stimmen für den Antrag so, wie ihn der Geschäftsordnungsausschuß gefaßt hat, in dem die Grundgedanken beider Antragsteller zusammengefaßt sind. Für uns kommt es nicht darauf an, für irgendeinen die Freiheit zu besorgen. Wir wollen die Freiheit aller Aufrechten, wir wollen die Freiheit derer, die in der Ostzone heute in den Kerkern schmachten müssen. Jawohl, darüber hinaus: wir wollen die Freiheit für die 18 Millionen in der Ostzone. Sie sollen die gleichen demokratischen Rechte haben, wie sie im Gebiet der Bundesrepublik gelten.
Sie sollen endlich aus der Zwangslage herauskommen, die sie nun seit 1933 bis auf den heutigen Tag erdulden müssen.