Rede von
Kurt
Pohle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich würde mich glücklich schätzen — um den Worten des Herrn Vorredners zu folgen —, wenn das gesamte Heimkehrerproblem nur ein Problem des Entlassungsgeldes wäre. Aber nach der seelischen und materiellen Zerrüttung, die die Menschen erlitten haben, ist es ein weit schwierigeres Problem, wobei ich durchaus anerkenne, daß wir uns mit dem Herrn Finanzminister noch sehr eingehend in der Ausschußberatung über das Entlassungsgeld und seine Höhe werden unterhalten müssen.
Wenn man sich durch die Drucksachen des Hohen Hauses hindurchgearbeitet hat und doch einmal Zeit findet, etwas anderes zu lesen, dann stößt man darauf, daß es doch schon Leute gegeben hat, die etwas, was man gedacht hat, in weit besseren Worten formuliert haben, als man das selbst zu tun imstande wäre. So fand ich in diesen Tagen in einem „Hinweisblatt für den
Heimkehrer", das vor Jahresfrist erschien, einige Feststellungen, die das Problem etwas anreißen. Mit Zustimmung des Herrn Präsidenten möchte ich einige Zeilen daraus zitieren. Da heißt es:
Das Gesicht der Heimat hat sich verändert.
Deshalb ermahnten wir viele, so illusionslos
wie nur möglich zurückzukehren. Und vergiß nicht, daß du ganz auf dich selbst gestellt bist. Die Fürsorge von Behörden und
Organisationen ist lückenhaft und bedeutet
nicht mehr als einen Tropfen auf einen
heißen Stein. Denke daran, daß über ein
Drittel unseres gesamten Wohnraums durch
den Krieg zerstört ist, daß in diesen übriggebliebenen Häusern noch 12 Millionen
Flüchtlinge und Vertriebene haben Unterkunft finden müssen. Und weißt du, daß sich
die Bevölkerungsdichte unseres Landes nunmehr durchschnittlich auf 200, teilweise sogar auf 230 je Quadratkilometer beläuft an
Stelle von früher 147? Ist dir bekannt, daß
als Opfer der beiden Kriege beinahe 2 Millionen Versehrte in Deutschland leben. von
denen nicht weniger als 240 000 Beinamnutierte. 45 000 Arm- oder Handamputierte, 25 000 Blinde und 25 000 Hirnverletzte
sind? Daß jeder zwanzigste Deutsche vermißt wird? Du wirst einsehen, wie wenig dir
und der Heimat mit Illusionen gedient ist.
Meine Damen und Herren! Ohne Illusionen -
wenn ich diesem Wort folgen will —, haben wir von der sozialdemokratischen Fraktion den Antrag betreffend einheitliche Regelung der Heimkehrerbetreuung eingebracht, mit dem wir eine einheitliche erste Hilfestellung schaffen, den ersten Trampelpfad durch das Dickicht unseres zivilen Lebens von heute für den Heimkehrerschlagen wollten. Der Antrag war aus den Erfahrungen der vergangenen Monate, ja der Jahre seit 1945 geboren worden; und weil wir ja nichts Unmögliches fordern wollten, haben wir uns schon bei diesem Antrag eine weise Beschränkung auferlegt, die auch der Ausschuß anerkennen mußte. der unsere Vorschläge einstimmig gebilligt hat.
Der Gesetzentwurf liegt vor uns. Ich habe nicht die Absicht, diesen Gesetzentwurf zu zerreden; denn er bringt auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung, der Sozialversicherung, der Berufsfürsorge und der Zuzugsgenehmigung angestrebte positive Werte. Um so schmerzlicher berührt es uns, wenn unserer Meinung nach so marche Grundzahlfestsetzung zu engherzig gehandhabt worden ist. Wir behalten uns vor, im Ausschuß auf unsere alten Verschläge zurückzukommen.
Über die Höhe des Entlassungsgeldes — das betone ich noch einmal — werden wir mit dem Herrn Finanzminister noch ein sehr eingehendes Wort zu sprechen haben. Die Höhe des Entlassungsgeldes ist in der Öffentlichkeit, besonders unter den Heimkehrern, sehr stark diskutiert worden. Wir wollen hier nicht um 50, 60 und 70 D-Mark feilschen. Ich bin der Überzeugung, selbst wenn wir imstande wären, jedem Heimkehrer 1000 D-Mark Entlassungsgeld zu geben, wäre das ein Trinkgeld gegenüber dem, was er durchgemacht hat:
Ich bin überzeugt, daß wir uns auch in diesem Falle darüber klar sein müssen, daß dieses Gesetz kein Wiedergutmachungsgesetz, sondern nur ein Koordinierungsgesetz ist.
Ich möchte gerade bei der Übergangsbeihilfe nur kurz das andeuten, da das Gesetz ja auch dem Bundesrat und der Bundesregierung in den Durchführungsverordnungen eine große Macht in die Hand gibt. Wir wollen es uns doch sehr stark überlegen; ich bin lieber dafür, daß einige, die es nicht benötigen, diese Übergangsbeihilfe erhalten, als daß bei dem psychologischen Unverständnis der Behörden die ganze Geschichte in ein falsches Fahrwasser gerät.
Wir haben nämlich einige unangenehme Erfahrungen auf diesem Gebiet erlebt, und mir ist es selbst so gegangen, als ich nach 1945 von der Wehrmacht nur mit einem alten Soldatenrock angetan entlassen wurde; so kann ich nachfühlen, wie schwer es jedem fällt, der früher einmal selbständig gewesen ist und sein Geld selbst verdient hat, nun zum Wohlfahrtsamt zu gehen und seine Bedürftigkeit nachprüfen zu lassen. Denn die Bedürftigkeit wird in 90 Prozent der Fälle von vornherein zu bejahen sein. Deswegen kann man die anderen ruhig mitnehmen. Schließlich kommt sonst noch eine Behörde darauf, daß man noch eine Großmutter besitzt, die eine Beamtenpension empfängt, und zieht die zum Unterhalt des Heimkehrers und zu seiner ersten Einkleidung mit heran. Ich habe Fälle erlebt, wo zwei Ehepartner — das ist ja auch ein Novum in der Kriegsgeschichte —, Mann. und Frau in vier Wochen Abstand aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrten, und die Behörde weigerte sich zuerst standhaft, auch der Frau die Heimkehrerhilfe zu geben, weil sie sagte, sie wird nur einmal gezahlt.
Ich muß sagen, daß ich in diesen Tagen erst ein Schreiben in die Hand bekommen habe, das mir doch Veranlassung geben wird, mit dem Herrn Arbeitsminister die Dinge noch einmal sehr eingehend durchzusprechen — wenn unser vorliegender sozialdemokratischer Antrag über die Fürsorgeunterstützung bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu einem realen Gesetz geworden ist —, daß wir uns einmal über die Unterhaltszahlungen für uneheliche Kinder von Heimkehrern unterhalten müssen. Denn wenn man kaum 14 Tage daheim ist und sich an die Ruinen der Heimat gewöhnt hat, und das erste Glückwunschschreiben, das man im Jahre 1950 von einer Behörde des Inhalts erhalten hat, daß man die bisher aufgelaufenen Unterhaltsbeiträge von 1945 bis 1949 für sein uneheliches Kind abzahlen soll, so ist das ein bißchen starker Tobak und ein unwillkommener Willkommensgruß, der dazu gegeben wird.
- Ich kann mir den Grund Ihrer Heiterkeit nicht recht vorstellen; ich habe in diesem Falle nicht pro domo gesprochen, meine Damen und Herren.
Es gibt auch leider — das müssen wir mit Entsetzen feststellen — eine ganze Reihe von „freundlichen" Arbeitgebern, die als ersten Willkommensgruß dem Heimkehrer, der aus dem Kreise der Einheimischen stammt, den Kündigungsschein in die Hand drücken. Wir werden hier noch nachdrücklichst einige klarere Formulierungen in diesem Gesetz zu erreichen versuchen. Eine Behörde — ich möchte sie nicht
nennen, ich bin für Versöhnung und Verständigung, ich möchte die Gegensätze nicht noch vertiefen — war doch etwas überschlau. Hin und wieder hat man es erlebt, daß der Behördenvertreter einfach gesagt hat: Diese Stelle ist nur für Einheimische offen. Aber hier hat es doch tatsächlich eine Behörde fertiggebracht, einem Heimkehrer einen Brief mit dem Bemerken zu übergeben, er könne nicht eingestellt werden, da offene Stellen nur mit Einheimischen besetzt werden können. Meine Damen und Herren, das ist doch etwas zu viel, und das ist ein derartiges psychologisches Unverständnis, daß man unter diesen Umständen in der Wüste auf die Bäume klettern möchte.
Diese Durchführungsbestimmungen werden nach dieser Richtung hin von uns aus mit einigen Weisungen — auch vom Ausschuß, und ich hoffe mit Zustimmung des Hohen Hauses — an die Regierung gegeben werden. Wir gehen ohne Illusionen an die Verbesserung und an die Verabschiedung dieses Gesetzes, aber von dem Willen beseelt, auch in der tiefsten Armseligkeit Deutschlands das Gesetz der Kameradschaft hochzuhalten.