Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vergangenen Tage und Wochen waren schwarze Tage für die europäische Menschheit, und nur tiefe Trauer und Sorge kahn uns erfüllen, wenn wir daran denken, wie in wenigen Monaten der Gedanke des europäischen Zusammenarbeitens und gerade der Zusammenarbeit zwischen den zwei so wichtigen Gliedern der westeuropäischen Kultur solchen Schaden gelitten hat. Wenn wir alles abwägen, was man in Frankreich zugunsten des Schrittes, den man an der Saar getan hat, vorbringen mag, wenn wir uns in die Hirne der Franzosen hineindenken, dann müssen wir immer noch sagen, daß das, was Frankreich mit dieser Saarkonvention scheinbar gewonnen hat, nicht im entferntesten die Schäden moralischer und tatsächlicher Art aufwiegt, die durch die ganze Sache dem Gedanken der euro-
päischen Zusammenarbeit bei uns in Deutschland
und vielleicht auch anderswo angetan worden sind.
Für jeden wahren Demokraten kann es in der Frage der Saar keinen anderen Standpunkt als in irgendeiner anderen Frage in Europa geben. Zu welchem Staatswesen nämlich irgendein Gebiet, irgendeine Gruppe von Städten und Landkreisen gehört, darüber kann nur der Wille der dortigen Bevölkerung entscheidend sein, der in freier und geheimer Wahl festgestellt werden muß.
Schon die Atlantik-Charta hat von den unveräußerlichen Rechten des Menschen gesprochen, und zu diesen unveräußerlichen Rechten gehört, weiß Gott, das Recht, darüber zu bestimmen, welchem Staat man angehören will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist außerordentlich bedauerlich, daß einige Kreise in Frankreich glaubten, hier so vorschnell handeln zu müssen, zu einem Zeitpunkt, zu dem alles danach streben müßte, ins Gespräch zu kommen — in ein Gespräch zwischen Frankreich und Deutschland —, das endlich einmal den Schlußstrich unter die Entzweiung setzen müßte, die beinahe schon zum Untergang der westeuropäischen Kultur geführt hätte. Dieser Schlußstrich, dieses Gespräch zwischen Deutschen und Franzosen muß kommen! Alle die Maßnahmen, die bezüglich der Saar ergriffen worden sind, scheinen uns nichts anderes als ein verhängnisvoller Anachronismus zu sein, ein Weg zurück zu Methoden und Maßnahmen, wie sie sich leider in der Vergangenheit beide Nationen zum Unsegen der europäischen Zivilisation geleistet haben.
Wir von der WAV sind der gleichen Auffassung wie wohl 99 Prozent unserer Bevölkerung: Wir müssen an der Saar eine freie, geheime Volksbefragung haben, und erst dann kann darüber entschieden werden, welchem Gebiet das Saarland definitiv angehört. Es ist außerordentlich bedauerlich, daß man hier glaubte, jetzt schon ein gewisses Faktum setzen zu müssen, von dem wir nicht überzeugt sind, daß es ohne weiteres erst später, beim Friedensvertrag, endgültig fixiert werden würde. Wir glauben vielmehr, daß gerade solche Fakten leider den unheilvollen Drang in sich haben, zu inveterieren, wie man juristisch sagt, sich zu verhärten, und selbst dann sehr schwer zu eliminieren sind, wenn die Völker und ihre Regierungen einsehen sollten, auf welch verhängnisvolle Wege sie sich hier begeben haben.
Eine Pflicht allerdings haben wir in Deutschland, und das möchte ich gerade von hier aus mit aller Entschiedenheit betonen: Ohne Rücksicht auf irgendeine politische Partei müssen wir alles tun, damit den Leuten jenseits der Grenze — ich möchte sagen: der Minderheit jenseits der Grenze, die scharfzumachen versucht gegen das deutsche Volk, oft wider besseres Wissen scharfzumachen versucht — rechtzeitig der Wind aus den Segeln genommen wird. Wir müssen alles tun, damit im Ausland nicht etwa der Eindruck entsteht, als müßte man gegenüber dem neuen Deutschland weiterhin eine Politik der Faustpfänder betreiben. Wir müssen alles tun, damit das Ausland — nicht bloß Frankreich, sondern die ganze übrige Welt — den Eindruck bekommt, daß wir es mit unserer demokratischen Gesinnung wirklich ehrlich und anständig meinen.
Wir bedauern in diesem Zusammenhang sehr gewisse Vorfälle der letzten Wochen und Monate, von denen wir heute sehen müssen, wie sie im Ausland da und dort schon wieder bewußt oder noch häufiger unbewußt mißverstanden werden. Aber all den Zeitungen, die das mißverstehen, und dem französischen Volk, und zwar gerade den Besten dieses Volkes, die zusammen mit uns während der Hitlerzeit in den Gefängnissen gesessen haben, gerade denen, die uns, die wir mit Hitler und seinen Verbrechen nichts zu tun hatten, sondern ihn schärfstens bekämpften, die uns, den anderen Teil des deutschen Volkes, im engsten Zusammenhalten innerhalb der Gefängnisse und Konzentrationslager kennenzulernen Gelegenheit hatten, gerade denen möchten wir heute zurufen: Tut alles, um die öffentliche Meinung in eurem Lande aufzuklären, daß es in Deutschland Demokraten gibt, und nicht etwa bloß ein kleines Häuflein, sondern daß es Hunderttausende und aber Hunderttausende gibt, die für ihre demokratische Überzeugung durch die Gefängnisse gegangen sind, daß es Millionen von Deutschen gibt, die klar gezeigt haben, daß sie mit den Methoden der Gestapo nichts zu tun hatten, die sich gegenüber den Kriegsgefangenen oder gegenüber den französischen und anderen KZ-Häftlingen usw., wenn sie durch die Straßen geführt wurden, anständig 'benommen haben! All denen, die den demokratischen Teil des deutschen Volkes kennenzulernen Gelegenheit hatten, möchten wir heute den dringenden Appell und die dringende Bitte zurufen: Unterstützt uns doch jetzt in Frankreich und allüberall in diesem furchtbar schweren Kampf! Denn über eines müssen wir uns klar sein: wenn der Gedanke der Demokratie in Deutschland nochmals kaputtgemacht wird, wenn wiederum diejenigen, die es mit ihrer demokratischen Idee ehrlich meinen, keine Chancen, sondern nur Prügel auf ihren schweren Weg geworfen bekommen, dann ist der Gedanke der Demokratie in ganz Europa, nicht bloß in Deutschland, ein für allemal zu Grabe getragen, und die Folgen davon wird Frankreich genau so wie Deutschland, wird England genau so wie Italien und Amerika zu spüren bekommen.
Das ist der Appell, den ich heute namens meiner Fraktion und, ich glaube, namens sehr vieler anderer Kollegen in diesem Hause an alle in Frankreich richten möchte, die .auf die öffentliche Meinung und die Formung der französischen Politik Einfluß haben: Laßt euch, ihr Freunde in Frankreich, nicht durch kurzlebige Augenblickserfolge täuschen, von denen einer eurer größten Politiker gesagt hat, daß gerade diese kurzlebigen Augenblickserfolge à la longue, auf lange Sicht gesehen, stets schweren Schaden bedeuten!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht alles wiederholen, was von den Vorrednern an juristischen Ausführungen usw. gemacht worden und womit bewiesen worden ist, daß die Abmachungen zwischen der Saarregierung und der französischen Regierung juristisch so nicht haltbar sind. Ich möchte keine längeren Ausführungen darüber machen, daß die ganze Maßnahme einem Kontrahieren in se sehr ähnlich sieht, da doch noch kein Teil des deutschen Volkes außenpolitisch irgendeine Vertretung hat oder außenpolitisch tätig werden kann. Wie kann man dann hier handeln, wenn man doch sagt, wie das die französische Regierung tut, daß auch das Saargebiet formell noch zu Deutschland gehört, weil erst der Friedensvertrag die endgültige Regelung bringen soll?! Gut, dann ist die
Regierung im Saargebiet genau so wenig wie irgendeine andere Regierung noch in der Lage, Außenpolitik zu machen. Sie wissen, daß man ja auch der Bundesregierung das Recht bestreitet, selbständig Außenpolitik machen zu können! Dann ist also das, was die Saarregierung tut, nichts anderes als eine Komponente der Politik der Besatzungsmacht, und dann ist das ganze Abkommen, das zwischen dem Saargebiet und Frankreich geschlossen worden ist, nichts anderes als ein Kontrahieren in sie, als ein Abschluß von Verträgen, wobei der eine, der Schutzherr, den Vertrag mit seinem Mündel gleichzeitig im eigenen Namen und im Namen des Mündels abschließt. Das scheint mir das Erträgliche auch auf dem Gebiet der Außenpolitik genau so zu übersteigen, wie es auf dem Gebiete des Zivilrechts nicht mehr erträglich wäre, wenn der Vormund derartige Verträge namens seines Mündels mit sich selbst abschließen würde. Ich möchte darauf nicht mehr allzusehr eingehen.
Wir wollen alles tun, damit kein Öl mehr ins Feuer gegossen werden kann. Wir wollen ruhigen Kopf und ruhiges Blut bewahren — das ist das einzige, was wir tun können — und die Hoffnung hegen, daß bis zum Abschluß des Friedensvertrages in den Hirnen der maßgeblichen Staatsmänner in der ganzen Welt die Umkehr kommt. Es wird unterdessen noch soviel Wasser den Rhein und die Seine hinabfließen, daß man hoffen darf: Die großen Gesichtspunkte, die für die Zusammenarbeit Frankreich—Deutschland sprechen, werden in ihrer Tragweite wirklich erkannt und gegenüber dem Meinen Vorteil abgewogen, den Frankreich durch diese Maßnahmen an der Saar für sich erringen konnte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, tun wir alles, um die Weltöffentlichkeit aufzuklären, wie tatsächlich die Lage ist, aber nicht mit nationalistischen Sprüchen, die wir schärfstens ablehnen, sondern nur, indem wir die Stimme des Rechts gebrauchen, die einzige Möglichkeit, die wir haben und die wir haben wollen, die aber nach unserer Auffassung — und nach der Auffassung aller, die sich wahrhafte Demokraten nennen — die Stimme ist, der die Zukunft gehört! Für Recht und Gerechtigkeit wollen wir uns einsetzen! Aus diesem Grunde müssen wir die Weltöffentlichkeit und müssen wir namentlich Frankreich bitten: Schafft kein fait accompli, überlegt euch das, was ihr getan habt; es gibt noch einen anderen Weg, den Weg der engsten Zusammenarbeit, den Weg einer dauernden Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland zum Wohle der beiden Völker genau so wie zum Wohle der ganzen westlichen Zivilisation!
Das ist es, was die WAV zu der Saardebatte zu sagen hat.