Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stellen mit einer gewissen Befriedigung fest, daß diese 'Vorlage immerhin auf dem Wege von der Regierung über den Ausschuß bis heute wieder ins Plenum gewisse kleine Verbesserungen erfahren hat, und zwar im wesentlichen auf Grund sozialdemokratischer Anträge,
wenn diese Tatsache auch in der Berichterstattung und in der bisherigen Debatte nicht so zum Ausdruck gekommen ist. Aber daß diese Vorlage noch außerordentlich viel zu wünschen übrig läßt, ersehen Sie aus den Ihnen vorliegenden Anträgen. Es kann sein, daß Sie heute bei der Abstimmung über unsere Anträge und die Anregungen der Gewerkschaften in derselben Weise hinweggehen, wie das im Ausschuß geschehen ist, und daß Sie Ihre Mehrheit im selben Sinne gebrauchen. Aber. das macht es um so mehr notwendig, daß der grundsätzliche Standpunkt, der uns bei dem Widerspruch gegen diese Vorlage beseelt, klar dargelegt wird. Denn da die Regierung nur eine Steuersenkung vorgeschlagen hat, wir aber eine Steuerreform oder wenigstens den Anfang einer solchen haben wollen, sind in Wirklichkeit wir hier die Antragsteller, und so mag es auch richtig sein, wenn eine Art Schlußwort oder ein Zwischenwort nach den bisherigen Ausführungen von unserer Seite gesprochen wird.
Unsere grundsätzlichen Bedenken -- ich will sie nur noch einmal zusammenstellen -- gehen erstens dahin, daß wir eine Steuersenkung in dem Ausmaß, wie es von der Regierung vorgeschlagen ist, nicht wollen, weil wir sie uns einfach nicht leisten können.
Ich möchte mit allem Nachdruck sagen: Es sind phantastische Zahlen darüber verbreitet worden, was die Anträge der Opposition zusätzlich zu den Vorlagen der Regierung oder über diese hinaus kosten würden. Nichts dergleichen ist richtig. Aus den Ihnen vorliegenden Anträgen — und dieselben Anträge haben dem Ausschuß vorgelegen — ersehen Sie, was sich jedermann auf Grund der Unterlagen, die dem Ausschuß und Ihnen zur Verfügung stehen, ausrechnen kann, daß wir höchstens die Hälfte oder ein Drittel derjenigen Steuersenkung wollen, die die Regierung riskieren zu können glaubt.
Meine Damen und Herren, Sie sind heute schon einmal daran erinnert worden, wie vor wenigen Wochen hier eine einstimmige Bewilligung für die Kriegsbeschädigten von der Regierungsmehrheit im Plenum wieder aufgegeben worden ist, weil, wie uns damals gesagt worden ist, die harte Realität dazu zwinge,
und es ist Ihnen heute wieder gesagt worden, es sei ein unerbittliches Muß, daß man andere Steuersenkungen als die hier vorgesehenen nicht gebe. Waren das „unerbittliche Muß", die „harten Realitäten" die Verpflichtungen, die die Regierung in der Regierungserklärung übernommen hat, und die Gründe, warum sie diese Verpflichtungen übernommen hat? . Sie sind, meine Damen und Herren, zu Beginn der Debatte in der vorigen Woche in beweglicher und recht eindringlicher Weise vom Herrn Bundesfinanzminister darauf hingewiesen worden, daß es sich ja um Mittel der Länder handelt, und zwar um ihre wesentlichsten Mittel, über die man hier beschließt, und es ist ganz richtig, daß man diese Dinge einmal vom Standpunkt des Grundgesetzes aus betrachtet. Im Munde des Herrn Bundesfinanzministers klang diese Erinnerung allerdings wie eine Warnung, aus diesen Mitteln nur ja niemand anders etwas zukommen zu lassen als dem, dem die Regierung etwas geben wolle.
Aber ich frage vom Standpunkt des Grundgesetzes aus: Sind die Mittel der Lander dazu da, um die Wahlverpflichtungen derjenigen Koalition zu erfüllen, die im Bund gerade die Mehrheit hat?
Diese Vorlage hat in der Tat mit Staatsfinanzierung weniger zu tun als mit Wahlfinanzierung.
Wir haben Bedenken gegen das Ausmaß dieser Steuersenkung, und wir haben Bedenken gegen die Verteilung dieser Steuersenkung. Auch hier ist eine Reihe von Zahlen richtigzustellen. Es ist bereits nicht nur von uns, sondern auch von Herrn Kollegen Dr. Höpker-Aschoff richtiggestellt worden, daß die Behauptung nicht aufrechterhalten werden kann, die Besteuerung der unteren, der Arbeitereinkommen sei heute in Deutschland geringer als in England. Es ist ebenso unrichtig, und es wird durch Wiederholung nicht richtiger, wenn man Vergleiche mit der Belastung von 1936 oder 1938 anstellt und die gänzlich verschiedene Kaufkraft außer acht läßt.
— Eben, die Löhne sind anders. Ich glaube, es ist gering gerechnet, wenn Sie ein Einkommen von 2000 Mark im Jahre 1938 mit einem Einkommen von 3000 Mark heute gleichsetzen Diese Einkommen unterliegen aber heute genau dem gleichen Steuersatz wie 1938. Denken Sie, meine Damen und Herren, einmal daran, daß nach der Industrieberichterstattung der niedrigste männliche Tariflohn 2400 Mark und das Durchschnittseinkommen eines Industriearbeiters 2600 Mark beträgt.
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Es ist ebenso falsch, wenn gesagt worden ist, den unteren Einkommen seien Ermäßigungen zugute gekommen, die den oberen Einkommen nicht zugute gekommen seien. Es sind Tabellen vorgelegt worden, die Vergleiche mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 12 gezogen haben. Diese Tabellen sind aufgestellt worden für veranlagte Steuerpflichtige mit zwei Kindern. Diese Tabellen haben außer acht gelassen, daß nach diesem Kontrollratsgesetz für Arbeitnehmer und für freie Berufe ein Freibetrag von 10 Prozent des Einkommens bis 1000 Mark galt und daß in Wirklichkeit ein verheirateter Arbeiter mit zwei Kindern mit einem Einkommen von meinetwegen 2000 Mark nicht 62 Mark, sondern 44 Mark, also nicht, wie in der Tabelle ausgeführt, 62 Mark, sondern in Wirklichkeit 44 Mark zahlte. Die Prozentzahlen, die in dieser Tabelle berechnet sind, sind deswegen falsch.
Und nun zum Schluß noch ein Wort zu dem Junitarif, an dessen Beratung ich schließlich damals beteiligt war. Der Junitarif war kein deutscher Gesetzesbeschluß, meine Damen und Herren, — nichts, bei dem man mit Abänderungsanträgen hin und her und mit Gesamtbeschlüssen letzten Endes irgendeine bestimmte Fassung erreichen konnte, sondern der Junitarif war ein Vorschlag an die Militärregierung zu einem Militärregierungsgesetz in einer Materie, in der wir
keine Zuständigkeit hatten. Bei dem Junitarif bestand deswegen von vornherein die Notwendigkeit, daß es ein einstimmiger Vorschlag sein mußte, und er ist auch einstimmig gewesen oder praktisch einstimmig. Ich glaube, sogar die kommunistische Fraktion hat ihm damals zugestimmt. Es war also von vornherein nicht ein Gesetz, um dessen Bestimmungen man kämpfte, sondern ein notwendiger Kompromiß, die Aufzeichnung einer Linie, bei der man äußerstenfalls zum Kompromiß kommen konnte.
Das war der Junitarif.
Erstens wissen Sie ganz genau, daß der Junitarif in dieser Regierungsvorlage einige sehr merkwürdige Beulen bekommen hat, und zwar in der Gegend von 50 000, 60 000 Mark Jahreseinkommen. Und zweitens wissen Sie ganz genau, daß inzwischen neben den geltenden Tarif im vorigen Jahr ein ganzes System von Steuerermäßigungen getreten ist, das die Rückkehr zum Junitarif ersetzen wollte. Und nun wollen Sie die Rückkehr zum Junitarif und ihn über ihn hinaus noch neben dieses System stellen. Das vertragen wir nicht. Das vertragen unsere öffentlichen Finanzen nicht.
Meine Damen und Herren, ich muß hier auch diesen Punkt wiederholen, wenn man soviel von Steuerlast spricht: Besteht denn die Steuerlast nur in der Einkommensteuer? Was ist denn mit den Verbrauchssteuern? Was ist denn mit diesem Posten, der einen ganz ungesunden und ständig wachsenden Anteil am deutschen Steueraufkommen hat? Wir kennen eine ganze Menge dieser Verbrauchssteuern, die längst schlachtreif sind: die Biersteuer, die Zigarrensteuer. Es gibt noch andere zu nennen. Was geschieht denn hier? — Das ist eine Steuerlast, die, wie wir wohl wissen, auf den unteren Einkommen zusätzlich ruht. Ich bin gern bereit, dem Herrn Bundesfinanzminister die Zahlen zugänglich zu machen, die ihm an sich schon bekannt sein müßten, über das Verhältnis der Steuerbelastung zwischen unteren und höheren Einkommen unter Berücksichtigung der Verbrauchssteuern etwa zwischen England, Amerika und der Bundesrepublik; Zahlen, die beweisen, daß unser heutiges Steuersystem in dieser Beziehung ungefähr das rückständigste ist, was man sich denken kann.
Wir möchten endlich einmal in dieser Frage der Verbrauchssteuern Maßnahmen sehen, ordentliche gesetzliche Vorlagen. Wir hören da und dort von vorläufigen Steuerstundungen durch Verwaltungsmaßnahmen oder Ähnliches. Wir hören, daß mit Interessenten um Gesetzesvorlagen gefeilscht wird. Wir möchten, daß etwas geschieht.
Das sind unsere Bedenken gegen das Ausmaß und die Verteilung dieser Steuersenkung. Trotzdem — und das sehen Sie aus unseren Anträgen -halten wir Steuersenkungen für die unteren Einkommen für notwendig. Warum halten wir sie für notwendig? Wir halten sie für notwendig, weil wir daran denken, daß die Lebenshaltungskosten gestiegen sind — das kann niemand leugnen, der von der Währungsreform vom 20. Juni aus rechnet; wenn Sie allerdings von den turbulenten Preisen ausgehen, die bereits vier Wochen später galten, so mögen Sie zu anderen, aber nicht richtigeren Ziffern kommen —, weil wir daran denken, daß die Investitionen, die gemacht worden sind, zum allergrößten Teil eine gewaltige Kapitaleinlage der Festbesoldeten, eine gewaltige Kapitaleinlage der Verbraucher und der kleinen Einkommensbesitzer bedeuten! Denn wer hat schließlich die Überprise bezahlt, aus denen diese Investitionen gemacht worden sind?
Wir denken weiter daran, daß auf den Schultern gerade der Arbeitenden heute ungeheure, verhältnismäßig ungeheure Soziallasten liegen, mit denen sie die Renten der Alten aus den früheren Jahrzehnten noch durchhalten, die in der Währungsreform zugrunde gegangen sind. Wir denken daran, was dazu alles noch auf diese kleinen Einkommen kommt. Wir denken daran, daß, wie niemand, der sich damit beschäftigt hat, leugnen kann, die große Gefahr besteht, daß wir das heutige System der Lebensmittelsubventionen in dieser Weise nicht werden aufrechterhalten können. Wir sehen hier eine weitere große Last für diese Einkommen entstehen. Wir sehen, daß die sogenannte Kapitalkrise bereits zu einer Absatzkrise zu werden droht, wenn nicht schon geworden ist. Wenn ich in den Zeitungen oder auch in Berichten des Ausschusses für Ernahrung, Landwirtschaft und Forsten lese, daß heute die Nahrungsmittelindustrie, die Konservenindustrie usw. um Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln bitten, um liquide zu bleiben — wegen der Vorräte, die bei ihnen festgefroren sind —, dann sehe ich darin die Folgen einer falsch geleiteten Kapitalbildung, eben weil die Konsumkraft nicht entsprechend größer geworden ist —, nebenbei eine hübsche Ergänzung zu dem Kapitel Fehlfinanzierungen und Verantwortlichkeit für die eigenen Investitionen, das Herr Kollege Höpker-Aschoff soeben angeschnitten hat.
Daran, daß die Gewerkschaften eindeutig gesprochen haben, brauche ich Sie nicht noch einmal zu erinnern. Dieses Telegramm ist an die Bundesregierung, an den Herrn Bundeskanzler und an alle, die es angeht, gegangen. Die Gewerkschaften haben sie deutlich darauf aufmerksam gemacht, daß bei Durchgehen dieser Regierungsvorlage Lohnerhöhungen nach gewerkschaftlicher Ansicht unvermeidlich sind.
Über das Thema Kapitalbildung will ich mich nicht weiter verbreiten; ich will mich auf zwei Sätze beschränken. „Eine wesentliche Stärkung der Kapitalbildung könnte sich ergeben, wenn die Einkommensteuersenkung von Maßnahmen begleitet würde, die die Steuerpflichtigen dazu zwingen, das zusätzliche Einkommen aus der Steuerermäßigung zur Anlage zu bringen. Es würde natürlich noch vorteilhafter sein, wenn die Steuersenkung an Bestimmungen geknüpft .würde, nach denen ein Teil des zusätzlichen freien Einkommens in bestimmte Anlagen zugunsten gefährdeter Teile der Wirtschaft gelenkt würde. Bestimmungen über Begünstigung der Kapitalbildung beider Art waren in .der Steuersenkungsaktion des Jahres 1949 enthalten. Eine so umfangreiche Steuersenkung, wie sie jetzt geplant ist, muß jedoch mit wirksameren Maßnahmen als den bisherigen verbunden werden, damit Mittel auf die Kapitalmärkte geleitet werden." Diese Sätze, meine Damen und Herren, wären ebenso richtig, wenn sie nicht in der Stellungnahme der amerikanischen ECA-Mission zum Memorandum der Bundesregierung stünden. Dort stehen sie nämlich!
Welche Folgerungen haben wir nun mit unseren Anträgen aus diesem allem gezogen? Damit möchte ich insbesondere unsere Anträge zu § 32 des Gesetzes kurz erläutern und begründen.