Meine Damen und Herren! Von dem Herrn Kollegen Koch ist vorhin die Rechtmäßigkeit der zweiten Lesung dieser Vorlage mit Rücksicht darauf angezweifelt worden, daß damals die Beschlußunfähigkeit des Hauses festgestellt und alsdann eine neue Sitzung anberaumt wurde. Herr Kollege Koch, ich verstehe Ihre Einwendungen nicht. Nach dem klaren Wortlaut von § 100 der Geschäftsordnung hat der Präsident bei Beschlußunfähigkeit die Sitzung sofort aufzuheben und Zeit und Tagesordnung der nächsten Sitzung zu verkünden. Nach dieser Bestimmung ist verfahren worden. Als sich die Beschlußunfähigkeit ergeben hatte, hat der Herr Präsident eine neue Sitzung, ich glaube, mit einem Zwischenraum von einer Viertelstunde, anberaumt, und dann haben wir dieselbe Tagesordnung wie zuvor zugrunde gelegt. In ähnlicher Weise ist schon öfters hier im Hause verfahren worden, und zwar auch in Fällen, in denen die Beschlußfähigkeit nicht von Ihrer Fraktion angezweifelt worden war, sondern von anderer Seite, ohne daß von Ihnen die geringste Einwendung erhoben worden wäre. Ich glaube also nicht, daß die Rechtmäßigkeit der zweiten Lesung bezweifelt werden kann. Das hindert Sie natürlich nicht, auch in der dritten Lesung noch Abänderungsanträge zu stellen, auch zu den einzelnen Paragraphen; das ist ja in der Geschäftsordnung aus-
drücklich vorgesehen. Aber, meine Damen und Herren, um das klarzustellen: für uns ist diese Lesung. die dritte Lesung, und daraus muß sich der weitere Gang der Beratungen ergeben.
Nun zu der Sache selbst. Der Herr Kollege Koch hat nochmals darauf hingewiesen — wir haben diese Ausführungen ja schon im Ausschuß gehört —, daß diese Steuervorlage zu wenig für die kleinen Einkommen und zu viel für die großen Einkommen gebe. Ähnliche Einwendungen sind ja auch von den beiden Vorrednern, dem Herrn Kollegen Rische und dem Herrn Kollegen Loritz, gemacht worden.
Um die Einwendungen des Herrn Kollegen Rische gleich vorwegzunehmen -- er hat ja über seine Einwendungen hinaus noch eine Fülle von Anträgen zur Verbesserung unseres Steuersystems gestellt, die auch im wesentlichen den kleinen Steuerzahlern zugute kommen sollen. Man müßte nach diesen Ausführungen meinen, daß er das Vorbild für seine Vorschläge in der russischen Zone gefunden hat und daß dort die kleinen Leute in einem Steuerparadies leben. Ich weiß nicht, Herr Kollege Rische, ob Sie den Steuertarif der Einkommensteuer kennen, der heute in der russischen Zone maßgebend ist. Ich will nur ein paar Zahlen aus diesem Steuertarif hier einmal anführen und sie den Zahlen gegenüberstellen, die sich aus unserer Regierungsvorlage jetzt ergeben. Nach diesem Tarif in der russischen Zone beträgt die Steuer für einen Ledigen mit einem Einkommen von 1 500 Mark 129 Mark, bei uns nach der Regierungsvorlage 82 Mark;
für einen Ledigen mit 3 000 Mark drüben 450 Mark, bei uns 335 Mark;
für einen Ledigen mit 6 000 Mark drüben 1 373 Mark, bei uns 1 125 Mark.
Nun nehmen Sie die Verheirateten ohne Kinder: drüben bei 1 500 Mark 129 Mark, bei uns 45 Mark; drüben bei 3 000 Mark 458 Mark, bei uns 217 Mark; drüben bei 6 000 Mark 1 373 Mark, bei uns 945 Mark. Also, wenn irgendeiner sich die Maßnahmen eines anderen zum Vorbild nehmen könnte, so wäre es in diesem Falle die russische Zone, die hier wirklich noch etwas von uns lernen könnte.
Aber es kommt noch etwas ganz anderes dazu. Das sind die Bestimmungen der russischen Zone über die Ermäßigungen für die Ehefrau. Auch das ist ganz interessant. Es gibt auch dort einen Freibetrag von 720 Mark, also etwas geringer als bei uns; wir haben 750 Mark. Es gibt aber auch einen Freibetrag für die Ehefrau von 600 Mark. Aber diese Freibeträge kommen der Ehefrau in der Sowjetzone nür dann zustatten, wenn sie a) mindestens vier Monate vor Ablauf des Steuerjahres das 50. Lebensjahr erreicht hat oder b), wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind, die bis zum Schluß des Steuerjahres das 8. Lebensjahr noch nicht erreicht haben, oder c) wenn sie selber zu über 50 Prozent erwerbsunfähig ist. Also ich glaube, man kann auch hier feststellen, daß das, was die Regierungsvorlage in dieser Hinsicht vorschlägt, weit über das hinausgeht, was heute in der russischen Zone rechtens ist.
Dann auch noch ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Loritz. Er ist ein bibelfester Mann und hat gemeint, der Staat solle nicht mehr als den Zehnten nehmen. Nun, Herr Kollege Loritz, so weit sind wir von dieser biblischen Regelung gar nicht entfernt. Wenn Sie einmal die Tabelle B der Regierungsvorlage aufschlagen und ein Einkommen von 5 000 Mark nehmen, so sind Sie bei einem Verheirateten mit einem Kind bei einem Steuersatz von 500 Mark; das würde also genau dem biblischen Zehnten entsprechen. Daß wir in den höheren Steuergruppen mehr zu erheben haben -- das hängt mit den veränderten Verhältnissen und den sozialen Lasten zusammen, die wir zu tragen haben, und den Folgen eines schrecklichen, verlorenen Krieges. In den Einkommenstufen unter 5 000 Mark aber erheben wir viel weniger als den biblischen Zehnten.
Nun aber einiges zu den Ausführungen, die der Herr Kollege Koch hier gemacht hat. Er hat zugegeben, daß sich der heutige Tarif auf dem JuniTarif aufbaut; er hat auch zugegeben, daß dieser Juni-Tarif vom Jahre 1948 von dem damaligen Wirtschaftsrat einmütig — auch mit Zustimmung der Sozialdemokratischen Partei — beschlossen war, aber er meint, seither seien doch sehr starke Veränderungen eingetreten, die Lebenshaltungskosten seien stark gestiegen. Nun, es ist richtig, die Lebenshaltungskosten sind nach der Währungsreform gestiegen; sie sind dann aber nicht unerheblich wieder gesunken, und sie liegen heute gar nicht mehr soviel über den Lebenshaltungskosten zur Zeit der Währungsreform.
Auf der anderen Seite sind aber auch die Einkommen seit der Währungsreform nicht unerheblich gestiegen.
Nach den statistischen Unterlagen ist das Einkommen eines Arbeiters seit der Währungsreform im Durchschnitt um 20 Prozent gestiegen.
Also die Steigerung der Einkommen beträgt sicherlich mehr als die Erhöhung der Lebenshaltungskosten. Man kann daher gegen das, was damals der Wirtschaftsrat einmütig beschlossen hat, heute nicht einwenden, die Lebenshaltungskosten seien stärker gestiegen als die Einkommen. Denn das entspricht in keiner Weise den Tatsachen.
Dann habe ich, Herr Kollege Koch, Ihre Berechnungen offen gesagt nicht verstanden. Sie haben uns ausgerechnet, daß bei einem Einkommen von 1200 Mark und 2 400 Mark die Vorlage so gut wie gar keine Ermäßigung bringe. Ich bitte Sie, doch einmal die Einkommensteuertabelle B, wie sie bisher gültig war, und die Einkommensteuertabelle B, wie sie jetzt der Regierungsvorlage zugrunde liegt, miteinander zu vergleichen. Nehmen Sie dann ein' Einkommen von 1200 Mark, so finden Sie, daß nach der bisherigen Tabelle die Steuerpflichtigen in dieser Gruppe haben zahlen müssen 50 Mark der Ledige und 30 Mark in der Steuerklasse II; nach der neuen Tabelle 41 und 25. Wenn Sie dann ein Einkommen von 2 400 Mark nehmen, dann haben Sie nach der bisherigen Tabelle 261 Mark für den Ledigen, 153 Mark in der Steuerklasse II, dagegen nach der Tabelle der Regierungsvorlage 217 und 127. Es handelt sich hier also nicht um Ermäßigungen von 0,75 oder 1,9 Prozent, sondern es handelt sich hier, wie es in der Begründung der Regierungsvorlage vorgesehen ist, bei den unteren Steuerklassen in der Tat um Ermäßigungen um ein Sechstel bis ein Fünftel.
Aber, meine Damen und Herren, es wäre ja doch außerordentlich lehrreich, wenn die Tabellen über
die Steuerkurven, die uns von dem Herrn Bundesfinanzminister im Ausschuß zugänglich gemacht sind, mehr bekannt wären und auch einmal in die Öffentlichkeit kommen würden.
Wenn man sich auf dieser Steuertabelle die Steuerkurven ansieht — die Steuerkurve von 1925, 1938 und 1943 und die Steuerkurve der heutigen Regierungsvorlage —, so ergibt sich doch die bemerkenswerte Tatsache, daß die Steuerkurve der heutigen Regierungsvorlage die Steuerkurve des Jahres 1925 erst bei einem Einkommen von 4 800 Mark schneidet, daß sie die Steuerkurve des Jahres 1938, die, wenigstens für die kleineren Einkommen, noch maßvoller war als die Steuerkurve des Jahres 1925, erst bei etwa 4 500 schneidet, mit anderen Worten: die kleinen Einkommen bis zu 5 000 Mark sind in Deutschland nie so günstig versteuert worden wie durch die Regierungsvorlage.
Die Tarife, die wir 1925 und im Jahre 1938 gehabt haben, lagen für diese Einkommen höher als der heutige Tarif.
Wenn Sie dann aber weitergehen und auch einmal nach den höheren Einkommen hinschauen — das möchte ich insbesondere auch dem Kollegen Loritz sagen —, so haben Sie das umgekehrte Bild. Während bei den unteren Einkommen die Steuerkurve des Regierungstarifs noch unter den niedrigsten Kurven bleibt, die wir jemals gehabt haben, geht es dann schon bei den mittleren und höheren Einkommen auch nach dem, was heute die Regierungsvorlage vorschlägt, weit über diese Kurven hinaus.
Meine Damen und Herren! Denken Sie einmal an den harten Tarif, den wir während des Krieges hatten. Dieser Tarif lief mit einem Höchststeuersatz von 58 Prozent aus. Unser heutiger Tarif nach der Regierungsvorlage läuft nach der Ermäßigung mit 89 Prozent aus, und zwar in den Durchschnittssätzen und nicht nur in den Steuersätzen für die Spitze gerechnet. Man kann also beim besten Willen nicht sagen, daß, verglichen mit früheren Zugriffen des Steuergesetzgebers, hier nicht eine gewisse Gerechtigkeit auch in der Abstufung der verschiedenen Einkommensteuerklassen walte. Daß unser Tarif, soweit die kleineren Einkommen in Frage kommen, hinter dem englischen Tarif zurückbleibt, daß der englische Tarif größere Freibeträge gewährt und auch geringere Steuersätze für kleinere Einkommen und besonders für die Arbeitseinkommen, kann leider nicht bestritten werden. Es handelt sich doch aber auch darum, einmal das Einkommen und zum anderen die Produktionskapazitäten dieser beiden Länder miteinander zu vergleichen. Wir hätten alle den Wunsch gehabt — ich glaube, das kann ich für alle Abgeordneten in diesem Hause sagen —, die Steuersätze für die niedrigeren Einkommen noch weiter zu ermäßigen, wenn wir hier nicht vor dem unerbittlichen Muß gestanden hätten, auch das Gleichgewicht der Einnahmen und Ausgaben des Haushalts in Rechnung zu stellen.
Herr Kollege Koch, noch ein anderes; ich will mich im allgemeinen kurz fassen und nur auf wesentliche Punkte hinweisen. Sie sind der Meinung, daß die Begünstigungen, die den höheren Einkommen zugute kommen, nicht nur durch den Steuertarif, sondern auch durch die Bestimmungen der Paragraphen 10a und 32a über die Förderung der Kapitalbildung, zu Fehlinvestitionen führen. Sie haben das Maß der Investitionen bei uns und in
England miteinander verglichen. Herr Kollege Koch, wenn wir von Kapitalbildung reden, können wir nie die Bruttoinvestitionen zugrunde legen, sondern nur die Nettoinvestitionen, und diese Nettoinvestitionen werden heute bei uns bei einem Volkseinkommen, gleich Sozialprodukt, von meinetwegen 70 Milliarden etwa 8 oder 9 oder 10 Milliarden betragen. Wir haben heute viele statistischen Ämter und viele Meldungen, und überall weichen die Berechnungen immer etwas voneinander ab. Ich frage Sie eines, Herr Koch, wenn im Verhältnis zu diesem Einkommen die Investitionsquote verhältnismäßig groß erscheint und dann natürlich auf Kosten der Konsumquote geht, wie wollen Sie das Volkseinkommen, das Realeinkommen, das Sozialprodukt auf die Dauer "in die Höhe treiben,
wenn Sie in einer Wirtschaft, wie wir sie haben, mit den furchtbaren Zerstörungen, nicht soviel Investitionen machen wie nur eben möglich?
Denn Investitionen sind kein. Selbstzweck, sondern alle Investitionen dienen dazu, einmal den laufenden Verbrauchsgüterstrom zu verstärken. Das ist der Sinn der Investitionen. Eine zerstörte Wirtschaft wie die deutsche braucht natürlich viel stärkere Investitionen als die englische,
und wenn sie wirklich die gleiche Investitionsquote wie die englische Wirtschaft erreicht, dann sollten wir darüber nicht klagen, sondern uns darüber freuen, denn je größer die Investitionsquote ist, desto schneller werden wir zu dem Zeitpunkt kommen, in dem auch ein größerer Konsumgüterstrom an die gesamte Masse des deutschen Volkes verteilt werden kann.
Nun zur zweiten Frage, Herr Kollege Koch, oder richtiger, zur Unterfrage. Ihnen gefällt es nicht, daß die Unternehmer darüber entscheiden, was und wie investiert werden soll. Sie sprechen viel von Fehlinvestitionen und sind der Meinung, daß es gescheiter sei, wenn von Staats wegen ein Plan für die Investitionen ausgearbeitet würde. Herr Kollege Koch, ich gebe Ihnen ohne weiteres zu, daß bei den Investitionen Irrtümer möglich sind, und auch die Unternehmer werden bei ihren Investitionen irren können. Aber niemand hat mir bisher gesagt, aus welchen Gründen nun staatliche Kommissionen vor solchen Irrtümern bewahrt bleiben sollen.
Ich bin der Auffassung, daß der Unternehmer, der auf sein eigenes Risiko handelt und vor der Gefahr großer Verluste steht, wenn er Fehlinvestitionen vornimmt, sorgfältiger prüft, welche Investitionen vorgenommen werden sollen, als die öffentliche staatliche Planungskommission, die keine Verantwortung zu tragen hat
und nicht an ihrem Beutel merkt, ob Fehlinvestitionen vorgenommen worden sind oder nicht. Und sehen Sie, Herr Kollege Koch, noch ein anderes: Wenn einmal ein Unternehmer eine Fehlinvestition macht, dann muß er es bezahlen; er scheidet dann aus,
— Auch das Volk muß mit bezahlen; denn es wurde
ja volkswirtschaftliches Kapital vergeudet. Immerlun werden sich solche Irrtümer in gewissen Gren-
zen halten. Werden aber von der staatlichen Kornmission bei ihren Planungen, die sich auf die ganze Wirtschaft ausdehnen, Fehler gemacht, so wachsen die Verluste ins Riesenhafte. Aber hier handelt es sich vielleicht um eine grundsätzliche Einstellung. Sie als Sozialist sind der Meinung, daß die staatliche Planung der Weisheit letzter Schluß ist. Wir von unserem Standpunkt aus sind der Meinung, daß in einer freien Wirtschaft auch die Entscheidung darüber, was und wie investiert werden soll, dem verantwortungsbewußten Unternehmer überlassen werden soll.
— Herr Rische, Sie möchte ich ganz gewiß nicht als Arbeitgeber haben; darauf können Sie sich verlassen!
Ich glaube, daß unsere deutschen Unternehmer das besser machen würden als Sie.
Meine Damen und Herren, damit will ich meine kurzen Ausführungen abschließen. Aber ich frage alle Mitglieder des Hauses: wartet nicht draußen im deutschen Volkes alles, ohne Unterschied der Klassen, auf diese Steuerreform? Wir haben die Pflicht, diese Steuerreform so schnell wie möglich zu verabschieden, und wenn wir das tun, dann wird das von allen Klassen im deutschen Volke begrüßt werden.