Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer geglaubt hat, daß zwischen der ersten Lesung dieses Entwurfs und der jetzigen Lesung im Ausschuß aus diesem Gesetz etwas werden könnte, was wenigstens einigermaßen Hand und Fuß hätte, der ist leider bitter enttäuscht. Als Überschrift über diesen neuen Entwurf, wie er uns vorliegt, könnte man, weiß Gott, das berühmte Gedicht von Heine setzen:
Hast du viel, so wirst du bald
Noch viel mehr dazu bekommen.
Hast du wenig, wird dir auch
Dieses noch hinweggenommen.
Dieser Gesetzentwurf bringt nichts anderes als eine unerhörte und unerträgliche Erhöhung des Nettoeinkommens für die großen Vermögen, dagegen für die kleinen Leute so gut wie nichts. Das ist die Quintessenz dieser Dutzende von Paragraphen, die Ihnen vorliegen. Wir von der WAV denken uns eine Steuerreform anders, als sie hier zu sehen ist. Wir wollen endlich einmal die kleinen Einkommen möglichst wenig besteuert wissen
und dafür die wirklich großen Einkommensträger um so stärker heranziehen. Dieser Grundgedanke ist mit diesem Gesetz unter keinen Umständen verwirklicht. Das bißchen, was Sie an sogenannten Verbesserungen gebracht haben, stellt sich bei näherem Zusehen als eine Augenauswischerei dar, wie man österreichisch so unnachahmlich sagt. Wir sind überhaupt der Auffassung, daß man die kleinen und kleinsten Einkommen steuerfrei lassen muß. Sie haben hier in dem Entwurf nur ein Einkommen bis zu 750 D-Mark pro Jahr steuerfrei gelassen. Die Abschreibungen, die sonst noch möglich sind, will ich nicht 'hinzurechnen. Sie treten keineswegs in allen Fällen ein. Das sind ja dann auch tatsächlich berechtigte Abschreibungen, wir können sie außer acht lassen. Aber nehmen Sie doch ruhig noch 100 oder ein paar hundert Mark zu den 750 D-Mark Jahreseinkommen hinzu, dann kommen Sie immer noch auf Sätze, die so lächerlich gering sind, daß sie unter gar keinen Umständen verantwortet werden können. Die schreien nach einer Ausdehnung nach oben.
Wir werden Ihnen andere Vorschläge machen, wie hier vorgegangen werden muß. Wir werden Ihnen Vorschläge machen, nach denen der Staat trotzdem nicht schlechter fährt. Der Staat soll endlich einmal dort zufassen, wo wirklich die Großeinkommen sind. Es ist ein geradezu skandalöser Zustand, wenn man weiß, was sich in dem letzten Jahr seit der Währungsreform ereignet hat. Wir haben ein Ansteigen der Gewinne aus dem Großaktienbesitz in der unerhörtesten Form. Aktien, die vor einem Jahr auf 15 standen, stehen heute auf 70 und noch mehr. So geht es durchschnittlich durch den ganzen Aktienplafond an den verschiedenen deutschen Börsen hindurch. Wir haben Riesengewinne, die durch zwei Währungsreformen gemacht worden sind. Alle diese Gewinne werden nur höchst unzureichend erfaßt.
Der Staat aber sucht ganz woandersher Geld zu bekommen. Dem armen Teufel, dem einheimischen Ausgebombten und dem Heimatvertriebenen hat man jetzt in § 33 a die Sätze zu kürzen versucht. Wir von der WAV verlangen — die Anträge werden Sie auch noch schriftlich bekommen —, daß die ursprüngliche Form des § 10 f wiederhergestellt wird, daß also die neue Form des § 33 a in Wegfall kommt. Wir glauben, daß der Verbesserungsantrag, den die CDU das letzte Mal während unserer Abwesenheit beschlossen hat, noch keineswegs den Erfordernissen der Heimatvertriebenen und der einheimischen Ausgebombten und der politisch Verfolgten entspricht. Diese Verdoppelung ist immerhin noch eine bedeutende Verschlechterung gegenüber dem bisher geltenden Zustand. Ich wiederhole es: wir verlangen die Aufrechterhaltung des alten § 10 Buchstabe f in der Fassung vom 10. August 1949. Wenn die CDU wenigstens eine Verdreifachung dieser Sätze statt einer Verdoppelung beantragt und beschlossen hätte! Aber nicht einmal das hat sie getan.
Wir verlangen vor allem einen ganz anderen Aufbau der Einkommensteuer. Ich werde Ihnen unsere Sätze hierzu vorlesen. Wir verlangen zunächst eine Streichung der Tabelle B. Bezüglich der Grundtabelle A verlangen wir, die Sätze dahin abzuändern, daß die Einkommensteuer bis zu einem Jahresbetrag von 1800 D-Mark Einkommen in Wegfall kommt, weil es sich hier wirklich
um die Bettelpfennige der Ärmsten in unserem Volk handelt, der Leute, die höchstens 150 DMark im Monat verdienen. Sie wissen alle selber, was das bei den heutigen Preisen bedeutet; das Ist kaum mehr zum Leben genügend. Für Einkommen von 4800 bis 3600 D-Mark wollen wir einen anderen Satz als bisher haben. Wir wollen für den 1800 D-Mark übersteigenden Betrag einen Steuersatz von 10 Prozent haben. Wir wollen ferner eine Gruppe von 3600 bis 4800 DMark schaffen und für diese Gruppe 15 Prozent des 3600 D-Mark übersteigenden Betrages festgesetzt wissen. Wir wollen eine letzte Gruppe von 4800 bis 7200 D-Mark und einen Satz von 20 Prozent des 4800 D-Mark übersteigenden Betrages haben. Die Sätze, die ich Ihnen soeben genannt habe, betreffen alle die Kategorien der Arbeiter, der einfachen wie der gehobenen Arbeiter, und des kleinen Mittelstandes. Hier müssen Sie nur solche Steuern erheben, die wirklich verantwortet werden können. In der Bibel heißt es: den Zehnten sollt ihr nehmen und nicht mehr. Alles andere ist schon im Alten Testament als unsittlich erachtet worden. Die Herren von der CDU werden die betreffenden Stellen in der Bibel kennen.
Heute wären wir froh, wenn es nur beim Zehnten bleiben würde. Heute wird gerade den armen Teufeln ein Betrag weggenommen, der nach der Bibel bereits als unsittlich bezeichnet werden muß.
Wir wollen von wo ganz anders Beträge hereinbekommen. Wir möchten nämlich die Grundtabelle A so erhöht wissen, daß die Steuer für Einkommen von 20- bis 30 000 D-Mark statt auf 50 Prozent des Betrages, der 20 000 D-Mark übersteigt, auf 60 Prozent, bei Einkommen von 30- bis 40 000 D-Mark statt 55 auf 65 Prozent, dann bei 40- bis 60 000 D-Mark auf 70 Prozent, von 60 000 D-Mark ab auf 90 Prozent des 60 000 D-Mark übersteigenden Betrages und von über 100 000 D-Mark auf 95 Prozent des 100 000 D-Mark übersteigenden Betrags festgesetzt wird. Das sind die Summen, die man vor seinem Gewissen und vor unserem Volk verantworten kann. Aber lassen Sie bitte endlich einmal die Finger vom Arbeitereinkommen und vom Einkommen des kleinen Mittelstandes weg, weil Sie nämlich sonst die ganze Volkswirtschaft kaputtmachen. Denn daran haben wir ja schon vor 1933 gekrankt, und ich wage zu behaupten: es war mit der Grund der Katastrophe, die über uns hereingebrochen ist, daß man den kleinen Mittelstand so wenig gekannt hat und daß man ihn gegenüber den Rieseneinkommen steuerlich viel zu wenig berücksichtigt hat. Und doch liegt gerade beim Mittelstand in Stadt und Land, bei den Bauern wie bei den städtischen Gewerbetreibenden und bei den Arbeitern, gerade bei diesen Schichten das Wohl der Nation verankert!
Das sind die Anträge, die die WAV heute einzureichen hat. Wir wissen, was diesen Anträgen blüht. Wir wissen, daß leider Sie, meine Herren von der Rechten, Ihre Zustimmung höchstwahrscheinlich nicht geben werden. Denn Sie haben hier einen Gesetzentwurf geschaffen, der nichts anderes als eine Bevorteilung und Begünstigung der Rieseneinkommen ist; und da können wir nicht mitmachen. Helfen Sie doch endlich einmal dazu, meine sehr verehrten Damen und Herren, die kleinen Einkommen wirklich in einer Art und Weise heranzuziehen, daß den Leuten noch ein bißchen bleibt und daß nicht Sätze von 20 und 25 Prozent bereits bei kleinem Einkommen zu zahlen sind. Das ist unmoralisch, das kann nicht mehr gerechtfertigt werden. Suchen Sie diese Summen, die Ihnen hier verlorengehen, bei den Großaktionären, bei den Währungsreformgewinnlern, dann werden Sie nicht schlecht fahren, dann werden diese Summen für Sie die beste Anlage sein, die jemals von seiten der Finanzbehörden gemacht worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie abschließend nochmals: machen Sie doch endlich Schluß mit dieser vollkommen verfehlten Steuerpolitik, immer wieder bei den kleinen und kleinsten Einkommen die Hauptsteuerträger zu suchen. Denken Sie an andere Länder, in denen das Einkommen des Staates zum allergrößten Teil auf Vermögensteuern und auf Besteuerung der hohen Einkommen gerichtet ist. Denken Sie daran, dann werden Sie vielleicht auch den Antrag der WAV in Berücksichtigung ziehen. Wir sind der Auffassung, daß nur eine Steuerreform, die wirklich diesen Namen verdient, die dieses Unrecht gegenüber den kleinen Einkommen wiedergutmacht, überhaupt einen Zweck hat. Das, was uns die Regierung vorlegt, wird zu gar nichts anderem als zu einem Rückgang der Steuereinkünfte und zu einer Begünstigung der Großverdiener führen. Das hat die WAV zu diesem Punkte zu sagen.
Wir können der Regierungsvorlage aus den Gründen, die ich Ihnen eben nannte, unsere Zustimmung nicht geben. Wir bitten sie, doch endlich einmal eine vernünftige und wirtschaftsfreundliche Steuergesetzgebung zu machen, statt gerade die breiten Schichten des Volkes immer wieder in schlimmster Art und Weise zu benachteiligen und zu belasten.