Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen des Herrn Kollegen Ehlers sind mir recht unverständlich; denn es hat sich ja nicht nur darum gehandelt, daß der Haushaltsausschuß gleichzeitig eine Sitzung abhielt. Der Haushaltsausschuß besteht nämlich, wenn ich recht unterrichtet bin, aus 27 Mitgliedern. Es haben hier aber mindestens 150 bis 200 Abgeordnete gefehlt.
- Das Haus war nicht beschlußfähig!
— Über 200 haben gefehlt! Ich kann nicht rechnen; Sie haben vollkommen recht, Herr Kollege Hilbert: über 200 haben gefehlt. Ich glaube, daß es das Ansehen dieses Hauses sehr erheblich gefährden würde, wenn es über eine verfassungsrechtliche Grundfrage berät und entscheidet, ohne daß es in angemessener Weise besetzt ist. Denn sehen Sie, meine Damen und Herren, daß wir uns so häufig über Fragen der Geschäftsordnung und darüber hinaus über die verfassungsmäßige Art unseres eigenen Verfahrens unterhalten müssen, zeigt doch, daß wir noch gar nicht recht in Verfassung sind und wir hier überhaupt erst für die Zukunft die Grundlagen einer parlamentarischen Arbeit und Zusammenarbeit zu erarbeiten haben.
Was meine Freunde und ich gegenüber der Stellungnahme des Rechtsausschusses, wie der Herr Kollege Kiesinger sie vorgetragen hat, einzuwenden haben, ist zunächst einmal, daß in diesem Hause stets zweierlei Recht angewandt wird — auch in dieser Frage. Denn wir haben eine Reihe von Ausschüssen - ich nenne insbesondere den Außenhandelsausschuß und den Ausschuß für Ernährung, Landwirischaft und Forsten —, die das Recht der laufenden Überwachung der Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte durchaus für sich in Anspruch nehmen,
und zwar gerade unter Führung der Regierungsparteien. Aber es geht eben nicht an, daß die Regierungsparteien für die Ausschüsse, an denen sie interessiert sind, ein anderes Recht in Anspruch nehmen, als es bei denen angewandt werden soll, die von der Opposition gefordert werden.
Im Rechtsausschuß war unstreitig, daß Auskunftsanspruch und Überwachungsanspruch zum Kronrecht, möchte ich einmal sagen, des Parlaments gehören, wenn es ein echtes Parlament sein will. Lediglich die Methode wurde seitens der Mehrheit in ihrer Zulässigkeit bestritten, die Methode nämlich, daß dieses Auskunfts- und Überwachungsrecht nicht durch das Hilfsmittel der Ausschüsse ausgeübt werden dürfe, sondern Sie, meine Damen und Herren, waren, soweit Sie der Mehrheit angehören, im Ausschuß der Meinung, daß lediglich das Plenum diese Rechte handhaben könne. Eine solche Unterscheidung geht nicht an; denn was das Plenum kann, das kann es insoweit auch zur Vorbereitung und zur Abwicklung der laufenden Geschäfte an seine Ausschüsse delegieren. Das Haus ist ja überhaupt ohne die Arbeitsmethode der Ausschüsse gar nicht arbeitsfähig. Dem Hause das Recht abzusprechen, sich laufend mit Hilfe eines zuständigen Ausschusses zu informieren, der das Überwachungsrecht für das Plenum ausübt, würde eben praktisch bedeuten, dein Bundestag die Möglichkeiten ganz abzuschneiden. Wir sehen uns aber fortgesetzt diesem Bestreben gegenüber.
Wir erleben ja immer wieder, daß hier bei unseren Verhandlungen die Regierungsbank leer bleibt. Wir haben nur selten einmal das Vergnügen, wenn das Haus schon versammelt ist und still dasitzt, daß bei der Bekanntgabe der ersten amtlichen Mitteilungen durch den Herrn Präsidenten die Gestalt des Herrn Bundeskanzlers mit akzentuierter Geste der Einsamkeit dann hier durch den Gang kommt, um als Letzter — —
— Das ist gar nicht lächerlich!
- Das ist gar nicht lächerlich, meine Herren! Ich
werde das Ende Ihres Lärms ruhig abwarten.
— Herr Kollege Wuermeling, ich bin der Meinung, daß in einem Parlament zuerst die Regierung anwesend zu sein hat und nicht zuerst die Parlamentarier.
Denn die Regierung ist es, die dem Parlament Rede und Antwort zu stehen hat.
wobei die Dehler-Reden schon zu einem Begriff geworden sind.
- Das ist Volksverbundenheit, die Volksverbundenheit, Herr Kollege Wuermeling, die sich darin zeigt, daß Minister und Kanzler in Reden und Interviews eine außerordentliche Kritik an diesem Parlament geübt haben.
Zur Sache komme ich deshalb, weil es sich hier darum handelt, ob ein Überwachungsausschuß einzusetzen ist, ein Ausschuß, der nach dem Grundgesetz zulässig und nach der gegebenen Lage geboten ist. Und darum rede ich zur Sache, wenn ich mich mit den Ausführungen auseinandersetze, die seitens des Herrn Bundeskanzlers darüber gemacht worden sind, daß dieses Haus schon zu viel Ausschüsse habe. Denn das ist ja die Frage, um die es sich hier auch mit handelt. Der Bundeskanzler hat soeben erst dem „Rheinischen Merkur" ein Interview gewährt. Dazu ist die Zeit vorhanden gewesen. Er hat darin gesagt, daß dieses Haus nicht nur zu viel Ausschüsse habe,
sondern daß es bereits verbürokratisiert und überorganisiert sei und dadurch zwangsläufig ein Opfer jener leerlaufenden Geschäftigkeit, die die menschliche Substanz aushöhlt.
Der Herr Bundeskanzler hat der Presse und damit der Bevölkerung gegenüber diesem Hause eine nervöse Betriebsamkeit vorgeworfen. Er hat gesagt, daß das politische Leben - in erster Linie der Bundestag, von dem die Rede war — bereits pathologische Züge aufweise
und daß hier alles zerredende Unrast der Politiker am Werke sei.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat neulich eine außerordentliche Empfindsamkeit für die Autorität der Bundesregierung an den Tag gelegt. Ich wünschte, daß der Herr Abgeordnete Adenauer eine ähnliche Empfindlichkeit an den Tag legte für die Autorität des Parlaments!
Auf diese Weise, durch solche Interviews und durch solche Reden, wird dann im Volk
die Stimmung gefördert, daß mit dem Begriff „Bonn" eben das verbunden wird: alles zerredende Unrast der Politiker!
Dieser Ausschuß ist erforderlich, wie wir aus der Begründung meines Kollegen Erler schon die letzten Male gehört haben, die ich nicht zu wiederholen beabsichtige. Die juristische These, die der Herr Kollege Kiesinger für den Rechtsausschuß vorgetragen hat, ist unhaltbar. Wenn sich das Parlament auf den Standpunkt stellen will, es könne sich bei der Ausübung seiner Rechte nicht eines Ausschusses bedienen, so begibt sich das Parlament seiner Rechte. Allerdings habe ich es auf Ihrer Seite, meine Damen und Herren von der Mehrheit, bis jetzt noch niemals gesehen, daß Sie sich auf die Rechte des Parlaments besonnen hätten.