Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Meine Damen und Herren! Wir sind mit der heutigen Debatte wahrscheinlich an einem entscheidenden Kernpunkt des ganzen Gesetzes angelangt. Es handelt sich darum, ob es richtig ist, daß die Freibeträge, die bisher 750 D-Mark betrugen, in dieser Höhe bestehenbleiben sollen oder ob es richtig ist, daß diese Freibeträge erhöht werden müssen. Unser Antrag sieht zunächst vor, daß der Freibetrag von 750 D-Mark auf 1000 D-Mark erhöht wird. Der Freibetrag von 750 Mark stammt aus einer Zeit, als das gesamte Preisniveau und die gesamten Lebenshaltungskosten wesentlich niedriger waren als heute.
— Natürlich hat sich auch sonst einiges geändert. Ich komme aber darauf, warum wir trotzdem, trotz der allgemeinen Not, uns in dieser Weise eine Abänderung abringen müssen, trotz der allgemein bekannten Sorgen des Herrn Finanzministers. Es handelt sich darum., daß das Existenzminimum gedeckt werden muß und daß der Staat meines Erachtens nicht das Recht hat, da das Naturrecht es ihm verbietet, in das Existenzminimum des einzelnen Staatsbürgers einzugreifen.
Es ist nicht richtig, daß man sagt, jeder muß direkte Steuern bezahlen. Die breite Masse der Bevölkerung trägt schon durch indirekte Steuern in erheblichem Maße zu den Staatslasten bei. Nach dem bekannten OEEC -Memorandum der Regierung wird erwartet, daß das Aufkommen an indirekten Steuern in dem nächsten Jahr um rund 2,5 Milliarden D-Mark steigen wird. Allein durch den erhöhten Zolltarif, durch die erhöhten Umsätze usw. wird in dieser Höhe eine Steigerung der indirekten Steuern erwartet. Das steht wörtlich in diesem zitierten Bericht als eine Vorschätzung der Regierung. Wenn wir also die breite Masse durch die indirekten Steuern in dieser Härte belasten und belasten müssen, weil wir den Krieg verloren haben, dann müssen wir aber auch gerecht sein und auf der anderen Seite die gestiegenen Lebenshaltungskosten insoweit berücksichtigen, daß wir nicht den Ärmsten der Armen noch Steuerpfennige abknöpfen. Sie glauben gar nicht, wie schlimm es wirkt, wenn von den Lohntüten bei allerkleinsten Einkommen' noch direkte Steuerbeträge abgeführt werden. Wir sollten auch einmal einen gewissen Akt der Großmut gerade diesen Kreisen gegenüber begehen und damit die Staatsverdrossenheit, die sich doch in bedrohlicher Weise ausbreitet, bekämpfen. Wenn der Staat noch direkte Steuern. zu den außerordentlich hohen indirekten Steuern von' den kleinsten Einkommen erhebt, so ist das einfach unrecht.
Meine Damen und Herren, bei einem Freibetrag von 750 D-Mark und bei einem Werbungskostenpauschsatz von 780 D-Mark ist es für den Ledigen gar nicht möglich, überhaupt die nackte Existenz zu fristen, wenn der Staat ihm von den letzten Groschen, die er für seine Existenz nötig hat, noch etwas abknöpft. Gegen diesen meiner Ansicht nach absolut gegen das Naturrecht verstoßenden Eingriff in das Existenzminimum wehre ich mich. Sie werden mir doch wohl zugeben, daß in früheren Zeiten auf die Steuerpflichtigen wenig Rücksicht genommen worden ist. Wenn man damals 750 D-Mark festsetzte und heute die Preise auf 153 Prozent gestiegen sind, würde die Aufbesserung auf 1 000 D-Mark nichts ,anderes bedeuten als die Anpassung der Steuertarife in den unteren Stufen an das gestiegene Preisniveau. Allen anderen gestehen Sie das zu: die Bahn erhöht die Tarife, die Post erhöht die Tarife — überall wird es zugestanden, daß das Preisniveau ausgeglichen werden muß. Lediglich die Steuer nimmt für sich das Recht in Anspruch, mit einem Satz unten anzufangen, der bei dem heute herrschenden Preisniveau überhaupt ungerechtfertigt ist. Dasselbe gilt für die Werbungskosten und für die Sonderausgaben. Wenn die Finanzverwaltung 1938 und 1939 Werbungskosten von monatlich 26 Mark festgesetzt hat, dann entsprach das dem damaligen Preisstandard, und man kann nicht sagen, es hatten darin große Reserven gesteckt; denn die Finanzverwaltung wird 1938/39 für WerbungskostenPauschquantum und Sonderausgaben-Pauschquantum keine höheren Beträge zugelassen haben, als im Durchschnitt wirklich verbraucht worden sind. Wenn wir nun aber sehen, daß das Arbeitszeug teuerer geworden ist, daß alles, was der Arbeiter benötigt, teurer geworden ist — —
— Was soll denn das!? Das ist eine lebenswichtige Frage für die breiten Massen unseres Volkes. Wenn Sie rufen: „Was soll denn das?" — wenn jemand nicht in der Lage ist, seine nackten Lebensbedürfnisse zu befriedigen und Sie sagen: „Was soll denn das?" —, meine Damen und Herren, das ist eine Frage, die hier im Rahmen des
1422 Deutscher Bundestag -- 41. und 42. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Februar 1950
Einkommensteuergesetzes von entscheidender Bedeutung ist.
Deshalb haben wir weiter den Antrag gestellt, daß das Pauschquantum nicht nur für die Werbungskosten erhöht wird — der Ausschuß hat ja nach langen Kämpfen diese Erhöhung zugestanden —, sondern daß auch das SonderausgabenPauschquantum auf 39 Mark monatlich erhöht wird. Damit tun wir nichts anderes, als lediglich diese Beträge, die 1938 nach eingehender Prüfung der Verhältnisse als angemessen festgesetzt worden sind, dem gestiegenen Preisniveau anzupassen, und die elementarste Gerechtigkeit gebietet, daß wir das tun.
. Präsident Dr. Köhler: Wird das Wort dazu gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen. — Im übrigen darf ich der Ordnung halber darauf aufmerksam machen, daß die Entscheidng über den Antrag erst am Schluß bei der Abstimmung über die Anlage fällt.