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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag - 38. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1950 1245 38. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1950. Geschäftliche Mitteilungen 1245D Zustimmung des Bundesrats zu den Gesetzentwürfen betr. Förderung der Wirtschaft von Groß- Berlin (West) 1246A Regelung von Kriegsfolgelasten im zweiten Rechnungshalbjahr 1949 . . 1246A Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Kalenderjahr 1949 1246A Antrag des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz betr. Aufhebung der Immunität des Abg. Max Wönner 1246A Antrag des Oberstaatsanwalts in Hannover betr. Aufhebung der Immunität des Abg. Dr. Franz Richter 1246B Kabinettsbeschluß über die Erhöhung der Butterpreise (Drucksache Nr. 549) . . . 1246B Interpellation der Fraktion der SPD betr. Investitionen im Gebiet der Bundesrepublik (Drucksache Nr. 403) . . . . 1246B Dr. Veit (SPD), Interpellant 1246C, 1263B Dr. Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 1251A Dr. Bertram (Z) 1257D Rische (KPD) . . . . . . . . 1259A Dr. Dr. h. c. Lehr (CDU) . . . . 1260C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Kriegsvorschriften über die Siegelung gerichtlicher und notarischer Urkunden (Drucksache Nr. 506) 1264C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Einwirkung von Kriegssachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse (Drucksache Nr. 507) . 1264D Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (Drucksache Nr. 511) 1264D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen (Drucksachen Nr. 497 und 175; Abänderungsanträge Drucksachen Nr. 514, 526, 532) 1264D Zur Geschäftsordnung: Dr. Menzel (SPD) 1265A, 1270C, 1299C Dr. Wuermeling (CDU) . . 1265C, 1271A Dr. Becker (FDP) . . . . . 1265D Mellies (SPD) 1265D Schoettle (SPD) 1270D Zur Sache: Dr. Kleindinst (CSU), Berichterstatter 1266B Gundelach (KPD) 1271C Pannenbecker (Z) 1274B Dr. Menzel (SPD) . . . . . . . 1274C Frau Albrecht (SPD) . . . . . 1277A Böhm (SPD) . . . . . . . . 1278B Arnholz (SPD) . . . . . . . . 1280B Baur (SPD) 1282A Stopperich (SPD) . . . . . . . 1282D Dr. Falkner (BP) 1283B Dr. Nowack (FDP) 1284A Dr. Wuermeling (CDU) . . . . 1289A Farke (DP) . . . . . . . . . 1293A Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern . . . . . . . . 1293D Abstimmungen . . . . . . . . 1295B Zur Abstimmung: Dr. Menzel (SPD) 1297D Dr. Oellers (FDP) 1297D Euler (FDP) 1298A Dr. Bucerius (CDU) 1298A Mellies (SPD) 1298A Nächste Sitzung 1299D Die Sitzung wird um 13 Uhr 45 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    erstens einen Antrag des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 16. Januar 1950 auf Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Max Wönner, der sich auf einen Bericht des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht München stützt; zweitens einen Antrag des Oberstaatsanwalts in Hannover vom 6. Januar 1950 auf Aufhebung der Immunität des Herrn Abgeordneten Dr. Franz Richter. — Ich darf wohl das Einverständnis des Hauses feststellen, daß diese beiden Anträge gemäß dem bisher üblichen Verfahren dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität überwiesen werden.
    Ich habe weiter mitzuteilen, daß der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit Schreiben vom 9. Februar einen Kabinettsbeschluß über die Erhöhung der Butterpreise mitgeteilt hat, der den Mitgliedern des Hauses als Drucksache Nr. 549 entweder schon zugegangen ist oder im Laufe des heutigen oder nächsten Tages noch zugehen wird.
    Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zur Tagesordnung. Ich rufe auf Punkt 1:
    Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Investitionen im Gebiet der Bundesrepublik (Drucksache Nr. 403).
    Für die Behandlung dieser Vorlage schlägt Ihnen der Ältestenrat gemäß § 88 der Geschäftsordnung vor, für die Debatte insgesamt eine Redezeit von 120 Minuten festzulegen mit der Maßgabe, daß für die Einbringung und Begründung der Interpellation seitens der Interpellanten 30 Minuten vorgesehen sind. Ich erbitte die Zustimmung des Hauses zu diesem Vorschlag des Ältestenrats, daß die Beratung insgesamt 120 Minuten dauern soll. — Ich höre keinen Widerspruch, darf das Einverständnis des Hauses feststellen und meinerseits hinzufügen, daß wir nach dem bereits bewährten Verfahren am letzten Freitag jeweils vom Präsidium aus dem
    Herrn Redner die Zeitdauer seiner Rede mitteilen werden.
    Wer von den Herren Interpellanten wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Dr. Veit!
    Dr. Veit (SPD), Interpellant: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der deutschen Wirtschaftspolitik ist die Aufgabe gestellt, die durch den Krieg und seine Folgen zerstörte und aus sinnvollen Beziehungen geworfene Wirtschaft aufzubauen und ihre Ordnung wiederherzustellen. Das Ziel muß ein Wirtschaftsapparat sein, der möglichst allen arbeitswilligen Menschen des Landes den Arbeitsplatz sichert, eine Produktion, mit der der inländische Bedarf, sei es direkt, sei es über den Weg des Außenhandels, gedeckt wird, und eine Leistungsfähigkeit, die es der Wirtschaft ermöglicht, qualitäts- und preismäßig den Wettbewerb mit den anderen Ländern auf dem Weltmarkt aufzunehmen. Der Aufbau kann und darf auf vielen Gebieten kein Wiederaufbau sein. Der Wunsch der wirtschaftenden Menschen, denen der Krieg ein Geschäft oder eine Produktionsstätte zerstört hat, die ihren Mann ernährte, dasselbe Geschäft oder dieselbe Produktionsstätte wenn möglich am gleichen Platz und in der gleichen Art wieder zu errichten, ist verständlich. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus darf aber nicht übersehen werden, daß wir zu einer ungeheuren Fehlleistung kämen, wenn alle so handeln und die Wirtschaft wieder so aufbauen würden, als wenn alles beim alten bliebe und der Krieg keinerlei Veränderungen mit sich gebracht hätte. Der Neubau der deutschen Wirtschaft muß die weitreichenden strukturellen Veränderungen ebenso vor Augen haben wie die neuen Aufgaben, die unserer Wirtschaft gestellt sind.
    Die Zerreißung Deutschlands in zwei Wirtschaftsgebiete, in denen nicht nur nach grundverschiedenen Prinzipien gewirtschaftet wird, sondern deren natürliche Kommunikation aus politischen Gründen oft mit größeren Hemmnissen belastet ist als der Verkehr mit dem Ausland, hat trotz des im ganzen deutschen Volk brennenden Wunsches nach Wiedervereinigung ganz Deutschlands schwerwiegende Produktionsverlagerungen ausgelöst. Der Industrieplan der Besatzungsmächte mit seinen Verboten und Beschränkungen wichtiger Industrien hat die Umstellung vieler Produktionen zur Folge.
    Der Raubbau der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik am deutschen Produktionsapparat hat die Erneuerung der maschinellen Ausrüstung zur unausweichlichen Voraussetzung einer Wettbewerbsleistung gemacht. Bei dieser Erneuerung muß aber der technische Fortschritt berücksichtigt werden, den die übrige Welt in der Periode verzeichnen konnte, in ,der wir Kanonen statt Butter produzierten. Dabei wird es zu überlegen sein, ob wir überhaupt auf einzelnen Gebieten den technischen Vorsprung kochindustrialisierter Länder, inbesondere der Vereinigten Staaten von Amerika, in absehbarer Zeit einholen können oder ob das so unwahrscheinlich ist, daß die Wiedererrichtung solcher Industrien volkswirtschaftliche Fehlinvestitionen größten Ausmaßes wären. Man wird diese Überlegungen um so mehr anstellen müssen, als die in steigendem Maße von den Vereinigten Staaten gewünschte und wohl auch erzwungene Liberalisierung des Handels in naher Zukunft prohibitive Schutzmauern der Außenhandelspolitik


    (Dr. Veit)

    zum Einsturz bringen wird. Die etwaige künftige Richtung des deutschen Exports wird bei den Erwägungen über den Aufbau ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen müssen, da uns große Gebiete, mit denen Deutschland in früherer Zeit Außenhandel getrieben hat, wie zum Beispiel die östlichen. Länder und Rußland, in absehbarer Zeit mehr oder weniger verschlossen sein werden.
    Aber nicht nur die materiellen Grundlagen unserer wirtschaftlichen Struktur haben sich tiefgehend verändert, sondern auch in dem Produktionsfaktor Mensch sind wesentliche Umschichtungen eingetreten, die beim Aufbau einer neuen deutschen Wirtschaft eine entscheidende Rolle spielen müssen. Die Übervölkerung des uns verbliebenen Gebietes der deutschen Bundesrepublik, in der einschließlich Berlin seit 1937 die Bevölkerung pro Quadratkilometer um 44 Prozent zugenommen hat, und die Veränderung in der Zusammensetzung der arbeitenden Schichten müssen bei der Neuordnung unserer Wirtschaft ebenso berücksichtigt werden wie die Tatsache, daß durch die Vertreibung von etwa 8 Millionen Menschen aus den Ostgebieten und ihre Ansiedlung in zum großen Teil industriearmen Gegenden unseres Landes schwere wirtschaftliche und soziale Spannungen entstanden sind, deren Behebung ein zwingendes politisches Postulat ist. Der Wegfall wichtiger Ernährungsgebiete des Ostens, deren Menschen jedoch von uns miternährt werden müssen, erschwert durch den Zwang zu um so größerer Exportleistung die ohnehin genügend schweren Aufgaben.
    Meine Damen und Herren! Für die Lösung dieser Aufgaben ist uns nicht beliebig viel Zeit gelassen, sondern es ist uns ein Termin gesetzt, der in bedenkliche Nähe gerückt ist. Daß wir bisher leben konnten — ein Teil sehr gut, ein wesentlich größerer Teil recht und schlecht und ein viel zu großer Teil um und unter der Grenze des Existenzminimums —, ist ausschließlich der großzügigen und großherzigen Hilfeleistung des amerikanischen und des englischen Volkes zu verdanken. Diese Hilfe hört in der Mitte des Jahres 1952 auf. Bis dahin muß der Aufbau im wesentlichen vollendet sein. Gelingt das nicht, so ist ein ungeheures Absinken des deutschen Lebensstandards auf allen Gebieten unvermeidlich.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die damit verbundenen politischen Gefahren brauche ich in diesem Kreise nicht auszumalen.
    Dieser für das Leben unseres Volkes entscheidende Aufbau unserer Wirtschaft erfordert Kapital. Aber gerade daran fehlt es in unserem Volke am meisten. Ungeheure Kapitalwerte sind im Bombenhagel des Weltkrieges und in den Erdkämpfen, die sich durch den Entschluß, bis 5 Minuten nach 12 Uhr zu kämpfen, durch ganz Deutschland hinzogen, vernichtet worden. Ein nicht geringer Teil deutscher Vermögenswerte ist der Demontage zum Opfer gefallen. Die deutschen Vermögen im Ausland sind beschlagnahmt worden: Die deutschen Patente und andere gewerbliche Schutzrechte, ein nicht abzuschätzender Wertbestandteil der deutschen Vermögensbilanz, ist der ganzen Welt zur Verfügung gestellt worden. Das deutsche Geldvermögen ist durch die Währungsreform im Juni 1948 auf einen verschwindenden Bruchteil zusammengestrichen worden. Die Bildung neuen Kapitals ist erschwert durch die vermehrten Ausgaben der öffentlichen Hand, insbesondere durch die Besatzungslasten und den unstillbaren Konsumbedarf des ganzen Volkes.
    Angesichts dieser Situation sind die von meiner Fraktion an die Regierung gestellten Fragen ohne weitere Begründung verständlich. Es sind ohne Übertreibung Lebensfragen unseres Volkes. Trotz der erschwerten Bedingungen einer Kapitalneubildung hat sich in Deutschland Kapital gebildet. Aber weil es so knapp ist und weil es von entscheidender Bedeutung für das deutsche Schicksal ist, ob es rechtzeitig und an der richtigen Stelle eingesetzt worden ist und in Zukunft eingesetzt werden wird, haben wir die Regierung um Bericht gebeten, in welchem Ausmaß bisher Kapital in der deutschen Wirtschaft investiert worden ist, in welchen Wirtschaftszweigen das geschehen ist, wieviel Arbeitsplätze damit neu geschaffen worden sind, inwieweit die Produktionskapazitäten gesteigert worden sind, wieviel Wohnraum neu geschaffen worden ist und ob und in welchem Umfang Fehlinvestitionen zu verzeichnen waren.
    Es ist, wie ich schon sagte, in Deutschland Kapital neu entstanden. In der Zeit vor der Geldreform wurde unter dem billigsten Einsatz des Produktionsfaktors Mensch, der nicht einmal die notwendigsten Lebensmittel verdiente, in nicht unerheblichem Umfang Sachkapital neu gebildet.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Im ersten Jahr seit der Geldreform sind etwa 15 Milliarden D-Mark für Anlagezwecke einschließlich der Abschreibungen verwendet worden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wenn man den Betrag der Vorratsbildung hinzu- rechnet, so erhöht sich diese Summe auf etwa 18 Milliarden D-Mark. Es ist damit zu rechnen, daß der Betrag der Bruttoinvestitionen im laufenden zweiten Jahr seit der Währungsreform eher noch über diesem Betrag liegt.
    Trotz dieser für eine geschwächte Volkswirtschaft sehr beträchtlichen Beträge sehen wir mit wachsender Sorge das Ansteigen der Arbeitslosenziffer auf beinahe 2 Millionen und die immer noch gewaltig klaffende Lücke zwischen der deutschen Ausfuhr und der deutschen Einfuhr. Nur etwa 50 Prozent der deutschen Einfuhr kann aus dem Erlös der deutschen Ausfuhr bezahlt werden, ja, von der Einfuhr aus dem Dollarraum nicht einmal 10 Prozent.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Angesichts dieser Sachlage des Ansteigens der Arbeitslosigkeit einerseits und der ungenügenden deutschen Exportsteigerung andererseits erhebt sich die Frage, ob die seit dem Zusammenbruch und insbesondere seit der Währungsreform vollzogenen Kapitalinvestitionen in Deutschland an der richtigen Stelle erfolgt sind. Wenn diese Frage verneint werden muß, dann fragen wir die Regierung, wie dieses folgenschwere Versagen verantwortet wird und ob sie bereit ist, in der Zukunft das Menschenmögliche zu tun, um die sich neu bildenden Kapitalien volkswirtschaftlich richtig einzusetzen.
    Diese Frage, meine Damen und Herren, geht das ganze Volk an; denn die Steigerung des Sozialprodukts, das heißt des wirtschaftlichen Gesamtergebnisses unseres Volkes auf eine Höhe, die eine Kapitalbildung ermöglichte, ist dem. Fleiß, der Tüchtigkeit und dem Lebenswillen aller


    (Dr. Velt)

    schaffenden Menschen in Deutschland zu verdanken.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wenn der eine im Verhältnis zu dem anderen einen größeren Teil des Sozialprodukts in seine Kasse leiten konnte, so ist das nicht immer auf die größere Leistung zurückzuführen.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Der Überschuß des Sozialprodukts, der nicht in den Konsum ging, ist zudem kein echter, über den Konsumbedarf hinausgehender Teil des Sozialprodukts, sondern im wesentlichen entstanden aus dem erzwungenen Konsumverzicht derer, denen der Bezugschein Geld in unzureichendem Maße zur Verfügung gestellt worden ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn die auf diese Weise zustande gekommenen Kapitalien nicht an der richtigen Stelle eingesetzt werden und die deutsche Volkswirtschaft am Ende der Marshallplanhilfe ihre Aufgabe, das Volk am Leben zu erhalten, nicht mehr erfüllen könnte, dann wäre es wiederum das ganze Volk, vor allem aber wären es die Ärmsten, die die Folgen dieses Fehlers zu tragen hätten.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Als meine Fraktion am 14. Januar aus dieser Sorge heraus die Anfrage einbrachte, war es ihr noch nicht bekannt, daß die Bundesregierung durch den Herrn Bundesminister für den Marshallplan ein Memorandum der Bundesrepublik Deutschland zum Programm 1950/51 und 1951/52 vom 15. Dezember 1949 bereits an diesem Tage der OEEC unter hermetischem Ausschluß der gesamten deutschen Öffentlichkeit zugeleitet hatte.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Noch viel weniger kannten wir den Inhalt des Memorandums. Inzwischen haben wir Gelegenheit gehabt, uns damit zu beschäftigen. Leider müssen wir feststellen, daß unsere Sorgen dadurch nicht behoben, sondern wesentlich gesteigert worden sind.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Denn aus dem Memorandum ergibt sich mit geradezu schmerzlicher Deutlichkeit, daß selbst unter Zugrundelegung optimistischer Schätzungen und Entwicklungsannahmen bis zum Ende der Marshallplanhilfe die Arbeitslosigkeit 1,8 bis 2 Millionen betragen wird

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    und daß der Ausgleich unserer Zahlungsbilanz, die mit einem Defizit von 400 Millionen Dollar am Ende der Marshallplanhilfe schließt, eben nur mit Hilfe der ERP-Gelder gedeckt werden kann, ohne daß zu erkennen ist, aus welchen Mitteln nach Beendigung des ERP ein Defizit abzudecken wäre.
    Das Ressentiment dieses Memorandums und damit das Fazit der derzeitigen deutschen Wirtschaftspolitik ist somit die Feststellung: Die Arbeitslosen bleiben bei günstigster Entwicklung in gleicher Zahl arbeitslos, und wenn die Marshallplanhilfe aufhört, warten wir auf das große Wunder.
    Wir wollen die Schwierigkeiten, mit denen die deutsche Wirtschaftspolitik zu kämpfen hat, weder verkennen noch verkleinern und teilen die Zweifel darüber, ob es möglich ist, bis zum Ende der Marshallplanhilfe die Lebensfähigkeit des deutschen Volkes zu erreichen. Aber wir wehren uns mit aller Kraft dagegen, daß man das hinnimmt
    wie eine Fügung, daß man die verhängnisvolle Entwicklung treiben läßt, anstatt sich ihr mit allen Mitteln und Kräften entgegenzustemmen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist ein Irrtum, als der Weisheit letzten Schluß
    der Wirtschaftspolitik die Inaktivität des Staates
    zu proklamieren, ein Irrtum auch vom Standpunkt
    des konsequenten Dogmatikers des Liberalismus

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Gegenrufe von der FDP)

    wenn er sich marktfremden Einbrüchen in seine Wirtschaft gegenübersieht. Aktivität besteht aber nicht in Palliativmittelchen wie der kostenlosen Verteilung von 60 000 Exemplaren einer Broschüre über den Export in den Dollar-Raum,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    die man in dem OEEC-Memorandum als Zeichen deutscher Rührigkeit erwähnenswert findet, sondern im Anpacken des Übels an der Wurzel, das heißt bei der Entstehung, der Lenkung und der Überwachung des Kapitalstroms.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Die Notwendigkeit, das Steuer herumzuwerfen und den Kurs zu ändern, kann mit vielen Sätzen des Memorandums selbst belegt werden. So heißt es beispielsweise auf Seite 7 Ziffer 19:
    Es wird also selbst bei vollem Einsatz aller verfügbaren Counterpart - Funds zur Investitionsfinanzierung nur schwer möglich sein, das jetzige Investitionsvolumen einigermaßen aufrechtzuerhalten.
    Auf Seite 7 Ziffer 16 wird gesagt:
    So groß der Erfolg aller Bemühungen zu veranschlagen ist, den Bevölkerungszuwachs, der im wesentlichen durch die Zuwanderungen der Vertriebenen zustande kam, in den Wirtschaftsprozeß einzugliedern, unterliegt es doch keinem Zweifel, daß das Arbeitslosenproblem nicht nur in gleichem Ausmaß weiterbesteht wie bisher, sondern in der kommenden Zeit noch erheblich kritischer zu werden droht.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich mache darauf aufmerksam, daß diese Prognose bei günstigster Berechnung und Einsatz aller verfügbaren Investitionsmittel ausgesprochen worden ist. Wie sie zu vereinbaren ist mit der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, der in seiner Rede vom Donnerstag, dem 9. Februar, wörtlich sagte:
    Wir sind der Auffassung, daß durch diese von mir genannten Beträge für Wohnungsbau und die anderen Zwecke einschließlich der Summen, die im Laufe des Jahres 1950 aus den Gegenwert-Fonds des Marshall-Plans zur Verfügung stehen, ein sehr starker Rückgang der Arbeitslosigkeit eintreten wird

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    wie diese beiden Regierungserklärungen, sage ich, miteinander zu vereinbaren sind, bleibt bis jetzt das Geheimnis der Bundesregierung, das, wie ich hoffe, der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Antwort enthüllen wird. Wir wollen eine ganz klare Antwort auf die Frage, ob die Mittel, die der Herr Bundeskanzler in seiner Rede vom 9. Februar zur Behebung der Arbeitslosigkeit angekündigt hat, andere Mittel sind als die im OEEC-Memorandum seiner Regierung bereits eingeplanten Mittel. Sind es andere Mittel, so fragen wir, woher sie kommen. Sind es dieselben Mittel, dann stellen


    (Dr. Veit)

    wir fest, daß ein unlösbarer Widerspruch in der Beurteilung der Auswirkungen dieser Mittel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und seinem Stellvertreter besteht.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Man muß die Sorgen, die den Verfasser des Memorandums der Regierung mit Recht bedrücken, auch unter dem Gesichtspunkt verstehen, daß die fortschreitende Liberalisierung des Außenhandels möglicherweise weitere Erschwerungen unserer Lage mit sich bringt. Auf Seite 15 Ziffer 31 des Memorandums heißt es:
    Infolge der großzügigen Liberalisierungsmaßnahmen ist nämlich mit einer wesentlich höheren Einfuhr von Fertigwaren und anderen zwar erwünschten, aber nicht unbedingt lebenswichtigen Erzeugnissen, insbesondere auf dem. Ernährungsgebiet, zu rechnen, während gleichzeitig im Zusammenhang mit dem Rückgang der Dollar-Hilfe die Einfuhren von wesentlichen Grundrohstoffen und Grundnahrungsmitteln zurückgehen werden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das bedeutet also ein Absinken unserer Produktion aus der doppelten Ursache der geringeren Einfuhr von Rohstoffen und der größeren Einfuhr von Fertigwaren.

    (Zustimmung bei der SPD. Zuruf von der SPD: Kaviar!)

    Das ist eine Entwicklung, die ein Anschwellen der Arbeitslosigkeit über das erwartete Maß hinaus unvermeidlich machen wird.
    Das Memorandum kommt zu dem Ergebnis, daß die Steigerung der deutschen Produktion, auf die immer mit so großem Stolz als das sichtbare Ergebnis der derzeitigen Wirtschaftspolitik hingewiesen worden ist, bis zum Ende der Marshallplanhilfe auf etwa 106 Prozent des Friedensniveaus gebracht werden könne. Das bedeutet in Anbetracht der um 7 bis 8 Millionen gestiegenen Bevölkerungsziffer ein absolut ungenügendes Produktionsergebnis.
    Es stellt sich nun heraus, daß die Produktionssteigerung vor allem auf stark devisenabhängigen Gebieten infolge der Einfuhrmassierungen im Jahre 1949 erfolgt ist und daß der Zwang zur Einsparung von Devisen eine Steigerung gerade auf diesen Gebieten wie zum Beispiel Textilien und Schuhen trotz des vorhandenen Bedarfs kaum mehr zuläßt. Diese Notwendigkeit der Drosselung der Verbrauchsgüterproduktion aus Gründen der Devisenknappheit führt in dem Memorandum zu einer Schlußfolgerung, die geradezu als Ausdruck einer bedauernswerten Hilflosigkeit anmutet. Denn es wird gesagt, es bestünde die Gefahr, daß das Investitionsprogramm sogar gedrosselt werden müsse, weil jede Erhöhung des Produktionsniveaus durch Investitionen naturgemäß zu einer Steigerung der Beschäftigung und damit der Kaufkraft führe.(Hört! Hört! bei der SPD.)

    Wenn aber für diese Kaufkraft keine Deckung in einer entsprechend erhöhten Konsum- und Nahrungsgüterproduktion gegeben sei, so müsse sich daraus eine Gefährdung der preis- und währungspolitischen Stabilität ergeben. Es bestünde daher die Gefahr, daß entweder beträchtliche sozial nicht tragbare Preissteigerungen in Kauf genommen oder — und nun hören Sie gut zu - die bisher verfolgte liberale Wirtschaftpolitik für diese Sektoren nicht mehr fortgesetzt werden könne.

    (Hört! Hort! und Zuruf bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Wenn man sich aus dem Erstaunen über soviel Freimut erholt hat und den Gedanken noch einmal verfolgt, so wird hier nichts anderes gesagt, als folgendes. Wenn die Arbeitslosen durch Investitionen von Kapital in Arbeit und Brot gebracht werden, so erscheinen sie mit ihrem Arbeitsverdienst und damit mit zusätzlicher Kaufkraft auf dem Markte. Weil dieser aber nicht Waren für alle hat, werden die Preise in die Höhe getrieben; es sei denn, man würde zur Rationierung zurückkehren. Da man das aber unter keinen Umständen will, besteht die Gefahr — so sagt man —, daß man die Investitionen drosselt, keine neuen Arbeitsplätze schafft und die Arbeitslosen arbeitslos läßt.

    (Hört! Hört! und Pfui-Rufe bei der SPD.)

    Wir fragen die Regierung, ob sie sich zu diesen wirtschaftpolitischen Erwägungen und Vorstellungen des Memorandums, das sich als Memorandum der Bundesrepublik bezeichnet, bekennt, und wir fragen, wie eine solche unchristliche und unmenschliche wirtschaftspolitische Erwägung mit dem Versprechen der Regierungserklärung, so sozial wie möglich zu handeln, überhaupt noch zu vereinbaren ist.

    (Beifall bei der SPD und beim Zentrum.)

    Wo bleiben die Segnungen der Freiheit und die durch sie erwarteten Leistungssteigerungen, wenn Millionen Menschen zur Leistung nicht einmal zugelassen werden?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Und .wie ist es mit dem volltönenden Wort von der Majestät des Verbrauchers, das der Herr Bundeswirtschaftsminister erst kürzlich wieder von dieser Stelle aus gesprochen hat, wenn große Schichten des Volkes nur unter der Grenze des Existenzminimums als Verbraucher auftreten können?

    (Abg. Dr. Schmid: „Und der König absolut, wenn er unsern Willen tut".)

    Zu einem sehr erheblichen Teil ist der bisherige Zustand darauf zurückzuführen, daß man getreu der wirtschaftspolitischen Konzeption des Herrn Bundeswirtschaftsministers nur zu einem sehr bescheidenen Teil auf die Richtung der Kapitalinvestitionen Einfluß genommen hat, und zwar im wesentlichen nur auf die Gelder, die aus den Gegenwert-Fonds verteilt worden sind, und auf die Investitionen aus öffentlichen Mitteln. Bei diesen ist aber zu bedenken, daß die Verwendung nach dem föderalistischen Aufbau Westdeutschlands nicht nach einer einheitlichen, die Gesamtinteressen des Bundesgebiets berücksichtigenden Vorstellung, sondern nach Länderinteressen erfolgt ist. Auf dem Gebiete des Kapitalmarktes besteht eine nur sehr bescheidene Lenkungsmöglichkeit auf Grund des Kapitalverkehrsgesetzes. Bestenfalls ein Drittel der Gesamtinvestitionen unterlag somit einem mehr oder weniger starken Einfluß der Wirtschaftspolitik, während das Gros der Investitionen ungelenkt und unkontrolliert dem privaten Interesse überlassen wurde. Können wir uns im Hinblick auf die zu kurze Kapitaldecke und die unausweichliche Notwendigkeit, in kurzer Zeit bestimmte Ziele zu erreichen, eine solche Art der Kapitalverwendung gestatten? Ich will diese Frage nicht theoretisch beantworten, weil ich die Diskussion nicht auf die Ebene des Wettkampfes wirtschaftspolitischer Theorien oder gar Dogmen verlegen möchte. Das Volk ist nicht daran interessiert, welche Theorie richtig ist, es will, daß ihm geholfen wird, und zwar rasch und


    (Dr. Veit)

    durchgreifend und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln.

    (Zustimmung.)

    Aber ich gerate gewiß nicht in den Verdacht, parteipolitische Dogmen zu vertreten

    (Lachen in der Mitte und rechts)

    — Verzeihung, lassen Sie mich den Satz zu Ende sprechen! —, wenn ich zur Kritik der Investitionspolitik mich auf das Memorandum des Herrn Ministers für den Marshallplan berufe. Da finden wir unter Ziffer 170 auf Seite 64 folgenden bemerkenswerten Satz:
    Die Problematik der deutschen Kapitalmarktpolitik liegt darin begründet, daß
    a) die Bildung von investitionsbereitem Geldkapital weit hinter dem Finanzierungsbedarf zurückbleibt und
    — nun kommt der entscheidende Satz —
    b) der marktwirtschaftliche Mechanismus nicht ausreicht, um unter den gegen wärtigen Verhältnissen das verfügbare Geldkapital zu den Stellen des dringendsten Bedarfs hinzuführen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.) Es müssen also

    — ich zitiere immer noch den Herrn Bundesminister für den Marshallplan —
    nachdrücklich Anstrengungen unternommen werden, um die Kapitalbildung zu fördern und um das verfügbare Kapital den dringendsten Verwendungszwecken zuzuführen.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Planung!)

    Meine Damen und Herren! Die Opposition befindet sich in der erfreulichen Situation, dieser Meinung — nun weiß ich nicht, darf ich sagen: der Regierung, oder muß ich sagen: eines Teiles der Regierung - voll zustimmen zu können,

    (Heiterkeit bei der SPD)

    und wir bedauern nur, daß diese Einsicht nicht schon längst gewonnen und in die Tat umgesetzt worden ist.

    (Beifall bei der SPD.)

    Auf der gleichen Linie, wie diese Auffassung des Herrn Ministers für den Marshallplan liegt eine Äußerung des gewiß nicht unserer wirtschaftspolitischen Konzeption verdächtigen Präsidenten der Wiederaufbaubank, der nach einem Bericht der „Frankfurter Neuen Presse" vom 8. Februar 1950 vor der Industrie- und Handelskammer in Frankfurt folgendes ausführte:
    Bisher war die Quelle der Selbstfinanzierung am ergiebigsten; aber aus dieser Quelle entstehen wohl auch am häufigsten Kapitalfehlleitungen, da viele Unternehmer lieber eine nicht gerade notwendige Investition bei sich vornehmen, als daß sie Kapital anderen zur Verfügung stellen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Und warum funktioniert der Marktmechanismus nicht, um, die Kapitalien nach der Dringlichkeit zu steuern? Er kann nicht funktionieren, weil das Steuerungsmittel des Zinses im Hinblick auf die Knappheit des Kapitals und die Vordringlichkeit gewisser geringrentierlicher Investitionen dieses Steuerungsmittel weitgehend außer Funktion gesetzt haben. Verhängnisvoll ist, daß sich weitaus das meiste Investitionskapital bei den Unternehmern in Gestalt der Selbstfinanzierung entwickelt hat, und dieses Kapital verdankt seine Entstehung der ungenügenden Funktion des Marktes seit der Geldreform. Ein echter Wettbewerb hat sich im Hinblick auf die Mangellage und die unelastische Nachfrage der konsumgüterbedürftigen großen Masse unseres Volkes nur sehr langsam entwickelt, und infolgedessen bedeutete der plötzliche Absprung in die freie Wirtschaft für die Besitzer der Mangelwaren das Instrument, durch weit überhöhte Preise das Kopfgeld der Bevölkerung und einen erheblichen Teil ihrer umgewandelten Ersparnisse in ihre Kassen zu lenken. Daß dabei der Ertrag in weitem Umfang an den Finanzämtern vorbeifloß, ist allgemein bekannt und von deutschen Finanzministern öffentlich ausgesprochen worden.

    (Sehr gut! links.)

    Aber auch in der Folgezeit wirkte sich der Marktmechanismus nicht genügend aus, um die Selbstfinanzierung über den Preis abzustoppen. Die Ursache liegt darin, daß abgesehen von einzelnen Mangelsituationen das Spiel des Marktmechanismus durch monopolistischen oder kartellmäßigen Einfluß gehemmt wird. Daß der Herr Bundeswirtschaftsminister sich mit solcher Entschiedenheit für eine rücksichtslose Bekämpfung von Monopolen und Kartellen einsetzt, beweist das Vorhandensein dieser marktstörenden Elemente und die Notwendigkeit ihrer Beseitigung. Aber warum hat man sich dazu nun schon beinahe zwei Jahre Zeit gelassen,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    obwohl man weiß, daß eine wirkliche Marktwirtschaft nicht vorhanden ist, solange die private Monopol- und Kartellplanung sich auswirken kann? Der hemmungslose Sprung in eine angeblich freie, in Wirklichkeit kartelldurchsetzte Wirtschaft hat somit nicht nur dazu geführt, daß die große Masse über einen Knappheitspreis ausgeplündert worden ist und damit eine sozial spannungsreiche Vermögensumschichtung erfolgte, sondern hat auch die zweite verhängnisvolle Wirkung ausgelöst, daß das knappe Kapital nicht an den dringlichen Bedarfsstellen eingesetzt werden konnte.
    Der Wahrheitsgehalt der Firmierung „soziale Marktwirtschaft" wird bei dieser Betrachtungsweise eine weitere Schrumpfung erleiden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Die Situation ist sehr ernst, und niemand, nicht einmal der Unternehmer, der auf diese Weise seinen Status wieder in Ordnung bringen konnte, kann daran eine Freude haben. Die schwere Aufgabe, die unserer Wirtschaft befristet gestellt worden ist, kann nicht gelöst werden durch eine Politik des Treibenlassens. Sie wird auch nicht gemeistert durch Palliativmittelchen. Arbeitsbeschaffungsprogramme sind von sehr beschränktem Wert, wenn sie nicht Hand in Hand gehen mit einer sehr klaren Vorstellung von den Notwendigkeiten zur Erreichung der Lebensfähigkeit und Lenkung des Kapitaleinsatzes nach diesen Notwendigkeiten. Wir wollen hören, ob die Regierung gewillt ist, diesen Weg zu gehen. Es ist höchste Zeit. „Das Jahr 1949 ist nutzlos vertan worden".

    (Sehr wahr! links.)

    — Das ist nicht meine Erklärung, meine Damen
    und Herren, sondern das war die Neujahrsbotschaft des Herrn Dr. Semler, des Vorgängers des


    (Dr. Veit)

    Herrn Professors Erhard als bizonaler Wirtschaftsdirektor.

    (Lebhafter Beifall und große Heiterkeit bei der SPD.)

    Wir haben ihr nichts hinzuzufügen. Der Kredit, den sich die Regierungsparteien bei den Wahlen unter der Firma „soziale Marktwirtschaft" einräumen ließen, ist kein langfristiger. Der Wechsel wird heute präsentiert. Die Regierung soll sich erklären, ob sie ihn einlösen kann.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort zur Beantwortung der Interpellation hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.

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    Rede von Dr. Ludwig Erhard


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Erfahrungen der letzten Wochen gewinne ich immer mehr den Eindruck, daß in der Bundesrepublik Wirtschaftspolitik offenbar nur noch vom Balkon aus betrieben wird, um entsprechend gehört zu werden.

    (Beifall und sehr gut! bei den Regierungsparteien. Zuruf von der SPD: Sehr billig! — Gegenruf rechts: Aber richtig!)


    (Widerspruch und Zurufe links.)

    — Ich werde Ihnen keine Antwort schuldig bleiben. — Es ist hier gesagt worden, man müßte das Übel an der Wurzel anpacken. Der Meinung bin ich auch! Ich glaube, das, was wir im Juni 1948 begonnen haben, war gerade das, was uns jetzt aufs neue empfohlen wird: wir haben nämlich das Übel an der Wurzel angepackt.

    (Sehr gut! rechts und in der Mitte.)

    Wir haben aus einer verfaulten, korrupten und nicht mehr leistungsfähigen Wirtschaft, aus einer Gesellschaft, die am Zusammenbrechen war, endlich wieder ein funktionsfähiges Wirtschaftsgebilde und geordnetes soziales Leben in unserm Volk hergestellt.

    (Lebhafte Zustimmung rechts und in der Mitte. Widerspruch links. — Zuruf: Zwei Millionen Arbeitslose!)

    Erst durch die Marktwirtschaft haben wir überhaupt wieder geeignete und brauchbare Maßstäbe für das wirtschaftliche Tun und somit auch für die Investitionstätigkeit gewinnen können. Bis dorthin waren die Verhältnisse völlig verzerrt. Es gab keinen Maßstab, keine Richtschnur, keine Anhaltspunkte, von denen aus eine Ausrichtung möglich gewesen wäre, welche wirtschaftliche Arbeit sinnvoll und welche nutzlos ist, welche Anschaffungen und welche Investitionen wirklich produktiver Arbeit dienen und welche nur im Wege von Tauschgeschäften gerade die Möglichkeit gegeben haben, das eine oder andere zufällig zu erwerben.
    Die Investition, die dann mit der Währungsreform eingesetzt hat, war außerordentlich beträchtlich. Wir stellen fest, daß wir nach der Produktionsleistung der Produktionsgüterindustrie im ersten Jahre von Mitte 1948 auf Mitte
    1949 — damit komme ich zur Beantwortung der ersten Unterfrage, wie hoch sich die Investition im ersten Jahre nach der Reform beziffert habe — mit einem Produktionswert von 15 bis 16 Milliarden D-Mark rechnen können, von denen allerdings 6 Milliarden für die natürliche Ergänzung der Anlagen abgeschrieben werden müssen.
    Neuinvestitionen wurden in einem Umfange von rund 10 Milliarden durchgeführt. Von diesen 10 Milliarden entfielen 3 Milliarden auf den Einsatz der öffentlichen Hand, und zwar rund 2 1/2 Milliarden unmittelbar aus deutschen Quellen und 400 Millionen aus GARIOA-Mitteln. Aus der übrigen Wirtschaft, auf dem Wege der Selbstfinanzierung, der Bereitstellung von Krediten über die Banken, der Spartätigkeit, Emissionen und dergleichen mehr sind insgesamt rund 7 Milliarden Mark aufgebracht worden. Von diesen 7 Milliarden Mark dürften im ersten Jahre nach der Währungsreform rund 2,4 Milliarden im Wege der kurzfristigen Kreditschöpfung aufgebracht worden sein. Ich bitte, besonders darauf hinweisen zu dürfen, daß diese 2,4 Milliarden kurzfristiger Kreditschöpfung auch schon im Sinne einer aktiven Konjunkturpolitik gewertet werden müssen.
    1,2 Milliarden Mark sind auch auf dem Kreditwege, aber im Wege der echten Kapitalbildung aufgebracht worden, und aus den eigenen Mitteln der Unternehmungen, aus der Selbstfinanzierung ist noch mit einem Kapitaleinsatz von 3,5 Milliarden Mark zu rechnen.
    Ich darf dazu sagen, daß es seit der Währungsreform kaum irgendein Unternehmen gegeben hat, das Gewinne ausgeschüttet hat; im Regelfalle sind die Gewinne für Investitionszwecke angewandt worden. Daß diese Selbstfinanzierung im ersten Jahre nach der Währungsreform teilweise auch darauf zurückzuführen war, daß der Wettbewerb sich nicht sofort voll belebte, wie auch mein Herr Vorredner schon sagte, daß dazu eine laxe Steuermoral noch gewisse Möglichkeiten der Kapitalbildung offengelassen hat, habe ich von dieser Stelle aus schon oft genug gesagt, und es soll da auch gar nichts beschönigt werden.
    Aber wenn man hier schon die negative Seite herausstreicht, dann verdient auch die positive eine Beleuchtung. Wir haben wirklich alles getan — und ich glaube, das bedarf keines Beweises —, um den Wettbewerb zu entfachen und über die Entfachung des Wettbewerbs dahin zu wirken, daß Preise und Löhne enger aneinanderrückten, daß eine gleichmäßigere und gerechtere Verteilung des Volkseinkommens Platz greife. Würden aber in diesen ersten Jahren nach der Währungsreform und besonders im ersten Jahre diese teilweise überhöhten Gewinne nicht so verwendet worden, sondern würden sie in den Verbrauch geflossen sein, dann wäre die Kapitalbildung und in entsprechendem Maße auch die Investitionsmöglichkeit der deutschen Volkswirtschaft noch geringer gewesen. Wir würden uns dann heute noch mehr Vorwürfe gefallen lassen müssen, daß wir nicht genügend investiert, nicht genügend getan hätten, um zu einer ausreichenden Kapitalbildung zu kommen.
    Sie haben recht: es kommt nicht allein darauf an, zu einer Kapitalbildung schlechthin, sondern es kommt darauf an, zu einer geordneten, sozialwirtschaftlich vertretbaren Kapitalbildung zu kommen. Aber nach allen Erfahrungen kann man eben zu einer geordneten, sozial-wirtschaftlich
    1252 Deutscher Bundestag — 38. Setzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Februar 1950

    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    vertretbaren Kapitalbildung nur in der privaten Wirtschaft, über den freien Wettbewerb, über die Leistungssteigerung und über eine dementsprechende Verteilung des Sozialprodukts gelangen.
    Im übrigen: von diesem Kapitaleinsatz war naturgemäß nur ein relativ beschränkter Teil in der Verfügungsgewalt der öffentlichen Hand; das waren jene 2,5 Milliarden Mark öffentlicher Gelder, 400 Millionen GARIOA-Mittel und waren in gewissen Umfang auch die 1,2 Milliarden Mark langfristiger Kredite über die Bankenorganisationen, Sparkassen und Versicherungen öffentlicher und privater Art. Hier hat die Regierung oder habe ich früher als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft immer wieder eingegriffen und immer wieder in ständiger Verbindung dafür Sorge zu tragen versucht, daß diese echten Kapitalmittel — auch wenn die Regierung keine Befehlsgewalt darüber hatte doch volkswirtschaftlich nützlichen Zwecken zugewandt werden. Die Feststellungen haben ergeben, daß von diesem Teil des Kapitalmarkts rund 50 Prozent in den Wohnungsbau, 25 Prozent in öffentliche Einrichtungen, 15 Prozent in den Verkehr gegangen sind und der Rest sich relativ weit gestreut hat. Die GARIOA-Mittel gingen zu 100 Millionen in die Energiewirtschaft, zu 100 Millionen in den Bergbau und zu 200 Millionen an die Bundesbahn.
    Wenn ich in Fortsetzung dieser Betrachtung jetzt das zweite Jahr nach der Währungsreform unter die Lupe nehme, dann ergibt sich, daß wir zu einer sogar noch gesteigerten Kapitalgüterproduktion gekommen sind, die den Wert von ca. 17 Milliarden Mark erreicht haben dürfte. Setzen Sie hier wieder davon ab 6 Milliarden Mark für Abschreibungen auf Erhaltung der Anlagen, dann
    ergibt sich eine Neuinvestition von Produktionskapital in Höhe von 11 Milliarden Mark. Von diesen 11 Milliarden Mark entfallen 2,3 Milliarden auf die öffentliche Hand, nunmehr ungefähr 2 Milliarden auf den Marshallplan und 6,7 Milliarden auf die übrigen Quellen der Kapitalbildung, wobei jetzt der legale und geordnete Kapitalmarkt aus freiwilliger Spartätigkeit, wieder über Banken, Versicherungen und ähnliche Einrichtungen, 2,2 Milliarden Mark erbrachte — also immerhin eine Belebung der natürlichen Sparkapitalbildung von 1,2 Milliarden Mark im ersten Jahre nach der Währungsreform auf 2,2 Milliarden Mark —, so daß bis zu jenen 11 Milliarden noch ein Betrag von 4,5 Milliarden übrigbleibt, von dem wieder ein Teil auf die Beanspruchung von Krediten über den Bankenapparat, in gewissem Umfang wahrscheinlich auch über die kurzfristige Kreditfinanzierung, und der Rest wieder auf die Selbstfinanzierung der Unternehmungen entfällt.
    In diesen Plan von 17 bzw. 11 Milliarden Mark für das zweite Jahr nach der Währungsreform, den ich hier vorgetragen habe, ist der zusätzliche Kapitaleinsatz im Rahmen des neuen Regierungsprogramms nicht einbezogen. Sein Ausmaß dürfte ungefähr 1 Milliarde Mark betragen. Diese Summe ist also noch hinzuzufügen, so daß wir im zweiten Jahr der Währungsreform insgesamt mit einer Kapitalgüterproduktion in Höhe von 18 Milliarden und mit neuen Investitionen im Werte von etwa 12 Milliarden rechnen können.
    Die Interpellation bedarf dann einer Zusammenfügung der Fragen 2 a, 3a und 5 a, weil diese wirklich nicht voneinander zu trennen sind.
    Ich lese vor:
    Welche Steigerung der Produktionskapazitäten ist durch die Investitionen im ersten Jahr
    in den einzelnen Wirtschaftszweigen bewirkt
    worden?
    Wieviel Arbeitsplätze sind durch die Investitionen des ersten Jahres neu geschaffen worden?
    Sind volkswirtschaftliche Fehlinvestitionen festgestellt, wenn ja, in welchem Umfang?
    Meine Damen und Herren! Um den Erfolg der Investitionen einigermaßen richtig beurteilen zu können, ist es notwendig, zu erkennen, daß wir zu Beginn der Währungsreform in unserer Wirtschaft völlig festgefahren waren in sehr schweren Engpässen, die eine ordnungsgemäße Produktion nicht mehr zuließen. Wir hatten in manchen Teilen unserer Industrie, vor allen Dingen in der arbeitsintensiven Verbrauchsgüterindustrie, wohl freie Kapazitäten und Arbeitsplätze, aber wir hatten in der Hilfs- und Zulieferungsindustrie Engpässe aller Art, von den großen Engpässen Energie, Kohle, Verkehr ganz zu schweigen. Es kam also nicht so sehr darauf an, neue Arbeitsplätze zu schaffen, als vielmehr darauf, durch die Investitionen neuen Arbeitskräften Arbeit und Brot zu geben, im ganzen aber die Investitionen so durchzuführen, daß diese Engpässe nicht nur in den einzelnen Industriezweigen, sondern auch in den einzelnen Industriebetrieben aufgelöst werden konnten. Es wäre ein unmögliches Beginnen gewesen, wenn irgendeine Behörde nach der Währungsreform den Versuch unternommen hätte, durch eine Kapitalstreuung über Tausende von Betrieben überall die kleinen und kleinsten Störungen zu beseitigen, die da noch aus den Zeiten der Zwangswirtschaft auf- a traten — Zeiten, in denen Material nicht oder nur im Tauschwege erhältlich war, in denen es an allem und jedem für eine rationale Produktion mangelte. Das war seinerzeit nicht einmal so schlimm, denn vor der Währungsreform brauchte man nicht rationell zu produzieren. Am besten war ja derjenige daran, der nicht produziert, sondern sich anderen Betätigungen zugewandt hat. Aber jetzt, nach der Währungsreform, kam es darauf an, die Produktion auf höchste Rationalität zu bringen. Hier aber hat es nicht so sehr an großen, weithin sichtbaren Investitionen in der Volkswirtschaft, hat es nicht allein am großen Kapitaleinsatz gefehlt, sondern gerade an kleinen und kleinsten Aufwendungen in Zehn- und Hunderttausenden von Betrieben industrieller, handwerklicher und landwirtschaftlicher Art.
    So gesehen bedeutete es keine Fehlinvestition und mindestens kein Übel, wenn in diesem ersten Jahr nach der Währungsreform der Kapitalstrom allzufrei floß und in seiner Verwendung nicht immer fest an die Leine einer staatlichen Lenkung gelegt werden konnte; denn diese staatliche Lenkung wäre nie und nimmer in der Lage gewesen, diese sinnvolle Verteilung vorzunehmen.

    (Sehr gut! rechts. — Zurufe links.)

    Wir hätten, wie die Entwicklung zeigt, ganz bestimmt keine Verdoppelung der industriellen Produktion und keinen Mehreinsatz von 900 000 Menschen erreichen können, wenn wir diese Investitionen nicht in der von mir beschriebenen Weise durchgeführt hätten. Denn davon können Sie überzeugt sein: Jedermann, der Kapital aufzuwenden hat, jeder Unternehmer hat im eigenen wohlver-


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    standenen Interesse im Rahmen des wiedererwachten Wettbewerbs diese Mittel dort zum Einsatz gebracht, wo sie die höchste Produktivität erwarten ließen und wo mit der höchsten Produktivität gleichzeitig auch eine bessere Versorgung des Marktes und des Verbrauchers gewährleistet war. Es mag im Sinne der von Ihneh kritisierten und als falsch bezeichneten Verteilung des Volkseinkommens und damit einer unzulässigen Massierung von Investitionskapital an einigen Stellen einmal ein Fehler vorgekommen sein — man erinnert ja so gern an die Investitionen im Handel und dergleichen mehr —; Fehlinvestitionen in volkswirtschaftlichem Sinne waren das nicht. Diese Investitionen mögen in der zeitlichen Rangordnung nicht immer richtig erfolgt sein. Die Investitionen aber, die in diesen zwei Jahren durchgeführt wurden, sind produktiv gewesen und haben zu einer höheren Rationalität beigetragen und dazu noch zu einem vermehrten Einsatz an Menschen im Sektor der gewerblichen Wirtschaft.
    Die Mehrbeschäftigung, die wir durch die Investitionen erreicht haben, verteilt sich auf folgende Industriezweige: Textilindustrie mit 178 000 Menschen, Maschinen, Stahl, Eisen und Fahrzeugbau mit 98 000, Eisen- und Metallgewinnung m _t 66 000, Eisen-, Stahl- und Metallwarenherstellung mit 42 000, Bekleidungsgewerbe mit 41 000, Elektrotechnik mit 32 000, Papiererzeugung und -verarbeitung mit 32 000, Handel, Banken und Versicherungen mit 171 000.
    Ich sagte schon zu Beginn: zum Zeitpunkt der Währungsreform hat es für unsere Wirtschaft überhaupt keinen Maßstab eines vernünftigen Handelns und einer wirtschaftlich sinnvollen Investition gegeben. Wer hätte zum Zeitpunkt der Währungsreform sagen können, wie sich die Nachfrage des freien Verbrauchers bewegen werde? Nur aus der Beobachtung der wirtschaftlichen Entwicklung nach Quantität und Qualität konnten die Ansatzpunkte und Mittel gefunden werden, die geeignet erschienen, unsere Wirtschaft einer höheren Ergiebigkeit zuzuführen und die Effizienz der menschlichen Arbeit zu steigern.
    Auf die Frage 2 b der Interpellation:
    Denkt die Regierung dafür Sorge zu tragen, ,daß aus den Investitionen des laufenden Jahres bevorzugt Kapazitäten neu geschaffen oder vermehrt werden, die volkswirtschaftlich, insbesondere für den Export vordringlich sind, wenn ja, auf welche Weise?
    und auf die Frage 3 b:
    Gedenkt die Regierung dafür Sorge zu tragen, daß aus den Investitionen des zweiten Jahres neue Arbeitsplätze, insbesondere für die Eingliederung der Vertriebenen, geschaffen werden, wenn ja, auf welche Weise?
    kann ich antworten, daß die Programme, soweit sie durch die Regierung lenkbar sind, das heißt soweit ERP-Mittel, öffentliche Mittel und echtes Sparkapital zur Verteilung gelangen, im zweiten Jahr nach der Währungsreform rund 7 Milliarden D-Mark ausmachen dürften. Diese 7 Milliarden Mark, die wir unmittelbar in der Hand haben oder hinsichtlich deren Verwendung wir doch einen starken Einfluß ausüben können, verteilen sich etwa auf folgende Zweige: Energie 680 Millionen, Kohle 320 Millionen, Eisen und Stahl 100
    Millionen, Industrie und Handel in der breiten Schichtung und Verteilung ungefähr 900 Millionen, Kleininvestitionen, wobei neben dem Handwerk vor allen Dingen die Flüchtlinge eine besondere Berücksichtigung erfahren werden, 480 Millionen, Verkehr 712 Millionen, Post 135 Millionen, Ernährung und Landwirtschaft 647 Millionen, Wohnungsbau 2,2 bis 2,4 Milliarden. öffentliche Versorgungsbetriebe 660 Millionen, Fremdenverkehr 60 Millionen, Forschung 30 Millionen. Es trifft also nicht zu, daß wir überhaupt keine Vorstellung von dien Investitionen hätten, auch keine Pläne machten und keine Überlegungen anstellten, in welcher Richtung die Investitionen sinnvoll zu lenken wären.
    Eine Frage möchte ich aber ganz deutlich beantworten. Die Regierung denkt nicht daran, die volle Lenkung des Kapitalstromes, der sich im Wege-der Selbstfinanzierung und auf dem Kapitalmarkt durch organische Belebung der Spartätigkeit bildet, in die Hand zu nehmen und diese Mittel binozentrisch verteilen zu wollen. Wir sind der Meinung, eine solche Maßnahme würde die Kapitalbildung untergraben und jeden Anreiz zur Bereitstellung von Sparkapital unterminieren. Wir können damit rechnen — dies gehört zur Beantwortung dieser Frage —, daß wir jetzt endlich einmal durch den Marshallplan fühlbare Erleichterungen hinsichtlich der Investitionsdispositionen durch die Bereitstellung entsprechend großer Mittel — in diesem Jahre 2 bis 21/2 Milliarden — erhalten. Weiter können wir damit rechnen, daß aus der Belebung des Kapitalmarkts, durch die Belebung der Spartätigkeit, durch Versicherungen und Emissionen aller Art eine weitere Bereicherung eintritt.
    Vorhin habe ich schon darauf hingewiesen, daß sich vom ersten bis zum zweiten Jahr nach der Währungsreform die Kapitalbildung bereits von 1,2 Milliarden auf 2,2 Milliarden erhöht hat. Dieser Prozeß wird anhalten, wenn wir durch eine gesunde Wirtschaftspolitik und eine geordnete Geld- und Kreditpolitik dafür sorgen, daß das Preisniveau gewahrt bleibt und die Realkaufkraft sich immer mehr erhöht. Die Zusagen, die die soziale Marktwirtschaft gemacht hat, hat sie bisher auch in vollem Maße erfüllt und wird sie weiter halten. Wir müssen allerdings im Zuge einer solchen Entwicklung damit rechnen, daß die von Ihnen viel kritisierte Eigenkapitalbildung zurückgeht und sich bis zu einer Steuerreform die Möglichkeiten der Eigenkapitalbildung verengen, d. h. also durch die Nichterzielung von Übergewinnen die Möglichkeiten der Kapitalbildung schwächer werden.
    So sehr wir die allgemeine Entwicklung begrüßen und sie durch bewußte wirtschaftspolitische Maßnahmen angestoßen haben, so bereitet uns diese Schrumpfung der Eigenkapitalbildung doch Sorge, wenn wir auch glauben, daß damit durch die gerechtere und breitere Streuung des Einkommens und der Kaufkraft die Möglichkeit der Kleinkapitalbildung in der Hand von Millionen kleiner und kleinster Sparer anwächst und einen gewissen Ersatz zu schaffen vermag. Wenn Sie bedenken. mit welch schlechtem Start wir in den Wettbewerb gegangen sind und was wir erreicht haben, dann muß man doch darauf hinweisen, daß die deutsche Industrie in manchen Bereichen außerordentlich gehemmt war und viele Industriezweige — vielleicht gerade diejenigen, die Investitionskapital am nötigsten gehabt hätten damit gar nicht be-


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    dacht werden konnten. Ich erinnere nur an den ganzen Komplex der Industrien, die sich um das Gesetz Nr. 75 gruppieren. Gerade diejenigen Industriezweige, die zu keiner Eigenkapitalbildung gelangen konnten, bei denen die unternehmerische Initiative nicht wirksam war, klare Besitzverhältnisse und geordnete Grundlagen des Wirtschaftslebens nicht vorlagen, waren wirklich nicht so attraktiv, daß man hätte erwarten können, es strömte vom freien Kapitalmarkt Geld in diese Industriezweige.
    Im ganzen ist zu sagen, daß in unserer Situation die Schaffung neuer Arbeitsplätze nicht so wichtig sein kann wie die rationelle Ausnutzung der vorhandenen Arbeitsplätze, wie die Forderung, Engpässe in Industriezweigen und Industriebetrieben auszuschalten, die weitere Rationalisierung zu steigern, die Anpassung der Betriebe an die Marktgegebenheiten zu erleichtern und sie vor allen Dingen für den Export zu stärken. Die Investitionen, die nicht primär und unmittelbar auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ausgerichtet sind, aber Arbeitskräfte aufsaugen, sind Maßnahmen; die unserer Wirtschaftspolitik und vor allen Dingen unserer wirtschaftlichen Lage im Binnenmarkt und im Weltmarkt angemessen sind.
    Für unsere Wirtschaftspolitik und für die Anwendung der Mittel ergeben sich daher folgende Richtlinien: Wir müssen die Engpässe beseitigen. Wir müssen unsere Exportindustrien fördern, damit wir Rohstoffe beschaffen können, die wieder die Voraussetzung zu einer Ausweitung des Beschäftigungsvolumens sind. Wir müssen die Rationalisierung fortsetzen. Wir müssen diejenigen Industriezweige pflegen, die auf heimischen Rohstoffen basieren, um durch deren Ausweitung die verfügbaren Devisen für dringend notwendige, lebenswichtige Zwecke einsetzen zu können. Wir haben vor allen Dingen und nicht zuletzt den Wohnungsbau zu pflegen, damit wir die Arbeitskräfte an die Orte der Verarbeitung hinführen können oder aber umgekehrt an den Orten, an denen Arbeitskräfte vorhanden sind, neue Produktionskapazitäten schaffen. Das alles ist aber nicht in einem Jahr und mit einem Sprung zu erreichen. Wir haben uns ausgerechnet, daß für die Ansiedlung der Flüchtlinge an den Orten, wo sich die Industrie befindet und Arbeitsmöglichkeiten beschafft werden können oder umgekehrt für die Errichtung von gewerblichen Anlagen an den Orten der Flüchtlingsballungen ein Kapitaleinsatz von rund 10 Milliarden Mark erforderlich sein würde. Aus diesem Grunde ist es nur zu berechtigt, wenn wir im Zusammenhang mit der letzten Debatte ausgeführt haben, daß uns aus dem Flüchtlingsproblem eine echt strukturelle Arbeitslosigkeit von rund einer Million Menschen erwachsen ist. Ich glaube, niemand — selbst nicht die aktivsten Konjunkturpolitiker, um das einmal zu sagen - wäre so vermessen, etwa die Forderung erheben zu wollen, 10 Milliarden D-Mark zur Beseitigung dieser strukturellen Arbeitslosigkeit aus dem Nichts zu schöpfen, denn dann würden die Folgen einer offenen Inflation doch nur allzu deutlich werden.
    Die vierte Frage der Interpellation befaßt sich damit, wieviel Wohnraum während des ersten Jahres durch Investierungen neu geschaffen oder wieder instandgesetzt worden ist. Nach den Statistiken der Beschäftigung in der Bauwirtschaft und nach der Produktionsleistung der Baustoffindustrie kann angenommen werden, daß im ersten Jahr nach der Währungsreform insgesamt 150 000 Wohnungen entweder neu gebaut, wieder instandgesetzt oder bewohnbar gemacht worden sind und daß der Aufwand für diesen Zweck zwischen 1,5 und 1,8 Milliarden gelegen hat. Meine Damen und Herren, das Wohnungsbauprogramm der Regierung ist Ihnen bekannt und soll hier in diesem Zusammenhang nicht detailliert vorgetragen werden.
    Zu der letzten Frage, ob die Regierung volkswirtschaftliche Fehlinvestitionen in Zukunft zu verhindern gedenkt und wenn ja, auf welche Weise, möchte ich zunächst eindeutig sagen: auf keinen Fall durch die Errichtung einer Investitionszwangswirtschaft!

    (Zustimmung in der Mitte. — Unruhe links.)

    Wenn Sie daran denken, wie sich seit der Währungsreform in unserer Wirtschaft durch die Entfachung des Wettbewerbs, durch die Freiheit des Menschen als Produzent und auch als Verbraucher ganz große Strukturwandlungen vollzogen haben — ich teilte Ihnen vorhin die zusätzliche Beschäftigung in 'einzelnen Industriezweigen mit —, so gibt das gar nicht ganz das volle Bild wieder, denn auch innerhalb der 13,5 Millionen Beschäftigten hat eine ziemliche Platzauswechslung stattgefunden. So möchte ich denn fragen, welche Planungsbehörde imstande gewesen wäre, vor der Währungsreform von sich aus anzugeben, nach welcher Richtung sich die Investitionen bewegen sollten und durch welche Mittel es möglich gewesen wäre, diese Investitionen his herunter zu den kleinsten Beträgen 'zwischen 1000 und 10 000 D-Mark durch die Behörden zu leiten. Es ist überhaupt kein anderer Weg übrig geblieben. als dem einzelnen a die Freiheit zu geben. das in seinen Händen befindliche bzw. von ihm aufgenommene Kapital dort einzusetzen, wo es der Betrieb oder die Industrie gerade erfordert haben. Daß hier dann doch nicht eine gleichmäßige Durchsetzung unserer Wirtschaft mit Investitionen und Rationalisierungsmaßnahmen Platz gegriffen hat, ist selbstverständlich. denn wie gesagt, die Möglichkeit der Kapitalgewinnung lag in den einzelnen Industriezweigen ie nach dem Grade des sich entfaltenden Wettbewerbs sehr unterschiedlich, sie lag auch unterschiedlich hinsichtlich der Gunst der Koniunktur, unterschiedlich in den Rechtsverhältnissen und unterschiedlich bezüglich der Bedingungen. die von außen her durch Demontage. durch Produktionsbeschränkungen usw. gegeben waren. Was im Rahmen der Planung und der Beeinflussung möglich war, um Investitionen dorthin zu führen, wo sie uns nach Maßgabe höchster volkswirtschaftlicher Dringlichkeit besonders lohnend erschienen, das ist gemacht worden.
    Würde die Regierung aber daran denken, nun etwa das gesamte volkswirtschaftliche Kapital, das sich auf der Geldseite bildet und Anwendung im Einsatz auf der Sachkapitalseite finden soll, an sich zu ziehen, dann würde das nur entweder durch eine Sozialisierung des ganzen Apparats des Sparkassenwesens und der Banken möglich sein, oder es würde zum andern heißen, noch einmal die Steuerschraube anzudrehen, um den Staat etwa auf dem Wege der Erhöhung seiner Etats höhere Mittel für Investitionszwecke gewinnen zu lassen. Wir sind umgekehrt der Auffassung, daß diese wirtschaftsfeindliche Steuerpolitik, die zu einer typischen Verschwendung


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    führte, die Investition viel mehr gehindert als gefördert hat und daß auf diese Weise die öffentliche Hand nicht in den Besitz von mehr, sondern von weniger Kapital gelangt ist. Das zu sagen ist deshalb notwendig, weil auch von anderer Seite Kritik an uns herangetragen wird, als ob wir in unserer Steuerpolitik falsche Verfahren zur Anwendung brächten. Wir müssen dafür sorgen, daß der Staat, die öffentliche Hand in die Verfügungsgewalt von mehr Kapital gelangt, damit im Sinne einer Planwirtschaft Kapital bewußter nach irgendwelchen langfristigen Vorstellungen eingesetzt werden kann.
    Meine Damen und Herren! Wir müssen uns darüber klar sein, welche Konsequenz das auf die ganze soziale Struktur, auf die gesellschaftliche Ordnung eines Landes hat. Würden wir von Staats wegen an den Kapitalmarkt greifen und dort gewissermaßen beschlagnahmen, würden wir dem einzelnen die Möglichkeit nehmen, sein Kapital selbst anzuwenden oder es über den Kapitalmarkt Zwecken und Menschen zu geben, zu denen er Vertrauen hat, dann würden wir allerdings die Grundlagen des deutschen Kapitalmarkts zerschlagen. Wir würden jede Sparkapitalbildung zerstören, und ich glaube, nach den glücklichen Ansätzen, die sich gerade auf diesem Gebiet gezeigt haben, wäre das im Hinblick auf die Notwendigkeit, viel Investitionskapital für die deutsche Wirtschaft bereitzustellen, das Allerschädlichste, was Wir tun können.
    Im übrigen bin ich der Meinung, daß ein solcher planvoller staatlicher Eingriff in den Kapitalmarkt auch die Grundlagen der Währung zerstören würde; denn unsere Währung lebt davon und hat so lange Bestand, wie im. In- und Ausland die Sicherheit besteht. daß das ersparte
    B) Kapital auch wertbeständig bleibt, daß man sich morgen nicht weniger, sondern nach Möglichkeit mehr dafür kaufen kann, daß also mit diesem Kapital eine volkswirtschaftlich sinnvolle, rentable. Anwendung getrieben wird. Auf andere Weise bringen Sie kein Kapital zustande, und auf andere Weise bringen Sie den Verbraucher nicht zum Sparen und zum Konsumverzicht.
    Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich dazu noch etwas sagen. Es ist sehr billig zu sagen, das deutsche Volk lebe über seine Verhältnisse, oder es sei in der Industrie an dem oder jenem Ort an falscher Stelle investiert worden. Abgesehen davon, daß sich erst aus der wirtschaftlichen Entwicklung herauskristallisieren kann, wo wirklich der produktive Einsatz liegt, ist doch zu fragen, ob es denn nicht verständlich ist, wenn nach den 15 Jahren dieses Infernos, das wir durchlebt haben, der jetzt aus der Zwangswirtschaft befreite Mensch schließlich auch einmal etwas über die Stränge geschlagen hat. War denn der Verbraucher in allen seinen Schichten in der Gestaltung seiner Lebenshaltung rational? Haben wir nicht soundso oft darauf hingewiesen, daß das Geld für Güter angewandt wird, die im physiologischen Sinne nicht besonders wertvoll waren oder nicht immer im Sinne der Dringlichkeit der Bedarfsdeckung lagen? Das muß man beachten. Hier hat sich der materielle Umbruch in der Wirtschaftspolitik auch in einem geistigen und seelischen Umbruch aus- und fortgewirkt.
    Trotzdem haben wir in Deutschland mit einer Investitionsrate von durchschnittlich 12 Prozent das gleiche Investitionsvolumen erreicht wie die meisten europäischen Länder, insbesondere zum
    Beispiel auch England; ein Investitionsvolumen von 12 Prozent, obwohl der Konsumstandard der deutschen Bevölkerung erst bei 77 Prozent von 1936 im Gegensatz zu durchschnittlich 110 Prozent der übrigen europäischen Länder gelegen hat! Das deutsche Volk hat also schon viel an Konsumverzichten hingenommen, wenn es bei einer Investitionsrate von 12 Prozent die gleiche relative Investitionsleistung — gemessen am Sozialprodukt — als wesentlich glücklichere Länder erzielt hat. Wir wissen selbstverständlich, daß, gemessen an dem notwendigen Aufbau, eine Investitionsrate von 12 Prozent oder ein jährlicher Kapitaleinsatz von 10 Milliarden für Investitionen immer noch zu wenig sind, um alle die strukturellen Schäden zu überwinden, gegen die wir anzukämpfen haben. Wir können damit, wie gesagt, das Flüchtlingsproblem höchstens schrittweise lösen oder einer Lösung näherbringen. Wir können damit den Wiederaufbau unserer Städte, die Rückständigkeit unserer technischen Apparatur auch nicht in zwei Jahren zuwege bringen. Aber man muß fragen, ob es wirklich einem Volk zuzumuten ist, noch mehr an Konsumverzicht zu leisten, mehr zu sparen, um den Aufbau im Sinne des vermehrten Einsatzes von Investitionskapital rascher durchführen zu können. Wenn Sie noch daran denken, wie dieses deutsche Volk 15 Jahre hindurch unter Entbehrungen und Verzichten zu leiden hatte und buchstäblich bis zum letzten heruntergerissen war, so können Sie — mindestens wenn Sie nicht brutalen Zwang dahintersetzen und den einzelnen wieder in eine unwürdige Lebensform zurücktreiben wollen — füglich in dieser Phase nicht mehr an Investitionskapital aufbringen.
    Ich sage das deshalb, weil uns auch im Rahmen des Marshallplans allenthalben Vorwürfe gemacht werden, daß wir es hier an der nötigen Vorsorge fehlen lassen. Meine Damen und Herren. ich möchte diese Vorwürfe zurückweisen, weil ich mir bewußt bin, wie sehr wir uns darum sorgen, bis zum Jahre 1952 die Lebensmöglichkeit des deutschen Volkes aus eigener Kraft sicherstellen zu können. Aber dieses Ziel des Marshallplans, das wir bedingungslos bejahen, stellt sich innerhalb der europäischen Völker nicht völlig gleich dar. Ich glaube, es war unsere Verantwortung und unsere Pflicht, darauf hinzuweisen, daß wir angesichts der strukturellen Gegebenheiten — infolge der deutschen Not, infolge der unglücklichen äußeren Verhältnisse, infolge der Behinderungen, unter denen wir auf einzelnen Gebieten zu leiden haben - nicht glauben, heute die Zusage geben zu können, mit der uns zuteil werdenden Unterstützung trotz aller möglichen Anstrengungen aus der deutschen Volkswirtschaft das meiste herauszuholen, die Marshallplanziele restlos zu erreichen, das heißt bis zum Jahre 1952 einen Zustand herzustellen, der als ideale Norm von uns freudig akzeptiert wird, der aber, gemessen an den Kräften — an der eigenen Kraft und an der fremden Hilfe, die uns zuteil wird, — unter Umständen doch eine etwas problematischere Beurteilung verdient. Es wäre leichtfertig gewesen, wenn wir darauf verzichtet hätten, auf die Ungunst der deutschen Verhältnisse, die strukturellen Verzerrungen, die Schäden, unter denen die deutsche Wirtschaft mehr als jede andere Volkswirtschaft leidet, das Flüchtlingsproblem und alle diese Zusammenhänge pflichtgemäß hinzuweisen und auch darauf, wie sehr uns diese Dinge bedrücken und wie


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    A) schwer es uns trotz aller Anstrengungen wird, das von uns bejahte Ziel des Marshallplanes zu erreichen.
    Im Grunde genommen liegt die letzte Unterscheidung darin, daß man allenthalben der Auffassung zuneigt: wenn diese organischen Mittel zur Überwindung der Not, wenn die organischen Mittel des Aufbaus nicht ausreichen, dann müßte man eben auch zu unorganischen Mitteln greifen; denn das Ziel steht über allem. Der Herr Kollege Veit hat ja auch gesagt: „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" haben wir dafür zu sorgen, daß die Investition gesteigert wird, daß die deutsche Lebensfähigkeit ab 1952 ohne fremde Hilfe gewährleistet, das Arbeitslosen- und Flüchtlingsproblem gemeistert wird. Sicher, mit allen Mitteln, die uns geboten erscheinen, mit alien Mitteln, die die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Sicherung unserer Lebensgrundlagen sicherstellen! Aber nicht mit a 11 e n zur Verfügung stehenden Mitteln, sondern nur mit den geeigneten, den wirksamen. „Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln" würde bedeuten, daß wir uns des Mittels der zusätzlichen Kreditschöpfung in einem unerlaubt gefährlichen Ausmaße bedienen. Darüber geht in letzter Konsequenz die Diskussion auf der deutschen Ebene. uni hierin liegt auch der Gegensatz zwischen der alliierten Auffassung und der in dem Memorandum niedergelegten Regierungsauffassung, der in der Kritik an diesem Memorandum seinen Ausdruck findet. Würden wir, um ein einmal festgesetztes Ziel zu erreichen, uns Bereitfinden, in diesem nicht vertretbarem Maße die Kreditschöpfung zu betreiben, Kapital aus dem Nichts hervorzuzaubern, nur um den Schein zu erwecken, als ob es möglich wäre, mit den deutschen Problemen durch solche
    B) Tricks fertigzuwerden, dann allerdings — davon bin ich überzeugt - würden wir die Lebensgrundlagen des deutschen Volkes aufs tiefste erschüttern.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Wenn wir darauf hingewiesen haben, daß eine solche Politik zu einer wesentlichen Steigerung des Verbrauchs führen wird, zu einer Steigerung des Verbrauchs, der im Markt der Konsumgüter notwendigerweise ins Leere stoßen müßte, und wenn uns dann gesagt wird: dann müssen eben entsprechende Maßnahmen getroffen werden, um den Verbrauch einzuengen, dann müssen wir uns auch darüber klar sein, was das bedeutet. Es bedeutet, daß wir wieder zu Zwangsmitteln, zu einer Art Zwangssparen mit der Wirkung, daß die Leistung absinkt und die Spartätigkeit wieder abebbt, schreiten müssen. Bei steigenden Preisen, auch bei nur tendenziell steigenden Preisen, gibt es keine Kapitalbildung und keinen funktionsfähigen Kapitalmarkt mehr. Denn. meine Damen und Her-. ren, wenn wir dann diese so gefährliche Kaufkraft abschöpfen sollen, so bedeutet das, daß das, was wir einerseits scheinbar an Beschäftigungszuschüssen gewinnen, durch eine Verkürzung des Lebensstandards unseres ganzen Volkes, insbesondere auch der deutschen Arbeiterschaft gezahlt wird und daß uns daneben der einzige sinnvolle Maßstab für wirtschaftliches Handeln, nämlich ein stabiles Geld, verlorengeht. Und wenn Sie diese überschüssige Kaufkraft dann doch nicht ohne Brachialgewalt wegbringen, dann allerdings ist die nächste Konsequenz die, daß Sie dann gleich mit dem zusätzlichen Geld auch wieder die Bezugscheine drucken dürfen, um diese überschüssige Kaufkraft abzufangen und in die von der Bürokratie vorgesehenen Kanäle zu leiten.
    Meine Damen und Herren! Auf der anderen Seite heißt es: wenn ihr Kaufkraft schöpft und wenn dadurch die Nachfrage steigt, dann müßt ihr eben sehen, daß ihr durch zusätzlichen Export auch in der Lage seid, die für den Mehrverbrauch notwendigen Rohstoffe zu beschaffen. Ich glaube, die deutsche Regierung hat es nicht an Anstrengungen fehlen lassen, den Export zu steigern, und wenn es uns gelungen ist, den deutschen Export innerhalb von zwei Jahren von 200 Millionen auf 650 Millionen und auf 1,2 Milliarden zu heben, dann sind das immerhin Zahlen, die zumindest die Anstrengungen erkennbar werden lassen. Wenn wir sehen, daß mit dieser Steigerung des deutschen Exports auch eine Steigerung des Imports verbunden war, dann ist damit die ganze Problematik gekennzeichnet. Der zusätzliche Export, auf den wir angewiesen sind — dessen sind wir uns bewußt —, läßt sich aber nur dann erzielen, wenn wir die deutsche Volkswirtschaft zur Höchstleistung führen. In dem Augenblick aber, wo wir zusätzliche Kreditschöpfung treiben, wo wir tendenziell die Preise nach oben drücken, wo wir durch eine Kaufkraftabschöpfung die möglichen Energien wieder lähmen, wo wir die Kapitalbildung, und zwar die organische Kapitalbildung unterbinden, da sind wieder alle Voraussetzungen zu einer Steigerung des Exports zerstört; denn die zusätzliche Kreditschöpfung mit all jenen Folgen drängt zu einer Intensivierung des Verbrauchs, weil diese Stimmung, die damit erzeugt wird, unbedingt konsumfreudig ist. Mit dieser Politik soll man gleichzeitig auch den deutschen Export steigern können, der gerade umgekehrt darauf angewiesen ist, daß wir in der Qualität, in den Preisen und in unserer Arbeit immer wettbewerbsfähiger werden. Die Dinge passen nicht zusammen; aber sie müssen jetzt endlich einmal, um Klarheit zu schaffen, in die richtige Form gebracht werden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir lassen die Dinge nicht treiben, meine Damen und Herren, sondern durch alles, was überhaupt möglich ist, greifen wir in das wirtschaftliche Geschehen ein.

    (Zuruf von der SPD: Planwirtschaft!)

    Wenn es gar heißt — und das scheint mir nun wirklich an der Grenze der Verirrung zu sein —, daß wir deshalb keine zusätzlichen Menschen beschäftigen wollen, weil wir wissen, daß diese beschäftigten Menschen mehr verbrauchen als Arbeitslose, dann ist das geradezu grotesk. Die Zusammenhänge sind ganz andere; sie liegen in der Richtung, die ich eben ausgeführt habe. Wir müssen dafür sorgen, daß Mehrbeschäftigung und Mehrkonsum in Gütern Deckung findet, und deshalb müssen wir unsern Export steigern, deshalb müssen wir mehr Rohstoffe beschaffen, deshalb schalten wir unsere Handelsverträge in der Richtung um, daß wir alle möglichen Dollarbezüge allmählich auf den Sterlingraum oder auf südamerikanische Märkte oder wo auch sonst immer umlegen. Von Treibenlassen ist keine Rede.
    Der andere Vorwurf geht dahin, daß wir die Erfolge unserer Exportpolitik nach Möglichkeit immer gleich wieder durch größtmögliche Importe an nicht lebenswichtigen Gütern kompensieren wollten. Ja, meine Damen und Herren, ich möchte jetzt einmal mit aller Deutlichkeit fragen: Sollen wir liberalisieren, oder sollen wir nicht liberalisieren? Gehört die Liberalisierung in den Rahmen und in die Zielsetzung des Marshallplans, oder ge-


    (Bundeswirtschaftsminister Dr. Erhard)

    hört sie nicht hinein? Wir sind jedenfalls bisher von dem höchsten Vertreter der Marshallplanbehörde immer gelobt worden, weil wir in der Liberalisierung vorangegangen sind, und noch die letzten Erklärungen von Mr. Hoffmann weisen darauf hin, daß die Liberalisierung in Europa zu wenig durchgeführt worden ist und gesteigert werden muß, — selbstverständlich nicht allein von Deutschland, sondern paritätisch von allen anderen Ländern. Aber wenn man liberalisiert und wenn das zum Prinzip wird - und das Prinzip ist richtig, weil es allein die europäischen Volkswirtschaften aneinanderführt und einen europäischen Markt, einen europäischen Lebensraum schaffen kann —, dann muß man es auch hinnehmen, daß im Import Güter hereinkommen, über die heute manche die Nase rümpfen und die sie als nicht lebenswichtig erachten. Sicher, Bananen und Zitronen und Orangen sind nicht unbedingt lebenswichtig; aber ich sage noch einmal: sie sind durch die Ausfuhr von ebenfalls nicht lebenswichtigen Gütern hereingekommen, die von uns erzeugt worden sind und ,die großen Teilen unserer Arbeiterschaft Beschäftigung gegeben haben.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Gewiß, das waren Tauschgeschäfte von nonessentials gegen non-essentials. Wir wären schlecht beraten gewesen, wenn wir sie nicht gemacht hätten. Trotzdem haben wir, soweit unsere Kraft und unser Einfluß reichten, dass Menschenmögliche unternommen, um diesen Import von sogenannten Luxuswaren und Genußgütern so gering wie möglich zu halten. Diese machen, wenn Sie Kaffee, Kakao, Tee, Tabak, Schokolade und solche Dinge nehmen, insgesamt fünf Prozent des deutschen Imports aus. Um diese Dinge einmal in einen Vergleich zu bringen, sage ich Ihnen, daß auf den Kopf der deutschen Bevölkerung von diesen importierten Genußmitteln 1,35 Dollar entfallen, während in England dieser Anteil 10,80 Dollar ausmacht.

    (Lebhafte Rufe bei den Regierungsparteien: Hört! Hört! — Zurufe von der SPD und KPD.)

    Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, was uns trennt. Ich bin aber der Meinung, daß es in der Zielsetzung nur Einmütigkeit geben kann. Wir wollen die Lebensgrundlagen unseres deutschen Volkes sicherstellen, aber im Gegensatz zu Ihnen nicht „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln", sondern nur mit den gemäßen Mitteln, die eben diese Lebensgrundlagen und die Basis eines gesunden Wirtschaftens nicht erschüttern. Wir wollen nicht Mittel zur Anwendung bringen, die, um es ganz deutlich zu sagen, wieder in die Zwangswirtschaft zurücktreiben.

    (Lachen und Zurufe bei der SPD. — Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Nicht darauf kommt es an, ob wir die liberale Wirtschaftspolitik als Selbstzweck fortsetzen können, sondern darauf, daß diese Politik einen Schutz bietet, nicht über die zusätzliche Kreditausschöpfung, über die Ausweitung einer nicht gedeckten Nachfrage, über die Wiedereinführung der Rationierung, über Zwangsmaßnahmen der Kaufkraftabschöpfung und Überdrehung der Steuerschraube, über die Vernichtung des Kapitalmarktes, wieder in Zustände zurückgeworfen zu werden, die die Erscheinungen, das Wesen und das System der Zwangswirtschaft ausmachen.

    (Zuruf von der SPD: Und die Arbeitslosen?) — Sie bringen nicht mehr Arbeitslose weg als wir auch, oder was Sie mehr wegbringen, das erkaufen Sie mit dem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft und der Gesellschaftsordnung.


    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen und Zurufe von der SPD.)

    Meine Damen und Herren, ich sagte vorhin, es ist heute in der Bundesrepublik Sitte geworden, Wirtschaftspolitik vom Balkon herunter zu treiben.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts. — Abg. Schoettle: Sie stehen doch die ganze Zeit da oben! Weitere lebhafte Zurufe links. — Glocke des Präsidenten.)

    Deshalb möchte ich deutlich sagen: Ihre Gegnerschaft gegen diese Wirtschaftspolitik hat nicht zuletzt ihren Grund auch darin, daß diese *Wirtschaftspolitik das ganze Funktionärwesen in unserer Wirtschaft zerschlägt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Schoettle: Das ist doch ein grober Unfug, was Sie jetzt wieder hier sagen!— Weitere Zurufe von der SPD. — Abg. Dr. Schumacher: Aber die Funktionäre sorgen für die Arbeitslosen und Sie nicht!)

    — So sehen Sie aus!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Damit wird Ihnen Ihre Hausmacht in der Bürokratie zerschlagen. Und wenn Sie vorhin fragten, ob unsere Wirtschaftspolitik mit christlicher Auffassung zu vertreten ist,

    (Abg. Dr. Schumacher: Was wissen Sie davon!)

    dann sage ich darauf: christlich ist diejenige Wirtschaftspolitik, die den Menschen, jedem einzelnen Menschen hilft, — und diese Wirtschaftspolitik treiben wir !

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. - Zurufe links.)