Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist eine entscheidende Sitzung, entscheidend für einen großen Teil unseres Wirtschaftslebens, entscheidend für über 600 000 Menschen, die in Westdeutschland Arbeit und Brot im Transportgewerbe finden, entscheidend auch für alle Wirtschaftsgüter und die Preise dieser Güter, welche per Auto transportiert werden müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir von der WAV haben als erste Partei schon Anfang Dezember 1949 den Antrag gestellt, die Bundesregierung möge unter gar keinen Umständen die Treibstoffpreise erhöhen. Damals schon gingen Gerüchte um, . die Bundesregierung würde demnächst die Treibstoffpreise heraufsetzen. Die Bundesregierung hat, obwohl ein Antrag aus dem Hohen Hause vorlag, nicht etwa den Bundestag eingeschaltet, sondern sie hat von sich aus eine geradezu ungeheuerlich hohe Hinaufsetzung der Treibstoffpreise, um 50 Prozent, dekretiert. Das Ergebnis haben Sie gesehen. Glaube bitte ja niemand, es seien nur theoretische Erörterungen und Ausführungen, wenn wir von der WAV Ihnen heute hier sagen: diese Treibstoffpreiserhöhung bedeutet eine Wirtschaftskatastrophe größten Umfanges! Es ist nämlich in den vier Wochen seit der erfolgten Preiserhöhung schon allerhand geschehen, und wir haben schon Zahlen und Ziffern vor uns liegen und können genau ermessen, wie sich das alles auf die Wirtschaft und auf wichtigste Teile der Wirtschaft auswirkt. Von diesen Zahlen und Ziffern möchte ich Ihnen, soweit die beschränkte Redezeit es zuläßt, wenigstens einige nennen. Vielleicht sehen Sie, meine Herren von den Regierungsparteien, oder sieht wenigstens ein Teil von Ihnen dann auch ein, was die Regierung mit der Treibstoffpreiserhöhung bereits angerichtet hat und wie sich das alles auch auf andere Gebiete des Wirtschaftslebens auswirkt.
Wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß allein im Bezirk Düsseldorf vom 1. bis 31. Januar 1950 rund 800 Kraftfahrzeugabmeldungen erfolgt sind?
Wissen Sie das? Wissen Sie, daß im Fahrzeugbezirk Essen 804 Abmeldungen erfolgt sind? Im Bezirk Duisburg sind es 428, im Bezirk Linker Niederrhein, also Krefeld, Kleve, Geldern usw. 782. Das sind allein 2808 Kraftfahrzeugabmeldungen im Monat Januar bei 10 Straßenverkehrsamtsbezirken von insgesamt 38 im Landesteil Nordrhein!
Das sind die authentischen Ziffern, Herr Zwischenrufer, die mir vom Verkehrsgewerbe überreicht worden sind, und Sie können dieselben Ziffern ebenfalls jederzeit beim Verkehrsgewerbe haben. Sie haben sie .wahrscheinlich schon bekommen. — In 10 von 38 Straßenverkehrsamtsbezirken, meine sehr verehrten Damen und Herren, über 2800 Kraftfahrzeuge! Einige Ziffern aus dem Lande Bayern, wo ich die Verhältnisse aus eigener Anschauung genauestens kenne: Tausende und aber Tausende von Lastkraftwagen sind in den vier Wochen des Monats Januar dort bereits abgemeldet worden!
Wie wirkt sich das nun für die Arbeitslage aus? Wir haben doch gestern von der Regierung so schöne Worte gehört, man müsse alles tun, um ein weiteres Ansteigen der heute schon riesenhaft hohen Arbeitslosenziffer zu verhindern. Wie wirkt sich das also aus? In einer einzigen Stadt, nämlich Düsseldorf, sind in diesem Monat Januar 1950 2300 Arbeiter und Angestellte des Verkehrsgewerbes gekündigt worden.
Das heißt man Arbeitsbeschaffung, nicht wahr? Rechnen Sie sich die Ziffern nur zusammen! Ich kann Ihnen heute schon eines voraussagen: Hunderttausende von Menschen werden durch diese Treibstoffpreiserhöhung brotlos werden.
Da kommt nun noch jemand her und will uns, wie man das in den Ausschüssen getan hat, weismachen — und auch von der Regierungsbank ist das heute schon wieder geschehen -, die ganze Sache sei ja gar nicht so schlimm. Man hat erklärt, die Regierung hätte diese Preiserhöhung ohne weiteres vornehmen dürfen. § 1 Satz 2 des Preisgesetzes stünde dem nicht entgegen; denn es sei gar keine .wesentliche Auswirkung auf das Wirtschaftsleben erfolgt; diese Treibstoffpreiserhöhung sei gar nicht von grundlegender Bedeutung im Sinne des § 1 Satz 2 des eben erwähnten Gesetzes gewesen. Ja, was ist denn da noch von grundlegender Bedeutung? —, frage ich Sie. Ich wage zu behaupten: mindestens dieselbe Rolle wie eine Erhöhung der Frachten oder eine Erhöhung des Kohlenpreises für die Wirtschaft spielt für unser gesamtes Wirtschaftsleben eine Erhöhung der Treibstoffpreise, und man kann Ihnen das auch ohne weiteres beweisen.
Wir haben im Ausschuß allerhand über uns ergehen lassen müssen. Regierungsvertreter standen auf und haben uns mit Ziffern bedient. die so nicht stimmen. Ich habe einmal dem Regierungsreferenten. als er uns glauben zu machen versuchte. daß die Milch im Antransport nach den Großstädten nur eine ganz. ganz geringe Zahl von Kilometern per Auto zurücklegen müsse, etwas vorgerechnet. Der Regierungsvertreter sagte: höchstens 30 Kilometer vom Erzeuger bis zum Konsumenten. Ich habe ihm vorgerechnet, daß allein hei uns in München drunten — so ist es auch in anderen Großstädten — die Milch durchschnittlich 60 bis 80 Kilometer heranbefördert wird. Dazu. kommen noch die Fahrten innerhalb der Stadt. Und dazu kommt noch die Rückfahrt in gleicher .Länge wie die Herfahrt: denn die leeren Milchkübel missen ja .wohl auch noch zurücktransportiert werden! Was hat der Regierungsvertreter da getan, als ich ihn in die Enge getrieben habe? Nun. er hat gesagt: seine Zahlen können vielleicht nicht ganz stimmen; und man hat dann statt 30 Kilometer Anfahrtweg gnädiglich 50 Kilometer konzediert, das sind also 25 Kilometer für die einfache Strecke. Ich kann beweisen, daß in München mit der Milch bereits Fahrten von 25 Kilometer innerhalb des Stadtkreises von der Großmolkerei bis zum letzten Verbraucher gemacht werden müssen.
lind so ist das auf anderen Gebieten auch. Die Zahlen, die uns die Regierungsvertreter genannt haben, stimmen zum großen Teil nicht. Von seiten der Regierungsbank wurde uns erklärt, daß für die Ziegelsteine — das ist tatsächlich einer der allerwichtigsten Bauartikel — durch die Treibstoffverteuerung nur eine Preiserhöhung von rund drei Prozent eintrete. „Nur" ist übrigens gut gesagt! Es genügt bei den heutigen Verhältnissen auf dem Baumarkt wirklich schon, wenn Baumaterialien noch weiter um drei Prozent verteuert werden. Ich habe aber von seiten des Ziegeleigewerbes ganz andere Zahlen, ebenfalls authentische Zahlen, genau ausgerechnet bekommen. Diese lauten dahin daß eine Verteuerung mindestens um fünf. wahrscheinlich sogar um sieben Prozent durch diese Treibstoffpreiserhöhung eintritt. Und so könnte ich Ihnen
jetzt Hunderte von Beispielen sagen.
Die Regierungsvertreter haben uns im Wirtschaftsausschuß zugegeben, daß die Tonne Kohle urn mindestens 30 Pfennig durch die Treibstoffpreiserhöhung verteuert .wird. Andere lebenswichtige Güter aller Art werden ebenso verteuert. Und eines hat die Regierung vergessen zu sagen: daß die wichtigsten Waren gar nicht bloß einmal auf ihrem Weg über die Lastkraftwagen vom Urprodukt bis zum Verbraucher befördert werden, sondern daß sie oft zehnmal, ja sogar zwanzigmal per Auto umgeschlagen werden müssen. Rechnen Sie sich das zusammen; dann werden Sie sehen, wie unmöglich und wie lächerlich die Behauptung ist, die uns von seiten der Regierungsparteien und Regierungsvertreter im Wirtschaftsausschuß entgegengehalten wurde, die Erhöhung der Treibstoffpreise sei nicht von grundlegender Bedeutung für das Wirtschaftsleben.