Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß Berlin ein Sorgenkind des Bundes ist und daß diesem Sorgenkind geholfen werden muß. Da aber der Bund verschiedene Sorgenkinder hat, dürfen wir bei diesen Hilfsmaßnahmen den Dingen nicht völlig kritiklos gegenüberstehen. Die Fraktion der Bayern-Partei hat sich mit dieser neuen Hilfsmaßnahme auseinandergesetzt, und wir stehen nicht an, zu erklären, daß die Fraktion. den Vorschlägen in den Artikeln 1 und 2 zur weiteren Stützung Berlins zustimmen könnte. Die Hilfsmaßnahme, die in Artikel 3 vorgeschlagen und mit „Umsatzsteuervergünstigungen" überschrieben ist, kann jedoch in dieser Form von meiner Fraktion nicht angenommen werden.
Wir stehen bei der kritischen Überprüfung dieser Hilfsmaßnahme nicht allein und verweisen Sie auf die Ausführungen und die Einwände, die schon im Bundesrat zu dieser Maßnahme gemacht worden sind; sie müssen im Interesse der gesamtdeutschen Wirtschaft unter allen Umständen einer gewissenhaften Prüfung unterzogen werden. Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß diese Maßnahme in der Form, wie sie hier im Gesetz vorgeschlagen ist, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmungen innerhalb des Bundes sehr stark beeinträchtigen könnte. Ferner ist darauf hingewiesen worden, daß Finanzierungsmaßnahmen dann gefährlich sind, wenn sie über ein Steuergesetz — hier das Umsatzsteuergesetz — probiert werden. Wir wissen ganz genau, daß die Haushalts- und Wirtschaftslage Berlins noch weiter gestärkt werden muß. Wir wissen auf der anderen Seite aber auch, daß es im westdeutschen Gebiet gerade in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage, bei der Arbeitslosigkeit, in der Zeit der zunehmenden Konkurse viele Unternehmungen gibt, die, nachdem sie sich nach diesem zweiten Zusammenbruch innerhalb einer Generation mit den letzten Kräften wieder emporgerappelt haben, um ihre Existenzfähigkeit ringen.
Die Umsatzsteuervergünstigungen, die im Bundesrat als Bonus an den westdeutschen Ersterwerber bezeichnet worden sind und die man auch als eine besondere Exportprämie für Berlin kennzeichnen kann, sind theoretisch zunächst für das gesamte Wirtschaftsgebiet gültig. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Auswirkungen dieser Vergünstigungen in der Praxis nur einen ganz kleinen Teil westdeutscher Unternehmungen betreffen und begünstigen werden. Dazu kommt als weitere Folge, daß der Teil der Unternehmungen, der diese Vergünstigungen in Anspruch nimmt, notgedrungen zur Belebung Berlins seine gesamten wirtschaftlichen Beziehungen nach Berlin verlegt und den übrigen westdeutschen Unternehmungen, die vielleicht genau so notleidend sind und an der Kippe stehen, seine bisherige wirtschaftliche Hilfestellung entzieht, um sie nach Berlin zu verlagern. Diese Überlegungen müssen angestellt werden, wenn man erkannt hat, daß es sich hier zweifelsohne um gefährliche einseitige Wettbewerbsmaßnahmen handelt.
Wir haben auch größte Bedenken gegen die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Überwachung dieser Hilfsmaßnahme. Sie wissen alle, daß gerade die Wirtschaftsunternehmungen unserer Generation, die den ersten Weltkrieg mit der Inflation und den zweiten Weltkrieg mit den Währungserschütterungen, mit den unerhörten Steuergesetzen und ihrem konfiskatorischen Charakter überdauert haben, sich nolens volens dazu entschließen mußten, in geradezu raffinierter Weise die Gesetzgebung zu durchbrechen, um existenzfähig zu sein. Wir wissen auch, daß man das — vielleicht berechtigt, vielleicht unberechtigt — als unmoralisch bezeichnet hat, insbesondere auf dem Gebiet der Steuergesetzgebung. Dieser Zug, der nun einmal durch die gesamte Wirtschaftsentwicklung und die Ungunst der Zeit in unser Wirtschaftsleben hineingebracht worden ist, wird hier nur wieder mehr Boden finden. Die wirklich begrüßenswerten Hilfsmaßnahmen für Berlin werden sich nicht auf Berlin beschränken. .Ich glaube, es wird nicht verhindert werden können, daß diese Hilfsmaßnahmen sich nicht nur nach West-Berlin, sondern auch nach Ost-Berlin hinein auswirken und besonders von geschäftstüchtigen Leuten ausgewertet werden, während der solide Geschäftsmann in Westdeutschland unter dieser einseitigen Bevorzugungsmaßnahme leiden wird. Insbesondere werden diejenigen Unternehmungen leiden, denen durch die Verlagerung der gesamten Wirtschaftsbeziehungen nach Berlin vielleicht die letzten Grundlagen genommen werden. Diese Auswirkungen müssen, auch wenn es sich um eine Hilfsmaßnahme für Berlin handelt, entscheidend berücksichtigt werden.
Wenn bei der Einbringung dieses Gesetzes in der letzten Sitzung beantragt worden ist, die Gesetzesvorlage dem zuständigen Ausschuß zu überweisen, und wenn sie dem Finanzausschuß überwiesen worden ist, so glauben wir feststellen zu müssen, daß damit einer zuverlässigen und einwandfreien Überprüfung der Auswirkungen dieses Gesetzes in keiner Weise Genüge getan ist. Vielmehr kann das einzige sachverständige Gremium, das die Auswirkungen dieses Gesetzes wirklich zuverlässig überprüfen und uns dann den Überprüfungsbericht objektiv übermitteln kann, nur der Wirtschaftsausschuß sein. Wir werden daher beantragen, daß dieses Gesetz, insbesondere die Bestimmung in Artikel III dem einzig zuständigen Ausschuß, dem Wirtschaftsausschuß, zur nochmaligen Nachprüfung überwiesen wird. Das bedeutet keine Verzögerung dieser Gesetzesvorlage.
Wenn wir uns an die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers in der Sitzung vom 8. Februar 1950 erinnern, so hat er dort in seinem Referat an Hand von Zahlen gezeigt, daß durch die bisherigen Subventionen eine günstige Entwicklung der Wirtschafts- und Haushaltslage von Berlin zu verzeichnen ist. Er hat sich wörtlich dahin ausgedrückt, daß eine Besserung der Berliner Wirtschaft festzustellen sei. Das heißt doch, daß dieses notleidende Berlin, dieses Sorgenkind des Bundes, wenigstens einmal auf die Füße gestellt ist und laufen kann. Das heißt fernerhin für uns, daß wir bei weiteren Hilfsmaßnahmen nicht kritiklos und leichtfertig über derartig einschneidende Maßnahmen, die das gesamte westdeutsche Wirtschaftsgebiet betreffen, hinweggehen können. Es geht nicht an, daß wir bei einem derartigen Gesetz nur durch den Ruf „Berlin!" wie hypnotisiert am Schnürchen dasitzen und eine Entscheidung ohne die zuverlässigen Überprüfungen fällen.
Wir dürfen schließlich nicht vergessen, daß der Bund auch andere Sorgenkinder hat, Sorgenkinder, die nicht weniger in Gefahr sind und nicht weniger um ihre Existenz kämpfen.
Wir dürfen bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß wir den Bund schon lange und seit Monaten darauf hingewiesen haben, daß sich auch in der Bayerischen Ostmark ein Wirtschaftsgebiet befindet. das die gleichen Voraussetzungen wie Berlin hat, das ebenfalls unter den Auswirkungen des geschlossenen Eisernen Vorhangs leidet, das noch dazu in einem völlig abgeschlossenen Winkel ist, wo die Zufuhr von Rohmaterial und die Abfuhr von Fertigwaren einer besonderen Ungunst unterworfen sind. Wir haben beantragt, Maßnahmen für dieses Gebiet zu überlegen und in die Wirklichkeit umzusetzen.
Wenn der Ruf „Berlin!" kommt, dann wird innerhalb weniger Tage entschieden und das Gesetz durchgetrieben. Wenn ein Ruf aus dem bayerischen Osten oder, wie gestern, aus Schleswig-Holstein kommt, wo durch die Flüchtlingsfrage geradezu ein Notstand gegeben ist, dann hat man Zeit zu überlegen und zurückzustellen.
Wir rufen den Bund und alle hier anwesenden Abgeordneten auf, die übrigen Sorgenkinder des Bundes nicht zu vernachlässigen. Der Bund und die westdeutsche Bevölkerung haben unerhörte finanzielle Unterstützungen, die schließlich vielleicht auch in einer größeren Summe zum Aufbau des westdeutschen Wirtschaftsgebiets hätten verwendet werden können, nach Berlin gepumpt. Wir wissen, daß das Notopfer Berlin geleistet wird und daß diese Unterstützungen bis zum Ende dieses Jahres verlängert worden sind. Man kann nicht bloß einem Notgebiet alles geben und die anderen vergessen, die in den schwierigsten Zeiten, die unser deutsches Vaterland überhaupt zu überwinden hatte, die Arbeitslosigkeit und seit Jahr und Tag die Hilfestellung gegenüber den Flüchtlingen allein getragen haben. Vergessen Sie das nicht! Diese Mahnung wollte ich an Sie gerichtet haben.
Ich möchte gerade mit Rücksicht auf die Ausführungen eines Vorredners daran erinnern, daß die Hilfsmaßnahmen für Berlin auch richtig gesteuert werden müssen und daß nicht vielleicht, wie hier schon oft durch verschiedene Abgeordnete ausgedrückt worden ist, einseitigen parteipolitischen Maximen Rechnung getragen werden darf. Wir haben seinerzeit, schon vor Monaten, als der BerlinAusschuß in Berlin die Verhältnisse untersucht und festgestellt hatte, daß ein gewisser Teil der Bevölkerung von der sozialen Hilfestellung dieser Unterstützungen wenig verspürt, den Antrag gestellt, daß man von den Geldern, die nach Berlin abgezweigt werden, auch einen entsprechenden und ausreichenden Teil der katholischen Caritas und der evangelischen Inneren Mission zuteilt, um hier eine gleichmäßige Ausstrahlung auf die gesamte notdürftige Berliner Bevölkerung zu gewährleisten. Auch dieser Antrag ist bis heute noch nicht verbeschieden, obwohl es im Interesse von Gesamtberlin und der gesamten Berliner Bevölkerung, im Interesse der Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit höchst notwendig gewesen wäre.
Die Fraktion der Bayernpartei würde — um es nochmals zu sagen — den Artikeln I und II zustimmen. Sie kann dem Artikel III nicht zustimmen. Sie beantragt daher, dieses Gesetz zur neuerlichen Prüfung dem Wirtschaftsausschuß zu überweisen.