Es wäre mir angenehmer, wenn ich mich zuletzt getäuscht habe.
Wenn wir jetzt nach den grundsätzlichen Zielen unserer kommenden agrarpolitischen Entwicklung fragen, wenn wir nach einem Weg suchen, so ist es ganz selbstverständlich, daß wir im Rahmen der bestehenden Wirtschaftsordnung versuchen müssen, für die Landwirtschaft ein Preisgefüge zu finden, das die Landwirtschaft in ihrer Gesamtheit in das gesamte wirtschaftliche Geschehen der Bundesrepublik Deutschland ranggemäß eingliedert. Wenn wir in den nächsten Tagen und Wochen bei den Erörterungen der Ausschüsse und der Regierung nach den Regeln suchen, die dieses Preisgefüge schaffen, so müssen wir von der Voraussetzung ausgehen, daß das Preisgefüge nicht den untersten Einkommensgrenzen angepaßt werden kann, die überhaupt in der heutigen Wirtschaft zu verzeichnen sind. Es besteht so gern die Neigung, der Landwirtschaft immer wieder zu sagen, daß ein gewisser Kreis von Menschen, den jeder kennt und jeder anerkennt, der Kreis, der unter dem Existenzminimum liegt, nicht in der Lage ist, die Preise anzulegen, die im allgemeinen bei einer vollständigen Angliederung der Landwirtschaft an das Preisgefüge der Gesamtwirtschaft angelegt werden müßten. Wenn wir aber nun versuchen, das Preisgefüge an diese untersten Grenzen anzupassen, so ist durch die Stufenwirkung nach unten, durch den Weg vom Erzeuger zum Verbraucher ja heute schon die Gewähr gegeben, daß der Erzeuger einen Preis bekommt, der ihn in seinem Einkommensgefälle noch weiter unter diese Stufe abfallen läßt. Das muß eine grundsätzliche Regelung bei den Fragen sein, die wir im Zusammenhang mit diesem Antrag in den nächsten Wochen in den Ausschüssen dieses Hohen Hauses zu erörtern haben.
Nun möchte ich noch kurz die Frage aufwerfen: Wie kam es, warum die heutige Situation, und was nun? Wie es kam, ist uns allen bekannt. Es ist der rapide Übergang, den ich vorhin schon angedeutet habe, der rapide Übergang von einer Bewirtschaftung, die in Wirklichkeit nur noch auf dem Papier stand, die sich selbst überholt hat, die sich selbst aufgefressen hat, die auf Grund des Tempos unserer weltwirtschaftlichen Entwicklung und durch unsere Angliederung an den westeuropäischen Markt in einem solch schnellen Tempo überholt wurde, daß zuletzt die Maßnahmen des Staates immer hinterherhinkten. Über alle Entscheidungen, die wir auf dem Gebiet unserer Ernährungspolitik im letzten Jahr getroffen haben, kann man immer wieder die Überschrift setzen: Zu spät!
In diesem Zusammenhang muß ich noch eines sagen. Der Herr Ernährungsminister hat heute hier Ausführungen gemacht, in denen Ratschläge enthalten waren, bei deren Befolgung durch die Landwirtschaft die Gefahr besteht, daß auch hier wieder das Wort „zu spät" angebracht sein wird. Der Herr Ernährungsminister ist Zeit seines Lebens dafür bekannt, daß er ein Meister des Wortes ist; er versteht es meisterhaft, mit schönen und guten Worten — ich will nicht sagen: nichts — mindestens sehr wenig zu sagen; er hat darin ein besonderes Geschick.
Um so mehr hat es mich heute verwundert, daß er sich auf agrarpolitischem Gebiet so festgelegt hat, und zwar mit einer These, bei deren Befolgung jeder einzelne Betrieb Gefahr läuft, auch wieder zu erfahren: zu spät! Ich meine den Satz, in dem er davon gesprochen hat, die einzig seligmachende Möglichkeit der deutschen Landwirtschaft bestehe darin, sich der reinen Veredelungswirtschaft zuzuwenden, die Erzeugung von Brotgetreide aber anderen Gebieten der Welt zu überlassen. Da habe ich nur die eine Sorge: wenn die deutsche Landwirtschaft diesen Rat befolgt, dann wird das eintreten, was uns in den letzten 10 Jahren immer wieder vor Augen geführt worden ist, daß nämlich die Weltpolitik und vor ihr noch die Konjunktur der Weltwirtschaft sich sehr schnell von einer gegebenen Situation auf eine neue umstellt. Ich habe die Sorge, daß eine Umstellung der deutschen Landwirtschaft in ihrer Endwirkung jetzt auf einen weiten Zeitraum gesehen — immer zu spät kommen wird. Ein bäuerlicher Betrieb ist dann am krisenfestesten, wenn seine Betriebsform möglichst vielseitig ist.
Von einer ganz bestimmten Brotgetreideerzeugung — am liebsten höher als wir sie heute
haben — abzusinken, möchte ich warnen; denn wer gibt uns bei dem heutigen schnellen Zeitgeschehen die Gewähr, daß nicht einmal der Zeitpunkt kommt, da wir auf Grund unserer jetzigen politischen Situation untätig zusehen müssen, wie alle diese Schiffskasten, von denen man gesprochen hat, für alle Zwecke in der Welt zur Verfügung stehen, nur nicht für den Transport von Brotgetreide nach Deutschland?
Das ist die eine Seite.
Dann bitte ich Sie, ein Weiteres zu beachten. Der Bauer denkt im Innersten seiner Seele nicht rein kaufmännisch, sondern er denkt rein bäuerlich. Dieses bäuerliche Denken ist in erster Linie auf die Erhaltung abgestellt, und das ist die Stärke unseres Bauerntums. Diese ethische Stärke unseres Bauerntums aber müssen wir erhalten, weil wir damit auch die Grundlage unseres Volkstums überhaupt erhalten. Der Bauer war immer bereit, seine Lebenshaltung den Zeitumständen anzupassen und anzugleichen. Ob es bei der jetzigen Entwicklung der Wirtschaft zumutbar ist, die Lebenshaltung des bäuerlichen Menschen in Deutschland auf einem Stande zu halten, der, im Durchschnitt gesehen, auf der untersten Einkommensgrenze und darunter liegt, das bitte ich zu prüfen und dann bei allen diesen Entscheidungen zu beachten. Ich bitte Sie, das bei den kommenden Erörterungen des Problems vom landwirtschaftlichen Standpunkt aus auch in die Waagschale zu werfen; denn jede Ethik hat dort eine Grenze, wo die wirtschaftlichen Grundlagen des Menschen überhaupt beseitigt werden.
Nun möchte ich einige Bemerkungen machen zu dem Antrag der Bayernpartei und zu den Erörterungen, die im Zusammenhang mit diesem Antrag heute vor diesem Hohen Hause geführt worden sind. Ich bin der Meinung, es läge im Interesse der zuständigen Fachminister, im Interesse der Regierung, ganz gleich welcher Art diese zufällig ist, daß die Verantwortung für diese Handelsverträge und ihre Auswirkungen auf möglichst breite Schultern gelegt wird; das ist eben der Kreis der Menschen in unserem deutschen Volk, der verfassungsrechtlich dazu bestimmt ist: das sind die Abgeordneten des Bundestags.
Heute muß ich folgende Situation feststellen: Der Bundestag ist über Maßnahmen nicht unterrichtet, die von den Ministern, von den Ministerien getroffen werden und über die die Allgemeinheit spricht.
Das Schwergewicht der Entscheidung liegt trotz Grundgesetz, trotz Bundestag immer noch insbesondere beim Wirtschaftsministerium und beim Ernährungsministerium, das • Schwergewicht der Maßnahmen liegt bei den Beiräten. Darum gestatten Sie mir, auszusprechen: Auf Grund der Tendenz, in den Beiräten möglichst zahlreich vertreten zu sein, liegt die Vermutung nahe, daß die Herren in diesen Beiräten weniger danach trachten, ihren Rat beizutragen, als vielmehr die Absicht haben, bestimmte Informationen möglichst frühzeitig hinwegzutragen.
Es müßte Pflicht der Regierung sein, die einzelnen Fraktionen des Bundestages über die auf diesem Gebiet geplanten und zu ergreifenden Maßnahmen zu unterrichten. Gestaltet werden diese handelspolitischen Entscheidungen nach dem bisherigen System durch anonyme Kräfte, die die einschlägigen Minister immer decken müssen. Aber die Verantwortung vor der breiten Öffentlichkeit sollen die 402 Mitglieder des Bundestages tragen, die oft vor Fragen gestellt werden, von denen sie überhaupt keine Kenntnis haben.
Zusammenfassend möchte ich nur eine einzige Feststellung treffen. Es ist für die einzelnen Berufsstände leicht, ihre Forderungen auf Grund der jeweiligen wirtschaftspolitischen Situation in ihren Organisationen zu formulieren und vor der Öffentlichkeit zu vertreten. Schwer ist es dagegen für die Parteien, diese verschiedenen wirtschaftspolitischen Forderungen der Berufsstände und Berufsverbände in eine gewisse Übereinstimmung zu bringen. Es ist Pflicht der Regierung, alle diese Forderungen, die über die Wirtschaft und ihre Berufsstände und durch die Parteien an sie herangetragen werden, in Einklang zu bringen mit den außenpolitischen Notwendigkeiten der Weltpolitik. Es ist aber Aufgabe von uns allen ohne Ausnahme, daß jeder, ohne Rücksicht auf Beruf und Partei, dazu beiträgt, der Regierung die Erfüllung dieser ihrer Pflicht zu ermöglichen. Denn wir alle bauen Deutschland!