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ID0103406600

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    Deutscher Bundestag — 34. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Februar 1950 1059 34. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 2. Februar 1950. Geschäftliche Mitteilungen . . 1059D, 1104D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Behandlung wiederkehrender Leistungen bei der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen (Drucksache Nr. 445) in Verbindung mit der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzen über die Aufhebung vois Vorschriften auf dem Gebiet des Handelsrechts, des Genossenschaftsrechts und des Wechsel- und Scheckrechts (Handelsrechtliches Bereinigungsgesetz) (Drucksache Nr. 447) und der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Kraftloserklärung von Hypotheken-, Grundschuld- und Rentenschuldbriefen in besonderen Fällen (Drucksache Nr. 458) und der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt (Drucksache Nr. 446) . 1060A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 1060B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer (Drucksachen Nr. 484 und 395) . . . . . . . . . 1061A Frau Dr. Probst (CSU), Berichterstatterin 1061B, 1063C Dr. Krone (CDU), Berichterstatter . . . . . . . . . . 1063B Arndgen (CDU) 1063D, 1073D Bazille (SPD) 1064D, 1070D Storch, Bundesminister für Arbeit . . . . . . . . 1066D, 1071C Renner (KPD) . . . 1067B, 1074B, 1078A Dr. Seelos (BP) . . . . . . . 1063C Mende (FDP) 1069A Krause (Z) 1070A Dr. Leuchtgens (DRP) 1072B Löfflad (WAV) . . . . . . . 1073A Frau Kalinke (DP) 1073C Leddin (SPD) 1076D Dr. Wellhausen (FDP) 1077B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 1077C Dr. von Brentano (CDU) 1078D Beratung 'des Antrags der Abgeordneten Dr Horlacher, Bauereisen, Strauss und Genossen betr. Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft (Drucksache Nr. 428) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der BP betr. Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes (Drucksache Nr. 381) 1079D Dr. Horlacher (CSU), Antragsteller 1079D, 1102B, 1103C Dr. Baumgartner (BP), Antragsteller . . . . . . . . 1084C, 1103C Dr. Niklas, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1087D Kriedemann (SPD) 1091D Niebergall (KPD) 1094C Mensing (CDU) 1095C Frühwald (FDP) . . . . . . . . 1096D Dr. Leuchtgens (DRP) 1098D Dr. Glasmeyer (Z) 1099C Bauknecht (CDU) . . . . . . . . 1100B Dr. von Merkatz (DP) 1101C Renner (KPD) (zut Geschäftsordnung) 1103D Dr. Schmid (SPD) (zur Geschäftsordnung . . . . . . . 1104B Nächste Sitzung 1104D Die Sitzung wird um 13 Uhr 40 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Wilhelm Niklas


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Dr. Baumgartner hat soeben eine Reihe von Vorwürfen gegen die meinem Ministerium unterstehende Außenhandelsstelle erhoben. Ich habe natürlich das allergrößte Interesse daran, daß diese Dinge bis ins einzelne klargestellt werden, und würde Sie daher bitten, seinem Wunsche auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu entsprechen.
    Meine Damen und Herren! Ich komme nun zu dem Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Horlacher. Er zerfällt eigentlich in zwei Teile, und zwar zunächst einmal in die Aufforderung an

    Bundesminister Dr. Niklas)
    die Regierung, den Wiederaufbau der Landwirtschaft weiter zu fördern, und dann in den Wunsch, daß bei den in Gang kommenden handelsvertraglichen Verhandlungen die Belange der Landwirtschaft entsprechend berücksichtigt werden.
    Ich darf vielleicht bei Punkt 2 beginnen, weil der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher in seinen Ausführungen diesem Teil seines Antrages einen besonders breiten Raum gewidmet hat. Wie haben sich denn die Dinge entwickelt? Wie ist denn die heutige Situation der Landwirtschaft entstanden? Ich habe in den vergangenen Jahren dann und wann in Versammlungen erklärt — ohne immer allgemeine Zustimmung zu finden —: auf der Welt leben 2 Milliarden 200 Millionen Menschen; wenn sie keine Granaten mehr drehen, dann müssen sie etwas anderes, etwas Vernünftiges machen, was den Lebensstandard der Menschheit hebt; oder, übertragen auf die Auswirkung, das durch den Krieg hervorgerufene Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wird sich rascher ausgleichen, als wir denken. Ich habe recht behalten. Darf ich ein Beispiel nehmen, den Prototyp für die menschliche Ernährung — „Unser täglich Brot gib uns heute!" Die Welt hat im Jahre 1949 in Weizen so viel erzeugt, wie sie brauchte. Wenn da und dort noch gewisse Schwierigkeiten in der Versorgung aufgetreten sind, waren es keine Mengengründe, sondern Ursachen anderer Art, monetäre oder sonstige Schwierigkeiten. Dadurch, daß die Motoren der Welt in wirtschaftlicher Hinsicht wiederum angelaufen sind, ist auch rascher, als wir dachten, der Moment gekommen, in dem die deutsche Wirtschaft wiederum in die Weltwirtschaft eingegliedert wurde und sich hineinverzahnen mußte.
    Nun ist heute auch von den Herren Abgeordneten Dr. Horlacher und Dr. Baumgartner schon darauf hingewiesen worden, daß dieser erste Akt eigentlich ohne deutsche Mitwirkung geschehen ist. Als 1947 die ersten Handelsvertragsbesprechungen begannen, waren deutsche Vertreter überhaupt nicht dabei. In zähem Ringen haben wir dann versucht, die deutsche Beteiligung zu erwirken. Das ist langsam möglich geworden. Im Jahre 1948 und dann im Jahre 1949 haben wir teilgenommen, aber nur, sagen wir einmal, in der zweiten Reihe — ad audiendum verbum —, um zu hören, was gesprochen wurde. Dann wurden wir Berater. Aber ausschlaggebend für die endgültige Form eines Handelsvertrages war und blieb die JEIA. Das soll keine feige Flucht vor der Verantwortung sein, sondern ich bitte, das lediglich als eine tatsächliche Feststellung zu betrachten. Die ersten Handelsverträge, nachdem im November 1949 die Besatzungsmächte die Zuständigkeit in deutsche Hände gelegt haben, waren der jugoslawische und der französische Handelsvertrag.
    Gestatten Sie mir eine grundsätzliche Berner-kung zu der Frage der Handelsverträge. Eigentlich ist die Bezeichnung nicht ganz richtig.

    (Abg. Rische: Wollte ich meinen!)

    Ich habe die Ehre gehabt, zehn Jahre lang, von 1915 bis 1925, ständiges Mitglied der deutschen Handelsvertragsdelegationen zu sein. Es gab manches Jahr, in dem ich als deutscher Handelsvertragsdelegierter mehr Zeit in den Großstädten der Welt als in der Heimat verbrachte. Ich bin
    infolgedessen so hoffärtig, zu behaupten, daß ich davon etwas verstehe. Was waren denn früher die eigentlichen Aufgaben der Handelsverträge? Das Fundament bestand in dem Bülowschen Zolltarifgesetz, das der Reichstag 1902 angenommen hatte. Bis 1931/32 beschränkte sich die Tätigkeit der Handelsvertragspartner darauf, sich gegenseitig Wünsche auf Abänderung der sogenannten autonomen Zollsätze zu übermitteln. In wochen-, oft monatelangen Beratungen hatten dann die beiderseitigen Handelsvertragsdelegationen die Aufgabe, diese gegenseitigen Wünsche abzustimmen. Dann mußte der deutsche Reichstag zustimmen. Denn es handelte sich, wenn in dem Handelsvertrag auch nur für eine einzige Position des autonomen Zolltarifs eine Abänderung vorgesehen war, um eine Gesetzesänderung. Der Charakter der Handelsvertragsverhandlungen hat sich im Jahre 1931/32 insofern etwas geändert, als die damals in der ganzen Welt auftretenden geldlichen Schwierigkeiten die Notwendigkeit mit sich brachten, Devisenabsprachen zu treffen. Damals entstand das System, das bis zu einem gewissen Grade jetzt eigentlich das Gerippe unserer Handelsverträge ist. Was sind die Handelsverträge denn? Sie sind Absprachen über gewisse Kontingente, Vereinbarungen über die dafür zur Verfügung zu stellenden Devisenbeträge; mehr nicht.
    Nun ist die Situation so — so war es immer, und so wird es immer bleiben -: ein Handelsvertrag ist ein do-ut-des-Geschäft — das gebe ich dir, was gibst du mir dafür? Es war immer schon sehr, sehr schwer, hier eine gerechte Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen der einzelnen Teile der deutschen Wirtschaft, der Industrie, des Gewerbes und der Landwirtschaft, herbeizuführen. Das Tragische — reden wir doch offen — ist für die Landwirtschaft im gegenwärtigen Augenblick die Tatsache, daß die als unsere Handelsvertragspartner in Betracht kommenden europäischen Länder eigentlich das nicht oder fast nicht liefern können, was wir bräuchten, ohne die Landwirtschaft zu schädigen, Brotgetreide, das wir eben noch nicht in genügendem Umfang herstellen, pflanzliche Fette und Zucker, sondern daß sie kommen und sagen: Kauft uns Gartenbauerzeugnisse, Obst, Vieh, Fleisch, Wein ab, lauter Dinge, an denen unsere Landwirtschaft in ihrer Produktion aufs äußerste interessiert ist.
    Wir müssen uns doch über folgendes klar sein; gestatten Sie mir diesen kurzen agrarpolitischen Rund- und Ausblick. Im Jahre 1941 saßen die damals schon Vereinten Nationen. der Welt monatelang in Hot Springs drüben über dem großen Wasser beisammen und stellten einen Welternährungsplan und natürlich auch einen Welterzeugungsplan auf. Der große Rahmen kann so gezeigt werden: In Zukunft, sagten sie, soll Aufgabe der Übersee die Getreidefabrikation sein - gestatten Sie, daß ich den zweiten Teil dieses Wortes besonders betone —, während es Aufgabe der europäischen und damit auch der deutschen Landwirtschaft ist, Veredelungswirtschaft zu treiben. Obwohl wir damals im geistigen Zuchthaus saßen, sind die Beschlüsse von Hot Springs auch zu uns nach Deutschland herübergedrungen. Und ich stehe gar nicht an, zu bekennen, daß ich diesen Grundgedanken von Hot Springs von Anfang an für richtig erklärt


    (Bundesminister Dr. Niklas)

    habe und heute noch für richtig halte. Ich befinde mich dabei in gar keiner schlechten Gesellschaft; denn kein Geringerer als Geheimrat Areboe, vielleicht der bedeutendste landwirtschaftliche Betriebslehrer, den das vergangene halbe Jahrhundert Deutschland und der Welt geschenkt hat, hat in seinem Standardwerk, das vor, ich glaube, 29 Jahren erschienen ist — Herr Professor Baade nickt zustimmend —, genau die gleiche Idee vertreten. Und warum, meine Herren? Einen dickbauchigen 8000 Tonnen-Dampfer in Quebeck oder irgendwo an der Ostküste mit Weizen vollzublasen, kostet nicht viel. Es braucht nur ein ganz alter Dampfer zu sein. Das Ausladen in Hamburg kostet auch nicht viel, und gewöhnliche Waggons dien en zum Transport an die nächste Mühle, und der letzte Bäcker in dem kleinen Städtchen Trippstrill kann aus prima prima Manitoba-Mehl sein Brot herstellen.
    Was will ich damit sagen? — Bei allen Zerealien ist der Unterschied zwischen den Gestehungskosten an einem weit entfernten Ort und dem herüben in Europa notwendigen Verkaufspreis gering. Daher hat Bismarck zunächst seinerzeit in erster Linie für Getreide die Schutzzollpolitik eingeführt.

    (Abg. Rische: Das war für die Junker!)

    — Das war bis zu einem gewissen Grade für den damals getreidebauenden Teil Deutschlands, zu dem, Herr Abgeordneter, nicht nur die Junker gehörten.

    (Abg. Rische: Und Ostelbien!)

    Und jetzt etwas ganz anderes. Ein Frigorifico, eine Fleischwarenfabrik irgendwo am La Plata erbaut, kostet -zig Millionen Goldpesos. Da kann 'eh zum Transport auch keinen ganz gewöhnlichen Dampfer nehmen, es muß ein Spezialdampfer sein, der in der Herstellung sehr viel teurer ist als der vorhin von mir skizzierte alte Kahn, der uns das Getreide herüberbringt. Die vielen Wochen des Transportes von Rio de Janeiro bis nach Hamburg muß jeden Tag und jede Stunde die Temperatur in allen Räumen des Schiffes die gleiche sein, weil sonst die Ware verdirbt. In Hamburg kann ich »die gefrorenen Rinderviertel nicht in gewöhnliche Waggons werfen, ich brauche Spezialwagen, und die kosten erhöhte Gebühren. Der letzte Fleischer aber in dem vorerwähnten Ort kann dieses Gefrierfleisch gar nicht aushauen, wie man so schön sagt, weil er keine Auftauvorrichtungen hat. Was ich Ihnen vom Fleisch erzählte, könnte ich ergänzen durch Schilderung des Weges der in Neuseeland erzeugten und in London konsumierten Butter.
    Was will ich damit sagen? Bei allen Veredelungserzeugnissen sind die notwendigen und kaum zu vermindernden Spesen durch den Transport so erheblich, daß sie einen Zollschutz bis zu einem gewissen Grade eigentlich ersetzen. Und nun denken Sie einmal an die Zukunft. Wie wird es mit den Zöllen werden? Stellen Sie unter diese unsichere Perspektive einer zukünftigen deutschen Zollpolitik das, was ich Ihnen hinsichtlich »der Ackererzeugnisse und hinsichtlich der Veredelungserzeugnisse sagte. Daraus ergibt sich für die deutsche und die europäische Landwirtschaft die unbedingt notwendige Marschroute, die Viehwirtschaft und die gesamte Veredelungswirtschaft zu fördern, wobei ich dringend bitte, nicht in den Fehler
    zu verfallen, Viehwirtschaft gleichzusetzen mit extensiver Wirtschaft. Die intensivste Wirtschaft kann letzten Endes auf dem Umweg über den intensiven Hackfruchtbau eine Viehwirtschaft sein.
    Jetzt aber zurück zu den Handelsverträgen. Meine Damen und Herren, auf der Basis des Zolltarifgesetzes vom Jahre 1902 wurden dann diese Handelsverträge - entschuldigen Sie den Ausdruck — ausgefochten, ausgekämpft könnte man sagen. Dabei war es doch immer dann so — das darf ich als alter Praktiker offen bekennen -daß nicht die geringere oder größere Fixigkeit und Gewiegtheit der Verhandlungsführer den Ausschlag gab und nicht immer das Recht, das hinter ihren Argumenten stand, sondern die politische Macht, ob wir nun wochenlang mit den Spaniern über die Rotweinzölle oder monatelang mit den Holländern über die Weichkäsezölle uns herumstritten.

    (Abg. Rische: Und so ist es heute auch noch!)

    — So ist es heute auch noch, und deswegen bedeutet natürlich

    (Abg. Rische: Darüber müssen Sie uns jetzt einmal was erzählen!)

    die zukünftige Gestaltung der Handelsverträge eine sehr schwierige Frage. Ich muß dem Herrn Abgeordneten Dr. Horlacher voll und ganz recht geben, wenn er nachdrücklichst auf die Bedeutung dieser fundamentierenden wirtschaftlichen Arbeit hinwies. Wir sprechen soviel über Tagesfragen, und Sie müssen es tun, weil es drängt. Aber wissen Sie, meine Herren, diese Arbeit ist eigentlich — jetzt übertreibe ich etwas - eine Arbeit sub specie aeternitatis, jedenfalls eine Arbeit, die auf Jahre hinaus die Fundamente für die wirtschaftliche Tätigkeit festlegt; und daher Vorsicht für alle, die mit dieser verantwortungsvollen Arbeit zu tun haben!

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Und nun komme ich zur Verantwortung. Verantwortlich für »die abgeschlossenen Handelsverträge wird einstmals zeichnen, sobald gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, die deutsche Regierung für den jugoslawischen und für den deutsch-französischen Handelsvertrag. Der jugoslawische ist von »den Hohen Kommissaren noch nicht genehmigt, und Sie werden auch aus einem gewissen Vorfall, der jetzt acht Tage alt ist - ich verweise auf die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers — verstehen, wenn ich gerade zu dem jugoslawischen Vertrag nicht Stellung nehme. Aber lassen Sie mich etwas zum französischen sagen. Beim französischen Vertrag standen für die deutsche Landwirtschaft im Feuer die weitgehenden Forderungen der Franzosen auf Einfuhr von Gemüse im Werte von 5 Millionen Dollar. Ja, meine Damen und Herren, wir waren aber nebenbei noch belastet mit den 15 Millionen Dollar Gemüseeinfuhr, die die JEIA im Holland-Vertrag konzediert hatte und die damals bis auf 12 Millionen Dollar noch nicht abgewickelt war. Wir waren und sind noch belastet mit den nicht ausgeschöpften Gemüseeinfuhren vom Italiener-Vertrag. Infolgedessen mußten wir bei Gemüse wirklich vorsichtig sein. Daher haben wir die von den Franzosen verlangten 5 Millionen Dollar auf die Hälfte, auf 2,5 Millionen herabgedrückt, und lediglich bis 31. Dezember 1949 nicht ausgenutzte 1,4 Millionen Dollarreste dürfen noch dazugeschlagen werden.


    (Bundesminister Dr. Niklas)

    Käse! Herr Dr. Baumgartner hat die Situation vorhin völlig richtig geschildert. Wir haben allein im bayerischen Allgäu heute 16 000 tons Käse liegen. Infolgedessen war die französische Forderung, für 5 Millionen Dollar französischen Käse hereinzulassen, für uns unannehmbar. Wir haben diese Forderung in wochenlangen Verhandlungen zurückgeschraubt auf ein, wie ich glaube, erträgliches Maß, auf 1,5 Millionen Dollar.
    Und nun die Weinfrage. Auch hier ist die Tatsache zu verzeichnen, daß Deutschland im vergangenen Jahr 1949 für 1,9 Millionen Dollar Wein mehr eingeführt hat als jemals das Deutsche Reich vorher.

    (Hört! Hört! .— Abg. Rische: Das Deutsche Reich?)

    - Ja, das Deutsche Reich! Deshalb mußten wir
    auch hier nach Möglichkeit einen Weg finden, der der deutschen Gartenbau- und Weinwirtschaft nicht tödlich e Schläge versetzt. Es ist gelungen. Ich danke es dem Präsidenten des Deutschen Weinbauverbandes, dem Grafen Matuschka, der auf meine Bitte in Paris mit den Interessentenvertretungen die Verhandlungen führte, daß schließlich doch ein Weg gefunden wurde, der einmal mengenmäßig die Weineinfuhr von 5 - wie sie verlangt hatten — auf 3 Millionen Dollar beschränkte und der vor allem folgendes vorsah. Es ist gelungen, mit den französischen Wein - Bauorganisationen eine Vereinbarung zu treffen, daß wir nur „vins d'appelations d'origine controlé" hereinbekommen, auf gut deutsch: Weine mit amtlicher Kontrolle der Herkunft. Dadurch scheiden von vornherein neun Zehntel der Winzer aus, und zwar diejenigen, die nicht sehr wertvollen Konsumwein bringen. Wir haben dann die entsprechenden Weine, mit denen wir auch konkurrieren können.
    Und nun kam der große Kampf. Wir verlangten, daß auf die Negativliste gesetzt wird — und da muß ich jetzt an die Worte von Herrn Dr. Baumgartner anknüpfen Margarine. Was er darüber vorher sagte, unterschreibe ich voll und ganz. Wir haben erklärt: wir können die fertige Margarine nicht von der Negativliste absetzen, also der Einfuhr von Fertigmargarine Tür und Tor öffnen. Meine Damen und Herren, in den letzten 60 bis 80 Jahren hat sich am Niederrhein, hat sich in Hamburg eine deutsche Ölschlägerindustrie entwickelt, die nicht nur in der Lage war, durch Hereinholen von Ölsaaten aus allen Teilen der Welt den gesamten deutschen Bedarf an industriellen und Ernährungsfetten, restlos zu decken, sondern die sogar eine gewisse Veredlungswirtschaft trieb; sie hat noch den ganzen Bedarf Skandinaviens an Fettigkeiten gedeckt. Infolgedessen hatten wir den größeren Anfall von Ölkuchen für unsere Viehernährung. Wir konnten und können doch diese bedeutsame deutsche Industrie nicht opfern, indem wir Fertigmargarine einführen. Wir mußten es im Dezember einmal machen, aber das Normale darf es nicht sein.
    Wir wehrten uns des weiteren dagegen, daß Weißzucker von unserer Negativliste abgesetzt wird. Ja, in Cuba Rohzucker kaufen, ihn hier in Deutschland raffinieren und damit die zu kurze Arbeitszeit der deutschen Zuckerindustrie verlängern, diese rentabler gestalten, bei der Raffination dann Melasse gewinnen zur Erweiterung unserer schmalen Viehfutterungsbasis und aus der Melasse dann
    Alkohol und Hefe gewinnen — das können wir auch, dazu brauchen wir nicht Weißzucker von anderen einzuführen.
    Und dann Roggen! Bei Roggen ist die Situation so: Wir mußten schließlich 100 000 Tonnen Roggen noch hereinnehmen, und hier darf ich zur Erklärung der Sachlage etwas sagen. Wir werden von den Alliierten ständig gedrängt, bei den Getreideaufkäufen den Dollarraum zu meiden und unseren Bedarf in den Ländern mit weicher Währung zu decken. Deswegen haben wir auf besonderen Wunsch der Besatzungsmächte die 100 000 Tonnen Roggen akzeptieren müssen. Um diese 100 000 Tonnen Roggen, Herr Abgeordneter Dr. Baumgartner, verringert sich selbstverständlich die Roggenzulieferung aus dem Dollarraum.
    Meine Damen und Herren, das nur zum französischen Vertrag im speziellen. Aber im allgemeinen folgendes: So, wie die Situation auf dem Gebiete der Handelsvertragsverhandlungen ist, muß etwas eingebaut werden, und wir haben schon begonnen, mit Erfolg begonnen, erstens einmal mit der Schaffung von gemischten Ausschüssen der Regierung. Als wir damals mit der Einfuhr von holländischem Gemüse im Werte von 15 Millionen Dollar überrascht wurden , haben wir in Verhandlungen mit den Holländern durchgesetzt, daß gemischte Regierungskommissionen gebildet wurden, die sich wiederum — und das halte ich für absolut notwendig — auf die Mitarbeit der Wirtschaft stützen. Je 6 Holländer und Deutsche, darunter 3 Erzeuger und 3 Händler, treten zu den Ausschüssen zusammen und arbeiten schließlich ein Verfahren aus, das die beiderseitigen Interessen befriedigt. Darf ich es Ihnen an einem Beispiel sagen; es ist lächerlich, aber es zeigt wieder die Möglichkeiten: Die Holländer wollten unter allen Umständen Flieder hereinbringen. Wir haben aber selber eine Schnittblumenerzeugung. Dann haben wir herausbekommen, daß die Holländer ein Verfahren für das Einfrieren des Flieders haben, das wir noch nicht so ganz beherrschen. Ich habe gesagt, die Holländer sollen in den Monaten November, Dezember und Januar ihren eingefrorenen Flieder herbringen, da können wir Deutsche keinen liefern. Es ist gemacht worden, und die Sache hat sich bewährt. Es muß aber des weiteren dann noch eine Klausel eingebaut werden — sie hat in der letzten Zeit einen Namen bekommen, den ich nicht wiederholen möchte —, die es einem der Vertragspartner erlaubt, dann wenn sich unvorhergesehener Weise die wirtschaftlichen Voraussetzungen, unter denen seinerzeit der Handelsvertrag abgeschlossen wurde, ändern, sofort auf gewissen Sektoren die Einfuhr zu stoppen oder zu beschränken. Wir haben diese Klausel bereits im französischen Vertrag durchgedrückt, und heute in den Mittagsstunden ist es uns gelungen, bei den zur Zeit mit den Holländern stattfindenden Verhandlungen über eine gewisse Revidierung des JEIA-Vertrags auch die Anerkennung dieser Klausel durchzudrücken.
    Nun zur Liberalisierung. Darf ich Ihnen ganz kurz noch meine Anschauung sagen. Die Lioeralisierung ist .dadurch entstanden, daß die europäischen Völker, die am Marshallplan teilhaben, eigentlich lange zu keiner positiven Arbeit kamen, wie die Mittel richtig anzuwenden sind, um Europa wiederum entsprechend zu sanieren. Da hat Truman eingegriffen und hat gesagt, die Liberalisierung muß durchgeführt werden. Daher der Beschluß der OEEC vom 28. August 1949 in Paris. Der


    (Bundesminister Dr. Niklas)

    erste Takt, den dann bei diesem neuen Kurs Truman schlug, hieß eben Liberalisierung des Handels.
    Nun muß zugegeben werden, und das bitte ich im Interesse der deutschen Landwirtschaft zu würdigen, daß die Liberalisierung sich bei der Industrie und bei der Landwirtschaft ganz verschieden auswirkt. Die Liberalisierung bringt und muß notwendigerweise bei längerer. Dauer Strukturwandlungen mit sich bringen.

    (Abg. Rische: Auch in der Industrie?)

    - Auch in der Industrie! Aber, Herr Abgeordneter Rische, der Unterschied ist der: die notwendig gewordene Strukturwandlung in der Industrie kann der einzelne Industrielle machen, oft sogar sehr rasch machen. Er wird gewisse finanzielle Kredite brauchen. Aber er kann sieh von heute auf morgen von irgendeinem Textilgewerbe auf Herrentrikotagen umstellen. Es mag gewisse Schwierigkeiten geben, ich gebe. das zu. Ganz anders, meine Damen und Herren und Herr Abgeordneter Rische - das werden Sie nicht bestreiten können —, liegen doch die Dinge bei der Landwirtschaft. Denn hier sind durch die Umwelt bestimmte und durch den freien Willen der Landwirtschaft nicht oder nicht ausschlaggebend abänderbare Voraussetzungen gegeben.
    Darf ich Ihnen nur zwei Punkte nennen. Der Boden, der sich im Bundesgebiet in zwei Dritteln unserer Fläche auf Mittelgebirge bezieht, ist schlecht. Ich rede gar nicht von dem Urgestein mit Granit, der nie verwittert und infolgedessen aus dem Bayrischen Wald nie eine fruchtbare Gegend machen wird; auch bei den anderen Mittelgebirgen, die Ihnen vielleicht räumlich näher liegen — Rhön, Spessart, Vogelsberg —, sind es schlechte, höchstens mittlere Böden. Ich habe neulich einem meiner amerikanischen Bekannten gesagt, der größte Teil dieser Böden im deutschen Mittelgebirgsland würde in den Vereinigten Staaten überhaupt nicht unter Kultur stehen.

    (Abg. Bausch: Die Schwäbische Alb gehört auch dazu!)

    — Absolut richtig. Aber wir sind nicht so glücklich daß wir nur 21,8 Prozent unserer Fläche unter landwirtschaftliche Nutzung zu nehmen brauchen und trotzdem leben. Bei uns muß eben jeder Quadratmeter herangezogen werden. Da werden Sie mir sagen: Die menschliche Kunst hat oft schon aus einer Wüstenei einen Garten Eden geschaffen. Ich meine aber, das kostet Geld.

    (Abg. Rische: Oder Atomkraft!)

    - Da möchte ich mich nicht in einen gedanklichen Wettlauf mit Ihnen, Herr Abgeordneter Rische, einlassen, vielleicht kommt es einmal. Aber rebus sic stantibus, wie die Dinge heute sind, ist der Boden nur in sehr beschränktem Umfang abänderlich, das ist nur durch jahrzehntelange Kulturverbesserung möglich.
    Aber jetzt kommt etwas, was nicht abänderlich ist: das ist das Klima. Ich habe mit meinen Herren in den letzten Wochen gerade beim Studium der Fragen der Liberalisierung nach dieser Richtung hin einmal die seit Jahrzehnten gemachten wissenschaftlichen Feststellungen der deutschen meteorologischen Anstalten untersucht. Ich bin erschrocken. Der Unterschied in der Vegetationsdauer — nicht zwischen dem Alpengebiet oder der Rauhen Alb und dem Mittelgebirge, sondern zwischen Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein einerseits und Holland, Dänemark, Belgien andererseits — macht pro Jahr zwischen 13 bis 17 Tage aus. Ich brauche keinem Landwirt zu sagen, was die Kürze der Vegetationsdauer bedeutet. Und dazu die absolut andere Wasserführung .des Bodens. Warum haben denn die Hollander und die Belgier pro Hektar einen viel höheren Düngeraufwand als wir? Weil sie viel günstigere Wasserverhältnisse im Boden haben; denn jeder Kunstdünger braucht zur Lösung eine entsprechende Feuchtigkeit.
    Diese Dinge, meine Herren, sind bei der Entscheidung der Frage maßgeblich, wie die Liberalisierung auf die Landwirtschaft anzuwenden ist. Daß die Liberalisierung in mancher Beziehung notwendig ist, wissen wir alle. Die Europäer haben in 17 Kämmerchen gelebt, und in manchen dieser Kämmerchen ist für die Inwohner schon das Zeichen der Atemnot eingetreten. Also der Ruf: die Fenster auf! hat seine Berechtigung. Aber diese Maßnahme muß sorgsam durchgeführt werden. Die Landwirtschaft geht mit, soweit sie kann, aber nicht im gleichen Schritt und Tritt mit der Industrie, weil sie das nicht vermag. In ,der Agrarwirtschaft gibt es nirgends Maßnahmen von Dienstag auf Mittwoch, da will alles sorgsam geplant und in der Durchführung sehr überlegt sein. Nur wenn wir das tun, erreichen wir das eine Ziel, das schließlich doch jedem von uns am Herzen liegt, mag er als Bauer den Pflug führen oder am Schraubstock stehen: Daß die deutsche Landwirtschaft eine wichtige Säule bleibt, die in den trotz allem noch blauen Himmel deutscher Zukunft hineinragt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und rechts.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kriedemann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Herbert Kriedemann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es richtiger ist, ein wenig tiefer in die Materie einzusteigen, wenn wir uns mit ,den Maßnahmen zu beschäftigen haben werden, die zu ergreifen mit dem Antrag Drucksache Nr. 428 die Regierung aufgefordert wird. Ich möchte mich, deshalb heute nur mit einem Teil der Fragen beschäftigen und dazu ein paar kurze Bemerkungen machen.
    Ich bin mit dem Herrn Kollegen Horlacher durchaus einer Meinung, daß die Landwirtschaft einen gewissen Anspruch darauf hat, auch mit in den Kreis der Betrachtungen volkswirtschaftlicher Natur einbezogen zu werden. Ich teile seine Bedenken, ob das bereits in ausreichendem Maße geschieht. Man sollte die Landwirtschaft schon deshalb in den Kreis der volkswirtschaftlichen Überlegungen einbeziehen, weil es zwischen ihr und praktisch allen Deutschen in diesem Raum in ihrer Eigenschaft als Verbraucher ohnehin nach eine Reihe von sehr engen Verbindungen gibt, die manchmal gar nicht mehr erwähnt werden. Wir haben gerade bei unserer grundsätzlichen Kritik an der Wirtschaftspolitik — nicht erst in diesem Hause, auch schon am Anfang dieser Sorte von Wirtschaftspolitik in Frankfurt - immer mit zwei Argumenten gegen die sogenannte freie Wirtschaft operiert. Das eine dieser Argumente bezog sich auf die .Landwirtschaft. Wir haben unter anderem sehr rechtzeitig


    (Kriedemann)

    darauf aufmerksam gemacht, daß die deutsche Landwirtschaft wieder einmal in der Gefahr ist, die Zeche für wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen zahlen zu müssen. Das passiert ihr zwar nicht zum ersten Male in Deutschland, aber sie hat sich trotzdem noch nicht daran gewöhnt. Es wundert uns gar nicht, wenn jetzt aus den Kreisen der Landwirtschaft mehr und mehr Kritik an der Wirtschaftspolitik geübt wird, die man einmal mit großer Freude begrüßt hat und die man schlechtweg „freie Wirtschaft" nennt. Ich möchte mit allem Nachdruck das Wort unterstreichen, das der Herr Minister gesagt hat, daß in der Landwirtschaft sehr gründlich geplant werden müsse. Inzwischen dürfte sich überall schon herumgesprochen haben, was moderne Volkswirtschaftler unter Planung verstehen und daß das nichts mit Bezugscheinen und ähnlichen Dingen zu tun hat. Aber das will ich im einzelnen nicht weiter ausführen.
    Die Landwirtschaft befindet sich in einer Krise – das ist ganz ohne Zweifel —, und vielleicht erkennt sie selber noch nicht einmal das ganze Ausmaß der Gefahr. Ich glaube allerdings, daß dabei auch eine geistige Krisis der politischen, gesellschaftlichen Kräfte in Erscheinung tritt, die sich so professionell immer zum Sprecher der Landwirtschaft aufgeworfen haben. Das scheint mir daran deutlich zu werden, daß man der Landwirtschaft heute im Grunde nichts anderes anzubieten hat als das, was man ihr immer angeboten hat. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, vom Wiederaufbau ,der deutschen Landwirtschaft zu reden, schon deshalb nicht, weil die Landwirtschaft selber am besten weiß, daß es ihr niemals wirklich, so von innen heraus, gut gegangen ist. Die Jahre der Rüstungskonjunktur und die Hungerjahre haben das so ein bißchen überdeckt. Aber kaum ist das vorbei, schon treten all die Schwierigkeiten mit aller Deutlichkeit und mit ihrem ganzen Gewicht wieder in Erscheinung. Deswegen sollte man sich schon mit dem Gedanken vertraut machen, daß hier manches auch der ,Struktur nach geändert werden muß. Die land- wirtschaftliche Krise von heute ist doch nur die Folge einer durch Jahrzehnte hindurch verfehlten Wirtschafts- und Agrarpolitik, in der es zwar an großen Worten zum Troste der Landwirtschaft, auch an kleinen Geschenken nicht gefehlt hat, aber wirksame Maßnahmen sind nicht ergriffen worden. Das Tragische ist für mein Gefühl, daß sich das unter Umständen abspielt, die den Fernerstehenden die Bedeutung der Angelegenheit nur schwer erkennbar werden lassen. Das scheinbar gesicherte Leben auf den Bauernhöfen, der Besitz an sich erweckt so überall den Eindruck, als ob da alles in Ordnung sei, als ob den Leuten überhaupt nichts passieren könne. Ich glaube, daß auf allen Bänken dieses Hauses diejenigen, die etwas mehr von den Dingen wissen, die doppelte Verpflichtung haben, hier auszusprechen, was ist. Ich bedaure sehr, daß ich das in der ziemlich aufgeregten Agrardebatte der letzten Wochen eigentlich nicht mit der nötigen Deutlichkeit gehört habe. Im Gegenteil, mir scheint, daß man bereit ist — ich lasse ganz dahingestellt, ob mit Absicht oder aus Versehen, vielleicht auch aus einer gewissen Denktradition —, der Landwirtschaft einzureden, als sei ihr Übel aus einem Punkte zu kurieren und als sei dieser eine Punkt eben die Liberalisierung.
    Dieses Verfahren, das sehr bequem sein mag, hat meiner Ansicht nach zwei große Gefahren: eine Gefahr für den Bauern, daß er nämlich leicht all die anderen Dinge übersieht, die für ihn viel wichtiger, die von einer bleibenden Bedeutung sind, und die Gefahr bei dem Verbraucher, daß der dauernde Hinweis auf die Liberalisierung und die sich daraus zum Schutz der Landwirtschaft ergebenden Forderungen ihn auf den Gedanken bringen, daß man seine Preise unter allen Umständen hochhalten will. Man kann es den Leuten mit einem viel zu kleinen Einkommen nun einmal nicht übelnehmen, daß sie nicht immer Zeit und Lust haben, lange volkswirtschaftliche Überlegungen anzustellen und nach den Zusammenhängen zu suchen. Auf Grund der Tatsache, daß manche Dinge erschwinglicher geworden sind, haben die Leute wahrscheinlich eine ziemliche Sympathie für das Wort „Liberalisierung", und man kann es ihnen nicht übelnehmen, wenn sie bei einer noch so berechtigten Sorge um eine Entwicklung, wie wir sie in den letzten Tagen auf dem landwirtschaftlichen Gebiet und gerade bezüglich der Preise gesehen haben, sich das Leben ihrerseits einmal etwas leichter machen wollen.
    Es kann nicht übersehen werden, daß wir heute mehr unter einem Unterverbrauch als unter einer Überproduktion leiden, und wenn es auch vielleicht nicht beliebt ist, das immer wieder auszusprechen, so ist es doch eine Tatsache. Ich erwähne sie nicht, um hier alte Wunden aufzureißen oder sonst irgend jemandem unangenehm zu werden. Unsere Verbraucher haben ein viel zu geringes Einkommen

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    und sind deshalb nicht in der Lage, die Preise zu bezahlen, die die Landwirtschaft braucht, um wirklich produzieren zu können. Es hat keinen Sinn, darüber hinwegzugehen, und wenn man nun versucht, an dem Problem mit der Kritik an der Liberalisierung vorbeizukommen, dann, glaube ich, ist das nicht der richtige Weg. Wir sollten uns doch darüber klar sein, daß die Kunst leider noch nicht erfunden ist, zwar den anderen alles das zu verkaufen, was man gern los sein möchte, aber am liebsten gar nichts mit nach Hause zu bringen, und wenn wir uns die Lösung der landwirtschaftlichen Krisis zu einseitig nach dieser Seite hin vorstellen, dann, fürchte ich, werden wir auch in Deutschland selbst Stimmen wachrufen, die sich nicht als Stimmen von Verbündeten der Landwirtschaft herausstellen werden. Unser Industrieexport ist — das wissen wir alle — außerordentlich schwierig. Wir selber haben das größte Interesse daran, ihm nicht noch Hindernisse in den Weg zu legen. Es wird sehr viel darüber geredet werden - und ich fürchte, die Landwirtschaft hat dann leider nicht die stärksten Kräfte einzusetzen ob .denn die Berücksichtigung dieser oder jener landwirtschaftlichen Forderung eine notwendige oder vielleicht überflüssige Behinderung deutscher industrieller Exportmöglichkeiten ist. Weil die Landwirtschaft dann viele Verbündete braucht und wirklich auf keinen einzigen verzichten sollte, sollte das ruhig einmal so offen ausgesprochen werden.
    Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen die Courage aufbringen, auch unsere Landwirtschaft mit all den Konsequenzen aus


    (Kriedemann)

    dem verlorenen zweiten Weltkrieg bekanntzumachen.

    (Abg. Dr. Horlacher: Allen muß das plausibel gemacht werden und nicht nur der Landwirtschaft!)

    - Ich will es auch den anderen Leuten einmal sagen. Je eher wir damit anfangen, desto schneller kommen wir voran und desto weniger Zeit wird verwirtschaftet; von dem knappen Faktor Zeit wird ja heute viel zuviel vertan. Unsere Landwirtschaft muß konkurrenzfähig werden; aber das kann natürlich, nicht auf Kosten der Verbraucher geschehen.
    Meine Freunde und ich haben bei der Frage des Butterpreises noch einmal ganz deutlich gemacht, wie sehr uns daran liegt, für die Landwirtschaft Preise zu erzielen, die die aufgewendete Arbeit lohnend machen und die überhaupt erst die Fortsetzung der Produktion ermöglichen. Kein einziger Mensch mit einem bißchen Verantwortungsgefühl kann sich darüber freuen, wenn durch einen völlig unkontrollierten Ablauf der Wirtschaft in allen ihren Phasen und nicht nur im Export die Preise einen solchen Tiefstand erreichen, daß eine Produktion einfach nicht mehr möglich ist. Man kann es aber, wie gesagt, den Verbrauchern nicht übelnehmen, wenn sie diese Zusammenhänge nicht immer sofort in vollem Umfange einsehen, und es ist ja leider Tatsache — diese Tatsache beschwert, glaube ich die ganze Diskussion —, daß die große Masse der Verbraucher in Deutschland einige Erfahrungen damit hat, wie man mit hohen Preisen den Versuch macht, irgendwelche Kriegsschäden oder Kriegsfolgen oder sonst etwas zu überwinden. Man kann es den Verbrauchern nicht zumuten — bitte, verstehen Sie es nicht falsch; die Herren, die mich aus der Ausschußarbeit kennen, werden Ihnen da vielleicht etwas anderes sagen —, daß sie die Landwirtschaft großhungern oder daß es so aussieht, als sollten sie das tun. Gerade weil mir klar ist, daß wir zum Schutz der Landwirtschaft und zu ihrer Entwicklung das Mitgehen des ganzen Volkes brauchen, liegt mir so sehr viel daran, hier nicht noch neue Mißverständnisse zwischen Erzeuger und Verbraucher entstehen zu lassen und die alte Kluft nicht noch mehr zu vertiefen. Ich fürchte, wir sind in dieser Gefahr. Wir werden den Verbraucher bei all dem, was die deutsche Landwirtschaft noch zu leisten hat, nicht mitbekommen, wenn wir ihm nicht das Gefühl geben, daß auch seine Interessen in vollem Umfange beachtet werden. Wir brauchen Preise, die die Produktion ermöglichen; wir müssen aber auch Abnehmer in ausreichender Zahl haben, die diese Preise anzulegen imstande sind. Ich bin überzeugt davon, daß sich in der Gestaltung des Milch- und Butterpreises noch herausstellen wird, wie recht wir hatten, als wir damals sagten: man kann eine solche Rechnung nicht nur bis zu einem gewissen Punkt führen, bis zu dem Punkt, an dem der richtige Butterpreis errechnet ist, sondern man muß über diesen Punkt hinaus weiterrechnen, um festzustellen, ob dann auch genügend Leute da sind, die diese Butter abnehmen können. Heute ist das gerade noch der Fall. Ich fürchte sehr — und ich fürchte es wegen der Landwirtschaft; denn wenn ich nicht an sie dächte, brauchte ich mich nur zu freuen -, daß wir in sehr kurzer Zeit diesen Punkt überschritten haben, und dann nützt es gar nichts, daß man einen Preis festgesetzt hat. Es war eben nur eine halbe Maßnahme.
    Hier ist mit großem Nachdruck darauf hingewiesen worden, wie man in England mit den
    Dingen fertig wird. Ich will auf diesen Punkt
    nicht sehr weit eingehen, sondern mir nur die
    eine Bemerkung erlauben, daß es der englischen
    Regierung zweifellos gelungen ist, die landwirtschaftliche Erzeugung außerordentlich zu steigern. Wir wissen alle, was das für den inneren
    Ausgleich einer Volkswirtschaft bedeutet. Wir
    sollten nicht vergessen, daß es dabei ganz mit
    rechten Dingen zugegangen ist, ohne jeden Spuk
    und ohne jede Zauberei. Man hat sich entschlossen, im ganzen eine Steuerpolitik und eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die es der Regierung
    eben ermöglicht haben, der Landwirtschaft ausreichende und anreizende Preise zu bieten, ohne
    daß deswegen der breiten Masse der Bevölkerung der Brotkorb höher gehängt werden muß.

    (Zuruf in der Mitte: Vergessen Sie nicht die Dollaranleihen!)

    - Ich vergesse nicht die Dollars und vergesse keineswegs die Dollaranleihen. Ich sehe alle diese Details auch.

    (Zuruf in der Mitte: Aber das ist die Grundlage!)

    Sie werden mir aber zugeben, daß auf dem Gebiet der Subvention der Landwirtschaft und der Subvention der Lebensmittelpreise die Dollarhilfe ganz sicherlich nicht eingesetzt worden ist. Vielleicht können wir uns darüber einmal an anderer Stelle unterhalten.
    Noch ein kurzes Wort! Ich glaube, wir sollten uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß die Schwierigkeiten groß sind und daß das, was unserer Landwirtschaft jetzt bevorsteht, nicht damit erledigt werden kann, daß wir jetzt einmütig der Landwirtschaft erklären: wir werden dich schütren, wir werden alles von dir abhalten, was mindestens unbequem ist. Wir werden ihr besser die ganze Wahrheit sagen, daß sie in einer außerordentlich großen Gefahr ist, die sie nur durch cine sehr große Anstrengung der ganzen Volkswirtschaft überwinden kann, die daran interessiert ist, aus der Landwirtschaft ein gesundes Glied werden zu lassen, weil keine Volkswirtschaft funktionieren kann, die ein Stück mit sich schleppt, das nicht in Ordnung ist.
    Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir deshalb zuletzt ein sehr offenes Wort. Ich glaube, jedem sollte es bewußt sein, daß die deutsche Landwirtschaft im politischen Leben unseres Volkes niemals so an dem rechten Platz gestanden hat. Die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte war gar nicht daran interessiert, die deutsche Landwirtschaft etwa so zum Funktionieren und zur wirtschaftlichen Gesundung zu bringen, wie es in anderen Ländern um uns herum glücklicherweise gelungen war. Die Landwirtschaft war ganz nützlich als so ein von Angst und Schrecken zusammengehaltener großer Block, der in der Politik notwendigerweise — na, sagen wir es einmal vornehm — retardierend wirken mußte. Alle die Mittelchen, die man früher einsetzen konnte, sind jetzt nicht mehr zur Verfügung. Wenn wir an die Arbeit gehen, werden wir wahrscheinlich schnell einsehen, wie eng begrenzt auch unsere Möglichkeiten auf den Gebieten der Zollgesetzgebung, der Einfuhrbeschränkung, der Einfuhr-


    (Kriedemann)

    schleuse usw. sind. Daß wir keineswegs grundsätzlich gegen solche Methoden sind, haben wir, glaube ich, schon in der Frankfurter Periode bewiesen. Alle die Damen und Herren, die sich an jene Zeit erinnern können - das wird mir wahrscheinlich auch der Herr Minister ausdrücklich bestätigen —, wissen, daß wir - ich will nicht sagen, daß wir es allein waren — jedenfalls doch mit unserem ganzen Gewicht sehr wesentlich mitgeholfen haben, dieses Importausgleichsgesetz durchzuziehen, und daß wir erst dadurch den Herren auf der anderen Seite des Hauses, die von landwirtschaftlichen Dingen genug verstanden, die Möglichkeit gegeben haben, dann auch mit den Widerständen in ihren Reihen fertig zu werden. Wenn es aber in dieser Frage nicht zu einer sehr sachlichen Arbeit kommt, fürchte ich, daß darunter nicht nur die Landwirtschaft, sondern unser ganzes armes Volk leiden wird. Kein Problem eignet sich weniger dazu, irgend jemand etwas zu versprechen, was man sowieso nicht halten kann, als etwa die gegenwärtige Not unserer Landwirtschaft.
    Ich weiß dabei, daß auch auf der Verbraucherseite eine Menge Leute sitzen, die sich einfach nicht vorstellen können, daß es da eine Not gibt. Aber es gibt eine Agrarnot. Es wäre bedauerlich, wenn durch eine Fortsetzung jener Sorte von Agrarpolitik, die ich vorhin gekennzeichnet habe, die etwas verspricht und mit kleinen Geschenken um die Freundschaft wirbt, die Landwirtschaft daran gehindert werden sollte, auch in Deutschland die Kur durchzumachen, die ,die Landwirtschaft in anderen Ländern durchgemacht hat, die man ihr hier aber aus sehr naheliegenden Gründen ersparen wollte, was eigentlich die Ursache dafür ist, daß sie jetzt so wenig gerüstet in die Probleme unserer Tage hineingeht, daß sie so in eine sich völlig neuordnende Welt hineingeht und man dabei so tut, als wären wir noch, ich weiß nicht wo im. Ablauf der Geschichte. Hier sollte jeder Kampf vermieden werden, weil eben nur eine gemeinsame Anstrengung es zuwege bringen wird, das Versäumte nachzuholen. Ich bin mir klar darüber, daß die Landwirtschaft große eigene Anstrengungen machen muß und daß niemand bereit sein wird, diesem armen Volk, das ohnehin schon schwer um seine Existenz kämpft, nun auch noch für die Erhaltung irgendwelcher liebgewordener Gewohnheiten Opfer zuzumuten; das wird nicht in Frage kommen. Die Landwirtschaft wird aber mit noch so großen eigenen Anstrengungen nicht in der Lage sein, auf eine volkswirtschaftliche Leistung zu verzichten. Wenn aber dieser Weg nicht gefunden wird und es zu einem offenen Kampf zwischen den Verbrauchern und den Erzeugern, wenn es zu einem offenen Interessenkonflikt zwischen denen kommt, die jede Exportchance um jeden Preis wahrnehmen wollen, dann wird die deutsche Landwirtschaft der Preis sein, der dafür zu zahlen ist. Das kann kein vernünftiger Mensch wünschen, das muß jeder vernünftige Mensch fürchten. Denn bei aller Bereitwilligkeit, die hoffentlich niemandem fehlt, zu einem größeren europäischen Wirtschaftsraum zu kommen, müssen wir auch unsere eigene Volkswirtschaft intakt zu halten versuchen, und eine gesunde, leistungsfähige, wirtschaftlich stabile Landwirtschaft ist dazu eine der wesentlichsten Voraussetzungen.

    (Beifall bei der SPD.)