Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Das vorliegende Gesetz zur Verbesserung der Leistungen an die Kriegsopfer entspricht einem einstimmigen Beschluß des Hohen Hauses, der auf einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zurückgeht. Im Sinne der Antragstellung und des einschlägigen Bundestagsbeschlusses hat der vorliegende Gesetzentwurf nur das eine Ziel, eine Überbrückung bis zur möglichst baldigen Vorlage und Verabschie-
dung des endgültigen Versorgungsgesetzes zu schaffen. Es war von vornherein der Wille der Antragstellung sowohl wie der Sinn des genannten Beschlusses in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Regierungserklärung des Kanzlers und der erst jüngst wiederholten Verlautbarung des Bundesarbeitsministers, daß gleichzeitig mit der Behandlung des vorliegenden tberbrückungsgesetzes die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs für das endgültige Versorgungsgesetz intensiv vorwärtsschreiten muß. Durch das Überbrückungsgesetz darf das Versorgungsgesetz, auf das Millionen von Kriegsbeschädigten, Kriegerwitwen und -waisen schmerzlich und sehnsüchtig warten, unter keinen Umständen eine Verzögerung erleiden. Wir erwarten von der Bundesregierung — und wir erheben die Forderung an sie —, daß das neue Versorgungsgesetz bis spätestens zum 1. April dieses Jahres in Kraft tritt.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns die derzeitige Lage auf haushaltsrechtlichem und damit auch verfassungsrechtlichem Gebiet geschildert. Ich brauche dem nichts hinzuzufügen. Aus der Besonderheit dieses Interimszustandes ergibt sich auch die Verzögerung des vorliegenden Gesetzentwurfes, die wir bedauern. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Wir sind uns aber auch darüber einig, daß niemandem eine Schuld dafür gegeben werden kann, sondern daß diese Verzögerung ihre Ursache, ich möchte sagen: in der höheren Gewalt des derzeitigen Schwebezustandes hat, da bis zum 1. April der Bund nicht in der Lage ist, die ihm zustehenden Mittel zu übernehmen und darüber hinaus die Kriegsfolgelasten zu tragen. Ich muß dabei aber betonen — ich darf das wiederholen —, daß von allen Beteiligten das Außerste versucht worden ist, den frühestmöglichen Termin für die Vorlage einzuhalten.
Wir werden uns in diesem Hohen Hause auch alle darüber einig sein, daß, da das neue Versorgungsgesetz erst ab 1. April 1950 wirksam werden kann, eine Überbrückung bis zu diesem Zeitpunkt dringend notwendig ist, um erstens die Rechtseinheit und Rechtsangleichung in den verschiedenen Ländern durchzuführen, die ja heute als Abbild der Zerrissenheit Deutschlands als Rechtszerrissenheit charakterisiert werden können. Wenn die Rentendifferenzen zum Beispiel zwischen der amerikanisch-britischen Zone auf der einen und den Ländern der französischen Zone auf der anderen Seite von vornherein mehr als 20 Prozent betragen und wenn dazu noch in der französischen Zone Zusatzrenten, Mietzuschüsse und Sozialausgleichsbeträge gegeben werden, so bedeutet das eine Divergenz, die mit Recht von den Kriegsbeschädigten, die in anderen Zonen leben, als ein Unrecht ihnen gegenüber empfunden werden muß.
In einzelnen Ländern, in Bayern, Bremen, Hessen, Württemberg-Baden, wird außerdem noch an der Aufsplitterung nach Ortsklassen festgehalten; der Herr Bundesarbeitsminister hat ja eben darauf hingewiesen. Diese Unterscheidung nach Ortsklassen ist überhaupt in den derzeitigen Verhältnissen nicht mehr begründet. Es trifft nicht zu, daß heute etwa die Lebenshaltungskosten in den Großstädten höher liegen als auf dem flachen Lande. Wenn in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen Kinderzuschläge und Waisengelder nur bis zum vollendeten 15. Lebensjahr und weiter bis zum 18. nur dann gegeben werden, wenn das betreffende Kind sich in Schulausbildung befindet, während sonst durchweg die Renten bis zum 18. Lebensjahr gegeben werden, so ist auch dies eine außerordentliche Härte und Ungerechtigkeit, zumal in sehr vielen Ländern ein Mangel an Lehrstellen zu verzeichnen ist und die Schulausbildung nicht in allen Fällen ermöglicht werden kann.
Ganz besonders kraß und schwerwiegend ist diese Rechtszersplitterung auf dem Gebiet der Witwenversorgung. In der amerikanischen Zone sind Besserungen erzielt worden. In der britischen Zone dagegen — mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen — wird immer noch an der Bedingung der Vollendung des 60. Lebensjahres festgehalten, wird immer noch die Versorgung von einem Kind unter 3 oder zwei Kindern unter 8 Jahren gefordert. Wir begrüßen es, meine Herren und Damen, daß der vorliegende Gesetzentwurf die Witwenversorgung der übrigen Länder der der amerikanischen und britischen Zone anpaßt.
Ich muß es mir versagen, heute bei der ersten, ja nur grundsätzlichen Erörterung dieser Vorlage des Überbrückungsgesetzes auf die übrigen genau so brennenden Fragen der Rechtsverschiedenheit zum Beispiel in bezug auf die Altersrente, auf die Anrechnung der sonstigen Einkommen, auf die Rentenbezüge usw. einzugehen.
Ich darf zusammenfassen. Die erste Aufgabe des Überbrückungsgesetzes wird sein, einen ersten Schritt auf dem Wege zur Rechtseinheit in der Kriegsopferversorgung zu gehen. Dabei darf ich annehmen, daß wir uns alle einig darüber sind, daß dieser erste Schritt vorsichtig gegangen werden muß, um nicht durch das Überbrückungsgesetz größere und weitergreifende Lösungsmöglichkeiten in der endgültigen Versorgungsgesetzgebung unter Umständen heute einengend zu präjudizieren.
Das vorliegende Überbrückungsgesetz kann auch nicht als eine Sanktionierung der durch die alliierte Gesetzgebung nach 1945 geschaffenen unseligen Koppelung zwischen Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung gedeutet werden. Wir sind uns bewußt, daß die im Kriege in ihrer Gesundheit und durch Verlust eines nächsten Angehörigen seelisch und materiell zu Schaden gekommenen Angehörigen unseres Volkes nicht ohne weiteres mit den durch einen Betriebsunfall Verletzten verglichen und mit ihnen gleichbehandelt werden können und dürfen, zumal wenn ihnen gleichzeitig die Vorteile der Unfallversicherung versagt bleiben.
Die Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen haben, da von ihnen das schwerste Opfer verlangt worden ist, einen besonderen moralischen und rechtlich begründeten Anspruch auf eine individuelle Schadensersatzleistung, die nur in einer einheitlichen Versorgungsgesetzgebung unabhängig von den Gesichtspunkten der Sozialversicherung gewährleistet werden kann.
Genau so wesentlich wie der Grundsatz der Rechtsangleichung ist die zweite Aufgabe des vorliegenden Überbrückungsgesetzes, nämlich die bestehenden Rentensätze dem veränderten Preis-und Lohnniveau durch eine Teuerungszulage sobald als nur möglich und so weitgehend als nur möglich anzupassen,
und zwar in einer Form, die eine rasche Auszahlung gewährleistet. Dabei sind wir uns alle bewußt, meine Herren und Damen, daß diese zwanzigprozentige Erhöhung, die das Gesetz vorsieht, nur als eine überbrückende Sofortmaßnahme gewertet werden kann und keineswegs als eine ausreichende materielle Hilfe. Die Not in den Kreisen unserer Kriegsbeschädigten, der Kriegsblinden, der Hirnverletzten, der Gelähmten, unserer Kriegerwitwen und Waisenkinder, unter denen sich Hunderttausende von Flüchtlingen, von Bombengeschädigten und Heimkehrern befinden, ist so groß und seit Jahren so drückend, daß wir uns voll bewußt sind, daß die zwanzigprozentige Erhöhung der Rentenleistung nur als eine erste Linderung angesprochen werden kann,.
Dabei möchte ich schon jetzt bei der grundsätzlichen Betrachtung darauf hinweisen, daß der Berechnung des Teuerungszuschlages auf jeden Fall die KB-Rente einschließlich der Kinderzulage zugrunde gelegt werden muß, ebenso bei der Anrechnung des sonstigen Einkommens, das ja auf die halbe Rente Bezug nimmt. Wir begrüßen es, daß die Nichtanrechnung der Teuerungszuschläge auf die Leistungen der öffentlichen Fürsorge bereits im Gesetz selbst festgelegt ist. Andererseits, meine Herren und Damen, muß ich es bedauern, daß ein wesentlicher Punkt unseres Antrages und auch des Beschlusses des Bundestages im Überbrückungsgesetz nicht verankert ist, nämlich die Krankenversicherung für alle diejenigen, die nicht sozialversichert sind und waren. Darunter befinden sich insbesondere Kriegerwitwen und Waisenkinder. Hier ist eine Lücke im Versorgungsrecht der Kriegshinterbliebenen, die unbedingt sofort geschlossen werden muß. Das Fehlen der Krankenversicherung trifft in den meisten Fällen gerade wieder jene kinderreichen Familien Gefallener, deren Renten durch die unglückselige Anwendung des § 595 der Reichsversicherungsordnung auf den Höchstbetrag von 108 bzw. 120 DM gekürzt und festgelegt sind, ganz gleichgültig ob die betreffende Mutter nun 4, 7 oder 12 Kinder hat. Diese Härte ist um so größer, als die alten Eltern des Gefallenen in einem solchen Fall nur insoweit Anspruch auf die Altersrenten haben, als die Witwen und die Kinder den Höchstbetrag nicht erschöpfen. In den meisten Fällen sind also auch die Eltern solcher Familien dann ohne Rente.
Dazu kommt, daß die Fürsorge diese Beträge nur gering aufstockt. Durch die Verbesserung der Witwenversorgung in der amerikanischen und teilweise in der britischen Zone im Jahre 1949 erhält die Witwe sogar weniger Fürsorge als vorher, da die im vorigen Jahre neu gewährte Witwenrente auf die Fürsorge angerechnet wird. Derselbe Kreis gerade der Hilfsbedürftigsten ist bei der Soforthilfe wiederum dadurch geschädigt, daß die KB-Rente der Kinder auf die Soforthilfe der Mutter angerechnet wird; das heißt: der Mutter werden für jedes Kind 7 Mark von den 70 Mark der Soforthilfe abgezogen. Einen Antrag auf Beseitigung dieser Härte habe ich bereits gestellt.
Meine Herren und Damen! Es wird bei der Beratung des vorliegenden Gesetzes im Ausschuß zu erwägen sein, wie bei diesen am meisten hilfsbedürftigen Familien der alleinstehenden kinderreichen Mütter sofort geholfen werden kann. Dieses Problem wird in der Öffentlichkeit bisher viel. zu wenig gesehen. Es gibt kaum statistisches Material über die Ausdehnung dieses Personenkreises. In Bayern sollen es schätzungsweise 70 000 kinderreiche Mütter und Waisenkinder sein. Auch die Hilferufe, die aus den — viel zu wenigen! —
Müttererholungsheimen kommen und die auf die steigende Zahl von gesundheitlichen und nervlichen Zusammenbrüchen, ja Selbstmorden unserer Mütter hinweisen, verhallen ungehört.
Wenn ich den Antrag stelle, den vorliegenden Gesetzentwurf an den zuständigen Ausschuß zu überweisen, so behalten wir uns dabei vor, im Laufe der Beratungen Zusatz- und Abänderungsanträge zu stellen. Die Verankerung der Krankenversicherung habe ich ja bereits erwähnt. Ohne erschöpfend sein zu wollen, will ich abschließend nur noch auf die Notwendigkeit einer Kapitalisierung der Renten als Beitrag zur Belebung der Bautätigkeit hinweisen, die ein weiterer Beratungspunkt sein müßte. Gerade die Schwerbeschädigten haben ein besonders großes Bedürfnis nach einem entsprechenden eigenen Heim. Die besondere Berücksichtigung der Kriegsopfer in der Wohnungsgesetzgebung zusätzlich zu dem Bevölkerungskreis der Kriegssachgeschädigten, politisch Verfolgten und Heimatvertriebenen sei hier nur am Rande erwähnt.
Ich bitte um Überweisung des vorliegenden Gesetzentwurfs an den zuständigen Ausschuß.