Rede von
Anton
Storch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz hat nicht das Ziel, eine grundsätzliche Neuordnung des Kriegsbeschädigtenrechts herbeizuführen. Sie wissen, daß bis zum 1. April 1950 die Länder noch immer die verantwortlichen Institutionen für die Versorgung der Kriegsbeschädigten sind. Wir mußten hier in einem Übergangsgesetz einen Weg suchen, auf dem man die allergrößten Ungerechtigkeiten, die heute durch die unterschiedliche Gesetzgebung in einzelnen Ländern gegenüber den Kriegsbeschädigten gegeben sind, überbrücken kann. Unser Ministerium arbeitet allen Ernstes daran, ein endgültiges Kriegsbeschädigtengesetz fertigzustellen, in dem auch die grundsätzlichen Fragen, die heute vor allen Dingen von den Kriegsbeschädigtenorganisationen aufgeworfen werden, berücksichtigt werden sollen.
Das vorliegende Gesetz ist also ein Übergangsgesetz mit all seinen Schwächen, die ein Übergangsgesetz immer und immer wieder hat. Uns liegt daran, daß dieses Gesetz sobald wie möglich verabschiedet wird, weil wir von der Bundesregierung dem Hohen Hause das Versprechen gegeben haben, dieses Gesetz mit Wirkung vom 1. Januar wirksam werden zu lassen.
Lassen Sie mich kurz auf die Geschichte der Kriegsbeschädigtenversorgung in der Nachkriegszeit eingehen. In der ersten Zeit nach Beendigung der Feindseligkeiten wurden die Kriegsbeschädigten bei uns nach dem alten Versorgungsrecht, wie wir es früher kannten, behandelt. Sie wissen ja, daß vor allem die amerikanische und die englische Militärregierung im Jahre 1946 durch einen Befehl ihrerseits die Fortführung einer derartigen Kriegsbeschädigtenversorgung untersagt haben. Es wurde dann die Bestimmung getroffen, daß die Kriegsbeschädigten über die Sozialversicherungsträger der Rentenversicherungen mitversorgt werden .mußten und, soweit sie noch niemals einer derartigen Institution angehört haben, ihre Versorgung bei den Wohlfahrtsämtern lag. Es kam dann die geradezu unglückliche Lösung, daß man Kriegsbeschädigtenrenten festlegte, die ungefähr bei 40 Mark für den Vollbeschädigten lagen. Es wurde dann in Deutschland ein sehr starker Kampf darum geführt, den Kriegsbeschädigten ein besseres Recht und eine gerechtere Behandlung zuteil werden zu lassen. Es gab bei uns sehr viele Leute, die sagten: wenn schon die Militärregierungen es nicht gestatten, daß die besonderen Versorgungseinrichtungen in Deutschland fortbestehen, dann muß man zum mindesten dafür sorgen, daß der Kriegsbeschädigte so behandelt wird wie ein ähnlich Geschädigter im deutschen Volksleben. Man kam zu der Überzeugung, daß es das Nächstliegende sei, wenn man die Kriegsbeschädigten grundsätzlich nach dem Unfallversicherungsrecht in der Wirtschaft behandelte. Eine derartige gesetzliche Regelung bekamen wir im Jahre 1947, als man den Kriegsbeschädigten selbst im wesentlichen dieses Recht zuerkannte. Man hat in der britischen Zone für die Errechnung der Renten einen einheitlichen Jahresarbeitsverdienst von 1800 Mark zugrunde gelegt, so daß ein hundertprozentig Kriegsbeschädigter einen Rechtsanspruch auf 100 Mark Monatsrente bekam. In der amerikanischen Zone ist man diesem Beispiel sehr schnell gefolgt, nur daß man dort nicht den einheitlichen Jahresarbeitsverdienst von 1800 Mark zugrunde gelegt hat, sondern eine Staffelung vornahm, die in der ersten Ortsklasse 1800 Mark, in der zweiten, glaube ich, 1720 Mark und in der dritten Ortsklasse 1640 Mark als Grundlage für die Rentenberechtigung festlegte. In diesen Gesetzen sind die Witwen sehr unglücklich behandelt worden. Ihnen hat man das Recht der Unfallversicherung nicht zuerkannt. Nach dem uns damals von der Militärregierung aufgezwungenen Recht konnte eine Witwe nur eine Rente beziehen, wenn sie entweder ein Kind unter 3 Jahren oder zwei Kinder unter 7 oder 8 Jahren zu erziehen hatte. Das war eine Ungerechtigkeit, die draußen im Volk eine ungeheure Erregung mit sich brachte; aber wir konnten es zu
jener Zeit nicht ändern. In der französischen Zone sind die Dinge wieder anders gelaufen. Dort hat man ,im wesentlichen die Versorgungsbehörden beibehalten und hat auch mit gewissen Abänderungen das alte Versorgungsrecht weiterlaufen lassen.
Im vergangenen Jahr war es das allgemeine Bestreben, auch den Kriegsbeschädigten eine Verbesserung ihrer Lebensmöglichkeiten zu geben. Damals habe ich als Direktor der Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebiets bei den Militärregierungen um die Genehmigung gebeten, ein einheitliches Kriegsbeschädigtenrecht vorzulegen. Sie wissen, daß der Wirtschaftsrat nach den für ihn geltenden Bestimmungen dafür nicht zuständig war. Es hat damals monatelang gedauert, bis ich die Genehmigung der Militärregierungen bekam, dem Wirtschaftsrat ein derartiges Gesetz zu unterbreiten. Es sollte aber keine Leistungsverbesserungen enthalten. Die Damen und Herren, die im Wirtschaftsrat mitgewirkt haben, wissen, zu welchen Schwierigkeiten das damals dort zur Verhandlung stehende Gesetz geführt hat. Sie wissen auch, daß das verabschiedete Gesetz von der Militärregierung nicht genehmigt wurde.
In der Zwischenzeit haben sich nun die Dinge in den Ländern vorwärts entwickelt. Die Länder der amerikanischen Zone haben im vergangenen Jahr Gesetze erlassen, durch welche einmal der Kreis der Bezugsberechtigten, vor allen Dingen der Witwen, erweitert wurde, und darüber hinaus hat man bestimmt, daß diejenigen, die in der Sozialversicherung waren, die Hälfte der Sozialrenten zusätzlich beziehen sollen. Der übrige Teil der Kriegsbeschädigten hat eine Erhöhung seiner Bezüge nicht bekommen.
Dann folgte das Land Nordrhein-Westfalen, das vor allem den Schwerstbeschädigten mit einer hundertprozentigen Kriegsbeschädigung eine Teuerungszulage gab. Ihm folgten dann die Länder Hamburg und Niedersachsen, die ihrerseits eine zwanzigprozentige Teuerungszulage für die Kriegsbeschädigten mit einer Beschädigung von über 50 Prozent gaben. So ist das ganze Kriegsbeschädigtenrecht heute wesentlich auseinandergelaufen.
In dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf wird der Versuch gemacht, dieses erweiterte Recht in allen Ländern gleichmäßig zu gestalten. Es ist notwendig, für die Kriegsbeschädigten in Bayern, Hessen, Württemberg-Baden, Bremen, NordrheinWestfalen und . Schleswig-Holstein einen Teuerungszuschlag zu geben, der in diesem Gesetz mit 20 Prozent vorgesehen ist. Darüber hinaus muß in den Ländern Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Erweiterung des Kreises der Bezugsberechtigten auf die Witwen durchgeführt werden.
Die vorgeschlagene Rentenerhöhung und die vorgeschlagene Erweiterung des Kreises der Rentenberechtigten ergeben folgende Verpflichtungen. ln der amerikanischen Zone sind für die Rentenerhöhung im Lande Bayern 11 Millionen D-Mark, in Hessen 5 Millionen, in WürttembergBaden 5 Millionen und in Bremen 0,5 Millionen, in der britischen Zone in Nordrhein-Westfalen 15 Millionen und in Schleswig-Holstein 5 Millionen notwendig. Darüber hinaus werden Finanzanforderungen notwendig für die Rentenerweiterung, also für die Einbeziehung der Witwen: im Lande Hamburg 6,4 Millionen, im Lande Niedersachsen 17,8 Millionen und im Lande Schleswig-Holstein 14 Millionen D-Mark. Diese Beträge, die ich Ihnen eben genannt habe, sind Jahresbeträge, die, wenn Sie das vorliegende Gesetz verabschieden, in der Zukunft nach dem 1. April die Bundeskasse belasten. Insgesamt beträgt diese Mehrbelastung für das Jahr 80 Millionen D-Mark, von denen bis zum 1. April die Länder den vierten Teil, das heißt rund 20 Millionen D-Mark aufzubringen haben. Wir wissen sehr wohl, daß einige Länder, wie beispielsweise Schleswig-Holstein, vielleicht auch andere, ungeheure Schwierigkeiten in der Beschaffung dieser Gelder haben. Das Kabinett hat deshalb den Finanzminister angewiesen, dafür zu sorgen, daß diese Gelder auch für die Zeit bis zum 1. April auf jeden Fall zur Verfügung gestellt werden. Soweit sie die Länder nicht zur Verfügung stellen können, müssen irgendwie Bundesmittel dafür in Anspruch genommen werden.
Ich weiß sehr wohl, daß auch in diesem Hause sehr viele sind, die sagen: das, was hier vorgeschlagen wird, ist ja keine Regelung, die die Not in diesen Volkskreisen überwinden kann. Das weiß ich auch. Es ist nur so, daß wir bei allem, was wir hier beschließen, irgendwie eine finanzielle Fundierung haben müssen. Wenn nur dieses Kriegsbeschädigtenrecht, wie es das Übergangsgesetz vorsieht, aufrechterhalten bleibt, müssen wir im Jahre 1950 über 3 Milliarden D-Mark für diesen Zweck aufbringen. Ich bin mir vollkommen klar darüber, daß dieses Gesetz keine endgültige Bundesregelung darstellt, und ich würde Ihnen deshalb auch sehr dankbar sein, wenn Sie alle weitergehenden Ansprüche möglichst so weit zurückstellen würden, daß sie dann bei dem endgültigen Gesetz mit berücksichtigt werden können.
Es wird eine schwere Aufgabe sein, auch für die Bundesregierung selbst, sich darüber klar zu werden, wie groß der Geldbetrag ist„ den der Bund in der Zukunft für die Kriegsbeschädigten ausgeben kann. Sie wissen. daß die Finanzhoheit erst mit dem 1. April auf den Bund übergeht. Es ist deshalb notwendig, daß man vor der Behandlung des endgültigen Gesetzes zum mindesten einen Überblick darüber gewinnt, welche Summen im alleräußersten Fall für diesen Zweck aufgebracht werden können.
Ich bitte Sie also, diesen Gesetzentwurf als eine Übergangsregelung anzusehen, und ich bitte Sie gleichzeitig, die Verhandlungen so zu beschleunigen, daß die Kriegsbeschädigten in dem bescheidenen Rahmen, den wir ihnen heute anbieten können, recht bald in den Genuß der höheren Leistungen kommen.