Rede von
Dr.
Gerd
Bucerius
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Arndt hat gesagt, in diesem Hause bestehe ein ungeschriebenes Gesetz dahin, daß alle Anträge, die von einer Fraktion eingebracht würden, im Plenum behandelt werden müßten. Ich kann den Herrn Abgeordneten Arndt beruhigen. Dies ist nicht nur ein ungeschriebenes Gesetz, sondern es steht ausdrücklich in der Geschäftsordnung, nämlich in § 80, aus welchem sich
ergibt, daß alle Anträge, die von irgendeiner Seite des Hauses eingereicht worden sind, nach der Reihenfolge ihrer Einbringung im Hause behandelt werden müssen.
— Das habe ich nicht gesagt. Aus diesem Grunde, Herr Abgeordneter Loritz, habe ich seinerzeit, als Sie im Ältestenrat beantragten, daß Ihr Antrag auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte, mich sofort damit einverstanden erklärt, aber meinerseits gleich mitgeteilt, daß ich von dem ebenfalls durch die Geschäftsordnung gegebenen Recht, Absetzung dieses Antrags zu verlangen, Gebrauch machen würde.
Das ist nämlich ebenfalls das Recht jeder Fraktion dieses Hauses, zu verlangen, daß die Tagesordnung vom Hause selbst bestimmt wird.
Im Zusammenhang mit diesem Punkt ist davon gesprochen worden, die Gefahr bestehe, daß das, Initiativrecht der Parteien, der Mitglieder dieses Hauses verletzt werden würde. Meine Damen und Herren, die meisten Mitglieder dieses Hauses haben unter dem nationalsozialistischen Regime und und dessen Folgen so unendlich gelitten, daß alle Beteiligten sicher sein können, daß jeder in diesem Hause, mindestens die ganz überwiegende Mehrheit, versuchen wird, alles daran zu setzen, um Mißbräuche zu verhindern, die wieder den einmal beschrittenen verhängnisvollen Wegautomatisch zur Folge haben würden. Aber es gibt auch Mißbräuche nach der anderen Richtung hin. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt die Bestimmung, daß man ein Recht durch seine übermäßige Ausnutzung mißbrauchen. kann. Wir stehen seit der gesetzgeberischen Tätigkeit in der Bizone im Wirtschaftsrat und in steigendem Maße heute unter einem unendlichen Zeitdruck. Dieser Zeitdruck hat zur Folge — wir wollen es doch ruhig offen eingestehen —, daß eine sachgemäße Arbeit fast nicht mehr möglich ist. Wir werden deshalb gemeinschaftlich — die Regierungsparteien und die Opposition — nach Mitteln und Wegen suchen müssen, um gemeinsam durchzusetzen, daß der im Plenum, in dien Ausschüssen und in den Fraktionssitzungen zu behandelnde Stoff so komprimiert wird, wie das irgend möglich ist. Dazu gehört unter Umständen auch einmal, daß die Opposition bereit ist, von sich aus auf die Durchführung, Verfechtung und Einbringung von Anträgen, auf ausführliche Diskussionen in diesem Hause zu verzichten, wenn ihr mitgeteilt wird, daß die Regierung unmittelbar danach mit einer Vorlage kommen wird.
Meine Damen und Herren! Der von der Verfassung vorgeschriebene Weg der Gesetzgebung ist nun einmal für die Regierung sehr schwerfällig. Alle Parteien dieses Hauses haben es sehr viel leichter bei der Einbringung von Vorlagen. Die Regierung ist gehalten, dien ganzen erheblichen Apparat, der ihr zur Verfügung steht, einzusetzen. Wir verlangen das auch von ihr. Die Gesetzgebungsvorlage muß so ausgearbeitet sein, daß erwartet werden kann, daß alle Instanzen, die ihr zugestimmt haben, auch mitgewirkt haben. Das bedingt notwendigerweise eine schwerfällige Arbeit gegenüber der verhältnismäßig einfachen Arbeit, die die Parteien dieses Hauses haben. Wenn wir uns nicht daran gewöhnen, diese Arbeit der Regierung und dem Hause zu erleichtern, indem wir auf die Einbringung von Anträgen verzichten, von denen wir wissen, daß sie
aus einem anderen Anlaß als Regierungsvorlage behandelt werden, dann werden wir in diesem Hause zu einer ersprießlichen Arbeit nicht kommen.
Meine Damen und Herren! Ich habe meinen Worten die Bemerkung vorangestellt, daß wir alle die Demokratie verteidigen müssen gegen jede Gefahr.
Ich glaube, daß wir zusammen — die Regierungsparteien und die Opposition — in dieser Auseinandersetzung mehr zu verlieren haben,
ais die eine Seite von der anderen Seite durch die übermäßige Ausnutzung der Geschäftsordnung möglicherweise gewinnen kann.