Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Lesung soll ja eine Debatte sein, und ich weiß nicht, wie wir eigentlich debattieren wollen, wenn hier im Hause nur Monologe gehalten werden sollen und dann noch eine Abstimmung darüber stattfinden muß, ob ein Antragsteller auch die Erlaubnis hat, auf das zu erwidern, was seitens der anderen Fraktionen gesagt worden ist.
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Aber darüber hinaus hätte ja ohnehin zur geschäftsordnungmäßigen Behandlung der Vorlage unbedingt einiges gesagt werden müssen; denn Herr Kollege Etzel zum Beispiel hat den Antrag gestellt, die Beratung der Vorlage auszusetzen, wenn die Bundesregierung die verbindliche Zusicherung abgebe, daß sie innerhalb von längstens 4 Wochen ihrerseits eine Vorlage machen werde. Nun, die Bundesregierung und jedenfalls
der Herr Bundesjustizminister hat eine solche Zusicherung heute nicht abgeben und kann sie auch nicht abgeben, weil ja die Vorlage der Bundesregierung, wenn sie vom Kabinett verabschiedet ist, nach dem Grundgesetz zwingend erst an den Bundesrat gehen muß und der Bundesrat zu seiner Stellungnahme eine Frist von 3 Wochen hat, so daß nach unserer bereits erprobten Erfahrung im Mindestfalle zwei Monate vergehen, ehe wir die Regierungsvorlage, die uns angekündigt ist, überhaupt zu Gesicht bekommen. Ich darf daher annehmen, daß dieser Antrag des Herrn Kollegen Etzel erledigt ist und es bei seinem anderen, mit dem unsrigen übereinstimmenden Antrag bleibt, daß die Vorlage dem Rechtsausschuß überwiesen und dort alsbald beraten wird.
Aber weiterhin ist zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung zu sagen, daß Herr Kollege Laforet eine Andeutung gemacht hat, die mir zunächst nicht ganz klar war, nämlich man solle dann doch im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht abwarten, bis die Regierungsvorlage komme. Ich habe mir erlaubt, Herrn Kollegen Laforet um eine Interpretation dieser Andeutung zu bitten, und wenn ich recht verstanden habe, steht Herr Kollege Laforet auf dem Standpunkt, daß der Ausschuß dann mit Mehrheit entscheiden möge, ob er in die Beratung unserer Vorlage eintritt oder nicht, also ob dieses Gesetz dann wirklich zur Verhandlung kommt oder nicht kommt.
Meine Damen und Herren, so geht es nicht! Wenn der Bundestag einem seiner Ausschüsse durch Zuweisung einen Auftrag gibt, dann hat der Ausschuß zu arbeiten
und kann nicht in der Verborgenheit entscheiden, daß er nicht an seine Arbeit gehen will.
Sie dürfen mir nicht verübeln, daß ich hier mit großem Mißtrauen gerade diese Andeutungen verfolgt habe; denn meine Freunde und ich sind sehr hellhörig geworden, nachdem man an uns herangetreten war, man wolle heute diese erste Lesung überhaupt so abschließen, daß entweder die Vorlage nur von der Sozialdemokratie begründet werde und überhaupt keine Aussprache stattfinde oder daß jedenfalls die Beratung und Behandlung dieses Gesetzes ohne Überweisung an einen Ausschuß ausgesetzt werde, bis die Regierungsvorlage da sei. Das hat uns, wie gesagt, hellhörig und hat uns mißtrauisch gemacht, und darum ist das hier ein Präzedenz- und Probefall, ob Artikel 76 des Grundgesetzes, der die Initiative aus dem Hause zuläßt, nun gilt oder ob er mit geschäftsordnungsmäßigen Mitteln überspielt werden soll.
Das haben wir hier jetzt zu erproben und abzuwarten, und da gibt uns auch die Äußerung des Herrn Abgeordneten von Merkatz zu besonderer Besorgnis Veranlassung, der noch einen Schritt weitergegangen ist und sogar gesagt hat, es bestehe nicht einmal ein Muß, solche Vorlagen überhaupt auf die Tagesordnung zu bringen, sondern das stehe im Ermessen des Ältestenrats.
Nun Herr Kollege von Merkatz, der Altestenrat hat überhaupt kein Ermessen; der Ältestenrat hat lediglich die Herren Präsidenten zu beraten und ihnen Vorschläge zu machen. Das Haus bestimmt seine Tagesordnung,
und in dem Augenblick, in dem das Haus von dem ungeschriebenen Brauch abweichen würde, daß alle Anträge einer Fraktion auf die Tagesordnung kommen, dürfte, glaube ich, der Parlamentarismus in Deutschland allerdings erledigt sein.
Das ist es, weshalb ich mich noch einmal zum Wort gemeldet habe, um ganz eindeutig Widerspruch zu erheben und gegen die Auffassung anzukämpfen, als ob die Bundesregierung allein hier eine Prärogative bei der Gesetzgebung habe, nicht aber jede antragsberechtigte Fraktion im Hause; denn um diesen Grundsatz müssen wir kämpfen. Wir sind damit wieder einmal bei dem Generalthema dieses Bundestages: die Rechte des Bundestages. Herr Kollege Kiesinger, Sie haben zwar gesagt, Sie säßen auch im Bundestag. Gewiß, aber wir haben leider bisher noch nicht ein einziges Mal erlebt, daß die sogenannte Mehrheit in diesem Hause um die Rechte des Hauses gekämpft hätte.
- O bitte, nennen Sie mir ein einziges Beispiel, daß ich nicht dagewesen und die Mehrheit dieses Hauses besorgt gewesen wäre, daß die Regierung den Rechten des Parlaments nicht zu nahe treten würde.
Ich muß auch sonst noch einiges zu dem sagen,
was hier ausgefuhrt worden ist; denn mir scheint, daß eine Reihe von Rednern das Grundgesetz nicht zur Hand genommen hat, was doch bei der Beratung dieser Vorlage von großer Wichtigkeit gewesen wäre.
Es sind hier phantastische Vorschläge dafür o gemacht worden, wie man dieses Bundesverfassungsgericht vom Himmel zaubern oder ähnliches tun könnte. Ich darf doch darauf aufmerksam machen, daß in Artikel 94 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes in eindeutigen Worten steht: „Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt". Von dieser Vorschrift im Grundgesetz ist auszugehen. Der Herr Kollege Loritz hat die Höhe der Quoten beanstandet. Diese sind ja im Grundgesetz zwingend vorgeschrieben. Es ist also von der Grundlage auszugehen, daß von den beiden Häusern zu wählen ist, so daß wir uns hier nicht einmal mehr darüber zu unterhalten haben, ob damit politische Kreationsorgane bestehen oder nicht; denn das ist eine Entscheidung, die von diesem Hause gar nicht mehr nachgeprüft werden kann. Im übrigen aber ist es doch ein grundsätzlicher Irrtum, wenn man annehmen will, daß die Bundesregierung oder der Bundesjustizminister kein politisches Organ, ja sogar nicht einmal ein parteiliches Organ sei.
Der Herr Kollege von Merkatz hat gesagt, bei Grundgesetzgebungen solle die Sache nicht parteilich gesehen werden. Herr Kollege Merkatz, Ihnen darf ich sagen: dadurch, daß eine Fraktion dieses Hauses diese Vorlage gemacht hat, also durch dieses Formale, ist die Vorlage noch lange nicht „parteilich gesehen". Sie hätten uns aus der Sache einen einzigen Punkt herausholen sollen, in dem angeblich etwas „parteilich gesehen" wäre.
Aber wenn wir parteilich sind, so ist es die Bundesregierung mindestens in dem gleichen Maße.
Ich kann auch die Vorschußlorbeeren, die der Herr Bundesjustizminister sich selbst um die Stirn gewunden kat, nicht bewundern.
Der Herr Bundesjustizminister hat gesagt, seine Person sei die Gewähr dafür, daß hier nicht vom Recht abgewichen werde, im übrigen werde er eine Vorlage machen, die noch gründlicher und umfassender als die meiner Fraktion sei. Nun, das Urteil darüber, ob die Vorlage gründlicher und umfassender ist, werden wir zu fällen haben, wenn wir sie kennen. Der Initiator selbst ist in diesem Urteil gewöhnlich befangen.
Solche Gedankengänge wie den: „Die Person als Gewähr", haben wir in den vergangenen Jahren öfter gehört. Uns sind bloß die Sache und das Verhalten Gewähr. Und da sind wir allerdings der Meinung, daß wir auf das Bundesverfassungsgericht auch keinen Tag unnötig warten können; denn wir sind der Meinung, Herr Bundesjustizminister, daß die Abweichung vom Recht objektiv sich hier bereits in mehr als einem Falle ereignet hat und daß deshalb dringend dieses Organ geschaffen werden muß, daß es ausschließt, künftig noch solche Abweichungen zuzulassen, wie sie bereits geschehen sind.
Aus diesen Gründen muß ich den dringenden Appell an Sie richten, bei der Überweisung an den Ausschuß diese Überweisung so auszusprechen, wie es sich bei jeder Überweisung von selbst versteht — das braucht gar nicht gesagt zu werden, und das soll auch gar nicht gesagt werden —, daß der Ausschuß unverzüglich in seine Arbeiten eintritt. Nach meiner Auffassung brauchen wir dann gar keine Regierungsvorlage mehr. Sonst könnten wir nämlich dahin kommen, a daß bei all diesen Fragen von jeder Fraktion noch eine Vorlage gemacht wird.
Der Ausschuß hätte nachher vier oder sechs Vorlagen nebeneinander, und es müßten hier vier-bis sechsmal erste Lesungen stattfinden. Das Thema steht heute zur Debatte, und die Bundesregierung mag dann heute ihre Grundsätze erklären, mag sagen, was sie getan hat, und mag im übrigen in der Ausschußberatung und in der zweiten Lesung die Anträge stellen, die sie für nötig hält. Das ist das richtige Verfahren. Es kann nicht zweierlei Recht für Bundesregierung und Opposition oder irgendeine Fraktion oder das Parlament als solches geben. Das Parlament als solches hat das Recht, aus seiner Mitte eine Vorlage einzubringen, und dann ist diese Vorlage — auch mit Abänderungsanträgen — zu behandeln. Es geht aber nicht, daß man hier ein Schneeballsystem von Vorlagen macht.
Ich hätte allerdings noch gern Einzelheiten auch über das Grundsätzliche seitens des Herrn Bundesjustizministers gehört. Es ist — wenn ich das zum Abschluß sagen soll — die Art der Richterwahl beanstandet worden, die ja durch das Gesetz zwingend vorgeschrieben ist. Der Herr Kollege Loritz, der anscheinend keine Zeit gehabt hat, das Gesetz zu lesen,
hat gemeint, hier könne die Mehrheit ein Abbild ihres Geistes schaffen und durch einfache Majorität die Richter aussuchen. Nein, das ist nicht so! Gerade weil wir ein Verfassungsgericht wünschen, das eine volle rechtliche Autorität hat, geht ja
unser Vorschlag dahin, daß die vom Bundestag zu wählenden Richter auf eine notwendige Dreiviertelmehrheit und die vom Bundesrat zu wählenden Richter auf eine notwendige Zweidrittelmehrheit blicken dürfen. Ich wüßte nicht, wie man anders verfahren sollte, um auszuschließen, daß hier ein einseitig gesetztes und damit dann allerdings parteipolitisches Gremium geschaffen würde. Das ist der entscheidende Grundsatz des Gesetzes. Ich hätte es begrüßt, wenn der Herr Bundesjustizminister dazu Stellung genommen hätte; denn ich fürchte, daß wir andernfalls — ohne daß man allzuviel Phantasie haben muß — von der Bundesregierung ein Gesetz vorgelegt bekommen, in welchem der Bundestag und der Bundesrat mit einfacher Mehrheit die Richter wählen. Das würde allerdings genau der Linie entsprechen, die von Ihnen bisher eingehalten worden ist.