Meine Damen und Herren! Unser Grundgesetz hat in stärkerem Maße, als es irgendeine Verfassung jemals getan hat, unser staatliches, unser politisches und unser gesellschaftliches Leben auf das Fundament des Rechtsstaates aufgebaut. Unser Grundgesetz hat die Aufgabe, dieses Ziel zu erreichen, vornehmlich dem Bundesverfassungsgericht anvertraut.
Wir kennen aus unserer Geschichte die hervorragende Bedeutung, die ein solches Gericht hat. leider aus traurigen Erfahrungen. Der Weg der Weimarer Demokratie zum Nationalsozialismus war mitbestimmt durch das Versagen der Verfassungsgerichtsbarkeit der damaligen Zeit. Wir denken an den Konflikt der Regierung Panen mit der preußischen Regierung und stellen mit Betrübnis fest. das damals dieses oberste Verfassungsgericht rechtlich und politisch versagt hat, und wir ermessen daraus die Aufgabe, die diesem Bundesverfassungsgericht obliegt.
Ich glaube, es war nicht nötig, daß Herr Abgeordneter Wagner die Bedeutung dieses Gerichts und die Eilbedürftigkeit der gesetzlichen Regelung mit Vorgängen der letzten Zeit motivierte oder daß er damit gar der Regierung Adenauer eine besondere Eigenart in dieser Hinsicht, ich möchte beinahe sagen: anzuhängen versuchte. Meine Damen und Herren, ich möchte doch sagen, daß auch meine Person, die ja dem Herrn Abgeordneten Wagner bekannt ist, eine kleine Garantie dafür sein sollte, daß die Regierung Adenauer niemals den Weg des Rechtes verlassen wird und auch bis jetzt nicht
Ich glaube nicht, daß die Vorwürfe, die der Herr Kollege Wagner hier zu erheben für nötig hielt, einer Nachprüfung standhalten. Es würde zu weit führen, auf diese einzelnen Dinge einzugehen. Es ist nicht richtig, daß in der Bundeshauptstadtfrage jemals ein Standpunkt vertreten wurde, der das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen hätte.
Wir haben niemals ein Gutachten abgegeben — oder uns auch nur dahin geäußert —, daß das Recht des Parlaments zur Bestimmung seines Sitzes angezweifelt werden könnte. ,Über das PetersbergAbkommen haben wir uns ausgesprochen. Ich habe meinen Standpunkt, den ich damals unter starkem Protest des Hauses vertreten habe, nochmals überprüft und halte ihn für richtig.
Da in diesem Zusammenhang die Vorgänge um das Straffreiheitsgesetz angeschnitten wurden, auch ein Wort dazu. Es ist selbstverständlich, daß die Regierung und ich nicht daran denken, irgendeine Weisung, mittelbar oder unmittelbar, an die Gerichte zu geben. Wenn in der Presse darüber mißverständliche Äußerungen erschienen, dann lassen Sie mich sagen, daß sie nicht gerechtfertigt sind. Auf Wunsch der Hohen Kommissare hat eine Aussprache zwischen mir und den Vertretern der Länder stattgefunden. Ich werde die Motive des Gesetzes, die entscheidenden Materialien den Länderjustizministerien zuleiten, weil diese Materialien notwendige Voraussetzungen zu der Auslegung des Gesetzes sind; mehr geschieht nicht. Darüber können Sie beruhigt sein, daß die Zeit der Richterbriefe, die Zeit der Beeinflussung der Rechtsprechung von der Justizverwaltung her zu Ende ist und in keiner Form wiederkehren wird. Ich glaube, es ist 0 nicht nötig, mit solchen Erwägungen die Dringlichkeit der Gesetze, wie sie jetzt hier in den Anträgen der SPD vorliegen, zu begründen.
Aber vielleicht doch noch ein Wort zu der Behauptung, daß die Regierung im Begriffe stehe, die Rechte des Parlaments zu verkümmern, sich an die Stelle des Parlaments zu setzen. Oft habe ich das Gefühl, daß eine umgekehrte Betrachtung der Dinge notwendig ist. daß das Parlament nicht erkennt, daß nach dem Willen des Grundgesetzes die Regierung vor allem eine Aufgabe hat: zu handeln, tätig zu sein, zu regieren,
und daß die Regierung es nicht nötig hat, sich in ihren Prärogativen und damit in ihren Pflichten verkümmern zu lassen.
Der Herr Abgeordnete Wagner hat gesagt, wir würden vergessen, daß die Regierung ein Vollzugsorgan des Parlaments ist. Wir sind kein Vollzugsorgan des Parlaments!
Wir haben unsere eigene Aufgabe und damit unser eigenes Recht. Wir haben die Verfassung auf dem Grundsatz der Teilung der Gewalten aufgebaut. Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren, ist in erster Linie die Gesetzgebung; und die Bindung, die wir haben, sind diese Gesetze. Aber unser Recht zum Handeln besteht daneben; und das dürfen Sie glauben, daß wir von diesem Recht, das wir als höchste Pflicht empfinden, Gebrauch machen werden.
Meine Damen und Herren! Selbstverständlich war mein Ministerium nicht untätig. Wir haben Gesetzentwürfe sowohl für das Bundesverfassungsgerichtsgesetz wie für das Richterwahlgesetz ausgearbeitet; sie sind bereits zur Kabinettsreife gediehen. Bei unseren letzten Arbeiten haben wir den Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion mitberücksichtigt. Er enthält eine Reihe von überaus wertvollen Anregungen. Ich bin an sich bereit, wenn es gewünscht wird, auf die Dinge einzugehen. Nachdem der Herr Kollege Wagner davon abgesehen hat, ist es aber vielleicht nicht zweckmäßig, hier im Rahmen des Plenums diese Einzelfragen zu behandeln. Wir werden in dem Entwurf, der umgehend dem Kabinett vorgelegt und dann dem Bundesrat zugeleitet werden wird, in einer Reihe von Punkten andere Vorschläge zu machen haben. Diese Fragen sind überaus bedeutsam, die Frage der Verfassung, die Frage der Antragsrechte, die Frage der Scheidung der verschiedenen Verfahren.
Ich habe den Wunsch, daß das Bundesverfassungsgericht am 1. April steht. Ob sich das erfüllen läßt, wird auch davon abhängen, wie sich die Arbeiten in den Ausschüssen beschleunigen lassen. Mein Plan ist, daß am 1. April das obere Bundesgericht für Zivil- und Strafsachen wieder in Tätigkeit sein kann, daß damit unsere gesamte Rechtsprechung wieder die oberste Spitze hat. Mit dem Bundesgerichtshof, wie ich ihn bezeichnen will, soll das Bundesverfassungsgericht verbunden werden.
Ich bin mit dem Herrn Kollegen Wagner der Meinung, daß diese Entwicklung wichtig und bedeutsam ist. Die politischen Spannungen, die in der letzten Zeit entstanden sind, müssen ein Ventil haben. Das Bundesverfassungsgericht wird die rechtsstaatliche Stelle sein, in der diese Gegensätze ausgetragen werden können. Wenn dieses Bundesverfassungsgericht tätig sein wird, wird, glaube ich, manche Spannung zur Entspannung und mancher Krampf zur Entkrampfung kommen. Was ich tun kann, um die Dinge zu beschleunigen, soll geschehen.
Ich bin auch durchaus einverstanden, daß die Entwürfe der sozialdemokratischen Fraktion zum Gegenstand der Beratungen in den Ausschüssen gemacht werden. Ich stelle aber anheim zu erwägen, ob es nicht zweckmäßig ist, die Entwürfe der Regierung abzuwarten. Die Verzögerung kann einige Wochen ausmachen, weil der Umweg über den Bundesrat gegangen werden muß. Ich glaube aber, daß sich diese Verzögerung am Ende als nützlich erweisen wird. Es ist nicht so, wie der Herr Kollege Wagner annimmt, daß die SPD-Fraktion deswegen eher zum Erfolg gekommen sei, weil sie einiger sei als die Regierung. Ich darf für mich und für die Arbeit meines Ministeriums in Anspruch nehmen, daß wir vielleicht doch noch um einen Grad umfassender und gründlicher sind. Dieser Vorzug dürfte sich zum Besten der Materie auswirken.