Rede von
Jakob
Kaiser
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Es ist der aufrichtige Wunsch der Bundesregierung, daß es zwischen ihren eigenen Auffassungen und Intentionen für die Regelung dieser so wichtigen Frage und den Überlegungen der SPD zu einer Meinungsübereinstimmung kommt. Bis zu dem Augenblick sind wir der Auffassung, daß der Gesetzentwurf, wie ihn die Fraktion der SPD vorgelegt hat, den Notwendigkeiten, vor denen wir mit Rücksicht auf diese schwierige Frage stehen, nicht gerecht wird. Entweder wird die SPD dem Sinn, der der Rechtsverordnung zukommt, Rechnung tragen müssen, oder es kommt zu einer gesetzlichen Regelung, über die man sich herüber und hinüber verständigt. Wenn das Gesetz so verabschiedet würde, wie es die SPD vorgelegt hat, würde die Gefahr bestehen bleiben, daß die Sowjetzone praktisch von den deutschen Men- schen, die sie heute noch bewohnen, entleert werden kann. Wir müssen beachten, daß seit 1945 bereits 11/2 Millionen unserer Landsleute von drüben herüber in die Westzonen gekommen sind. Wenn ich das sage, dann gebe ich der aufrichtigen Bitte Ausdruck, daß man diese Feststellung nicht falsch deutet. Insbesondere weiß ich, wie jeder der Kollegen, der hier gesprochen hat, um die schwierige Lage, der unsere Menschen drüben in der Sowjetzone gegenüberstehen. Ich weiß um die Unfreiheit — die politische Unfreiheit —, und ich weiß um die Not unserer Menschen. Aber ich bin der Auffassung - und das ist es, was mich, am meisten bewegt bei dem Denken an die Ostzone —: unsere Menschen drüben dürfen nicht ohne letzte Not im Einzelfalle das Feld ihrer Heimat räumen. Die Position unseres Volkes in der Sowjetzone, meine Damen und Herren, ist ohnehin schon geschwächt genug, nicht nur zahlenmäßig, sondern auch qualitativ. Ich hoffe, ich werde nicht falsch verstanden, wenn ich dieses Wort gebrauche.
Daraus muß man die Folgerung ziehen, daß der Flüchtlingsstrom notwendigerweise schon aus diesem wichtigen nationalpolitischen Grunde eingedämmt werden muß. Ob die Zahlen ganz stimmen oder nicht ganz stimmen, ob Herr Albertz recht hat oder andere Berechnungen, es bleibt immer wieder übrig, daß von 5-, 6- oder 700 Flüchtlingen, die von dort fast Tag für Tag herüberkommen, höchstens 10 Prozent als echte politische Flüchtlinge angesprochen werden können, daß eine große Zahl von Flüchtlingen kommen — vielleicht sind es 60 oder noch mehr Prozent —, die einfach aus Unzufriedenheit in diesen Teil unseres Landes herüberkommen, weil sie glauben, die Situation drüben nicht mehr ertragen zu können, weil sie glauben, hier sei es besser! Vorhin sprach jemand — ich glaube, Herr Dehler war es — vom „goldenen Westen".
Dann kommt eine weitere Gruppe, das sind die Rentenempfänger, die in ihrer Arbeitskraft geschwächten Menschen, die man drüben von Amts wegen gern los sein möchte. Und schließ-
lich kommt eine Gruppe, die allerdings nicht nur mit dem D-Zug über Helmstedt herüberfährt: es kommen Agenten herüber. Ich bitte nur einmal nachzulesen, was in einer immerhin bemerkenswerten Darstellung kürzlich der Berliner „Telegraf" darüber berichtet hat, was da im Gange ist.
— Ach, ich lese auch „Das neue Deutschland"!
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Ich lese auch die Berliner Zeitung, notwendigerweise, damit ich im Bilde bleibe, was Ihr, Herr Renner, zu sagen habt. — Aber halten wir uns nicht gegenseitig auf.
Halten wir fest, daß der gekennzeichnete Zustand besorgniserregend ist, daß er nicht haltbar ist. Deswegen sollte erreicht werden, was die Verordnung will. Auf diesem oder jenem Wege muß erreicht werden, daß grundsätzlich — ich sage „grundsätzlich" — nur echte politische Flüchtlinge bis auf weiteres hier Aufnahme finden können und finden sollten.
Dann aber — und das wäre das Größere —: wir müssen zu einer großpolitischen Verständigung mit unseren Menschen drüben kommen. Sie müssen erkennen, daß sie um der Deutschheit der Heimat willen das Land drüben nicht ohne letzte Not verlassen dürfen, daß sie allen Schwierigkeiten zum Trotz auf dem Boden der Heimat aushalten müssen, damit uns das Land erhalten bleibt.
Das Anhalten des heutigen Zustandes erschwert dazu — das ist eben von verschiedenen Rednern o mit Recht ausgeführt worden — die Lage im Bundesgebiet. Halten wir uns doch die unsagbaren Schwierigkeiten vor Augen, die für die 7 oder, 8 Millionen Heimatvertriebene zu lösen sind, die seit 1945 in den Bereich der Bundesrepublik eingeströmt sind. Vergessen wir nicht, daß dazu die 11/2 Millionen Flüchtlinge aus der Sowjetzone gekommen sind. Und prägen wir uns ein — worauf eben, ich glaube, Herr Kuntscher hingewiesen hat daß unter unseren Arbeitslosen eine erstaunlich große Zahl von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen ist. Nach einer Feststellung, die allerdings auf das Vereinigte Wirtschaftsgebiet zurückgeht, setzten sich an dem Stichtag dieser Feststellung, dem 1. Juli letzten Jahres, 36,1 Prozent der Arbeitslosen aus Flüchtlingen und Heimatvertriebenen zusammen.
Denken wir weiter daran, daß unter den Arbeitslosen ein steter Zustrom von Zugewanderten aus der Ostzone festzustellen ist, und daß hier im, Bereich der Bundesrepublik im Augenblick, soweit man es feststellen konnte, ungefähr 60 000 heimatlose Jugendliche herumwandern, darunter 30 bis 40 Prozent weibliche Heimatlose.
Bedenken wir weiter doch auch die Finanznot! Vorhin ist von der Sorge gesprochen worden, die der Flüchtlingsminister hat. Es ist berechnet worden: wenn der Flüchtlingsstrom in diesem Umfange anhält und jeder Herüberkommende nur 200 Mark Erstausstattung zur Verfügung gestellt bekommt, so bedeutet das eine Ausgabe von 100 Millionen Mark im Jahre. Ich meine, wir sollten das alles beachten.
Deswegen möchte ich noch einmal dem Wunsche Ausdruck geben: auch die SPD möge zu einer Übereinstimnung mit den Überlegungen der Bundesregierung kommen. Wir wollen doch
schließlich alle das Beste für unser Volk. Ich bin des Vertrauens, Herr Albertz, daß wir zur Übereinstimmung kommen. Ich kann es nicht anders sagen, als Sie es selber am 20. Oktober 1949 bei Ihren Ausführungen im Bundesrat gesagt haben, wo Sie wörtlich ausführten:
Es muß Vorsorge getroffen werden, daß nicht praktisch die Hälfte oder zwei Drittel der deutschen Bevölkerung der Sowjetzone nun auch noch in den Westen kommt.
Also es bewegt uns die gleiche Sorge, und das erfüllt mich mit der Zuversicht, daß wir in den weiteren Verhandlungen zu einer Übereinstimmung kommen werden.