Rede von
Artur
Stegner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Es hat wenig Sinn, bei der ersten Beratung zu sehr auf das einzelne einzugehen. Gestatten Sie mir aber, nachdem die Vorredner die ganze Schwere des politischen und auch des methodischen Problems aufgezeigt haben, doch noch eine Korrektur anzubringen, die mir die Diskussion notwendig erscheinen läßt. Herr Minister Albertz aus Niedersachsen sagte: es gibt nur zwei Möglichkeiten der Lösung; entweder man läßt alle ostzonalen Grenzgänger über die Grenze, oder aber man sperrt die Grenze. Das ist natürlich nicht richtig.
Wir versuchen ja hier eine Lösung für einen Vorgang zu finden, den wir gar nicht in der Hand haben. Wenn viele Grenzgänger hereinströmen, wird man regulieren müssen; wenn wenige hereinströmen, wird man sie ohne weiteres hereinströmen lassen können. Es ist also durchaus nicht so, daß wir nur eine extreme Regelung finden könnten; denn wir wissen ja gar nicht, wie wir diese Regelung eines Tages einmal anwenden
müssen. So sehr ich den Entwurf der SPD begrüße, weil er die Möglichkeit gibt, im Bundestag die Dinge einer grundsätzlichen Besprechung zu unterziehen, so bedenklich werde ich doch, weil auch dieser Entwurf sich auf das Extrem festlegt. Er läßt generell alle Ostzonengrenzgänger die Grenze passieren und schließt nur die aus, die Straftaten begangen haben, die im Gebiet der Bundesrepublik auch strafbar sein würden.
Es gibt nun, wenn man diese letzte Klausel etwa als Einschränkung sehen würde, phantastische Zahlen über die Menge der kriminellen Elemente, die über Uelzen und Gießen hereingekommen sein sollen. Ich selbst muß Ihnen sagen: ich habe mich sehr intensiv mit den Überprüfungsmethoden befaßt. Ich muß sagen: es ist kolossal schwer nachzuprüfen,. wer drüben ein Delikt begangen hat; denn die Leute sind ja noch nicht bestraft, sind zum Teil nicht in einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, sondern nur in irgendeinem Polizeiverfahren gewesen, in das man in der Ostzone sehr schnell hineinkommen kann. Also die Unterlagen darüber sind sehr schwer beizubringen. Daher kommt es, daß die Ziffern der kriminellen Elemente von 6 bis 90 Prozent schwanken. Sie finden sie mit allen Zwischenstufen überall angegeben, wo man sich bisher mit dem Problem befaßt hat.
Also die Ausschaltung der kriminellen Elemente kann keine Regulierungsmöglichkeit sein. Man wird dabei — das hat der Herr Antragsteller besonders hervorgehoben — natürlich auf das Auseinanderleben auf dem Rechtsgebiet besonders Rücksicht nehmen müssen. Man muß eine derartige Regelung in ein solches Gesetz hineinnehmen. Aber es darf und kann kein Regulativ sein, mit dem man irgendwie den Verhältnissen gerecht werden kann.
Gerade dieser Gegenstand ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, daß eine eingehende Ausschußberatung notwendig ist, um den Dingen auf den Grund zu kommen. Ich möchte deshalb, falls es noch nicht geschehen ist, den Antrag stellen, daß der Gesetzentwurf der SPD dem Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen vielleicht neben anderen Ausschüssen, wenn das beantragt wird, zugeleitet wird, weil es unbedingt notwendig ist, den ganzen Fragenkomplex dort einer ausgiebigen Diskussion zu unterziehen.
Eine extreme Methode zur Herbeiführung vernünftiger Verhältnisse erscheint mir nicht angebracht. Wir müssen uns — darauf ist bisher noch nicht genügend aufmerksam gemacht worden — auch der Pflicht bewußt sein, daß wir diejenigen Frauen und Männer, die wir aus der Ostzone übernehmen, hier auch verpflegen und unterbringen müssen. Ja, wir müssen sogar das Recht auf. Arbeit für sie und ihre Familien anerkennen; denn das liegt in der Zulassung, wenn diese Zulassung überhaupt einen moralischen Wert haben sell. Auch hier regelt sich diese Frage nach der, Zahl derjenigen, die über die Grenze herüberkommen. Im kleinen Umfange werden wir so vorgehen können. Bei einem großen Umfange werden andere Überlegungen notwendig sein.
Es ist auch nicht mit der Verteilung getan. Der Herr niedersächsische Flüchtlingsminister wird wahrscheinlich ein paar Beispiele dafür beisteuern können, daß die Auflockerung der alten Ostvertriebenen, wie ich sie einmal nennen möchte, noch sehr zu wünschen übrig läßt. Wir haben heute auf den niedersächsischen Dörfern überall noch Menschen sitzen, die vielleicht im Ruhrgebiet schon wieder Brot und Arbeit finden könnten, weil sie Metallarbeiter und dergleichen sind. Also die Verteilungsschwierigkeiten sind bereits für die bestehenden Fälle ungeheuer groß und werden bei einem stärkeren Eindringen vom Osten her nicht gerade einfacher. Insofern bringt der Gesetzentwurf der SPD auch nicht viel Neues.
Aus all diesen Gründen möchte auch ich den Antrag stellen, den Entwurf an den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen zu überweisen.