Rede von
Günter
Goetzendorff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(WAV)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zweifellos hat uns der Antrag der SPD vor die Entscheidung einer eminent wichtigen Frage gestellt. Wir wollen alle Für und Wider prüfen, die sich um dieses Thema ranken. Wir wissen auch die Argumente zu würdigen, die man dafür und dagegen anführen kann. Ferner wissen wir, daß wir, wenn wir diesem Gesetzentwurf der SPD die Zustimmung erteilen, dann die ohnehin schon ein wenig schmale Lebensbasis der in Westdeutschland lebenden Vertriebenen vielleicht weiterhin schmälern. Wir wissen auch, daß man einwenden kann, der Flüchtlingsausgleich würde sich schwieriger bewerkstelligen lassen. Man kann auch sagen, daß die Pensionen an die vertriebenen Beamten dann nur unter größeren Schwierigkeiten gezahlt werden könnten. Wir wissen auch, daß die Arbeitslosenziffer in Westdeutschland vielleicht weiter ansteigen kann. Aber ich bin der Auffassung, daß man dieses Thema nicht nur unter materiellen Gesichtspunkten sehen sollte. In dieser Frage geht es nicht nur um unser materielle Wohlergehen, sondern hier müssen die deutsche Solidarität und die Menschlichkeit im Vordergrund stehen.
Wir haben von dem Entwurf einer Rechtsverordnung der Bundesregierung gehört. Ich muß dazu feststellen, daß es sich dabei um eine Polizeiverordnung handelt, die uns in die Zwangslage versetzen wird, deutsche Polizisten gegen deutsche Männer, Frauen und Kinder an der Grenze zwischen der sowjetisch besetzten Zone und Westdeutschland einzusetzen. Ein solches Vorgehen lehnen wir unter allen Umständen ab. Mich wundert es, daß der Herr Bundesminister der Justiz in diesem Zusammenhang nicht seine Bedenken darüber geäußert hat, ob es überhaupt möglich ist, das Grundgesetz mit einer Rechts-
verordnung einzuschränken; denn die Freizügigkeit des deutschen Menschen ist doch im Grundgesetz gewährleistet. Die kann man doch nicht mit einer Rechtsverordnung einschränken; dazu bedarf es doch eines Gesetzes.
Abgesehen davon, daß die Rechtsverordnung, die die Bundesregierung als ein Ausnahmegesetz gegen Deutsche plant, in der angeführten Richtung gegen das Grundgesetz verstößt, verstößt ein solches Verfahren auch gegen den Gedanken des Asylrechts. Wir Deutschen haben in unseren Leidenszeiten schon im ersten Weltkrieg an verschiedene Länder der Welt appelliert, uns das Asylrecht zu gewähren. Wir Deutschen haben nach dem Zusammenbruch, nach diesem unseligen Krieg auch an das moralische Asylrecht in der ganzen Welt appelliert. Und nun sollen wir als Deutsche zuerst das traurige Beispiel geben, daß wir in Deutschland selbst eine Grenze errichten.
Die Rechtsverordnung der Bundesregierung, die beabsichtigt ist, würde einer de-facto-Anerkennung der Spaltung Deutschlands in zwei Teile gleichkommen. Gerade in dieser Zeit, in der unser Vaterland noch aus der Gemeinschaft der Nationen ausgeschlossen ist, sollten wir der Welt ein Beispiel der deutschen Solidarität geben. Die tragische Politik der Siegermächte, die damals das Schanddiktat von Potsdam unterschieben haben, hat uns in diese Situation gebracht. Trotzdem sind wir dadurch nicht der Verpflichtung zum gemeinsamen Handeln als Deutsche enthoben. Die Heimatvertriebenen haben oft und oft an das Solidaritätsgefühl gerade der einheimischen Bevölkerung appelliert. Wir können uns jetzt, wenn es darum geht, unsere deutschen Brüder aus dem Osten aufzunehmen, nicht zur Eigenbrötelei bekennen.
Der Gedanke, daß man befürchten müsse, Ostdeutschland würde menschenleer werden, wenn wir diesen Deutschen gestatten würden, über die Grenze zu kommen, erscheint mir sehr, sehr abwegig. Ich darf sagen, daß der deutsche Mensch ein tiefes Bekenntnis zu seiner Heimaterde in sich fühlt und daß er nicht ohne weiteres seine Koffer packen wird, um nach dem „goldenen Westen" auszuwandern. Es müssen dann schon sehr stichhaltige Gründe sein, die ihn veranlassen, seine Heimat aufzugeben.
Aus diesem Grunde haben wir von der Fraktion der WAV den Antrag der SPD begrüßt und stimmen ihm vollinhaltlich zu. Wir sollten uns davor hüten, von uns aus Grenzen des Herzens und Grenzen der Zonen zu errichten. Wir sehen in dem vorliegenden Gesetzentwurf das Bekenntnis zur gemeinsamen Verantwortung, zum gemeinsamen Vaterland und zu einer gemeinsamen Zukunft, die wir in guten und schlechten Tagen teilen wollen.