Meine Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion hat vor einiger Zeit einen eigenen Entwurf in Unkenntnis des Regierungsentwurfs vorgelegt. Dieser eigene Entwurf der Zentrumspartei deckt sich, wie wir heute wissen, in weiten Teilen mit dem Regierungsentwurf. Auch wir wünschen, genau so wie es der Herr Finanzminister vorgeschlagen hat, gewisse steuerliche Senkungen in den mittleren Einkommensstufen. Aber — und das ist das Entscheidende — der Herr Finanzminister hat — meines Erachtens auf Anraten seiner Finanzverwaltung — vergessen, diejenigen Bevölkerungsschichten und diejenigen Teile der Bevölkerung in dem neuen Gesetzentwurf zu berücksichtigen, die eine Berücksichtigung besonders stark verdienen. Es ist heute hier sehr häufig von den Unternehmern und von der Kapitalbildung die Rede gewesen. Sie müssen sich aber einmal überlegen, daß es ja nicht nur um die Unternehmer und deren Kapitalbildung geht, sondern auch darum, die Lohnempfänger nicht durch die Steuer in ihrem Existenzminimum zu beschränken.
Es ist nicht wahr, was der Herr Finanzminister heute hier vorgetragen hat, daß die Belastung der niederen Einkommen in Deutschland die niedrigste in der Welt sei. Nach allen Statistiken, die bekannt gegeben worden sind, insbesondere auch nach dem Gutachten, das für die Verwaltung für Wirtschaft in Frankfurt angefertigt worden ist, sind die Belastungen gerade der unteren Einkommensteuerklassen in England und Amerika wesentlich niedriger als in Deutschland.
Eine Arbeiterfamilie mit einem Kind ist in England seit der Steuerreform von 1947 im allgemeinen steuerfrei.
Dasselbe gilt für Amerika, wo ein einzelner Arbeiter im allgemeinen keine Lohnsteuer zu zahlen hat. Ich habe nicht die Redezeit, um im einzelnen die Ziffern dieses Gutachtens, die aber, glaube ich, allgemein bekannt sind, vorzutragen. Ich nehme an, daß die Prozentzahlen, die uns seitens des Finanzministeriums vorgetragen worden sind, darauf zurückgeführt werden müssen, daß Sonderausgaben und Werbungskosten in den deutschen Ziffern mit eingerechnet sind, dagegen bei den vergleichbaren englischen und amerikanischen Ziffern nicht. In England sind beispielsweise für die Ehefrau 60 Pfund steuerfrei und für jedes Kind noch einmal 60 Pfund, für die Einzelperson 110 Pfund. Also die gesamten Voraussetzungen, von denen aus der Herr Finanzminister die Steuerbefreiung der Lohnempfänger ablehnt, sind meines Erachtens nicht richtig und werden im Ausschuß leicht zu widerlegen sein.
Wenn wir aber, meine Damen und Herren, davon ausgehen, dann ist es meiner Ansicht nach unsere allererste Pflicht, dafür zu sorgen, daß hier und dort, wo das Existenzminimum durch die Steuer gefährdet wird, diese Steuer tatsächlich aufgehoben wird. Das Existenzminimum steht für den Staat und als Einahmequelle für direkte Steuern nicht zur Verfügung. Die Lohnempfänger haben ja schon durch die Erhebung indirekter Steuern genügend zu zahlen.
Eine zweite breite Bevölkerungsschicht ist ebenfalls heute hier nicht erwähnt worden, und das ist der breite Kreis des Mittelstandes. Besteht denn das deutsche Leben nur aus der Industrie? Besteht das deutsche Leben nur aus den Unternehmern? Besteht denn das deutsche Leben nicht tatsächlich in ebenso breitem Maße aus den Handwerkern, den Kleingewerbetreibenden, den freien Berufen und der weiten, breiten Klasse des Mittelstandes, die ebensostarke Berücksichtung bei den Steuersenkungen verdienen wie die größeren Verdiener? Man muß doch einmal bedenken: das Einkommen des Mittelstandes dient zur unmittelbaren Befriedigung der dringendsten Lebensbedürfnisse. Und ist es nicht wichtiger, daß wir die Steuer dort senken, wo die dringendsten Lebensbedürfnisse in Frage stehen, als dort, wo es sich um Selbstfinanzierung und Kapitalbildung dreht? Ich glaube, wenn man diese Frage einmal nüchtern und objektiv betrachtet, dann wird man die Art der Steuersenkung durch das Finanzministerium nicht billigen können.
Meine Damen und Herren! Sie als Abgeordnete sind hier unmittelbares Staatsorgan. Es ist nicht etwa so, als wenn der Herr Finanzminister oder das Finanzministerium uns ein Geschenk machten, wenn sie eine gewisse Steuertabelle ausarbeiten. Sie alle haben nach den Erkenntnissen von den volkswirtschaftlichen Lind fiskalischen Notwendigkeiten selbst zu überlegen und zu überprüfen, ob der vorgeschlagene Tarif richtig ist. Wenn Sie zu dem Schluß kommen, daß der vorgeschlagene Tarif in seiner Stellung oder in seiner Stufung nicht den Bedürfnissen der breiten Bevölkerungsschichten entspricht. dann ist es Ihre Aufgabe und Ihre Pflicht, diesen Tarif entsprechend zu ändern.
Meine Damen und Herren, diese Pflicht können wir gar nicht ernst genug nehmen. Stellen Sie sich vor: Sie sind demnächst vor Ihren Wählern Rechenschaft schuldig. Ihre Wähler werden Sie fragen: Warum hast du nur an diesen relativ kleinen Kreis gedacht? Warum hast du nicht an die breiten Kreise gedacht, denen es doch tatsächlich durch die überhöhten Steuern nicht mehr möglich ist, ihre dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen? Ich glaube, wenn Sie sich diese Ihre Verantwortung richtig überlegen, dann werden Sie auch mit uns dazu kommen, den Tarif in den unteren Stufen entsprechend niedrig zu halten. Das gleiche gilt für die von uns gewünschte Erhöhung der Sonderausgaben für die Ehefrau, für die Erhöhung der Werbungskosten, die gar nicht mehr zeitgemäß sind.
Meine Damen und Herren! Die Regierungsvorlage bringt außer dem Tarif noch verschiedene andere Vorschläge, die von dem Herrn Vorredner bereits erheblich kritisiert worden sind und die, wenn ich die Debatte richtig verstanden habe, dazu geführt haben, daß sich die Regierung auch schon zu weitgehenden Konzessionen bereit gefunden hat. Einen Punkt allerdings vernachlässigt die Regierungsvorlage vollständig. Sie bringt nicht die Berücksichtigung der Möglichkeit einer
Erhöhung der Körperschaft- bzw. der Kapitalertragsteuer, die es der Regierung ermöglichen würde, ein etwaiges Loch aus den Steuersenkungen zu decken. Hier muß ich dem Finanzminister, insbesondere auch meinem Vorredner, Herrn Dr. Höpker-Aschoff rechtgeben: der Mut, der zu Steuersenkungen gehört, wird sich hundertfach bezahlt machen. Der Mut, Steuersenkungen durchzuführen, ist in verschiedener Hinsicht außerordentlich notwendig, aber auch vorteilhaft. Man bedenke, daß es sich ja hier nur um die Senkungen der direkten Steuern handelt. Die Senkung der direkten Steuern wird automatisch höhere Umsätze nach sich ziehen und damit ein höheres Umsatzsteueraufkommen erbringen. Sie wird ein höheres Aufkommen an indirekten Steuern erbringen und dadurch mit dazu beitragen, die Arbeitslosenzahl herabzusetzen.
Ein weiterer Punkt, der bei diesem Einkommensteuergesetz wohl überlegt sein will, ist vor allem auch die Frage der Staatsausgaben. Der Herr Finanzminister hat uns eben erzählt, die Ausgaben für die eigentlichen Staatsaufgaben wiesen sinkende Tendenz auf. Er hat das damit begründet, daß die Gesamtziffer von 8000 Milionen im vorigen Jahr auf 7777 Millionen in diesem Jahr herabgesunken sei. Das bedeutet keineswegs eine sinkende Tendenz; denn in den öffentlichen Ausgaben sind auch sächliche Ausgaben enthalten. Diese sächlichen Ausgaben sind infolge der im Jahre 1949 allgemein gesunkenen Preise im Vergleich zum Jahre 1948 automatisch geringer geworden. Diese Ersparnis aus den geringeren sächlichen Ausgaben dürfte meines Erachtens bei einem Gesamtobjekt von 8000 Millionen den Betrag von 250 Millionen erheblich überschreiten. Ich schätze, daß, wenn wir den durchschnittlichen Preisrückgang berücksichtigen, wir keine Ermäßigung der Staatsausgaben, sondern eine Erhöhung der tatsächlichen Staatsausgaben zu verzeichnen haben.
Hier wäre eine der Hauptaufgaben des Finanzministers, dieser verhängnisvollen Entwicklung der Erhöhung der Staatsausgaben entgegenzutreten und dafür zu sorgen, daß beispielsweise im Wirtschaftsministerium nicht 44 PKWs betrieben werden und daß der Verbindungsminister nicht 3 PKWs für die Verbindungsfahrt vom Bundestag zum Bundesrat benötigt. Diese aufzugreifen und hier einmal zur Sprache zu bringen, dürfte meiner Ansicht nach wesentlich nützlicher sein, als mit gewissen Zahlenspielereien einen Eindruck hier hervorzurufen, der einer genauen Nachprüfung einfach nicht standhält.
Meine Damen und Herren! Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, daß meine Redezeit abgelaufen ist. Es tut mir leid, daß ich in dieser Öffentlichkeit das, was wirklich zur ersten Beratung über die verschiedenen Punkte noch zu sagen wäre, nicht weiter vortragen kann. Auf der andern Seite aber hoffe ich — und ich glaube, dazu begründeten Anlaß zu haben —, daß wir uns alle im Ausschuß zu einer Fassung des Gesetzes durchringen können, die uns in der zweiten Beratung von allen Seiten weniger Kritik und mehr Zustimmung zu geben gestattet. Ich hoffe deshalb, daß wir nach der zweiten Beratung zu einer gewissen Übereinstimmung kommen werden.