Meine Damen und Herren! Wenn der Gegenstand unseres Antrages auch berauschend sein kann,
so wird es doch notwendig sein, über diesen Antrag mit aller Nüchternheit und Ruhe eine grundsätzliche Entscheidung herbeizuführen. Der Antrag der Bayernpartei stellt Sie vor die Frage, ob Sie im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung entsprechend dem Gedanken des Grundgesetzes klar und eindeutig einen föderativen Weg gehen, nämlich auf dem Gebiete der Biersteuergesetzgebung die Gesetzgebungszuständigkeit den Ländern überlassen wollen. Die Entscheidung ist deshalb so wichtig, weil zumindest vom bayerischen Gesichtspunkt aus gerade die Biersteuergesetzgebung ein Sachgebiet ist, das vordringlichst dazu angetan ist, die Zuständigkeit den Ländern zu übertragen. Wenn Sie hier eine ablehnende Haltung einnehmen würden, dann würde der Verwirklichung des föderativen Gedankens im Grundgesetz in Zukunft ein ganz enger Rahmen gezogen werden. Durch den Begriff der konkurrierenden Gesetzgebung ist eben der föderative Charakter des Grundgesetzes noch gewahrt.
Meine Damen und Herren, Sie haben gehört, daß man im Finanzausschuß den Antrag der Bayernpartei aus rechtlichen Erwägungen abgelehnt hat. Ich glaube, diese Entscheidung ist falsch, und ich muß Ihnen in kurzen rechtlichen Darlegungen erläutern, warum sie falsch ist.
Da es sich hier um eine ganz grundsätzliche Frage handelt, möchte ich eingangs meiner Erwägungen darauf verweisen, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im Zusammenhang mit der Frage über den föderativen Staatsaufbau erklärt hat. Ich darf das vielleicht vorlesen. Er erklärte:
Unter den Bundesministerien befindet sich ein Ministerium, das die besondere Aufgabe hat, für die Wahrung der engen Verbindung mit dem Bundesrat Sorge zu tragen. Ich bitte, in der Errichtung dieses Ministeriums den ernsten Willen der Bundesregierung zu sehen, den föderativen Charakter des Grundgesetzes sicherzustellen
— ich wiederhole: sicherzustellen! —,
die Rechte der Länder zu wahren und die Arbeit des Bundesrats so mit der Tätigkeit des
Bundestags und der Bundesregierung in Einklang zu bringen, daß ein harmonisches Zusammenarbeiten gewährleistet ist.
Ich habe schon gesagt, daß das Problem der Biersteuergesetzgebung, da sie zur konkurrierenden Gesetzgebung gehört, Sie zu der Auseinandersetzung mit der Frage zwingt, ob Sie hier den Ländern oder dem Bund die Zuständigkeit erteilen wollen. Wenn Sie an diese Frage herangehen, so müssen Sie sich vor Augen halten, daß der oberste Grundsatz, der im Grundgesetz verankert ist, dahin geht, daß bei der Entscheidung in Fragen der konkurrierenden Gesetzgebung nach dem Grundgesetz die Zuständigkeit der Länder vermutet wird. Das ist eine grundsätzliche und kapitale Feststellung, die insbesondere im Artikel 70, dann aber auch in den Artikeln 30 und 83 des Grundgesetzes verankert ist. Sie können diese Frage dem Gewissen nach nicht richtig entscheiden, wenn Sie sich nicht darüber klar sind, was nach dem Grundgesetz das Wesen der konkurrierenden Gesetzgebung ausmacht. Der Artikel 72 besagt, daß im Bereiche der konkurrierenden Gesetzgebung die Länder die Zuständigkeit haben, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. Ich betone ausdrücklich: solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht.
Damit ist der Begriff der konkurrierenden Gesetzgebung aber noch nicht klargestellt; denn es ist nicht dem Zufall oder der Willkür des Bundes überlassen, von dem Gesetzgebungsrecht Gebrauch zu machen, wenn eine Sache im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung liegt, sondern mit der Feststellung der konkurrierenden Gesetzgebung fällt nach Absatz 2 das Erfordernis zusammen, daß bei Inanspruchnahme der Gesetzgebungsbefugnis durch den Bund voraus die Bedürfnisfrage geklärt sein muß, so daß nur bei Erfüllung von drei Voraussetzungen der Bund die Gesetzgebung auf einem solchen Gesetzgebungsgebiet in Anspruch nehmen kann. Es 'handelt sich also um eine Bedarfskompetenz, die hier festgestellt werden muß. Es muß weiter deutlich daran festgehalten werden, daß der Bund bei solchen Kategorien von Gesetzgebungsgebieten nicht zufällig oder willkürlich die Gesetzgebungsbefugnis für sich in Anspruch nehmen darf.
Darüber hinaus ist bezüglich der Frage der Anwendung der konkurrierenden Gesetzgebung noch eine Auslegungsmöglichkeit gegeben. Ich nehme zwar nicht gerne darauf Bezug, weil ich mich nicht gern auf Anweisungen der Besatzungsmacht in der Frage der Neugestaltung des Bundes beziehe; aber es ist eine Grundlage, und ich kann an ihr nicht vorübergehen. Es muß hierbei nämlich auch das Schreiben der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 anläßlich der Genehmigung des Grundgesetzes herangezogen werden. Ich darf auch hier den entsprechenden Inhalt hinsichtlich der Bedürfnisfrage vorlesen. Es heißt darin nämlich:
Die Militärgouverneure haben anläßlich der Genehmigung des Grundgesetzes im Schreiben vom 12. Mai 1949 einen Vorbehalt zugunsten der Landesgesetzgebung gemacht des Inhalts, daß ein Bedürfnis für die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nur angenommen werden könne, falls die Aufrechterhaltung gesetzlicher oder wirtschaftlicher Einheit dies verlangt, um die wirtschaftlichen Interessen des Bundes zu fördern oder um eine vernünftige Einheitlichkeit der wirtschaft-
lichen Lebensmöglichkeiten für alle sicherzustellen.
Dieser Vorbehalt der Besatzungsmacht stellt also eine weitere Beschränkung der bundesrechtlichen Zuständigkeit dar, die aus dem Grundgesetz nicht ersichtlich ist. Dies alles zusammengefaßt umgreift das Wesen, den Geist und vor allem das Auslegungsgewissen bezüglich der konkurrierenden Gesetzgebung.
In diesem besonderen Fall wird eingewandt, daß auf Grund des Artikel 125 des Grundgesetzes in bezug auf die Biersteuergesetzgebung schon festgelegt ist, daß die Biersteuergesetzgebung Bundesrecht ist, so daß also darüber gar nicht mehr gerechtet werden könne, ob den Ländern die Gesetzgebungsbefugnis durch Verzicht des Bundes auf die Gesetzgebungsbefugnis zurückgegeben werden könne. Wir haben uns also auseinanderzusetzen und Sie haben darüber zu entscheiden, in welche Beziehung der Artikel 125 zu dem Artikel 72, nämlich der Bedürfnisfrage, zu setzen ist, ob der Artikel 125 ausschließt, daß die Bedürfnisfrage hier noch zu prüfen ist oder nicht.
Nun steht der Artikel 125 im Grundgesetz unter dem Abschnitt XI „Übergangs- und Schlußbestimmungen". Der Artikel 125 ist also eine reine Übergangsbestimmung. Er bestimmt, welches Recht seit dem 24. Mai 1949, dem Tage des Inkrafttretens des Grundgesetzes, Bundesrecht ist. Es heißt darin:
Recht, das Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes betrifft, wird innerhalb seines Geltungsbereiches Bundesrecht, soweit es innerhalb einer oder mehrerer Besatzungszonen einheitlich gilt.
Das andere trifft hier nicht zu.
Nun wird eingewandt daß, nachdem die Biersteuer seit 1918 durch Reichsgesetz geregelt ist, auch nach 1945 überzonale einheitliche Gesetzesvorschriften durch den Wirtschaftsrat, durch den Kontrollrat, durch die Militärgesetzgebung gegeben worden seien und deshalb schon nunmehr auf dem Gebiet der Biersteuergesetzgebung Bundesrecht geschaffen sei. Wir können diesen Standpunkt unter gar keinen Umständen teilen. Ich werde Ihnen kurz die Gründe vortragen, warum eine solche Auslegung gegen das Grundgesetz sprechen würde. Der erste Einwand ist, daß der Artikel 125 nur eine Übergangsvorschrift ist und damit nicht ein anderes Recht als Übergangsbestimmung schaffen kann, als in den Hauptvorschriften gewollt ist, also insbesondere im Artikel 72, wo die Bedürfnisfrage zu prüfen ist. Zweitens stellen wir zur Entscheidung, daß der Begriff der konkurrierenden Gesetzgebung so, wie er im Artikel 72 geprägt ist, im Artikel 125, in dem ebenfalls von konkurrierender Gesetzgebung gesprochen wird, in seiner Ganzheit nicht anders ausgelegt werden kann als in Artikel 72, nämlich in den Hauptvorschriften. Wenn dort zum Begriff der konkurrierenden Gesetzgebung gehört, daß in jedem einzelnen Fall die Bedürfnisfrage zu prüfen ist, und im Artikel 125, also in einer Übergangsvorschrift, ebenfalls von konkurrierender Gesetzgebung gesprochen ist, dann muß, selbst wenn es sich hier schon um Bundesrecht als Übergangsvorschrift handeln würde, der Bund trotzdem prüfen, ob in diesem einzelnen Fall ein Bedürfnis nach Artikel 72 Absatz 2 des Bundes zur Übernahme der Gesetzgebung auf Bundesebene vorliegt.
Ein weiterer Einwand zu der Auslegung des Finanzausschusses ist der, daß doch nicht auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung etwas
Bundesrecht werden kann, was auf anderen Gebieten durch die Anwendung des Artikel 72 vielleicht gar nicht Bundesrecht werden könnte, wenn man die Auslegung des Artikel 72 zugrunde legt. Das würde eine verschiedenartige Anwendung des Begriffs der konkurrierenden Gesetzgebung bedeuten.
Aber ein sehr wesentlicher Punkt spricht für die Auffassung, die wir Ihnen vortragen. Unmittelbar nach dem Artikel 125, der in den Übergangsvorschriften steht, finden wir eine Bestimmung, in der es heißt:
Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
Wenn, wie man uns vorhält, der Artikel 125 absolutes Recht schaffen würde, dann wäre die Bestimmung des Artikel 126 völlig überflüssig, weil sie inhaltlich das gleiche bedeutet, was in den Hauptvorschriften im Artikel 93 bereits niedergelegt ist. Nachdem aber in den Übergangsvorschriften diese Bestimmung noch einmal aufgenommen worden ist und ausdrücklich festgelegt wird: „Meinungsverschiedenheiten über das Fortgelten von Recht als Bundesrecht entscheidet das Bundesverfassungsgericht", ist damit klipp und klar gesagt, daß mit Artikel 125 bezüglich der hier erfaßten konkurrierenden Gesetzgebung nicht ein Sonderrecht, nicht ein absolutes Recht geschaffen ist, sondern daß auch die Bedürfnisfrage berücksichtigt werden muß.
Damit habe ich Ihnen die rechtliche Seite auseinandergelegt und damit habe ich auch begründet, daß der Bundestag bei einer wirklich tiefen und ernsten Auseinandersetzung in Fragen der föderalistischen oder zentralistischen Ausrichtung des Staatsaufbaus trotz des Artikel 125 hier die Bedürfnisfrage zu klären hat.
Meine Damen und Herren! Ich habe schon gesagt: wenn überhaupt ein Gegenstand auf irgendeinem Gebiet dazu angetan ist, den Ländern übertragen zu werden, so ist es das Gebiet der Biersteuergesetzgebung, insbesondere auf Grund unserer bayerischen Verhältnisse. Ich möchte nicht die tatsächlichen Ausführungen zur Begründung der Bedürfnisfrage machen, das wird von anderer Seite geschehen; aber auf eines möchte ich doch hinweisen: daß unser Braugewerbe, das mit der gesamten bayerischen Wirtschaft, mit dem Gaststättengewerbe, mit verschiedenen anderen Gewerbezweigen zusammenhängt, gerade in der Zeit der zentralistischen Gesetzgebungsmaschine an den Ruin gebracht worden ist. weil man ein Gewerbe, einen Wirtschaftszweig dazu benutzte, um Geld aus ihm in einer Weise herauszupressen, die mit der Wirklichkeit, mit dem Recht und mit den Sittengesetzen nicht mehr in Einklang zu bringen war. Wenn man den Stammwürzgehalt bis zur Wasserflüssigkeit heruntergesetzt und die Biersteuer in ungeheurer Weise heraufgesetzt hat, so war ;las nicht nur staatlich sanktionierter Betrug an der Bevölkerung, sondern war zugleich der Grund für die Ruinierung des Absatzes in diesem Wirtschaftszweig und beinahe die Ruinierung des gesamten Braugewerbes.