Rede von
Johann
Cramer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Renner und Genossen berührt ein Problem, das alle Verleger und Journalisten betrifft, gleichgültig, ob sie der sogenannten überparteilichen Presse oder der Parteipresse, ob sie der Lizenzpresse oder der nach Aufhebung der Lizenzierungspflicht entstandenen neuen Presseart angehören. Die Presse führt seit jeher einen Kampf um die Meinungsfreiheit durch Wort und Bild. Leider haben wir heute in der Bundesrepublik Deutschland noch kein einheitliches Bundespressegesetz. Wir haben das Fehlen eines solchen Gesetzes in den letzten Jahren sehr oft als Mangel empfunden. Ich kann nur von den Verhältnissen in der britischen Zone sprechen. Dort wurde das sogenannte Weisungsrecht für die Presse von den britischen Presseoffizieren ausgeübt. Ich muß allerdings sagen, daß sie von diesem Recht der Weisung nur in ganz seltenen Ausnahmefällen und in sehr vorsichtiger Form Gebrauch gemacht haben.
Sie haben sich auch nur in sehr wenigen Ausnahmefällen das Recht vorbehalten, sogenannte
Auflagenachrichten an die Presse zu geben und uns
dann noch das Recht zugestanden, diese Auflagenachrichten sofort zu kommentieren.
Ich kenne in Niedersachsen nur einen Fall, wo man eine Zeitung wegen ihrer Schreibweise verboten hat; das war allerdings in diesem Fall auch eine kommunistische Zeitung.
Meine Damen und Herren, es ist auch in der Presse so, daß es ganz darauf ankommt, wie man etwas tut und wie man etwas sagt. Die kommunistische Presse ist deswegen verboten worden, weil sie einen Aufruf gegen die Demontagen veröffentlicht hat. Damit ist nicht gesagt, meine Damen und Herren, daß nicht auch die anderen Zeitungen gegen die Demontagen protestiert hätten; sie haben das ebenso getan, vielleicht noch in wirksamerer Form. Aber es kommt auf das Wie an, und das Wie war wahrscheinlich so, daß in den Fällen, wo es sich um die kommunistische Presse handelte, das Maß des Zulässigen überschritten worden ist.
Ich weiß, das Verbot einer Zeitung trifft einen Verlag an seinem Lebensnerv. Ein längeres Verbot kann eine Zeitung ruinieren. Deshalb hat jeder verantwortliche Redakteur die Pflicht, darauf zu achten, mit den bestehenden Gesetzen nicht in Konflikt zu kommen.
Nun frage ich Sie: ist das überhaupt möglich? Sind die Gesetze nicht so, daß er unbedingt in Konflikt kommen muß? Wir haben ein Bundespressegesetz noch nicht. Allerdings sind in einzelnen Ländern Vorbereitungen getroffen, um Länderpressegesetze zu machen. Nordrhein-Westfalen hat seines bereits veröffentlicht, und in anderen Ländern ist man dabei, die Arbeiten zum Abschluß zu bringen.
Wegen des Fehlens eines solchen Pressegesetzes, und auch um ihre eigenen Interessen zu schützen, haben die alliierten Hohen Kommissare ein eigenes Gesetz für Presse, Rundfunk und Film herausgegeben. In diesem Gesetz — Gesetz Nr. 5 — heißt es in Artikel 1:
Die Freiheit der deutschen Presse, des deutschen Rundfunks und anderer deutscher Mittel der Berichterstattung sind gewährleistet wie im Grundgesetz vorgesehen. Die alliierte Hohe Kommission behält sich das Recht vor, jede von der Regierung auf politischem, verwaltungsmäßigem oder finanziellem Gebiet getroffene Maßnahme, die diese Freiheit bedrohen könnte, für ungültig zu erklären oder aufzuheben.
Wenn man diesen Artikel wörtlich nimmt, drängt sich einem die Frage auf, ob sich dann nach diesem Gesetz das Verbot einer Zeitung überhaupt rechtfertigen läßt.
Meine Damen und Herren, „Freiheit der Presse" — ein schwieriges Kapitel. Uneingeschränkte Freiheit bedeutet, daß auch Lüge, Verleumdung und Verdrehung geduldet werden müssen, was sicherlich dem allgemeinen Rechtsgefühl und dem rechtverstandenen Freiheitsempfinden widerspricht. Beides sind Dinge, die ohne Verantwortungsgefühl einfach nicht denkbar sind. Wir haben — das muß ich auch an dieser Stelle zugeben — in Deutschland und wahrscheinlich auch in vielen anderen Ländern nicht die Presse, die in allen ihren Teilen solchen Anforderungen genügt, daß man ihr keine
Bindungen oder Einschränkungen aufzuerlegen braucht. Gegenüber Übergriffen einzelner unverantwortlicher Journalisten soll und muß die Öffentlichkeit und muß jeder einzelne geschützt werden.
Es liegt nun selbstverständlich in jeder Art von Pressegesetzgebung eine gewisse Gefahr. Wir alle kennen die unheilvollen Auswirkungen jeglicher Art der Pressezensur, die sich um so unheilvoller auswirken muß, wenn die einzelnen Fälle, gegen die vorgegangen wird, über den Begriff der klaren Wahrheitsfälschung hinausgehen.
Die Hohen Kommissare haben sich bemüßigt gefühlt, zum Schutze der Sicherheit und des Ansehens des alliierten Personals im Gesetz Nr. 5 eine weitere Vorschrift zu schaffen, die folgendermaßen lautet:
Jedem Unternehmen und jeder Person, die an einem Unternehmen beteiligt ist oder dessen Einrichtungen benutzt, ist es verboten, so zu handeln, daß das Ansehen und die Sicherheit des alliierten Personals gefährdet wird oder gefährdet werden könnte.
Meine Damen und Herren, jeder Redakteur läuft danach täglich Gefahr, mit diesem Artikel in Konflikt zu kommen. Das Recht, sich gegen Angriffe auf die Sicherheit des alliierten Personals, zu schützen, steht selbstverständlich jeder Besatzungsmacht zu. Was heißt aber in diesem Zusammenhang „das Ansehen gefährden"? Man kann das Ansehen einer Besatzungsmacht dadurch gefährden, daß man Lügen über sie verbreitet. Man kann das Ansehen der Besatzungsmacht aber selbstverständlich auch dadurch gefährden, daß man die Wahrheit schreibt. Ich weiß, daß es jeder Besatzungsmacht unangenehm ist, wenn beispielsweise Übergriffe ihrer Angehörigen durch die Presse publikgemacht werden. Dagegen möchte sich selbstverständlich die Besatzungsmacht schützen. Wie sollen wir uns als Journalisten aber in solchen Fällen verhalten? Wird uns der Schutz des § 193 des Strafgesetzbuches auch dann zugebilligt, wenn es sich um Fälle der Strafverfolgung durch die Besatzungsmacht handelt? Kann man überhaupt einen Journalisten verurteilen, weil er die Wahrheit gesagt hat? Wir wissen es ja aus der Erfahrung vom Heimtückegesetz her, daß die Wahrheit sehr wohl verboten werden kann. Völlig unsicher wird aber das Recht des Journalisten, wenn es in diesem Artikel heißt, daß ein Verbot auch dann erlassen werden kann, wenn die Betreffenden im Begriffe sind, den Vorschriften dieses Gesetzes zuwiderzuhandeln.
Meine Damen und Herren, uns fehlt die nach Ziffer 3 dieses Gesetzes noch einzurichtende Beschwerdestelle, um die Journalisten und die Verleger vor ungerechtfertigten Verboten zu schützen. Ziffer 3 dieses Artikels 2 besagt nämlich:
Wird ein derartiges Verbot über ein Unternehmen für länger als drei Monate oder über
eine Person für länger als einen Monat verhängt, so können die Betroffenen gegen diese
Entscheidung bei einer zu diesem Zweck noch
einzurichtenden Stelle Einspruch einlegen.
Eine solche Stelle haben wir in Deutschland nicht.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat in seinem Gesetz vom 17. November vorgeschrieben, daß eine
solche Beschwerdestelle, ein sogenannter beratender Ausschuß für das Pressewesen gebildet werden
soll, der sich aus vier Journalisten, vier Verlegern
und aus vier dem Pressewesen nicht angehörenden
Vertretern der Öffentlichkeit zusammensetzt. Es
wird Sache der Bundesregierung sein, alles Erforderliche in die Wege zu leiten, damit wir auch den im Gesetz vorgesehenen Beschwerdeausschuß für Verbote durch die Besatzungsmacht bekommen.
Was die heute zur Debatte stehenden Fälle betrifft, so wird es nicht möglich sein, sie hier im einzelnen zu prüfen. Ich sagte eben schon: alle Zeitungen haben gegen die Demontage protestiert und haben wahrscheinlich auch Aufrufe der Parteien veröffentlicht. Es kommt aber bei der Prüfung der Frage, ob ein Verbot gerechtfertigt ist, darauf an, auch die Frage zu prüfen, wie diese Proteste vor sich gegangen sind und ob das Maß des Erlaubten dabei überschritten worden ist. Ich zweifle nicht daran, daß auch die Zeitungen, um die es sich hier handelt — eigentlich handelt es sich nur noch um die „Niedersächsische Volksstimme" —, Wert darauf legen, daß in einem eingehenden Prüfungsverfahren ihre Unschuld bewiesen wird, damit dann die Bundesregierung entsprechende Maßnahmen in die Wege leiten kann. Ich bin der Auffassung ,daß eine solche eingehende Prüfung nur im Ausschuß möglich ist. Ich beantrage deshalb namens meiner Fraktion, diesen Antrag Drucksache Nr. 208 dem Ausschuß für Presse, Rundfunk und Film zur weiteren Behandlung zu übergeben.